Urteil des BGH vom 13.12.2011

Leitsatzentscheidung zu Entlastung, Beendigung, Berufungskläger, Parteivertreter, Bischof

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZB 4/11
vom
13. Dezember 2011
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 3 Halbsatz 1 Fall 3
a) Die Terminsgebühr für eine auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens
gerichtete Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts kann in einem Berufungs-
verfahren, in dem ein Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erteilt wird, dann an-
fallen, wenn die Besprechung bereits vor Erteilung des Hinweises geführt wurde.
b) Betrifft eine auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtete Be-
sprechung ohne Beteiligung des Gerichts mehrere zwischen den Parteien anhän-
gige Verfahren, fällt die Terminsgebühr in jedem der Verfahren gesondert an, be-
rechnet nach den jeweiligen Streitwerten der betroffenen Verfahren.
BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 - II ZB 4/11 - OLG Zweibrücken
LG Landau
- 2 -
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Dezember 2011
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den Richter Dr. Strohn, die
Richterin Caliebe sowie die Richter Dr. Drescher und Born
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des
7. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
vom 7. März 2011 aufgehoben.
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestset-
zungsbeschluss des Landgerichts Landau in der Pfalz vom
29. November 2010 dahin abgeändert, dass weitere vom Beklag-
ten an den Kläger zu erstattende Kosten in Höhe von 2.043,47
zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweili-
gen Basiszinssatz seit dem 2. November 2010 festgesetzt werden.
Der Beklagte hat die Kosten der sofortigen Beschwerde und der
Rechtsbeschwerde zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie
- im Wege der Abänderung der Wertfestsetzung des Beschwerde-
gerichts - des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.043,47
€ festge-
setzt.
Gründe:
I. Der Kläger begehrt die Festsetzung einer Terminsgebühr für die Mit-
wirkung seines Prozessbevollmächtigten an einer außergerichtlichen, auf die
1
- 3 -
Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechung in einem Berufungsverfah-
ren, das nach einem Hinweis des Berufungsgerichts gem. § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO durch die Rücknahme des Rechtsmittels des Beklagten beendet wurde.
Der Beklagte, der im Verfahren erster Instanz in der Hauptsache zur
Zahlung von 125.000
€ verurteilt worden war, legte gegen dieses Urteil Beru-
fung ein, die er mit Schriftsatz vom 23. Februar 2010 begründete. Die Parteiver-
treter nahmen weisungsgemäß im Mai 2010 telefonisch Kontakt auf mit dem
Ziel, das Verfahren unter Einbeziehung eines weiteren zwischen den Parteien
zu dieser Zeit anhängigen Rechtsstreits durch Vergleich zu beenden; eine Eini-
gung kam nicht zu Stande. Das Berufungsgericht erteilte mit Beschluss vom
4. Oktober 2010 einen Hinweis gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Daraufhin nahm
der Beklagte seine Berufung zurück.
Der Kläger hat die Festsetzung der Kosten des Berufungsverfahrens in
Höhe von insgesamt 4.791,89
€ nebst Zinsen beantragt, darin enthalten eine
1,2-fache Terminsgebühr gem. Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG in Höhe von
brutto 2.043,47
€. Das Landgericht hat die Terminsgebühr bei der Festsetzung
nicht berücksichtigt. Die sofortige Beschwerde des Klägers hat das Oberlan-
desgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom
Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II. Die nach Zulassung durch das Beschwerdegericht statthafte (§ 574
Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und
fristgerecht eingelegte und begründete (§ 567 Abs. 2 ZPO, § 575 ZPO) Rechts-
beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat unter Berufung auf die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs ausgeführt: Eine Terminsgebühr sei für die Klägerver-
2
3
4
5
- 4 -
treter nicht angefallen. Diese entstehe bei der Mitwirkung des Rechtsanwalts an
einer außergerichtlichen, auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Be-
sprechung nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG nur in solchen Verfahren,
für die entweder eine mündliche Verhandlung grundsätzlich vorgesehen oder
ausnahmsweise anberaumt worden sei. Das Berufungsverfahren sei nach der
Einführung des Beschlussverfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO kein Verfahren
mehr, in dem eine mündliche Verhandlung obligatorisch sei. Entsprechend kön-
ne eine Terminsgebühr in diesem Verfahren erst anfallen, wenn ein Verhand-
lungstermin nach § 523 Abs. 1 ZPO bestimmt worden sei.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Terminsgebühr für eine auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfah-
rens gerichtete Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts kann in einem Be-
rufungsverfahren, in dem ein Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erteilt wird,
dann anfallen, wenn die Besprechung bereits vor Erteilung des Hinweises ge-
führt wurde.
a) Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 Halbsatz 1 Fall 3 VV RVG entsteht
eine Terminsgebühr für die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung
des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Ge-
richts. Die Parteivertreter haben ein solches Einigungsgespräch im Mai 2010
geführt. Dadurch ist entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts die
Terminsgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 Halbsatz 1 Fall 3 VV RVG
angefallen, weil die auf die einvernehmliche Beendigung des Verfahrens zie-
lende Besprechung vor dem Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts nach
§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO stattgefunden hat.
6
7
- 5 -
b) Das Beschwerdegericht stützt sich für seine gegenteilige Auffassung
zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere auf
den Beschluss vom 15. März 2007 (V ZB 170/06, NJW 2007, 2644). Dort ist
zwar ausgeführt, dass eine Terminsgebühr für die Berufungsinstanz nicht ent-
stehe, wenn das Berufungsgericht die Berufung durch einstimmigen Beschluss
nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweise. Dieser Entscheidung lag aber der Sach-
verhalt zugrunde, dass die Besprechung, für die eine Terminsgebühr nach der
Vorbemerkung 3 Abs. 3 Halbsatz 1 Fall 3 VV RVG geltend gemacht wurde,
nach dem Hinweis gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO stattgefunden hatte. Im Be-
schluss des Bundesgerichtshofs vom 15. März 2007 wird entscheidend auf die
gesetzgeberischen Ziele bei Einführung der Möglichkeit einer Beschlussverwer-
fung nach § 522 Abs. 2 ZPO abgestellt, nach der die aussichtslosen Berufun-
gen in einem vereinfachten Verfahren zügig erledigt werden sollen und dem
Berufungskläger nach dem Hinweis des Berufungsgerichts die Möglichkeit einer
kostengünstigen Erledigung erhalten bleiben soll. Diese Ziele würden vereitelt,
wenn man die Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV RVG dahin auslegte, dass auch
nach einem Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts über die beabsichtigte
Zurückweisung der Berufung die Terminsgebühr durch eine Besprechung ohne
Mitwirkung des Gerichts entstehe. Insbesondere wird auf einen im Schrifttum
gegebenen „Praxistipp” für den Anwalt des Berufungsbeklagten abgestellt, nach
einem solchen Hinweis des Berufungsgerichts über die beabsichtigte Zurück-
weisung der Berufung noch eine Besprechung mit dem Berufungskläger zu füh-
ren (BGH, Beschluss vom 15. März 2007 - V ZB 170/06, NJW 2007, 2644 Rn. 9
und 10).
c) Anders liegt der Fall, wenn die Besprechung mit dem Ziel der Erledi-
gung des Verfahrens, wie vorliegend, bereits vor dem Hinweisbeschluss nach
§ 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erfolgt ist. Dann tritt das gesetzgeberische Ziel in den
8
9
- 6 -
Vordergrund, durch die Terminsgebühr für das außergerichtliche Einigungsge-
spräch einen Anreiz für den Anwalt zu schaffen, in jeder Phase des Verfahrens
zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendi-
gung des Rechtsstreits beizutragen (vgl. Begründung des Entwurfs des Kosten-
rechtsmodernisierungsgesetzes, BT-Drs. 15/1971, S. 148, 209). Dies dient zum
einen dem Interesse der Parteien an einer möglichst kostengünstigen Erledi-
gung des Rechtsstreits (BT-Drs. 15/1971, S. 209) und zum anderen der Entlas-
tung der Gerichte (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007 - XI ZB 38/05, NJW
2007, 2858 Rn. 8; Beschluss vom 21. Januar 2010 - I ZB 14/09, ZfS 2010, 286
Rn. 7).
Dieses der Regelung der Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV RVG zu Grunde
liegende Entlastungsziel würde nur sehr unvollkommen erreicht, wenn der Pro-
zessbevollmächtigte - auch in einem Fall wie dem vorliegenden - die Termins-
gebühr durch das Einigungsgespräch erst nach der Terminsbestimmung gemäß
§ 523 Abs. 1 Satz 2 ZPO verdienen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Feb-
ruar 2007 - XI ZB 38/05, NJW 2007, 2858 Rn. 8; Beschluss vom 27. Februar
2007 - XI ZB 39/05, NJW-RR 2007, 1578 Rn. 8). Das Berufungsgericht hat
nach § 523 Abs. 1 ZPO vor der Terminsbestimmung zu entscheiden, ob die
Berufung nach § 522 ZPO verworfen oder zurückgewiesen wird (BGH, Be-
schluss vom 15. März 2007 - V ZB 170/06, NJW 2007, 2644 Rn. 8), und muss
in diesem Zusammenhang die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels prüfen. Die
von einer außergerichtlichen Einigung ausgehende Entlastung des Berufungs-
gerichts ist daher im Stadium vor der Terminierung in besonderem Maße gege-
ben. Entsprechend widerspräche es der Zielsetzung des Gebührentatbestands,
wenn für den Anwalt ein Anreiz bestünde, erst die Terminierung des Beru-
fungsgerichts abzuwarten, bevor er einen außergerichtlichen Einigungsversuch
unternimmt.
10
- 7 -
III. Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist daher aufzuheben (§ 577
Abs. 4 Satz 1 1. Halbsatz ZPO). Der Senat kann in der Sache entscheiden, weil
diese zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO). Die Kosten sind an-
tragsgemäß festzusetzen.
1. Das zwischen den Parteien geführte Einigungsgespräch betraf nicht
nur das vorliegende, sondern auch ein weiteres zwischen den Parteien anhän-
giges Verfahren. In diesem Fall fällt die Terminsgebühr in jedem der beiden
Verfahren gesondert an, berechnet nach den jeweiligen Streitwerten der be-
troffenen Verfahren. Es findet auch keine Begrenzung auf den Wert einer ein-
heitlichen Terminsgebühr aus der Addition der Streitwerte beider Verfahren statt
(OLG München, JurBüro 2010, 191; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG,
19. Aufl., VV 3104 Rn. 98 f.; Enders, JurBüro 2005, 294, 297; Hansens,
RVGreport 2010, 102, 103; ders., RVGreport 2009, 72, 73; Mayer, FD-RVG
2010, 298250; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Februar 2007 - XI ZB 38/05,
NJW 2007, 2858; Beschluss vom 27. Februar 2007 - XI ZB 39/05, NJW-RR
2007, 1578; aA KG, JurBüro 2009, 80, 81).
a) Aus der Anrechnungsregelung in Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG lässt sich
nichts anderes herleiten. Sie ist nicht anwendbar, wenn die Terminsgebühr
nach der Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV RVG infolge eines außergerichtlichen
Einigungsgesprächs über die Gegenstände mehrerer Verfahren anfällt. Dies
beruht zum einen darauf, dass die Vorschrift ausdrücklich nur Verhandlungen
„in dem Termin“ erwähnt, also eine Terminsgebühr auslösende Gespräche
außerhalb eines Termins nicht erfasst. Zum anderen fehlt es im Falle eines
außergerichtlichen Einigungsgesprächs, das sich auf die Gegenstände mehre-
rer Verfahren erstreckt, an der der Anrechnungsvorschrift in Nr. 3104 Abs. 2
11
12
13
- 8 -
VV RVG erkennbar zu Grunde liegenden Zuordnung zu einem bestimmten Ver-
fahren (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., VV 3104 Rn. 98 f.).
b) Andererseits hat der Gesetzgeber durch die Anrechnungsregelung in
Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG zum Ausdruck gebracht, dass bei der Terminsgebühr
wegen Einigungsgesprächen im Verhandlungstermin eine Zusammenrechnung
von Streitwerten nicht erfolgen, sondern der Auftraggeber - vorbehaltlich abwei-
chender Kostenquoten - durch die Anrechnung wirtschaftlich so gestellt werden
soll, als sei das Einigungsgespräch in dem jeweiligen Verfahren geführt worden
(vgl. mit Berechnungsbeispielen: Bischof in Bischof/Jungbauer/Bräuker/
Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 3. Aufl., Nr. 3104 VV Teil 3 Rn. 80 f.; Müller-Rabe
in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., VV 3104 Rn. 88 f.). Für einen Willen des
Gesetzgebers, den Rechtsanwalt im Falle der außergerichtlichen Tätigkeit ge-
genüber der Verhandlung im Gerichtstermin schlechter zu stellen, ist nichts er-
sichtlich.
14
- 9 -
2. Die 1,2-fache Terminsgebühr fällt mithin aus einem Streitwert von
125.000
€, in Höhe von brutto 2.043,47 € an und ist gem. § 104 Abs. 1 Satz 2
Fall 1 ZPO zu verzinsen.
Bergmann
Strohn
Caliebe
Drescher
Born
Vorinstanzen:
LG Landau, Entscheidung vom 29.11.2010 - HKO 56/09 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 07.03.2011 - 7 W 4/11 -
15