Urteil des BGH vom 21.06.2016

Leitsatzentscheidung zu Anteil, Anleger, Vertragsschluss, Gesamtinvestition

ECLI:DE:BGH:2016:210616UIIZR331.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 331/14
Verkündet am:
21. Juni 2016
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 280, 282, 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2
Der Prospekt eines geschlossenen Immobilienfonds informiert den Anlageinteressen-
ten zutreffend über den Anteil der Kosten, die nicht in das Fondsgrundstück fließen
(sog. Weichkosten), wenn der Interessent den im Prospekt angegebenen Anteil die-
ser Kosten an den Gesamtkosten mittels eines einfachen Rechenschritts in den An-
teil an der Anlagesumme umrechnen kann.
BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 - II ZR 331/14 - OLG München
LG München I
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Juni 2016 durch den Richter Prof. Dr. Strohn, die Richterin Caliebe und
die Richter Wöstmann, Prof. Dr. Drescher und Sunder
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom
10. November 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgeho-
ben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revi-
sionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger beteiligte sich im Jahr 2000 mit einer Beteiligungssumme von
100.000 DM nebst 5 % Agio als Treugeberkommanditist an der D.
KG (im Folgenden: Fonds). Er
macht gegen die Beklagten zu 1 und 3 als Gründungskomplementäre und ge-
gen die Beklagte zu 2 als Gründungskommanditistin Ansprüche aus Prospekt-
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haftung im weiteren Sinne geltend und beruft sich dazu auf mehrere angebliche
Aufklärungsmängel im Verkaufsprospekt.
Gegenstand der Investitionen des Fonds waren Immobilien in München,
Berlin-Spandau, Stuttgart-Vaihingen, Nürnberg und Köln-Gremberghoven. Der
Beteiligung lag ein Verkaufsprospekt mit Stand April 2000 zugrunde.
In diesem Prospekt werden auf Seite 28 unter der Überschrift „Inves-
tition/Mittelverwendung“ die Kosten für Dienstleistungen und Garantien mit
41.655.000 DM angesetzt und als Anteil an der Gesamtinvestition in Höhe von
11,2
% ausgewiesen. Unter der Überschrift „Finanzierung/Mittelherkunft“ wird
das Kapital der Fondszeichner mit 146.000.000 DM, gleich 39,3 % der Ge-
samtinvestition,
aufgeführt.
Die
Fremdfinanzierungsmittel
werden
mit
207.800.000 DM, gleich 55,9 % der Gesamtinvestition, angegeben.
Das Landgericht hat die auf Rückabwicklung der Beteiligung und Fest-
stellung einer Freistellungsverpflichtung der Beklagten hinsichtlich zukünftiger
Inanspruchnahmen - jeweils Zug um Zug gegen Rückübertragung der Beteili-
gung - sowie auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht wegen weiterer
Schäden aus der Beteiligung gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsge-
richt hat auf die Berufung des Klägers die Beklagten zur Zahlung von
44.704,88
€ verurteilt und die Freistellungsverpflichtung sowie die Verpflichtung
der Beklagten zum Ersatz künftigen Schadens aus der Beteiligung festgestellt.
Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Steuervorteile, seines entgan-
genen Gewinns und seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat es die
Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagten verfolgen mit der vom erkennenden Senat zugelassenen
Revision ihren Klageabweisungsantrag weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-
teils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit zu
Lasten der Beklagten entschieden worden ist.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
Die Prospektangaben seien hinsichtlich der Darstellung der Kosten der
Kapitalvermittlung („Weichkosten“) zwar nicht falsch, aber irreführend und ver-
schleierten damit einem potentiellen Anleger die tatsächliche Werthaltigkeit sei-
ner Beteiligung.
Die Darstellung in dem auf Seite 28 des Prospekts enthaltenen Finanzie-
rungsplan schlüssle die Kosten für die Kapitalbeschaffung nicht gesondert auf;
stattdessen werde insoweit nur ein Posten „Dienstleistungen und Garantien“
gebildet. Dieser werde relativ niedrig und damit werbend mit 11,2 % bezogen
auf die Gesamtinvestition angegeben. Auch wenn die Prozentrechnung mathe-
matisch richtig sei, werde dem Anleger vorenthalten, dass bezogen auf seinen
selbst geleisteten Anteil die Provisionen wesentlich höher seien, nämlich
28,53 % ausmachten. Dies werde durch die Art der Darstellung verschleiert. Ein
Anleger könne die für ihn maßgebliche Prozentzahl nur erkennen, wenn er die
Zusammenhänge richtig erfasse und anschließend eine eigene mathematische
Rechnung anstelle. Dies sei aber nicht Sinn und Zweck des Prospekts, der den
Anleger zutreffend zu unterrichten habe.
II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung trägt den zuerkannten
Anspruch des Klägers aus Prospekthaftung im weiteren Sinne nicht.
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1. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen,
dass die Beklagten als sogenannte Gründungsgesellschafter des Fonds aus
Verschulden bei Vertragsschluss (Prospekthaftung im weiteren Sinne) gegen-
über Kapitalanlegern haften, die wie der Kläger dem Fonds beigetreten und da-
bei über die Risiken der Anlage nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sind.
Diese Haftung gilt auch zugunsten eines Treugeberkommanditisten, sofern er
- wie hier der Kläger - durch den Gesellschafts- und den Treuhandvertrag im
Innenverhältnis einem Kommanditisten gleichgestellt ist (vgl. BGH, Urteil vom
20. Januar 2015 - II ZR 444/13, ZIP 2015, 630 Rn. 8).
Die Prospekthaftung im weiteren Sinne ist ein Anwendungsfall der Haf-
tung für Verschulden bei Vertragsschluss nach § 280 Abs. 1, 3, §§ 282, 241
Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB (ständige Rechtsprechung, siehe etwa BGH, Urteil
vom 9. Juli 2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rn. 26 sowie BGH, Urteil vom
23. April 2012 - II ZR 75/10, ZIP 2012, 1342, Rn. 9). Danach obliegen dem, der
selbst oder durch einen Verhandlungsgehilfen einen Vertragsschluss anbahnt,
gewisse Schutz- und Aufklärungspflichten gegenüber seinem Verhandlungs-
partner, bei deren Verletzung er auf Schadensersatz haftet. Abgesehen etwa
von dem Sonderfall des § 311 Abs. 3 BGB, in dem auch ein Dritter haften kann,
wenn er in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat,
trifft die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss denjenigen, der den Ver-
trag im eigenen Namen abschließen will (BGH, Urteil vom 23. April 2012
- II ZR 211/09, ZIP 2012, 1231, Rn. 23). Das sind bei einem Beitritt zu einer
Kommanditgesellschaft grundsätzlich die schon beigetretenen Gesellschafter.
Denn der Aufnahmevertrag wird bei einer Personengesellschaft zwischen dem
neu eintretenden Gesellschafter und den Altgesellschaftern geschlossen (BGH,
Urteil vom 23. April 2012 - II ZR 75/10, ZIP 2012, 1342, Rn. 9). Bei einer Publi-
kumsgesellschaft - wie hier - ist eine Haftung wegen Verschuldens bei Ver-
tragsschluss nur insoweit ausgeschlossen, als sie sich gegen Altgesellschafter
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richten würde, die nach der Gründung der Gesellschaft rein kapitalistisch beige-
treten sind und auf die Vertragsgestaltung und die Beitrittsverhandlungen und -
abschlüsse erkennbar keinerlei Einfluss haben (BGH, Urteil vom 9. Juli 2013
- II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rn. 28).
2. Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen,
dass einem Anleger für seine Beitrittsentscheidung ein richtiges Bild über das
Beteiligungsobjekt vermittelt werden muss; das heißt, er muss über alle Um-
stände, die für seine Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind
oder sein können, verständlich und vollständig aufgeklärt werden. Dazu gehört
auch eine Aufklärung über Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können
(siehe etwa BGH, Urteil vom 9. Juli 2013 - II ZR 9/12, ZIP 2013, 1616 Rn. 33).
3. Das Berufungsgericht hat jedoch die Anforderungen an diese Aufklä-
rungspflicht überspannt, indem es in der fehlenden Wiedergabe der
„maßgebli-
chen Prozentzahl“ einen Aufklärungsmangel gesehen und deshalb die Pros-
pektangaben zu den Weichkosten als irreführend angesehen hat. Die streitge-
genständlichen Prospektangaben genügen im Hinblick auf die Weichkosten den
Anforderungen an eine hinreichende Aufklärung der Anleger.
Der Senat kann die Auslegung uneingeschränkt selbst vornehmen, weil
der Emissionsprospekt über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus verwen-
det wurde und daher ein Bedürfnis nach einer einheitlichen Auslegung besteht
(BGH, Urteil vom 23. Oktober 2012 - II ZR 294/11, ZIP 2013, 315 Rn. 11 mwN).
a) Ein Prospekt ist fehlerhaft, wenn der Anleger dem Prospekt den für
seine Anlageentscheidung wesentlichen Umstand, in welchem Umfang seine
Beteiligung nicht in das Anlageobjekt fließt, sondern für Aufwendungen außer-
halb der Anschaffungs- und Herstellungskosten verwendet wird, nicht ohne wei-
teres entnehmen kann. Mit den Anforderungen an einen wahrheitsgemäßen,
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vollständigen und verständlichen Prospekt ist es nicht zu vereinbaren, wenn der
Anleger zur Ermittlung des Anteils der Weichkosten erst verschiedene Pros-
pektangaben abgleichen und anschließend eine Reihe von Rechengängen
durchführen muss (BGH, Urteil vom 6. Februar 2006 - II ZR 329/04, ZIP 2006,
893 Rn. 9). Nicht erforderlich ist andererseits, dass der Anteil der Weichkosten
im Prospekt mit einer Prozentzahl vom Anlagebetrag angegeben wird. Vielmehr
genügt es, wenn der Anleger diesen Anteil mittels eines einfachen Rechen-
schritts feststellen kann (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 - III ZR 404/12,
ZIP 2014, 381 Rn. 14 ff.; Beschluss vom 23. September 2014 - II ZR 319/13,
juris Rn. 37 ff.).
b) Eine solche Berechnung ist hier ohne Schwierigkeiten schon allein
anhand der im Berufungsurteil wiedergegebenen Angaben auf Seite 28 des
Prospekts möglich. Dort werden sowohl die Kosten für Dienstleistungen und
Garantien als auch das Kapital der Fondszeichner und die Höhe der Fremdfi-
nanzierung in absoluten Zahlen zutreffend wiedergegeben. Ein Anleger kann
mit diesen Angaben mittels eines einfachen Rechenschritts die Höhe des An-
teils der Weichkosten am Anlagebetrag unschwer und ohne Abgleich unter-
schiedlicher Prospektangaben feststellen.
c) Die Darstellung der Weichkosten wird nicht dadurch irreführend, dass
der Prospekt den Posten „Dienstleistungen und Garantien“ zur Gesamtinvestiti-
on in Bezug setzt und dieses Verhältnis als Prozentzahl wiedergibt. Bei den
angegebenen 11,2 % handelt es sich um den Anteil der Weichkosten an den
geplanten Gesamtausgaben, welche nicht nur aus den Einlagen, sondern auch
aus dem geplanten erheblichen Fremdkapital bestritten werden. Auch dies lässt
sich den Angaben auf Seite 28 unmittelbar entnehmen.
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aa) Soweit das Berufungsgericht meint, diese Angaben seien geeignet,
den für die Anlageentscheidung maßgeblichen Anteil der Weichkosten an den
Einlagen der Kommanditisten zu verschleiern, beruht das auf einer fehlerhaften
Beurteilung des maßgeblichen Anlegerhorizonts.
Von einem Anleger kann eine sorgfältige und eingehende Lektüre des
Prospekts verlangt werden (BGH, Urteil vom 5. März 2013 - II ZR 252/11,
ZIP 2013, 773 Rn. 14 mwN). Die alleinige Angabe des prozentualen Anteils der
Weichkosten an den Gesamtausgaben, die - wie hier - zutreffend wiedergege-
ben ist und sich auf derselben Seite des Prospektes befindet, die zugleich die
Angaben enthält, mit denen ein potentieller Anleger mittels eines einfachen Re-
chenschritts den Anteil der Weichkosten am Eigenkapital des Fonds feststellen
kann, ist vor diesem Hintergrund nicht geeignet, für die Anlageentscheidung
maßgebliche Informationen zu verschleiern.
bb) Auch das von der Revisionserwiderung behauptete mögliche Fehl-
verständnis eines Anlegers, dass sich die angegebene Prozentzahl von 11,2 %
auf den Anteil der Weichkosten an den Einlagen der Kommanditisten beziehen
könnte und damit wiedergibt, welcher Anteil der eigenen Beteiligung nicht in das
Anlageobjekt fließt, ist bei einer sorgfältigen und eingehenden Lektüre der
Prospektangaben fernliegend.
III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus
anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Das Berufungsgericht hat - von
seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - keine Feststellungen zu den weite-
ren von dem Kläger behaupteten Aufklärungsmängeln und zu deren behaupte-
ter Kausalität für die Anlageentscheidung getroffen. Das wird es in der neu er-
öffneten Verhandlung nachzuholen haben.
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IV. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die
Sache ist, da sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsge-
richt zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Strohn Caliebe Wöstmann
Drescher Sunder
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 19.06.2013 - 3 O 29558/11 -
OLG München, Entscheidung vom 10.11.2014 - 21 U 2887/13 -
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