Urteil des BGH vom 04.12.2012

Leitsatzentscheidung zu Dividende, Handelsregister, Gewinnverwendung, Entschädigung, Aktiengesellschaft

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
II ZR 17/12
Verkündet am:
4. Dezember 2012
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
UmwG § 5 Abs. 1, § 12 Abs. 2 Satz 1; AktG § 311 Abs. 1 Satz 2, § 317 Abs. 2
Die Anteilsinhaber eines übertragenden Rechtsträgers können vom übernehmenden
Rechtsträger einen dem Umtauschverhältnis entsprechenden Teil der vom überneh-
menden Rechtsträger an seine Aktionäre ausgeschütteten Dividende für ein Ge-
schäftsjahr nicht verlangen, für das sie aufgrund der Vereinbarung eines variablen
Zeitpunkts der Gewinnberechtigung im Verschmelzungsvertrag nicht gewinnbezugs-
berechtigt sind, weil sich die Eintragung der Verschmelzung verzögert hat.
BGH, Urteil vom 4. Dezember 2012 - II ZR 17/12 - OLG Köln
LG Bonn
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung
vom
4. Dezember
2012
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Prof. Dr. Bergmann und die Richterin Dr. Reichart sowie die Richter
Dr. Drescher, Born und Sunder
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des 18. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Köln vom 8. Dezember 2011 werden zu-
rückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 1)
2/3, die Klägerin zu 2) 1/3.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger waren Aktionäre der T. O. I. AG (im
Folgenden: TOI). Die Hauptversammlung der TOI beschloss am 29. April 2005
die Zustimmung zu einer Verschmelzung auf die beklagte Aktiengesellschaft,
die damals mehr als 75% der Aktien der TOI hielt. In § 2 Abs. 2 des Verschmel-
zungsvertrags war vorgesehen, dass die von der Beklagten als Ausgleich zu
gewährenden neuen Aktien ab 1. Januar 2005 gewinnbezugsberechtigt sein
sollten. Abweichend von § 2 Abs. 2 des Verschmelzungsvertrags sollten nach
§ 10 Abs. 3 des Verschmelzungsvertrags die neuen Aktien der Beklagten erst
ab dem 1. Januar 2006 gewinnberechtigt sein, falls die Verschmelzung erst
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nach der ordentlichen Hauptversammlung der TOI im Jahre 2006, die über die
Gewinnverwendung für das Geschäftsjahr 2005 beschließt, in das Handelsre-
gister der Beklagten eingetragen wird. Bei einer weiteren Verzögerung der Ein-
tragung über die ordentliche Hauptversammlung der TOI eines Folgejahres hin-
aus sollte sich der Beginn der Gewinnberechtigung jeweils entsprechend der
vorstehenden Regelung um ein Jahr verschieben.
Verschmelzungsstichtag war der 1. Januar 2005. In § 10 Abs. 1 des Ver-
schmelzungsvertrags war der Verschmelzungsstichtag auf den 1. Januar 2006
bestimmt, falls die Verschmelzung nicht bis zum Ablauf des 31. Januar 2006 in
das Handelsregister der Beklagten eingetragen worden ist. Bei einer weiteren
Verzögerung über den 31. Januar eines Folgejahres hinaus sollte sich der Ver-
schmelzungsstichtag entsprechend dieser Regelung um ein Jahr verschieben.
Nach dem im Verschmelzungsvertrag festgelegten Umtauschverhältnis
sollten die Aktionäre der TOI für jeweils 25 Aktien der TOI 13 Aktien der Beklag-
ten erhalten. Das diesem Umtauschverhältnis zugrunde gelegte Wertverhältnis
der Unternehmenswerte der beteiligten Rechtsträger (Verschmelzungswertrela-
tion) beruhte auf Wertgutachten, die die Werte der beiden Gesellschaften nach
der Ertragswertmethode ermittelt hatten.
Die Verschmelzung wurde am 6. Juni 2006 in das Handelsregister der
Beklagten eingetragen, nachdem eine Rechtsbeschwerde gegen den Freigabe-
beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 8. Februar 2006 als unstatt-
haft zurückgewiesen worden war (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2006
- II ZB 5/06, BGHZ 168, 48).
Vor der Eintragung war für das Jahr 2005 eine Dividende in Höhe von
0,72 € pro Aktie an die Aktionäre der Beklagten und eine solche in Höhe von
0,04 € pro Aktie an die Aktionäre der TOI ausgeschüttet worden. Im Spruchver-
fahren machten die Aktionäre unter anderem geltend, dass wegen dieser un-
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gleichen Dividendenausschüttung eine Korrektur der Unternehmenswerte zu
ihren Gunsten hätte erfolgen müssen. Dies lehnte das Oberlandesgericht
Frankfurt in seiner Entscheidung vom 3. September 2010 (AG 2010, 751) ab.
Da für die Bewertung der beiden Gesellschaften statt der nach der Ertrags-
wertmethode ermittelten Werte die Börsenwerte zugrunde gelegt wurden und
sich dadurch eine andere Verschmelzungswertrelation ergab, wurde eine Zu-
zahlung von 1
,15 € je übernommener Aktie bestimmt.
Mit der Klage verlangen die Kläger, so behandelt zu werden, als wenn
sie im Zeitpunkt der Ausschüttung der Dividende für 2005 schon Aktionäre der
Beklagten gewesen wären. Sie nehmen dazu entsprechend dem im Ver-
schmelzungsvertrag vorgesehenen Umtauschverhältnis
13/25 von 0,72 € je
Aktie (0,374 €) und ziehen davon die Dividende der TOI (0,04 €) ab, so dass
sich 0,334 € je Aktie ergeben.
Das Landgericht hat die auf Zahlung des Differenzbetrags gerichtete
Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufungen der Kläger zurückge-
wiesen. Dagegen richten sich die vom Berufungsgericht zugelassenen Revisio-
nen der Kläger, mit der sie ihre Zahlungsansprüche weiter verfolgen.
Entscheidungsgründe:
Die Revisionen haben keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der von den Klägern geltend ge-
machte Anspruch ergebe sich nicht aus dem Verschmelzungsvertrag und lasse
sich auch nicht aus § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG ableiten. Dass der Verschmel-
zungsvertrag keine Regelung enthalte, der eine Wertverschiebung der beiden
Gesellschaften zu Lasten der Aktionäre durch unterschiedliche Ausschüttungen
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verhindere, sei keine Nachteilszufügung im Sinn des § 317 AktG. Eine prakti-
sche Möglichkeit, Wertverschiebungen im Zeitraum von Bewertungsstichtag
und Eintragung der Verschmelzung auszuschließen, bestehe nicht.
II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Den Klä-
gern steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung eines Teils der Divi-
dende für das Jahr 2005 zu. Die Anteilsinhaber eines übertragenden Rechtsträ-
gers können vom übernehmenden Rechtsträger einen dem Umtauschverhältnis
entsprechenden Teil der Dividende für ein Geschäftsjahr nicht verlangen, für
das sie aufgrund der Vereinbarung eines variablen Zeitpunkts der Gewinnbe-
rechtigung im Verschmelzungsvertrag nicht gewinnbezugsberechtigt sind, weil
sich die Eintragung der Verschmelzung verzögert hat.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zahlung einer anteiligen Divi-
dende der Beklagten für das Geschäftsjahr 2005 aufgrund des Verschmel-
zungsvertrags.
a) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zahlung der Dividende der Be-
klagten als deren Aktionäre. Der Anspruch der Aktionäre der Beklagten auf
Zahlung einer Dividende für das Geschäftsjahr 2005 entstand mit dem Wirk-
samwerden des Gewinnverwendungsbeschlusses der Hauptversammlung der
Beklagten im Jahr 2006 (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2011 - II ZR 237/09,
BGHZ 189, 261 Rn. 13; Urteil vom 12. Januar 1998 - II ZR 82/93, BGHZ 137,
378, 381). Zu diesem Zeitpunkt waren die Kläger aber noch nicht Aktionäre der
Beklagten.
b) Die Kläger müssen auch nicht aufgrund des Verschmelzungsvertrags
so gestellt werden, als hätten sie für das Geschäftsjahr 2005 einen Anspruch
auf die Dividende gehabt. Der Verschmelzungsvertrag gibt ihnen - unabhängig
davon, ob es sich um einen Vertrag auch zugunsten der Anteilsinhaber han-
delt - keinen Anspruch auf eine Beteiligung am Gewinn der Beklagten für das
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Geschäftsjahr 2005. In § 2 Abs. 2 des Verschmelzungsvertrags war zwar vor-
gesehen, dass die von der Beklagten den Aktionären der TOI als Ausgleich zu
gewährenden neuen Aktien ab 1. Januar 2005 gewinnbezugsberechtigt sein
sollten. Abweichend von § 2 Abs. 2 des Verschmelzungsvertrags sollten nach
§ 10 Abs. 3 des Verschmelzungsvertrags aber die neuen Aktien der Beklagten
erst ab dem 1. Januar 2006 gewinnberechtigt sein, falls die Verschmelzung erst
nach der ordentlichen Hauptversammlung der TOI im Jahre 2006, die über die
Gewinnverwendung für das Geschäftsjahr 2005 beschließt, in das Handelsre-
gister der Beklagten eingetragen wird. Da die Verschmelzung infolge der Ver-
zögerung durch die Anfechtungsklagen gegen den Verschmelzungsbeschluss
bei der TOI und das Freigabeverfahren erst nach der Hauptversammlung der
TOI im Jahr 2006, die über die Gewinnverwendung für das Geschäftsjahr 2005
beschloss, eingetragen wurde, waren die neuen Aktien, die die Kläger erhielten,
für 2005 nicht mehr gewinnbezugsberechtigt.
c) Die Kläger können einen Anspruch auch nicht aus § 2 Abs. 2 des Ver-
schmelzungsvertrags wegen einer Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der variablen
Gewinnbezugsregelung in § 10 Abs. 3 des Verschmelzungsvertrags herleiten.
aa) Eine variable Gewinnbezugsregelung verstößt nicht gegen ein ge-
setzliches Verbot. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 UmwG ist der Zeitpunkt, von dem an
die neuen Anteile am übernehmenden Rechtsträger einen Anspruch auf einen
Anteil am Bilanzgewinn gewähren, frei wählbar. Das schließt auch die Wahl
eines von der Eintragung der Verschmelzung abhängigen Zeitpunkts ein.
bb) Die Vereinbarung eines variablen Beginns der Gewinnbezugsberech-
tigung im Verschmelzungsvertrag ist bei abzusehenden Verzögerungen der
Eintragung und damit der Wirksamkeit der Verschmelzung keine Regelung, die
die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers unangemessen benachtei-
ligt und aus diesem Grund bedenklich ist.
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Die Vereinbarung eines fixen Termins für die Gewinnbezugsberechtigung
benachteiligt die Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträgers, wenn sie
die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers am Gewinn ihrer Gesell-
schaft beteiligen müssen, ohne dass ihnen der Wert und der Bilanzgewinn des
übertragenden Rechtsträgers zugutekommen. Sie benachteiligt sie darüber
hinaus, wenn die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers ihrerseits
noch eine Gewinnausschüttung beschließen.
Die Benachteiligung der Anteilsinhaber des übernehmenden Rechtsträ-
gers kann zwar dadurch vermieden werden, dass auch der Verschmelzungs-
stichtag fest und nicht variabel bestimmt wird, weil von diesem Zeitpunkt an die
Handlungen des übertragenden Rechtsträgers als für Rechnung des überneh-
menden Rechtsträgers vorgenommen gelten (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 UmwG). Damit
würden aber wiederum die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers
benachteiligt. Sie können keine Ausschüttung mehr beim übertragenden
Rechtsträger erhalten, aber auch nicht mehr an einem Bilanzgewinn des über-
nehmenden Rechtsträgers, der dann auch auf einem Gewinn des übertragen-
den Rechtsträgers beruht, beteiligt werden, wenn dort ein Gewinnverwen-
dungsbeschluss über eine Ausschüttung gefasst wird, bevor die Verschmelzung
eingetragen wird und die neuen Aktien, die die Anteilsinhaber des übertragen-
den Rechtsträgers erhalten, entstehen. Nach einem Gewinnverwendungsbe-
schluss entstehende neue Aktien sind nicht mehr gewinnberechtigt (vgl. KK-
UmwG/Simon, § 5 Rn. 66; Kallmeyer/Marsch-Barner, UmwG, 4. Aufl., § 5
Rn. 28; Schröer in Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl., § 5 Rn. 45). Die Hauptver-
sammlung, die über die Gewinnverwendung für das Jahr beschließen muss, in
dem dem Verschmelzungsvertrag zugestimmt wird, kann nicht aufgeschoben
werden, bis die Verschmelzung eingetragen ist. Sie hat in den ersten acht Mo-
naten des folgenden Geschäftsjahrs stattzufinden (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AktG).
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Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (Schütz/Fett,
DB 2002, 2696, 2698) kann dieser drohenden Benachteiligung der Anteilsinha-
ber des übertragenden Rechtsträgers jedenfalls bei einer Aktiengesellschaft als
übernehmendem Rechtsträger nicht mit der Verpflichtung beider Rechtsträger
zu einem Ausschüttungsverbot und einem Schadensersatzanspruch bei Verlet-
zung dieser Pflicht begegnet werden. Ein solches Ausschüttungsverbot kann im
Verschmelzungsvertrag nicht rechtlich bindend vereinbart werden. Eine Vertei-
lung des Bilanzgewinns an die Aktionäre kann allenfalls auf der Grundlage einer
entsprechenden Satzungsbestimmung vollständig ausgeschlossen werden
(§ 58 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4, § 254 Abs. 1 AktG). Durch die Zustimmung zum
Verschmelzungsvertrag kann keine Ermessensbindung der Hauptversammlung
eintreten, bis zur Eintragung der Verschmelzung keine Gewinne unter die Akti-
onäre zu verteilen, weil neu hinzukommende Aktionäre ohne Regelung in der
Satzung nicht gebunden sind. Abgesehen davon käme es durch ein Ausschüt-
tungsverbot zu einer Vorwirkung der Verschmelzung, obwohl die Wirksamkeit
des Verschmelzungsvertrags und seine Vollziehung wegen der gegen den Ver-
schmelzungsbeschluss erhobenen Anfechtungsklagen noch ungewiss sind.
Aus diesen Gründen wird empfohlen, bereits im Verschmelzungsvertrag
- wie hier geschehen - den Beginn der Gewinnbezugsberechtigung variabel auf
die entsprechenden Zeitpunkte der Folgejahre festzulegen, um eine andernfalls
notwendige Anpassung des Verschmelzungsvertrags zu vermeiden (Lutter/
Drygala, UmwG, 4. Aufl., § 5 Rn. 44; Kallmeyer/Marsch-Barner, UmwG, 4. Aufl.,
§ 5 Rn. 29 mwN).
d) Entgegen der Ansicht der Revisionen musste nicht sichergestellt wer-
den, dass ein Gewinnbezugsrecht in dem Jahr des Bewertungsstichtags ent-
steht, um die Verschmelzungswertrelation zu wahren. Auch die verfassungs-
rechtlich gebotene wirtschaftlich volle Entschädigung für den Verlust des Anteils
an dem übertragenden Rechtsträger (vgl. BVerfG, ZIP 2012, 1656, 1657 mwN)
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verlangt nicht, dessen Anteilsinhaber so zu stellen, als seien sie bereits ab dem
Bewertungsstichtag beim übernehmenden Rechtsträger gewinnbezugsberech-
tigt. Erst recht müssen sie an einer Dividende vor Eintragung der Verschmel-
zung nicht beteiligt werden.
aa) Dass durch die Ausschüttungen bei den beiden an der Verschmel-
zung beteiligten Rechtsträgern die Verschmelzungswertrelation nach dem Ver-
schmelzungsbeschluss und dem Bewertungsstichtag verändert wurde, steht
nicht fest. Das Berufungsgericht konnte eine Änderung der Verschmelzungs-
wertrelation nicht feststellen, aber auch nicht ausschließen. Aus den von den
Klägern vorgetragenen Tatsachen folgt sie nicht.
Allerdings kann sich infolge der Verzögerung der Eintragung der Ver-
schmelzung in das Handelsregister durch Anfechtungsklagen das einem ange-
messenen Umtauschverhältnis (§ 12 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG)
zugrunde gelegte Wertverhältnis der Unternehmenswerte der beteiligten
Rechtsträger ändern. Entgegen der Auffassung der Revisionen führt es aber
nicht in jedem Fall zu einer Veränderung der Verschmelzungswertrelation,
wenn eine Dividendenzahlung bei den an der Verschmelzung beteiligten
Rechtsträgern nicht dem Umtauschverhältnis oder der Verschmelzungswertre-
lation entspricht. Die Verschmelzungswertrelation berücksichtigt die künftig zu
erwartenden Ausschüttungen, wenn die Unternehmenswerte bei beiden
Rechtsträgern nach der Ertragswertmethode ermittelt werden, beruht aber nicht
ausschließlich auf dem Verhältnis der erwarteten Dividenden.
Der mit der Ausschüttung verbundene Mittelabfluss muss weder den Un-
ternehmenswert noch die Verschmelzungswertrelation verändern. Soweit sich
die Ausschüttungen im Rahmen dessen halten, was der Unternehmensbewer-
tung als ausschüttungsfähiger Gewinn zugrunde gelegt ist, führt der mit der Di-
videndenzahlung einhergehende Mittelabfluss nicht zu einer Verminderung des
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Unternehmenswerts. Der Mittelabfluss durch eine Ausschüttung ist regelmäßig
bei der Bestimmung des Unternehmenswertes und damit der Verschmelzungs-
wertrelation durch die Ertragswertmethode berücksichtigt. Auch bei einer ge-
genüber der Prognose höheren Ausschüttung kann der Mittelabfluss durch ei-
nen höher als erwartet ausgefallenen Gewinn und seine Thesaurierung ausge-
glichen sein. Erst recht kann damit einer bei beiden Rechtsträgern unterschied-
lichen Dividendenzahlung keine Veränderung der Verschmelzungswertrelation
entnommen werden.
Hier kommt hinzu, dass das Umtauschverhältnis im Spruchverfahren
nicht nach der Ertragswertmethode, sondern nach dem Börsenwert bestimmt
worden ist, für den zwar ebenfalls künftig erwartete Ausschüttungen eine Rolle
spielen, aber nicht allein ausschlaggebend sind. Im Verhältnis der Börsenwerte
zueinander müssen sich die erwarteten Ausschüttungen ebenfalls nicht rechne-
risch genau abbilden.
bb) Eine Veränderung der rechnerisch der Verschmelzungswertrelation
zugrundeliegenden Hilfsgrößen der Unternehmensbewertung zwischen dem
Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung und der Eintragung der Ver-
schmelzung bedeutet auch nicht, dass das vereinbarte Umtauschverhältnis kei-
ne volle wirtschaftliche Entschädigung für den Verlust des Anteils mehr ist.
Der Wertermittlung für beide beteiligten Rechtsträger muss ein Bewer-
tungsstichtag zugrunde gelegt werden. Da die Verschmelzung nach dem ge-
setzlichen Normalfall jedenfalls nach Ablauf der Anfechtungsfrist für den Zu-
stimmungsbeschluss der Hauptversammlung eingetragen werden kann, bietet
es sich an, wie hier als Bewertungsstichtag den Tag der Hauptversammlung
über die Zustimmung zur Verschmelzung zu bestimmen und die Wertermittlung
nicht mit der Prognose über den Eintragungszeitpunkt zu belasten. Ein variabler
Bewertungsstichtag für den Fall einer Verzögerung der Eintragung der Ver-
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schmelzung kann nicht vereinbart werden, weil das Umtauschverhältnis im Ver-
schmelzungsvertrag bestimmt sein muss (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG).
Wenn einzelne, bei der Unternehmensbewertung nach der Ertragswert-
methode zugrunde gelegte Hilfsgrößen nicht wie prognostiziert eintreten, macht
das die Unternehmensbewertung nicht unrichtig und stellt das angemessene
Umtauschverhältnis, mit dem die volle wirtschaftliche Entschädigung gewähr-
leistet werden soll, nicht in Frage. Der Bestimmung des angemessenen Um-
tauschverhältnisses nach dem Wert der beteiligten Rechtsträger durch eine Un-
ternehmensbewertung nach der Ertragswertmethode liegen Prognosen zugrun-
de. Jede in die Zukunft gerichtete Prognose, insbesondere die der Ertrags-
wertmethode eigene Beurteilung künftiger Erträge, ist ihrer Natur nach mit Un-
sicherheiten behaftet. Zumindest auf Grundlage der Ertragswertmethode ist es
nicht möglich, stichtagsbezogen einen exakten, einzig richtigen Wert eines Un-
ternehmens zu bestimmen (BVerfG, ZIP 2012, 1656, 1658). Durch eine abwei-
chende tatsächliche Entwicklung der zugrunde gelegten Erträge wird die Be-
wertung nicht nachträglich als falsch entlarvt und unrichtig. Der Aktionär hat
keinen Anspruch darauf, dass die prognostizierte Entwicklung eintritt. Dass der
Wert des Anteils am übertragenden oder übernehmenden Rechtsträger bzw.
Unternehmensteil stets, auch nach der Eintragung der Verschmelzung unver-
ändert bleibt, kann er ohnehin nicht verlangen.
Dass sich die Verschmelzungswertrelation in einem solchen Ausmaß
verändert hat, dass das Umtauschverhältnis nicht mehr angemessen ist und die
Anteile an der Beklagten zuzüglich der Zuzahlung keine volle Entschädigung
mehr darstellen, ist nicht festgestellt und ergibt sich aus der Dividendenzahlung
bei der Beklagten für das Geschäftsjahr 2005 nicht, die von den Klägern dafür
herangezogen wird.
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cc) Die von den Revisionen begehrte Festlegung des Zeitpunktes für das
Gewinnbezugsrecht auf den Bewertungsstichtag auch für den Fall einer Hin-
auszögerung der Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister könnte
auch nicht zu einem Anspruch auf eine Dividende unabhängig vom Zeitpunkt
der Wirksamkeit der Verschmelzung führen und brächte Nachteile für die An-
teilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers (oben c bb). Zudem müsste in
einer angemessenen vertraglichen Regelung auch berücksichtigt werden, wenn
sich die Verschmelzungswertrelation zugunsten der Anteilsinhaber des übertra-
genden Rechtsträg
ers verändert. Eine „Zuzahlung“ der Anteilsinhaber oder eine
Kürzung ihrer Dividende beim übertragenden Rechtsträger kann aber nicht ver-
einbart werden. Ob eine nachträgliche Veränderung der Verschmelzungs-
wertrelation vor Eintragung der Verschmelzung nach den Grundsätzen über
den Wegfall der Geschäftsgrundlage zur Kündigung des Verschmelzungsver-
trags führen kann (KK-UmwG/Simon, § 5 Rn. 45; Lutter/Drygala, UmwG,
4. Aufl., § 4 Rn. 31 mwN), kann hier dahinstehen, weil das die Bindung an den
Verschmelzungsvertrag zwischen den Rechtsträgern betrifft und sich daraus
kein Zahlungsanspruch der Anteilsinhaber ergibt.
2. Die Kläger haben auch keinen Schadensersatzanspruch nach § 317
Abs. 1 Satz 2 AktG auf eine anteilige Dividende. Nach § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG
ist ein herrschendes Unternehmen den Aktionären der abhängigen Gesellschaft
zum Ersatz des ihnen durch eine nachteilige Maßnahme für die abhängige Ge-
sellschaft entstandenen Schadens verpflichtet, soweit sie abgesehen von dem
Schaden, der ihnen durch die Schädigung der Gesellschaft zugefügt worden ist,
selbst geschädigt worden sind. Entgegen der Auffassung der Revisionen ist der
Abschluss des Verschmelzungsvertrags weder eine für die TOI als abhängiges
Unternehmen nachteilige Maßnahme noch ist den Klägern als deren Anteilsin-
habern dadurch ein Schaden entstanden. Die TOI handelte beim Abschluss des
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Verschmelzungsvertrags nicht außerhalb ihres unternehmerischen Ermessens
(§ 317 Abs. 2 AktG).
a) Eine nachteilige Maßnahme ist die Vereinbarung der Verschiebung
des Gewinnanspruchs in § 10 Abs. 3 des Verschmelzungsvertrags nicht. Nach-
teil im Sinn von § 317 Abs. 1 Satz 2, § 311 AktG ist jede Minderung oder kon-
krete Gefährdung der Vermögens- und Ertragslage der abhängigen Gesell-
schaft, soweit sie als Abhängigkeitsfolge eintritt (BGH, Urteil vom 31. Mai 2011
- II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 Rn. 37 - Dritter Börsengang; Urteil vom 1. Dezem-
ber 2008 - II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 Rn. 8 - MPS; Urteil vom 1. März 1999
- II ZR 312/97, BGHZ 141, 79, 84). Die Regelung über die Verschiebung des
Gewinnbezugsrechts der Aktionäre der TOI bei der Beklagten mindert die Ver-
mögens- oder Ertragslage der TOI nicht und gefährdet sie auch nicht. Auch das
Unterlassen vertraglicher Vereinbarungen, wonach Ausschüttungen abgestimmt
werden oder nur entsprechend der Umtauschrelation vorgenommen werden
- die rechtlich nicht bindend sind -, ist kein Nachteil der Gesellschaft.
b) Den Klägern ist als Aktionären der TOI auch kein Schaden entstan-
den. Als Schädigung der Aktionäre kommt zwar in Betracht, dass aufgrund ei-
ner nachteiligen Veranlassung des herrschenden Unternehmens auf die ab-
hängige Gesellschaft die Dividende der Aktionäre der abhängigen Aktiengesell-
schaft verkürzt wird (BGH, Urteil vom 22. Juni 1992 - II ZR 178/90, ZIP 1992,
1464, 1471). Dass die Dividende der Kläger bei TOI verkürzt wurde, behaupten
sie aber nicht. Dass sie nicht an der Dividende der Beklagten beteiligt waren, ist
keine Verkürzung ihrer Dividende bei der TOI.
c) Eine Ersatzpflicht wegen der in § 10 Abs. 3 des Verschmelzungsver-
trags getroffenen Regelung wäre außerdem nach § 317 Abs. 2 AktG ausge-
schlossen. Danach tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn auch ein ordentlicher
und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft das
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Rechtsgeschäft vorgenommen oder die Maßnahme getroffen oder unterlassen
hätte. Die Verschiebung des Gewinnbezugsrechts bei einer Verzögerung der
Eintragung der Verschmelzung hätten auch Organe einer nicht abhängigen Ge-
sellschaft vereinbart, weil sie allgemein empfohlen wird und ein fester Zeitpunkt
für das Gewinnbezugsrecht zu einem Nachteil der Aktionäre des übertragenden
Rechtsträgers führen kann, wenn sich die Eintragung der Verschmelzung bis
nach dem Beschluss über die Gewinnverwendung beim übernehmenden
Rechtsträger verzögert. Dass eine Vereinbarung über eine abgestimmte Aus-
schüttungspolitik zur Wahrung des Umtauschverhältnisses nicht getroffen wur-
de, wie sie teilweise vorgeschlagen wird (Kallmeyer/Marsch-Barner, UmwG,
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4. Aufl., § 5 Rn. 30; Schröer in Semler/Stengel, UmwG, 3. Aufl., § 5 Rn. 48),
kann den Organen der TOI schon deshalb nicht zur Last gelegt werden, weil sie
keinerlei Bindungswirkung hätte und den vermeintlichen Nachteil auch nicht
beseitigt hätte.
Bergmann Reichart Drescher
Born Sunder
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 21.06.2011 - 11 O 136/10 -
OLG Köln, Entscheidung vom 08.12.2011 - 18 U 217/11 -