Urteil des BGH vom 13.06.2012

Leitsatzentscheidung zu Treu Und Glauben, Cmr, Ausschluss der Haftung, Mitverschulden, Verpackung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 87/11
Verkündet am:
13. Juni 2012
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
CMR Art. 29; BGB § 254 Abs. 2 Satz 1 Da
a) Der im Transportrecht für Verlustfälle entwickelte Grundsatz, dass den
Frachtführer eine sekundäre Darlegungslast trifft, wenn der Vortrag des
Gegners ein vom Frachtführer zu vertretendes schadensursächliches qualifi-
ziertes Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder sich An-
haltspunkte dafür aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben, gilt auch für
Fälle, in denen das Frachtstück zwar abgeliefert, seine Verpackung aber
während des Transports geöffnet, sein Inhalt ganz oder teilweise herausge-
nommen und die Verpackung wieder verschlossen worden ist.
b) Der Hinweis an den Frachtführer auf den ungewöhnlich hohen Wert des
Transportguts braucht nicht grundsätzlich bis zum Abschluss des Frachtver-
trags zu erfolgen. Er muss nur so rechtzeitig erteilt werden, dass der Fracht-
führer noch im normalen Geschäftsablauf eine Entscheidung darüber treffen
kann, ob er angesichts des Werts des Transportguts den Frachtvertrag über-
haupt ausführen will, und dass er - falls er sich für die Ausführung entschei-
det - die notwendigen besonderen Sicherungsmaßnahmen ergreifen kann.
BGH, Urteil vom 13. Juni 2012 - I ZR 87/11 - OLG München
LG München I
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 13. Juni 2012 durch die Richter Prof. Dr. Büscher, Pokrant,
Prof. Dr. Schaffert, Dr. Koch und Dr. Löffler
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil
des
Oberlandesgerichts
München
- 23. Zivilsenat -
vom
14. April 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander auf-
gehoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist der Transportversicherer der U. , die in
F. eine Weinhandlung betreibt (im Weiteren: Versicherungsnehmerin).
Diese beauftragte die Beklagte am 28. Mai 2008 damit, acht Flaschen Wein bei
der
M.
S.A.
in
Ma.
abzuholen
und
nach
F.
zu
befördern. Bei der Abholung des Weins bei M. am 24. Juni 2008 durch
einen französischen Fahrer wurde diesem eine Frachtkarte (Feuille de route)
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ausgehändigt, die für das in einem Karton enthaltene Frachtgut einen Versiche-
rungswert von 20.400
€ auswies. Nach der am 30. Juni 2008 erfolgten Abliefe-
rung der Sendung in F. zeigte sich, dass der Karton von seiner Unterseite
her geöffnet worden war und sechs der acht Weinflaschen fehlten.
Die Klägerin hat die Beklagte aus übergegangenem Recht der Versiche-
rungsnehmerin auf Ersatz des Wertes der sechs fehlenden Weinflaschen in
Höhe von 15.300
€ nebst Zinsen und Erstattung von vorgerichtlichen Anwalts-
kosten in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang, das Berufungsgericht
unter Abweisung der Klage im Übrigen in Höhe von 7.650
€ nebst Zinsen und
eines Teils der erstattet verlangten Anwaltskosten stattgegeben und die Revisi-
on zugelassen (OLG München, Urteil vom 14. April 2011 - 23 U 3364/10, juris).
Dagegen richten sich die Revisionen beider Parteien. Mit ihrer Revision
erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, wäh-
rend die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel ihren Klageabweisungsantrag weiter-
verfolgt. Beide Parteien beantragen, das Rechtsmittel der Gegenseite zurück-
zuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin aus Art. 3, 17
Abs. 1, Art. 29 CMR in Verbindung mit § 398 BGB bejaht, ist aber von einem
zur hälftigen Schadensteilung führenden Mitverschulden der Versicherungs-
nehmerin ausgegangen. Dazu hat es ausgeführt:
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Das Landgericht habe die Klägerin zutreffend als jedenfalls aufgrund ei-
ner konkludenten Abtretung durch Übergabe der Schadensunterlagen an-
spruchsberechtigt angesehen und auf der Grundlage der von ihm durchgeführ-
ten Beweisaufnahme mit Recht angenommen, dass die sechs fehlenden Fla-
schen weder bereits vor der Abholung des Weins bei M. noch erst nach
der Anlieferung bei der Versicherungsnehmerin abhanden gekommen seien.
Nach den auch im Falle einer verschärften Haftung gemäß Art. 29 CMR
anwendbaren Grundsätzen zum Mitverschulden könne der Frachtführer ein-
wenden, dass nicht auf den - im Streitfall ohne weiteres erreichten - außerge-
wöhnlich hohen Wert des Transportguts und das sich daraus ergebende Scha-
densrisiko hingewiesen worden sei. Das Vorbringen der Klägerin, die Beklagte
habe auf die Angabe besonders hoher Werte verzichtet, um die Versicherungs-
nehmerin als Geschäftspartner zu gewinnen oder die Geschäftsbeziehung zu
dieser auszubauen, sei durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden.
Nach deren Ergebnis könne außerdem weder von einer Kenntnis der Mitarbei-
ter der Beklagten, dass im Einzelfall auch außergewöhnlich teure Weine zu
transportieren seien, noch davon ausgegangen werden, dass die Beklagte auch
im Falle eines Hinweises keine anderweitigen Vorkehrungen zum Schutz des
besonders wertvollen Transportgutes getroffen hätte. Die Versicherungsnehme-
rin habe ihrer Hinweisobliegenheit auch nicht dadurch genügt, dass dem Abhol-
fahrer die den Wert des Weins ausweisende Frachtkarte ausgehändigt worden
sei, weil die Beklagte darauf nicht mit einer Ablehnung des Transports oder
Verhandlungen über eine Anpassung der Frachtvergütung habe reagieren kön-
nen. Bei Abwägung der Mitverschuldensanteile sei aber auch zu berücksichti-
gen, dass ein mit einer entsprechenden Wertangabe konfrontierter Abholfahrer
mit einem Mobiltelefon unschwer weitere Weisungen von seinen Vorgesetzten
habe anfordern können und ein Mitverschulden der Beklagten darin liegen
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könnte, dass sie ihrer Subunternehmerin beim Auftreten entsprechender au-
ßergewöhnlicher Umstände keine Rückfrage- oder Hinweispflichten auferlegt
habe. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei von einem Mitverschul-
densanteil der Versicherungsnehmerin in Höhe von 50% auszugehen.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Die Revisionen sind uneingeschränkt zulässig. Das Berufungsgericht
hat die von ihm im Tenor seiner Entscheidung ohne Einschränkungen ausge-
sprochene Revisionszulassung nachfolgend in den Gründen damit begründet,
dass höchstrichterlich noch nicht entschieden worden sei, ob der Versender
seine Obliegenheit, auf einen besonders hohen Wert des Transportguts hinzu-
weisen, auch noch durch einen Hinweis an den Abholfahrer erfüllen könne. Ei-
ne Beschränkung der Revisionszulassung kann darin schon deshalb nicht ge-
sehen werden, weil das Berufungsgericht zugleich klargestellt hat, dass es die
Revision ohne besondere Einschränkungen zulässt (vgl. BGH, Urteil vom
30. September 2010 - I ZR 39/09, BGHZ 187, 141 Rn. 18; Urteil vom
28. Oktober 2010 - I ZR 18/09, GRUR 2011, 714 Rn. 51 = WRP 2011, 913 - Der
Frosch mit der Maske).
2. Die Revisionen der Parteien sind unbegründet. Der Klägerin steht ge-
gen die Beklagte aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin
(§ 398 BGB) ein Schadensersatzanspruch wegen des teilweisen Verlustes des
Transportguts nach Art. 3, 17 Abs. 1, Art. 23 und 29 CMR zu, der wegen eines
Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin nach § 254 BGB auf die Hälfte
reduziert ist.
a) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen ei-
ner vertraglichen Haftung der Beklagten für den Verlust der sechs Weinflaschen
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nach Art. 17 Abs. 1 CMR festgestellt. Es ist zutreffend davon ausgegangen,
dass die Beklagte von der Versicherungsnehmerin als Fixkostenspediteurin im
Sinne von § 459 HGB beauftragt worden ist und sich ihre Haftung demgemäß
grundsätzlich nach den Bestimmungen über die Haftung des Frachtführers
(Art. 17 ff. CMR) richtet. Es hat weiter zu Recht angenommen, dass der Verlust
der in Rede stehenden sechs Weinflaschen während des Obhutszeitraums,
also zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablie-
ferung, eingetreten ist.
b) Ohne Erfolg wendet sich die Revision der Beklagten gegen die An-
nahme des Berufungsgerichts, die Beklagte hafte unbeschränkt nach Art. 29
CMR.
aa) Das Berufungsgericht hat die unbeschränkte Haftung der Beklagten
unter Hinweis auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil bejaht. Das
Landgericht ist davon ausgegangen, dass die in Rede stehenden sechs Wein-
flaschen vorsätzlich entwendet worden sein müssen und die Voraussetzungen
des Art. 29 CMR danach vorliegen.
bb) Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revi-
sion der Beklagten stand.
(1) Die Revision der Beklagten rügt, das Berufungsgericht habe keine
nachprüfbaren Feststellungen zu einem qualifizierten Verschulden der Beklag-
ten im Sinne von Art. 29 CMR getroffen. Der Diebstahl könne auch von einem
Dritten begangen worden sein, der nicht zu den Bediensteten im Sinne des
Art. 3 CMR gehöre. Im Streitfall sei auch nicht von einer sekundären Darle-
gungslast der Beklagten auszugehen. Der vorliegende Sachverhalt sei nicht mit
Fallkonstellationen vergleichbar, in denen der Verlust des Transportguts oder
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einzelner Sendungsstücke eingetreten sei und in denen der Senat eine sekun-
däre Darlegungslast des Fachführers bejaht habe. Es müsse deshalb bei der
gesetzlich vorgesehenen Darlegungs- und Beweislast der Klägerin als Gläubi-
gerin bleiben. Dem kann nicht zugestimmt werden.
(2) Grundsätzlich hat allerdings der Anspruchsteller die Voraussetzungen
für den Wegfall der zugunsten des Frachtführers bestehenden gesetzlichen
oder vertraglichen Haftungsbegrenzungen darzulegen und zu beweisen. Da-
nach trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Frachtführer vor-
sätzlich oder in einer dem Vorsatz gleichstehenden Weise schuldhaft gehandelt
hat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - I ZR 154/07, TranspR 2010, 78
Rn. 16 = NJW 2010, 1816).
Die dem Anspruchsteller obliegende Darlegungs- und Beweislast kann
jedoch dadurch gemildert werden, dass der Frachtführer angesichts des unter-
schiedlichen Informationsstands der Vertragsparteien nach Treu und Glauben
gehalten ist, soweit möglich und zumutbar, zu den näheren Umständen des
Schadensfalls eingehend vorzutragen. Eine solche sekundäre Darlegungslast
des Anspruchsgegners ist zu bejahen, wenn der Klagevortrag ein qualifiziertes
Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder sich Anhaltspunkte
für ein derartiges Verschulden aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben. Ins-
besondere hat der Frachtführer in diesem Fall substantiiert darzulegen, welche
Sorgfalt er zur Vermeidung des eingetretenen Schadens konkret angewendet
hat. Kommt er dem nicht nach, kann nach den Umständen des Einzelfalls der
Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden gerechtfertigt sein (ständige Recht-
sprechung des Senats; vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008
- I ZR 128/06, TranspR 2009, 134 Rn. 14). Diese Grundsätze hat die Recht-
sprechung für den Fall des Verlustes von Transportgut entwickelt (vgl. BGH,
TranspR 2010, 78 Rn. 16; BGH, Urteil vom 24. November 2010 - I ZR 192/08,
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TranspR 2011, 161 Rn. 27; Urteil vom 13. Januar 2011 - I ZR 188/08, TranspR
2011, 218 Rn. 15 = VersR 2011, 1161).
Diese beim Verlust von Transportgut bestehenden Rechtsprechungs-
grundsätze gelten regelmäßig auch bei einer während des Transports eingetre-
tenen Beschädigung des Frachtguts (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012
- I ZR 214/10, TranspR 2012, 107 Rn. 24 = NJW-RR 2012, 364). Liegt ein quali-
fiziertes Verschulden aufgrund des Parteivorbringens nahe, muss der beklagte
Frachtführer Angaben zu den näheren Umständen der Schadensentstehung
machen. Er muss insbesondere mitteilen, welche Kenntnisse er über den kon-
kreten Schadensverlauf hat und welche Schadensursachen er ermitteln konnte.
Ihn trifft mithin eine Recherchepflicht (BGH, TranspR 2011, 218 Rn. 16;
TranspR 2012, 107 Rn. 24). Etwas anderes kann allerdings je nach Art der Be-
schädigung gelten. Von einem derartigen Ausnahmefall ist etwa auszugehen,
wenn beim Warenumschlag gebotene Kontrollmaßnahmen unterblieben sind,
diese aber - anders als beim Verlust des Transportguts - bei der konkreten Art
der Beschädigung der Sendung keinen Rückschluss auf ein qualifiziertes Ver-
schulden des Frachtführers zulassen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2007
- I ZR 74/05, BGHZ 174, 244 Rn. 26).
Im Unterschied dazu beruhen bei der Ablieferung des Transportguts zu-
tage getretene Teilverluste und durch Nichtablieferung erkennbar werdende
Totalverluste nicht selten auf Fehlverladungen oder Diebstählen, die der Fracht-
führer durch dokumentierte Schnittstellenkontrollen oft hätte verhindern oder
zumindest nachträglich hätte aufklären können. Eine vergleichbare Situation ist
im vorliegenden Fall gegeben, in dem das Frachtstück zwar abgeliefert, seine
Verpackung aber während des Transports geöffnet, sein Inhalt teilweise her-
ausgenommen und die Verpackung wieder verschlossen worden ist. In einem
solchen Fall beruht der eingetretene teilweise Verlust des Paketinhalts entwe-
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der auf einem vorsätzlichen Verhalten eines Dritten oder eines vom Frachtfüh-
rer eingeschalteten Bediensteten bzw. einer anderen mit dem Transport beauf-
tragten Person. Für das vorsätzliche Verhalten der beim Transport eingeschal-
teten Bediensteten und anderen Personen haftet der Frachtführer nach Art. 3,
29 CMR unbeschränkt. Die Voraussetzungen einer unbeschränkten Haftung
nach Art. 29 CMR können aber auch bei einem Diebstahl des Transportguts
durch einen Dritten vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn der Frachtführer oder
die Person, für die er nach Art. 3 CMR einzustehen hat, keine ausreichenden
Sicherheitsmaßnahmen getroffen hat, dadurch der Zugriff des Dritten auf das
Transportgut ermöglicht wurde und die Voraussetzungen eines qualifizierten
Verschuldens im Sinne des Art. 29 CMR erfüllt sind.
Das Berufungsgericht ist danach hinsichtlich der Umstände, unter denen
die sechs Weinflaschen abhandengekommen sind, mit Recht von einer sekun-
dären Darlegungslast der Beklagten ausgegangen. Diese hätte den Lauf des
Transportgutes, das Ergebnis der Schnittstellenkontrollen und die getroffenen
Sicherheitsvorkehrungen im Einzelnen darlegen müssen, damit die Klägerin zu
einem qualifizierten Verschulden der Beklagten vortragen konnte. Dieser Darle-
gungslast ist die Beklagte - wie sie auch mit ihrer Revision nicht in Zweifel zieht,
mit der sie allein das Bestehen einer solchen Darlegungslast in Abrede stellt -
nicht nachgekommen. Das Berufungsgericht konnte den Vortrag der Klägerin
zum Vorliegen eines qualifizierten Verschuldens der Beklagten oder der Perso-
nen, deren sie sich bei der Ausführung der Beförderung bedient hat, daher als
unbestritten behandeln (§ 138 Abs. 3 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2005
- VI ZR 179/04,
BGHZ
163,
209,
214;
Urteil
vom
17. Januar 2008
- III ZR 239/06, NJW 2008, 982 Rn. 16).
c) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht ein anspruchsmin-
derndes Mitverschulden der Versicherungsnehmerin gemäß § 254 Abs. 2
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Satz 1 BGB wegen eines unterlassenen Hinweises auf die Gefahr eines unge-
wöhnlich hohen Schadens bejaht und den Mitverschuldensanteil zutreffend mit
50% bemessen.
aa) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass auch
die gemäß Art. 29 CMR unbeschränkte Haftung der Beklagten durch ein für den
Schaden ursächlich gewordenes Mitverschulden der Versicherungsnehmerin
gemindert sein kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009
- I ZR 3/07, TranspR 2010, 143 Rn. 11). Es ist weiter davon ausgegangen, dass
die Versicherungsnehmerin dadurch eine für den eingetretenen Schaden ur-
sächliche Bedingung gesetzt hat, dass sie ihre aus dem Grundsatz von Treu
und Glauben folgende Obliegenheit nicht rechtzeitig und damit nicht ordnungs-
gemäß erfüllt hat, die Beklagte über den außergewöhnlich hohen Wert des
Transportguts und das damit verbundene Schadensrisiko aufzuklären (vgl.
BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - I ZR 80/03, TranspR 2006, 121 Rn. 18
= VersR 2006, 953; MünchKomm.HGB/Jesser-Huß, 2. Aufl., Art. 29 CMR
Rn. 38). Dagegen wendet sich die Revision der Klägerin im Ergebnis ohne Er-
folg.
bb) Die Frage, wann der Hinweis auf den besonders hohen Wert des
Transportgutes und damit auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens
spätestens zu erfolgen hat, ist umstritten.
(1) Das Berufungsgericht hat es als entscheidend angesehen, dass die
Versicherungsnehmerin der Beklagten dadurch, dass sie diese nicht schon
beim Vertragsschluss am 28. Mai 2008 über den ungewöhnlich hohen Wert des
Transportguts informiert hat, die Möglichkeit genommen hat, mit einer Ableh-
nung des Transports oder mit Verhandlungen über die Anpassung der Fracht-
vergütung zu reagieren. Das Berufungsgericht ist mithin davon ausgegangen,
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dass der späteste Zeitpunkt für einen ein Mitverschulden ausschließenden Hin-
weis der Abschluss des Frachtvertrages ist.
Die Gegenansicht geht davon aus, dass ein entsprechender Hinweis
auch noch nach Vertragsschluss gegenüber dem das Transportgut abholenden
Fahrer (vgl. OLG Oldenburg TranspR 2007, 245, 248 f.) oder gegenüber dem
Unterfrachtführer kurz vor Abholung der Sendung genügen kann (vgl. OLG
Düsseldorf, Urteil vom 16. April 2008 - 18 U 82/07, juris Rn. 51 und 55).
(2) Der Hinweis auf den ungewöhnlich hohen Wert des Transportguts
muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Frachtführer noch im normalen Ge-
schäftsablauf eine Entscheidung darüber treffen kann, ob er angesichts des
Werts des Transportguts den Frachtvertrag überhaupt ausführen will, und dass
er - falls er sich für die Ausführung entscheidet - die notwendigen besonderen
Sicherungsmaßnahmen ergreifen kann. Das folgt aus der Funktion des fragli-
chen Hinweises, der dem Frachtführer die Möglichkeit eröffnen soll, die erfor-
derlichen Sicherungsmaßnahmen zu treffen oder von der Ausführung des
Frachtvertrages Abstand zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2008
- I ZR 205/06, TranspR 2008, 394 Rn. 20 = NJW-RR 2009, 175; BGH TranspR
2010, 143 Rn. 15). Für dieses Ergebnis spricht auch ein Vergleich mit der Be-
stimmung des § 410 Abs. 1 HGB. Danach muss der Hinweis auf die Gefährlich-
keit des Transportgutes rechtzeitig erfolgen. Durch die Bestimmung soll eine
flexible Lösung erreicht und eine Festlegung auf den Zeitpunkt des Vertrags-
schlusses für den Hinweis auf die Gefährlichkeit des Transportgutes vermieden
werden (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des Transportrechtsreform-
gesetzes, BT-Drucks. 13/8445, S. 38; vgl. auch Koller, Transportrecht, 7. Aufl.,
§ 410 HGB Rn. 4).
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Danach ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Hinweis auf den un-
gewöhnlich hohen Wert des Transportguts bereits bei Vertragsschluss erfolgt.
Dementsprechend hat es der Senat ausreichen lassen, dass der Frachtführer
nach Abschluss des Frachtvertrags durch die Weisung, nur gegen Einziehung
eines Nachnahmebetrags die Sendung an den Empfänger auszuliefern, von
ihrem Wert Kenntnis erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2005
- I ZR 276/02, TranspR 2005, 208 Rn. 8 = NJW-RR 2005, 1058).
(3) Nach diesen Maßstäben hat die Versicherungsnehmerin nicht recht-
zeitig auf den ungewöhnlich hohen Wert des Transportgutes hingewiesen. Die
Information über den Wert der acht Weinflaschen hat die Beklagte bei der Ab-
holung des Transportguts am 24. Juni 2008 erhalten. Zu diesem Zeitpunkt war
mit der Durchführung des Frachtvertrages bereits begonnen. Hierzu rechnet
auch die Fahrt zu dem französischen Unternehmen M. , um die Sen-
dung abzuholen. Anders als die Revision der Klägerin meint, ist die Beklagte im
Rahmen des - hier vorliegenden - Sammelgutverkehrs nicht gehalten, die Ab-
holfahrer zu instruieren, telefonisch Weisungen für den Fall einzuholen, dass
sie auf einen besonders hohen Wert der Sendung hingewiesen werden. Es war
vielmehr Aufgabe der Versicherungsnehmerin, den Hinweis auf den Wert der
Warensendung unter Berücksichtigung des Charakters des vorliegenden
Transportgeschäfts als eines Massengeschäfts so rechtzeitig zu erteilen, dass
die Beklagte im normalen Geschäftsgang reagieren konnte.
cc) Die Revision der Beklagten wendet sich ohne Erfolg dagegen, dass
das Berufungsgericht den Anteil der Versicherungsnehmerin an der Schadens-
verursachung nicht höher als 50% bewertet hat.
(1) Die Haftungsabwägung im Falle des Mitverschuldens des Geschädig-
ten ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie wird im Revisionsverfahren nur
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daraufhin überprüft, ob sie auf rechtlich zutreffenden Erwägungen beruht und
ob bei ihr alle in Betracht zu ziehenden Umstände vollständig und richtig be-
rücksichtigt worden sind (vgl. BGH, TranspR 2010, 143 Rn. 16).
(2) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung genügt diesen
Anforderungen.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats hat in Fällen, in de-
nen der Verlust von Transportgut, wie vorliegend, zum einen auf einem qualifi-
zierten Verschulden des Frachtführers im Sinne von Art. 29 CMR und zum an-
deren auf der vom Absender unterlassenen Angabe des ungewöhnlich hohen
Werts des Gutes beruht, regelmäßig eine Schadensteilung zu erfolgen.
Dadurch unterscheiden sich diese Fälle von der Versendung sogenannter Ver-
botsgüter, in denen der Mitverschuldensanteil des Absenders auch unter Be-
rücksichtigung eines qualifizierten Verschuldens des Frachtführers häufig zum
vollständigen Haftungsausschluss führt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2007
- I ZR 186/03, TranspR 2007, 164 Rn. 29 f. = VersR 2008, 97). Der Mitverursa-
chungsanteil des Versenders kann aber auch bei einem unterlassenen Hinweis
auf den hohen Wert des Transportguts im Einzelfall mit mehr als 50% zu bewer-
ten sein, wenn der Wert der Sendung ganz erheblich über dem Betrag liegt, ab
dem ein Hinweis auf einen ungewöhnlich hohen Schaden hätte erfolgen müs-
sen (BGH, TranspR 2010, 143 Rn. 19). Wenn der Wert der Sendung sehr deut-
lich über diesem Betrag liegt, kommt sogar ein vollständiger Ausschluss der
Haftung des Frachtführers in Betracht (BGH, TranspR 2010, 143 Rn. 20). Bei
alledem verbietet sich aber eine schematische Betrachtungsweise; vielmehr
sind bei der Abwägung sämtliche festgestellten Umstände zu berücksichtigen
(BGH, TranspR 2010, 143 Rn. 16).
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Nach diesen Maßstäben lässt die Annahme einer Mitverursachungsquo-
te von 50% durch das Berufungsgericht keinen Rechtsfehler erkennen.
Bei der Festlegung der Haftungsquote war zugunsten der Klägerin unter
anderem zu berücksichtigen, dass die Versicherungsnehmerin den besonders
hohen Wert der Sendung dem Abholfahrer - wenngleich verspätet - noch mitge-
teilt und dadurch diesem immerhin die Möglichkeit eröffnet hat, im Hinblick auf
diesen neuen Umstand Weisungen einzuholen oder sonstige Maßnahmen zu
ergreifen, um die wertvollen Weinflaschen zu sichern. Soweit die Revision der
Beklagten dem entgegenhält, der verspätet gegebene Hinweis auf den beson-
ders hohen Wert des Frachtguts habe die Gefahr seines Verlustes sogar noch
erhöht, dringt sie mit diesem Angriff nicht durch. Das Berufungsgericht hat zu
einer entsprechenden Gefahrerhöhung keine Feststellungen getroffen, ohne
dass die Revision der Beklagten rügt, dass von dieser gehaltener Vortrag über-
gangen worden sei.
Entgegen der Ansicht der Revision der Beklagten war auch nicht zusätz-
lich zu Lasten der Klägerin der Umstand zu berücksichtigen, dass die Versiche-
rungsnehmerin mit der verspäteten Angabe des besonders hohen Wertes des
Weins auch gegen ihre Verpflichtung aus Ziff. 3.3 der in den Rahmenvertrag
zwischen ihr und der Beklagten einbezogenen Allgemeinen Deutschen Spedi-
teurbedingungen verstoßen hat. Nach dieser Bestimmung hat der Auftraggeber
dem Spediteur mitzuteilen, dass Gegenstände des Vertrags besonders wertvol-
le und diebstahlsgefährdete Güter sind. Ein Schadensersatzanspruch, der sich
für die Beklagte aus der insoweit unterbliebenen Mitteilung ergeben könnte (vgl.
Koller aaO Ziff. 3 ADSp Rn. 15 d; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Bahnsen,
HGB, 2. Aufl., Ziff. 3 ADSp Rn. 37), scheidet im vorliegenden Zusammenhang
zumindest deshalb aus, weil das betreffende Verhalten der Versicherungsneh-
merin bereits bei der Bemessung des gemäß Art. 29 i.V.m. Art. 3 CMR zu leis-
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tenden Schadensersatzes als anspruchsminderndes Mitverschulden berück-
sichtigt worden ist.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Büscher Pokrant Schaffert
Koch Löffler
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 11.05.2010 - 16 HKO 8188/09 -
OLG München, Entscheidung vom 14.04.2011 - 23 U 3364/10 -
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