Urteil des BGH vom 10.05.2016

Leitsatzentscheidung zu Abfindung, Einziehung, Rate, Vergleich

ECLI:DE:BGH:2016:100516UIIZR342.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 342/14
Verkündet am:
10. Mai 2016
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
GmbHG § 34
a) Die persönliche Haftung der Gesellschafter nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom
24. Januar 2012 (II ZR 109/11, BGHZ 192, 236) entsteht weder bereits mit der Fassung
des Einziehungsbeschlusses noch allein aufgrund des Umstands, dass die Gesellschaft
später zum Zeitpunkt der Fälligkeit gemäß § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG an der Zah-
lung der Abfindung gehindert ist oder sie unter Berufung auf dieses Hindernis verweigert.
Die persönliche Haftung der Gesellschafter entsteht erst in dem Zeitpunkt, ab dem die
Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfin-
dungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen ist.
b) Liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens vor, so haf-
ten die Gesellschafter auch dann, wenn die Einziehung nicht gegen den Willen des be-
troffenen Gesellschafters, sondern mit seiner Zustimmung erfolgt.
c) Eine Haftung der verbliebenen Gesellschafter entsteht grundsätzlich dann nicht zwingend,
wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung oder danach über das Vermögen der Ge-
sellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder die Gesellschaft jedenfalls insolvenz-
reif ist und die Antragstellung nicht treuwidrig verzögert wird.
BGH, Urteil vom 10. Mai 2016 - II ZR 342/14 - OLG Celle
LG Hildesheim
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Februar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den
Richter Prof. Dr. Strohn, die Richterinnen Caliebe und Dr. Reichart und den
Richter Sunder
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
9. Zivilsenats
des
Oberlandesgerichts
Celle
vom
19. November 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgeho-
ben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Re-
visionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwie-
sen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger und Dr. D. R. waren mit Einlagen in Höhe von je
25.000
€ Gründungsgesellschafter und Geschäftsführer der e.
GmbH. Im Gesellschaftsvertrag ist vorgesehen, dass Geschäfts-
anteile mit Zustimmung der betroffenen Gesellschafter eingezogen werden
können. Weiter heißt es in § 12 Abs. 3 Satz 3 des Gesellschaftsvertrags, mit
Zugang des Einziehungsbeschlusses scheide der betroffene Gesellschafter aus
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der Gesellschaft aus. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 des Gesellschaftsvertrags soll
die Abfindung in drei gleichen Jahresraten zu zahlen sein, beginnend sechs
Monate nach dem Stichtag des Ausscheidens.
Nachdem Dr. R. seinen Geschäftsanteil schenkweise zu je einem
Viertel auf seine Söhne, die Beklagten, übertragen hatte, beschloss die Gesell-
schafterversammlung am 30. Juni 2008 mit Zustimmung des Klägers, dessen
Geschäftsanteil einzuziehen und ihm als Abfindung je 300.000
€ zum 1. August
2008, 1. Februar 2009 und 1. August 2009 zu zahlen. In einem "Vergleich" vom
selben Tage, an dem alle Gesellschafter beteiligt waren, wurden weitere Ein-
zelheiten festgelegt. So sollten die Beklagten zu 1 und 2 ihre Geschäftsanteile
an den Kläger verpfänden. Der Kläger sollte berechtigt sein, die verpfändeten
Geschäftsanteile zu verwerten, wenn die Gesellschaft mit einer Abfindungsrate
einen Monat in Verzug geraten würde. Die Einziehung sollte erst mit Zahlung
der ersten Rate und der notariell beurkundeten Verpfändung der Geschäftsan-
teile wirksam werden. Die Beklagten verpflichteten sich, bis zur vollständigen
Zahlung der Abfindung keine Gewinnausschüttungen vorzunehmen und ihre
Geschäftsführergehälter um nicht mehr als 20 % zu erhöhen.
Dem Kläger wurden die ersten beiden Abfindungsraten ausgezahlt. Hin-
sichtlich der dritten Rate teilte ihm die Gesellschaft am 31. Juli 2009 mit, wegen
einer bilanziellen Überschuldung zur Zahlung nicht in der Lage zu sein.
Auf Eigenantrag vom 26. Januar 2010 wurde am 16. März 2010 das In-
solvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet.
Der Kläger verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern Zahlung
der letzten Abfindungsrate in Höhe von 300.000
€ nebst Zinsen. Das Landge-
richt hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Beru-
fungsgericht die Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen zur Zahlung von
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je 75.000
€ nebst Zinsen verurteilt. Dagegen wehren sich die Beklagten mit der
vom erkennenden Senat zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Auf der Grundlage der bislang ge-
troffenen Feststellungen des Berufungsgerichts kann nicht angenommen wer-
den, dass die Beklagten verpflichtet sind, die noch ausstehende Abfindungsrate
an den Kläger zu zahlen.
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet:
Die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers sei mit dem Zugang
des Einziehungsbeschlusses beim Kläger wirksam geworden. Der Beschluss
sei nicht nichtig. Keine der Parteien habe behauptet, schon zum Zeitpunkt der
Beschlussfassung habe festgestanden, dass die Zahlung der Abfindung aus
freiem Vermögen nicht möglich sei. Damit habe der Kläger einen Anspruch ge-
gen die Gesellschaft auf eine Abfindung in Höhe des Verkehrswerts seines Ge-
schäftsanteils erworben.
Eine persönliche Zahlungspflicht der Beklagten folge nicht schon aus
dem Vergleich vom 30. Juni 2008. Sie ergebe sich aber aus einer Treuepflicht-
verletzung der Beklagten. Sie hätten die Gesellschaft über fast sechs Monate
fortgeführt und sich dabei den Wert des Anteils des Klägers einverleibt, ohne
dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft entweder die Abfindung zahlen oder
aufgelöst würde. Die vom Bundesgerichtshof im Fall einer Zwangseinziehung
angenommene persönliche anteilige Haftung der Gesellschafter gelte auch bei
einer Einziehung - wie hier - mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters.
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Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagten sei spätestens am
1. August 2009 entstanden und fällig geworden. Denn zu diesem Zeitpunkt ha-
be festgestanden, dass die Gesellschaft die Abfindung nicht mehr habe zahlen
können. Der Anspruch sei durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht
entfallen. Sofern man überhaupt eine "Karenzzeit" für die Entscheidung, ob die
Gesellschaft aufgelöst werde, anerkennen wolle, könne diese nicht länger als
drei Wochen sein. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens liege
deutlich später.
Ob die Vermögenslage der Gesellschaft tatsächlich eine Zahlung der
letzten Abfindungsrate aus freiem Vermögen verhindert habe, brauche nicht
entschieden zu werden. Denn wenn genügend freies Vermögen vorhanden ge-
wesen wäre, die Gesellschaft aber trotzdem (grundlos) nicht gezahlt hätte, haf-
teten die Gesellschafter erst recht. Deshalb könne auch offen bleiben, ob die
Beklagten - wie vom Kläger behauptet - im Wege verdeckter Gewinnausschüt-
tungen Vermögen von der Gesellschaft auf andere zu ihrem Unternehmensver-
bund gehörende Gesellschaften übertragen hätten.
II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in
allen Punkten stand.
1. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen,
dass der Einziehungsbeschluss nicht etwa deshalb nichtig ist, weil zum Zeit-
punkt der Beschlussfassung schon festgestanden hätte, dass die Abfindung
nicht aus freiem, nicht durch § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG geschützten
Vermögen hätte gezahlt werden können (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012
- II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 7). Dagegen bringt die Revision nichts vor.
2. Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Annahme des Berufungsgerichts,
dass die Einziehung mit dem Zugang des Einziehungsbeschlusses beim Kläger
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wirksam geworden sei. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass die Gesell-
schafter im vorliegenden Fall wirksam beschlossen haben, dass die Einziehung
(erst) mit Zahlung der ersten Rate der Abfindung sowie mit der notariellen Ver-
pfändung der Geschäftsanteile wirksam werden sollte. Die Einziehung ist daher
erst mit dem Eintritt dieser Bedingungen wirksam geworden.
a) Die Gesellschafter haben in der Gesellschafterversammlung vom
30. Juni 2008, deren einziger Tagesordnungspunkt die Einziehung des Ge-
schäftsanteils des Klägers war, nicht nur (einvernehmlich) beschlossen, den
Geschäftsanteil des Klägers gemäß § 12 Abs. 1 der Satzung einzuziehen. Sie
haben vielmehr ausweislich des Protokolls der Gesellschafterversammlung un-
ter IV. beschlossen, die "weiteren Einzelheiten" in dem "heute geschlossenen
Vergleich" zu regeln. Durch diese Bezugnahme auf den "Vergleich" haben sie
ersichtlich dessen Inhalt zum Gegenstand ihrer Beschlussfassung in der Ge-
sellschafterversammlung machen wollen. Es ist wegen der Rechtsfolgen der
Einziehung jedenfalls hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem die Einziehung des
Geschäftsanteils des Klägers wirksam werden sollte, fernliegend, dass sich die
Gesellschafter insoweit lediglich außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses
durch eine bloß schuldrechtliche Abrede verpflichten wollten, sich als Gesell-
schafter so zu verhalten, dass der vereinbarten Regelung zum Wirksamkeits-
zeitpunkt Geltung verschafft werde (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1993
- II ZR 81/92, BGHZ 123, 15, 20 mwN). Nach dem in Bezug genommenen
"Vergleich" sollte die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers mit Zahlung
der ersten Rate der Abfindung sowie mit der notariellen Verpfändung der Ge-
schäftsanteile der Beklagten zu 1 und 2 wirksam werden.
b) Einer solchen Bedingung steht die Regelung in § 12 Abs. 3 Satz 3 des
Gesellschaftsvertrags über die sofortige Wirksamkeit der Einziehung nicht ent-
gegen. Es ist schon zweifelhaft, ob mit dieser Vorschrift nicht nur klargestellt
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werden soll, dass die Wirksamkeit der Einziehung nicht unter der aufschieben-
den Bedingung der Zahlung der (gesamten) Abfindung stehen solle, wie es von
der damals herrschenden Meinung angenommen wurde (s. die Nachweise in
BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 10 ff.) und
was durch eine entsprechende Satzungsgestaltung abbedungen werden konnte
(BGH, Urteil vom 30. Juni 2003 - II ZR 326/01, ZIP 2003, 1544, 1546 für den
vergleichbaren Fall der Ausschließung), und ob diese Regelung nicht ohnehin
nur die Einziehung gegen den Willen des betroffenen Gesellschafters erfassen
soll. Dafür spricht, dass im vorangehenden Satz 2 des § 12 Abs. 3 des Gesell-
schaftsvertrags bestimmt ist, dass der betroffene Gesellschafter bei der Fas-
sung des Einziehungsbeschlusses kein Stimmrecht hat. Dagegen ist nach § 12
Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags die Einziehung von Geschäftsanteilen mit Zu-
stimmung des betroffenen Gesellschafters jederzeit zulässig, so dass davon
auch die Einziehung unter einer aufschiebenden Bedingung erfasst sein kann.
Die Gesellschafterversammlung war durch die Satzungsbestimmung des
§ 12 Abs. 3 Satz 3 auch dann nicht gehindert, ein anderes Datum für das Wirk-
samwerden der Einziehung zu wählen, wenn darin eine Satzungsdurchbre-
chung zu sehen wäre. Darin läge eine bloß punktuelle Satzungsdurchbrechung
hinsichtlich nicht zwingender Satzungsbestandteile, die nicht zur Nichtigkeit,
sondern allenfalls zur Anfechtbarkeit des betreffenden Beschlusses führte
(BGH, Urteil vom 7. Juni 1993 - II ZR 81/92, BGHZ 123, 15, 19; Scholz/Priester,
GmbHG, 11. Aufl., § 53 Rn. 30a; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG,
18. Aufl., § 53 Rn. 29 ff.; Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht,
2. Aufl., 53 GmbHG Rn. 9 ff.). Alle Gesellschafter haben im vorliegenden Fall
zugestimmt, und eine Anfechtungsklage ist nicht erhoben worden (vgl. BGH,
Urteil
vom
21. Juni
2010
- II ZR 24/09,
ZIP 2010,
1437
Rn. 37
- Aufsichtsratsbericht).
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c) Die für das Wirksamwerden der Einziehung erforderliche Gestaltungs-
erklärung gegenüber dem betroffenen Gesellschafter, die zusammen mit dem
Einziehungsbeschluss, hier aufschiebend bedingt, die Vernichtung des Ge-
schäftsanteils herbeiführt, ist gegeben, weil der Kläger bei der - mit seiner Zu-
stimmung erfolgten - Beschlussfassung ebenso wie der Geschäftsführer
Dr. D. R. anwesend war und daher jedenfalls von einer entspre-
chenden konkludenten Willenserklärung auszugehen ist.
3. Mit dem Wirksamwerden der Einziehung entsteht für den betroffenen
Gesellschafter ein Anspruch gegen die Gesellschaft auf Zahlung einer ange-
messenen Abfindung, soweit die Satzung nicht eine zulässige anderweitige Re-
gelung enthält. Der Abfindungsanspruch kann - wie hier hinsichtlich der zweiten
und dritten Rate geschehen - gestundet werden, so dass er erst zu den verein-
barten Zeitpunkten fällig wird (zu den Grenzen einer solchen Stundung s. BGH,
Urteil vom 9. Januar 1989 - II ZR 83/88, ZIP 1989, 770, 772).
Die dritte Rate der Abfindung wurde somit nach Erfüllung der vorgesehe-
nen Fälligkeitsvoraussetzungen (Zahlung der ersten Rate, Verpfändung der
Geschäftsanteile) am 1. August 2009 fällig. Die Höhe des vom Kläger geltend
gemachten Abfindungsanspruchs steht nicht im Streit.
4. Die Erklärung der Gesellschaft vom 31. Juli 2009 gegenüber dem Klä-
ger, dass die dritte Rate der Abfindung wegen einer bilanziellen Überschuldung
- gemäß § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG - nicht gezahlt werden könne, hat
entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts als solche noch nicht zu einem
Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagten geführt.
a) Der Senat hat zwar mit seinem Urteil vom 24. Januar 2012
(II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 13 ff.) klargestellt, dass die Einziehung
grundsätzlich unabhängig von der Zahlung der Abfindung wirksam ist und dass
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die übrigen Gesellschafter, sollte die Gesellschaft die Abfindung wegen der
Sperre aus § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG nicht zahlen können, zur anteili-
gen Zahlung der Abfindung persönlich verpflichtet sein können. Die persönliche
Haftung der Gesellschafter entsteht aber weder bereits mit der Fassung des
Einziehungsbeschlusses noch allein aufgrund des Umstands, dass die Gesell-
schaft später zum Zeitpunkt der Fälligkeit gemäß § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1
GmbHG an der Zahlung der Abfindung gehindert ist oder sie jedenfalls unter
Berufung auf dieses Hindernis verweigert.
aa) Maßgeblich für die Begründung der persönlichen Haftung der Gesell-
schafter ist der Gedanke, dass es der Billigkeit entspricht, die Gesellschafter,
die dem ausgeschiedenen Gesellschafter einerseits eine Abfindung unter der
berechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesellschaft verweigern, an-
dererseits aber nicht anderweitig dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem
ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder die Ge-
sellschaft fortsetzen, anstatt sie aufzulösen, weil sie darin einen wirtschaftlichen
Vorteil und einen Mehrwert für ihren Anteil erblicken, zum Ausgleich des Mehr-
werts für den Abfindungsanspruch persönlich haften zu lassen (BGH, Urteil vom
24. Januar 2012 - II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 21 f.). Die persönliche Haf-
tung der Gesellschafter entsteht folglich erst, wenn sie sich in der genannten
Weise treuwidrig verhalten, also erst in dem Zeitpunkt, ab dem die Fortsetzung
der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfin-
dungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzuse-
hen ist. Auf die Entnahme bestimmter Vermögenswerte kommt es dabei entge-
gen der Auffassung der Revision nicht an. Denn das Vermögen der in der Ge-
sellschaft verbleibenden Gesellschafter erhöht sich schon infolge des Wegfalls
des eingezogenen Geschäftsanteils um dessen Wert. Andererseits begründet
eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft, die dazu
führt, dass die Abfindung nicht mehr aus freiem Vermögen geleistet werden
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kann, allein keine persönliche Haftung der Gesellschafter, wenn sie die Gesell-
schaft auflösen und sich damit den Mehrwert nicht einverleiben, weil in einer
möglichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft das Ri-
siko liegt, das der Gesellschafter generell und erst recht mit der (bei Begrün-
dung der Gesellschaft oder später vereinbarten) Stundung der Abfindungszah-
lung eingegangen ist.
bb) Liegen die genannten Voraussetzungen für die Annahme eines treu-
widrigen Verhaltens vor, so haften die Gesellschafter - wie das Berufungsge-
richt rechtsfehlerfrei angenommen hat - auch dann nach den Grundsätzen des
Senatsurteils vom 24. Januar 2012 (II ZR 109/11, BGHZ 192, 236), wenn die
Einziehung nicht - wie in jenem Fall - gegen den Willen des betroffenen Gesell-
schafters, sondern - wie hier - mit seiner Zustimmung erfolgt (Ulmer/Habersack
in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 34 Rn. 64a; aA Priester,
ZIP 2012, 658, 660). Der Grund der Haftung, dass die Gesellschafter weiter-
wirtschaften und sich dabei den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils ein-
verleiben, ohne dafür zu sorgen, dass der Gesellschafter, dessen Geschäftsan-
teil eingezogen worden ist, dafür angemessen entschädigt wird, besteht bei ei-
ner Einziehung mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters ebenso wie bei
einer Zwangseinziehung.
cc) Eine Haftung der Gesellschafter kommt andererseits nicht ohne wei-
teres in Betracht, wenn objektiv ein ausreichendes Vermögen für die Abfin-
dungszahlung durch die Gesellschaft vorhanden ist - wie es der Kläger behaup-
tet -, die Gesellschaft das aber anders sieht oder aus sonstigen Gründen die
Abfindung nicht zahlt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist in-
soweit kein Erst-recht-Schluss geboten. Dass die Gesellschaft nicht zahlt, ob-
wohl sie nach § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG zahlen dürfte, bedeutet noch
nicht, dass die Gesellschafter sich treuwidrig verhalten. Der Streit um die Zah-
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lung der Abfindung kann unterschiedliche Gründe haben. Insoweit liegt das Ri-
siko, dass die Gesellschaft die Abfindung nicht freiwillig zahlt, bei dem Gesell-
schafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen worden ist. Er muss seinen An-
spruch gegen die Gesellschaft gegebenenfalls mit gerichtlicher Hilfe durchset-
zen.
dd) Eine Haftung der verbleibenden Gesellschafter entsteht grundsätzlich
auch dann nicht zwingend, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung oder
danach über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet
wird oder die Gesellschaft jedenfalls insolvenzreif wird, so dass gemäß § 15a
InsO Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden muss
(MünchKommGmbHG/Strohn, 2. Aufl., § 34 Rn. 77), und die Antragstellung
nicht treuwidrig verzögert wird. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt zur
Auflösung der Gesellschaft, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, so dass schon aus die-
sem Grund eine treuwidrige Fortsetzung der Gesellschaft durch die übrigen
Gesellschafter ausscheidet.
b) Danach durfte das Berufungsgericht auf der Grundlage der von ihm
getroffenen Feststellungen der Klage nicht in dem zugesprochenen Umfang
stattgeben.
aa) Es durfte nicht offenbleiben, ob die Vermögenssituation der Gesell-
schaft am 1. August 2009 tatsächlich eine Auszahlung der fälligen letzten Rate
der Abfindung ausschloss. Solange die Gesellschaft nicht gemäß § 34 Abs. 3,
§ 30 Abs. 1 GmbHG an der Zahlung gehindert war, entstand eine persönliche
Haftung der Beklagten nicht.
bb) Aus dem Umstand, dass am 26. Januar 2010 die Eröffnung des In-
solvenzverfahrens beantragt wurde, lässt sich ohne nähere Feststellungen zur
Vermögenssituation der Gesellschaft zwischen dem 1. August 2009 und dem
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Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens für das Entstehen der persönli-
chen Haftung der Beklagten nichts herleiten, solange nicht ausgeschlossen
werden kann, dass die Gesellschaft schon vor Antragstellung insolvenzreif war
und die Antragstellung nicht treuwidrig verzögert wurde.
cc) Dass die Beklagten die Zahlung der letzten Rate durch die Gesell-
schaft in treuwidriger Weise vereitelt hätten, etwa durch treuwidriges Herbeifüh-
ren der Voraussetzungen der § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG oder der Insol-
venzreife der Gesellschaft, hat das Berufungsgericht ebenfalls nicht festgestellt.
dd) Das Berufungsgericht hat schließlich nicht hinreichend beachtet,
dass die Gesellschafter in dem Vergleich vom 30. Juni 2008 Vorsorge gerade
für den Fall getroffen haben, dass sich die Vermögenslage der Gesellschaft
verschlechtern würde und die Abfindungsraten nicht mehr gezahlt werden könn-
ten.
(1) Eine individuelle Vereinbarung der Gesellschafter hinsichtlich der
subsidiären Haftung bei Ausfall der Gesellschaft, die - wie im vorliegenden Fall -
im Zusammenhang mit der Einziehung getroffen wird, ist zulässig. Die Gesell-
schafter können nicht nur hinsichtlich der Zahlung der Abfindung abweichende
Vereinbarungen treffen, soweit die ansonsten geltenden allgemeinen Grundsät-
ze keine zwingenden Vorgaben enthalten, sondern sie können auch die sub-
sidiäre Haftung der in der Gesellschaft verbleibenden Gesellschafter regeln.
Danach ist es nicht grundsätzlich geboten, dass die Gesellschafter dafür Sorge
tragen, dass der ausgeschiedene Gesellschafter seine Abfindung auch dann in
voller Höhe erhält, wenn die Gesellschaft wegen einer Verschlechterung ihrer
Vermögenslage gemäß § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG nicht mehr zahlen
kann. Selbst ohne eine Vereinbarung muss der ausgeschiedene Gesellschafter
hinsichtlich seines Abfindungsanspruchs nur so gestellt werden, wie er bei einer
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Auflösung der Gesellschaft durch Beschluss der Gesellschafter stehen würde.
Denn auch mit der Auflösung wird der ausgeschiedene Gesellschafter mit sei-
nem Abfindungsanspruch so gestellt, als sei er noch Gesellschafter (BGH,
Urteil vom 24. Januar 2012 - II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rn. 21).
(2) Das Berufungsgericht hätte demnach durch Auslegung des Ver-
gleichs vom 30. Juni 2008 feststellen müssen, ob und gegebenenfalls in wel-
chem Umfang die getroffenen Absprachen der Parteien eine subsidiäre Haftung
der übrigen Gesellschafter ersetzen sollen oder ob die Vereinbarung so zu ver-
stehen ist, dass der Kläger verpflichtet war, zur Durchsetzung seines Abfin-
dungsanspruchs zunächst von den vereinbarten Sicherungsmitteln Gebrauch
zu machen.
(3) Der Senat kann den Vergleich vom 30. Juni 2008 nicht selbst ausle-
gen, weil es sich dabei - unabhängig davon, ob die Gesellschafter auch diesen
Teil des Vergleichs durch Bezugnahme zum Gegenstand ihrer Beschlussfas-
sung in der Gesellschafterversammlung vom 30. Juni 2008 gemacht haben -
um schuldrechtliche Abreden handelt. Die Absprachen sind daher nicht objektiv
- wie eine Satzung -, sondern subjektiv auszulegen (Fastrich in Baumbach/
Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 34 Rn. 25). Damit obliegt insoweit die Vertragsaus-
legung nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB dem Tatrichter.
III. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Be-
rufungsgericht zurückzuverweisen, damit die noch nötigen Feststellungen ge-
troffen werden können. Dabei wird das Berufungsgericht gegebenenfalls auch
den Vortrag des Klägers zu würdigen haben, dass das Vermögen der Gesell-
schaft zum Zeitpunkt der Mitteilung des Geschäftsführers Dr. R. vom
31. Juli 2009 tatsächlich ausgereicht hat, um die Abfindung zahlen zu können,
und in diesem Zusammenhang gegebenenfalls weiter, ob die Beklagten die Vo-
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raussetzungen der § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG treuwidrig herbeigeführt
oder aus sonstigen Gründen treuwidrig eine (vollständige) Erfüllung des Abfin-
dungsanspruchs des Klägers vereitelt haben.
Bergmann Strohn Caliebe
Reichart Sunder
Vorinstanzen:
LG Hildesheim, Entscheidung vom 08.11.2013 - 4 O 321/12 -
OLG Celle, Entscheidung vom 19.11.2014 - 9 U 19/14 -