Urteil des BGH vom 12.11.2015

Abschlagspflicht II Leitsatzentscheidung

ECLI:DE:BGH:2015:121115UIZR167.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 167/14
Verkündet am:
12. November 2015
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Abschlagspflicht II
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 und 12, Art. 20 Abs. 3; AMRabG §§ 1, 2, 3; BGB § 286
Abs. 2 Nr. 2; ZPO § 138 Abs. 4
a) § 1 Satz 3 des Gesetzes über Rabatte für Arzneimittel (Arzneimittelrabattgesetz,
AMRabG, BGBl. I 2010, S. 2262) in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Ände-
rung arzneimittelrechtlicher Vorschriften vom 7. August 2013 (BGBl. I, S. 3108)
beinhaltet keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Vielmehr gibt die-
se Norm die schon zuvor gültige Rechtslage klarstellend wieder, wonach die Ab-
schlagspflicht auch bei nur teilweiser Kostenerstattung durch die Kostenträger be-
steht.
b) Macht die zentrale Stelle im Sinne des § 2 Satz 1 AMRabG die Gesamtheit aller
Abschlagsforderungen der Abschlagsgläubiger (private Krankenversicherungen
und Beihilfeträger) gegenüber einem pharmazeutischen Unternehmer geltend, so
handelt es sich bei der Abschlagspflicht nach § 1 AMRabG um eine Zahlungs-
pflicht "auf erstes Anfordern", der allein entgegengehalten werden kann, die
Sammelrechnungen der zentralen Stelle und die mit ihnen übermittelten Datensät-
ze genügten nicht den Anforderungen des § 2 Satz 2 AMRabG (Angabe der
Pharmazentralnummer des abgegebenen Arzneimittels, des Abgabedatums, des
Apothekenkennzeichens und des Anteils der Kostentragung in maschinenlesbarer
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Form). Weitere Einwände kann der pharmazeutische Unternehmer lediglich im
nachgelagerten Treuhänderverfahren nach § 3 AMRabG verfolgen.
c) Macht ein Einzelgläubiger (private Krankenversicherung oder Beihilfeträger) die
auf ihn entfallenden Abschläge gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmer
geltend, so muss der Einzelgläubiger darlegen und ggf. beweisen, dass die von
ihm geltend gemachten Erstattungsvorgänge in einer den Anforderungen des § 2
Satz 2 AMRabG entsprechenden Sammelrechnung der zentralen Stelle enthalten
waren und dem Einzelgläubiger zuzuordnen sind.
d) Dem von einem Einzelgläubiger in Anspruch genommenen pharmazeutischen Un-
ternehmer obliegt gegenüber der Darlegung des Einzelgläubigers, er mache ihm
zuzuordnende Erstattungsvorgänge geltend, die in einer von der zentralen Stelle
übermittelten, den Anforderungen des § 2 Satz 2 AMRabG entsprechenden Sam-
melrechnung enthalten gewesen seien, keine sekundäre Darlegungslast. Er kann
diese Darlegung wirksam mit Nichtwissen bestreiten (§ 138 Abs. 4 ZPO).
e) Der Abschlagsanspruch des Einzelgläubigers gegen den pharmazeutischen Un-
ternehmer ist begründet, wenn sich im Prozess ergibt, dass die der Klageforde-
rung zugrunde liegenden Erstattungsvorgänge Gegenstand einer den Anforderun-
gen des § 2 Satz 2 AMRabG entsprechenden Sammelrechnung der zentralen
Stelle waren und dem Einzelgläubiger zuzuordnen sind. Weitere Einwände kann
der pharmazeutische Unternehmer nur im Treuhänderverfahren nach § 3
AMRabG geltend machen.
f) Der pharmazeutische Unternehmer gerät gegenüber den Einzelgläubigern nach
Ablauf der Zahlungsfrist des § 2 Satz 3 AMRabG in Verzug, ohne dass es auf sei-
ne Kenntnis von der Identität der Einzelgläubiger ankommt. Die gesetzliche Zah-
lungsfrist des § 2 Satz 3 AMRabG erfüllt die Voraussetzungen des § 286 Abs. 2
Nr. 2 BGB.
BGH, Urteil vom 12. November 2015 - I ZR 167/14 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
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ECLI:DE:BGH:2015:121115UIZR167.14.0
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 12. November 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Büscher,
die Richter Dr. Kirchhoff, Dr. Löffler, die Richterin Dr. Schwonke und den Richter
Feddersen
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Klägerin und der Beklagten wird das Urteil
des Oberlandesgerichts Nürnberg - 4. Zivilsenat - vom 15. Juli
2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten der Revisionen - an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung, nimmt
die Beklagte, die Arzneimittel herstellt und vertreibt, auf Zahlung von Abschlä-
gen nach § 1 des zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Gesetzes über Rabat-
te für Arzneimittel (Arzneimittelrabattgesetz, AMRabG, BGBl. I 2010, S. 2262) in
Anspruch.
Die Zentrale Stelle zur Abrechnung von Arzneimittelrabatten GmbH
(ZESAR) hat als mit dem Einzug der Abschläge beauftragte zentrale Stelle, die
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nach § 2 Satz 1 AMRabG von den Unternehmen der privaten Krankenversiche-
rung und den Beihilfeträgern bei dem Verband der privaten Krankenversiche-
rung gebildet worden ist, der Beklagten am 18. Dezember 2011, 18. Januar
2012, 18. Februar 2012 und 18. März 2012 Sammelrechnungen über zu zah-
lende Abschläge übermittelt. Die Beklagte hat darauf keine Zahlung geleistet.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung der nach ihrer Darstellung
auf die Klägerin entfallenden Abschläge in Anspruch.
Die Beklagte hält § 1 AMRabG wegen Verstoßes gegen ihre Grundrech-
te aus Art. 3, 12 Abs. 1 GG für grundgesetzwidrig. Sie ist der Ansicht, der mit
dieser Regelung verbundene Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG sei so intensiv, dass
allein vernünftige Gemeinwohlerwägungen den Eingriff nicht rechtfertigen könn-
ten. Dem Ziel, der gesamten Bevölkerung einen bezahlbaren Krankenversiche-
rungsschutz zu bieten, sei der Gesetzgeber bezogen auf die private Kranken-
versicherung durch die Schaffung des Basistarifs nachgekommen. Für die
Funktionsfähigkeit der privaten Krankenversicherung als zweite Säule der
Krankenversicherung bestehe keine nennenswerte Gefahr. Die Regelung ver-
stoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie sei weder geeignet
noch erforderlich und unzumutbar, weil sie ein privates Unternehmen zur Ge-
währung eines Zwangsrabatts verpflichte, um die Ertragslage eines anderen
privaten Unternehmens zu verbessern. Die fragliche Bestimmung des Arznei-
mittelrabattgesetzes verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil die gesetzliche und
die private Krankenversicherung als wesentlich ungleiche Regelungsmodelle
unter dem Aspekt des Zwangsrabatts gleich behandelt und allein den pharma-
zeutischen Unternehmern, nicht aber anderen Beteiligten des Gesundheitswe-
sens ein Zwangsrabatt auferlegt werde. Die Regelung des § 1 Satz 3 AMRabG
verstoße gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
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Die Beklagte ist weiter der Auffassung, die vorliegende Abrechnung ge-
nüge nicht den Vorgaben in § 2 AMRabG, weil in den Daten teilweise die Apo-
thekenkennzahl fehle und der Leistungsträger aus den Zusammenstellungen
nicht ersichtlich sei. Die tatsächliche Erstattung der Arzneimittelkosten, für die
die Klägerin Abschläge geltend mache, sei nicht dargelegt. Es sei ferner nicht
dargelegt, dass die von der Klägerin geltend gemachten Einzelforderungen in
den jeweiligen Sammelrechnungen enthalten seien. In § 2 AMRabG sei nicht
geregelt, wie ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung eine bestrit-
tene Abschlagsforderung darzulegen und zu beweisen habe. Die Übertragung
der Regelungen, die die ZESAR begünstigten, auf die Klägerin komme nicht in
Betracht, weil hierin ein eigenständiger regelungsbedürftiger Grundrechtseingriff
liege. Die Klägerin handele treuwidrig, weil sie die eingeklagten Beträge nicht
dem vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Zweck entsprechend einsetzen wolle.
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt,
an die Klägerin 893.729,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz aus 649.588,14 € seit 30. Dezember 2011, aus weiteren
72.567,29
€ seit 30. Januar 2012, aus weiteren 89.796,01 € seit 1. März 2012
sowie aus weiteren 81.777,81 € seit 30. März 2012 zu bezahlen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten unter Klageabwei-
sung im Übrigen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten aus der Gesamtsumme erst ab dem 7. Februar 2013 ge-
schuldet werden. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren
Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabwei-
sungsantrag weiter. Die Klägerin begehrt mit ihrer Revision, deren Zurückwei-
sung die Beklagte beantragt, die Wiederherstellung des landgerichtlichen Ur-
teils.
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Entscheidungsgründe:
A. Das Berufungsgericht hat die Klage bis auf einen Teil der Zinsen für
begründet erachtet und hierzu ausgeführt:
Die Vorschrift des § 1 AMRabG sei nicht grundgesetzwidrig. Sie verletze
insbesondere nicht das Grundrecht der Beklagten aus Art. 12 Abs. 1 GG. Der
durch § 1 AMRabG vorgenommene Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der
Beklagten diene dem legitimen, aus dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1
GG folgenden gesetzgeberischen Zweck, einen bezahlbaren Krankenversiche-
rungsschutz für die Privatversicherten zu gewährleisten.
§ 1 AMRabG sei bei Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums,
der dem Gesetzgeber zukomme, zur Zweckerreichung geeignet und erforder-
lich. Darauf, ob andere Leistungserbringer ebenfalls in erheblichem Umfang zur
Kostensteigerung im Gesundheitswesen beitrügen, komme es nicht an. Die
Regelung über die Abschlagspflicht sei auch nicht unzumutbar. Es sei nicht er-
kennbar, dass die Pharmaunternehmen, die aus der Zweigliedrigkeit des deut-
schen Krankenversicherungssystems durchaus Vorteile erlangten, durch die
Abschlagspflicht unverhältnismäßig belastet würden. Eine Unzumutbarkeit er-
gebe sich auch nicht aus der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung der
Abschläge nach § 130a SGB V einerseits und nach § 1 AMRabG andererseits.
Bei § 1 Satz 3 AMRabG handele es sich nicht um einen Fall verfassungsrecht-
lich unzulässiger Rückwirkung.
Die Klägerin habe den geltend gemachten Zahlungsanspruch hinrei-
chend dargelegt. Ohne die Einleitung eines Treuhänderverfahrens habe die
Beklagte vorliegend ihrer sekundären Darlegungslast zu ihrem Einwand, die
Klägerin mache Abschläge ohne zugrundeliegende Kostenerstattung geltend,
nicht nachkommen können. Sie sei deshalb der Klägerin zur Zahlung der Ab-
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schläge in geltend gemachter Höhe verpflichtet. Der Zinsanspruch bestehe ge-
mäß § 286 BGB erst seit dem 7. Februar 2013, weil die Klägerin erst mit dem
der Beklagten zu diesem Zeitpunkt zugestellten Schriftsatz weitere Erläuterun-
gen vorgenommen und eine Datei übermittelt habe, mit der die Zuordnung der
Forderung zur Klägerin möglich geworden sei.
B. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten hat Er-
folg. Die Revision ist uneingeschränkt zulässig (dazu B I). Die Vorschrift des § 1
AMRabG ist zwar mit dem Grundgesetz vereinbar (dazu B II), so dass eine Vor-
lage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG aus-
scheidet. Das Berufungsgericht hat jedoch den geltend gemachten Zahlungs-
anspruch rechtsfehlerhaft zuerkannt (dazu B III).
I. Die Revision der Beklagten ist uneingeschränkt zulässig.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Zu-
lassung der Revision nur auf einen selbständigen, durch Teil- oder Grundurteil
abtrennbaren Teil des Rechtsstreits, nicht aber auf einen bestimmten rechtli-
chen Gesichtspunkt oder auf ein einzelnes Entscheidungselement beschränkt
werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Juli 1986 - I ZR 203/84, GRUR 1987, 63
= WRP 1987, 103 - Kfz-Preisgestaltung; Urteil vom 2. April 1998 - I ZR 1/96,
GRUR 1998, 1052 = WRP 1998, 881 - Vitaminmangel; Urteil vom 23. Septem-
ber 2015 - I ZR 105/14, GRUR 2015, 2014 Rn. 16 = WRP 2015, 1181 - Goldbä-
ren). Eine solche Beschränkung ist vorliegend nicht erfolgt. Die Ausführungen
des Berufungsgerichts zur Bedeutung der Rechtssache sind nur eine Begrün-
dung für die Zulassung der Revision.
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II. Die Regelung des § 1 AMRabG ist, wie das Berufungsgericht zu Recht
ausgesprochen hat, mit dem Grundgesetz vereinbar.
1. Die Vorschrift des § 1 AMRabG ist mit dem Grundrecht der Beklagten
auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Die Berufsfreiheit der Be-
klagten ist durch die Pflicht zur Gewährung von Abschlägen nach § 1 AMRabG
nicht verletzt. Deshalb ist das Verfahren nicht nach Art. 100 Abs. 1 GG auszu-
setzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass § 1
AMRabG als Regelung der Berufsausübung in den Schutzbereich des Grund-
rechts der Beklagten aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreift.
aa) Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Freiheit der Berufswahl und der Be-
rufsausübung und damit die gesamte berufliche und Erwerbszwecken dienende
Tätigkeit; die Beklagte als inländische juristische Person kann sich nach Art. 19
Abs. 3 GG auf dieses Grundrecht berufen (BVerfGE 50, 290, 363; 114, 196,
244). Geschützt ist durch Art. 12 Abs. 1 GG die Freiheit, Entgelte für Waren und
Dienstleistungen selbst auszuhandeln, so dass gesetzliche Preisreglementie-
rungen einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit bewirken (BVerfGE 68,
193, 216; 106, 275, 298; 114, 196, 244; 126, 115, 183; Jarass/Pieroth, GG,
13. Aufl., Art. 12 Rn. 10; Hofmann in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG,
13. Aufl., Art. 12 Rn. 23). Zu den Berufsausübungsregelungen zählen die in
§ 130a SGB V vorgesehenen Herstellerrabatte (BVerfGE 114, 196, 244).
bb) § 1 AMRabG beschränkt die freie Preisbildung für verschreibungs-
pflichtige Arzneimittel durch die pharmazeutischen Unternehmer, indem ihnen
abverlangt wird, an die privaten Krankenversicherungsunternehmen und Beihil-
feträger für von diesen ganz oder teilweise getragene Aufwendungen für ver-
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schreibungspflichtige Arzneimittel einen Abschlag in Höhe eines prozentualen
Anteils des Herstellerabgabepreises nach Maßgabe des § 130a SGB V zu ge-
währen. Die von den pharmazeutischen Unternehmern bis zum 31. Dezember
2013 zu gewährenden Abschläge beliefen sich auf 16% des Abgabepreises für
patentgeschützte verschreibungspflichtige Arzneimittel (§ 130a Abs. 1a SGB V).
Seit dem 1. April 2014 beläuft sich dieser Abschlag auf 7% (§ 130a Abs. 1
Satz 1 SGB V).
Bei dem Abschlag nach § 1 AMRabG handelt es sich zwar nicht um ei-
nen "Zwangsrabatt" im von § 130a SGB V vorgesehenen Sinne (vgl. hierzu
Axer in Becker/Kingreen, SGB V, 4. Aufl., § 130a Rn. 1 ff.), weil private Kran-
kenversicherungsunternehmen und Beihilfeträger nicht in einer direkten Leis-
tungsbeziehung zu den pharmazeutischen Unternehmen stehen, sondern ihren
Versicherungsnehmern und den Beihilfeberechtigten die von diesen verauslag-
ten Arzneimittelkosten erstatten. Der gesetzliche Abschlag stellt sich aber
gleichwohl als Verminderung des Herstellerabgabepreises dar, weil den phar-
mazeutischen Unternehmer für jedes abgegebene verschreibungspflichtige
Arzneimittel, dessen Kosten private Krankenversicherungsunternehmen oder
Beihilfeträger ganz oder teilweise erstattet haben, im Ergebnis nur ein um den
prozentualen Abschlag vom Abgabepreis verringertes Entgelt verbleibt (vgl.
BGH, Urteil vom 30. April 2015 - I ZR 127/14, GRUR 2016, 93 Rn. 25 = WRP
2016, 48 - Abschlagspflicht I).
cc) Die in § 1 AMRabG enthaltene Grundrechtsbeeinträchtigung geht
nicht über eine bloße Berufsausübungsregelung hinaus. Zwar können auch Be-
rufsausübungsregelungen von so großem Gewicht sein, dass sie eine sinnvolle
Berufsausübung unmöglich machen und deshalb wie eine Beschränkung der
Berufswahl wirken, die höheren verfassungsrechtlichen Anforderungen unter-
liegt (vgl. BVerfGE 68, 155, 170; 123, 186, 239; Jarass/Pieroth aaO Art. 12
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Rn. 37; Scholz in Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 342 [Stand 75. Ergänzungs-
lieferung September 2015]). Subjektive Berufswahlbeschränkungen, also auf
persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten bezogene Zulassungsvorausset-
zungen, sind nur zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter zuläs-
sig (vgl. BVerfGE 69, 209, 218; Scholz in Maunz/Dürig aaO Art. 12 Rn. 355).
Objektive Beschränkungen der Berufswahl, die an außerhalb des Einflussbe-
reichs des Betroffenen liegende Kriterien anknüpfen, sind nur zulässig, wenn
sie zur Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher Gefahren für ein
überragend wichtiges Gemeingut zwingend geboten sind (BVerfGE 102, 192,
214; Jarass/Pieroth aaO Art. 12 Rn. 48; Scholz in Maunz/Dürig aaO Art. 12
Rn. 363). Eine Wirkung des § 1 AMRabG, die einer Beschränkung der Berufs-
wahl gleichsteht, ist vorliegend allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend
angenommen hat, in tatsächlicher Hinsicht weder vorgetragen noch sonst er-
sichtlich.
(1) Dem Umstand, dass die pharmazeutischen Unternehmer zur Entrich-
tung der Umsatzsteuer nach Maßgabe des vollen Abgabepreises verpflichtet
sind und der nachfolgend gemäß § 1 AMRabG zu gewährende Abschlag nach
Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen keine entgeltmindernde und
folglich die Umsatzsteuerschuld verringernde Wirkung hat, kommt im vorliegen-
den Zusammenhang kein Gewicht zu, das die Annahme einer Beeinträchtigung
der Berufswahlfreiheit rechtfertigt. Es ist schon nicht erkennbar und von der Be-
klagten auch nicht aufgezeigt, dass sie durch die Umsatzsteuergestaltung zu-
sätzlich belastet wird. Ihr verbleibt der um den Abschlag verminderte Abgabe-
preis ohne Umsatzsteuer. Die von dem pharmazeutischen Unternehmer auf
den Abgabepreis zu entrichtende Umsatzsteuer ist bei wirtschaftlicher Betrach-
tung nur ein durchlaufender Posten (vgl. BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 27 - Ab-
schlagspflicht I; BeckOK UStG/Weymüller, Vor § 1 UStG Rn. 2 [Stand August
2015]). Die Unternehmer sind nach § 13a UStG lediglich Steuerschuldner, die
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die Empfänger der Lieferungen und Leistungen mit der Umsatzsteuer belasten
und die eingenommene Umsatzsteuer nach Abzug der Vorsteuer an den Fiskus
abführen. Nur der Endverbraucher ist derjenige, der die Umsatzsteuer als indi-
rekte Steuer schließlich wirtschaftlich aufbringen muss, während die Umsatz-
steuer mit dem Recht zum Vorsteuerabzug für den Unternehmer kostenneutral
ist (vgl. BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 27 - Abschlagspflicht I; Bunjes/Robisch, Um-
satzsteuergesetz, 14. Aufl., Vor § 1 Rn. 19 f.). Dass die Umsatzsteuerschuld
sich durch die Gewährung des Abschlags nach § 1 AMRabG nicht verringert,
hat deshalb keine relevante, den Grundrechtseingriff vertiefende Wirkung. Da-
von abgesehen ist nicht ersichtlich, dass dem auf den Abschlag entfallenden
Differenzbetrag der Umsatzsteuer in den Auswirkungen ein nennenswertes
Gewicht zukommt.
(2) Die angegriffene Regelung stellt sich auch nicht im Hinblick auf § 1
Satz 3 AMRabG als Eingriff in die Berufswahl dar.
Nach der Bestimmung des § 1 Satz 3 AMRabG, die mit Wirkung zum
1. Januar 2011 durch Art. 3a des Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittel-
rechtlicher Vorschriften vom 7. August 2013 (BGBl. I, S. 3108) eingeführt wor-
den ist, sind zur Ermittlung der Abschläge nach § 1 Satz 1 AMRabG Selbst-
oder Eigenbehalte, die Unternehmen der privaten Krankenversicherung mit den
Versicherungsnehmern vereinbart haben oder die auf beamtenrechtlichen Vor-
schriften oder anderen Vorschriften beruhen, nicht zu berücksichtigen. Der Ab-
schlag fällt mithin auch dann in voller Höhe an, wenn die privaten Krankenversi-
cherungsunternehmen oder Beihilfeträger die Kosten für Arzneimittel nur teil-
weise erstattet haben. Einen Eingriff in die Berufswahlfreiheit stellt diese Rege-
lung nicht dar. Weder behindert diese Regelung die Tätigkeit der Beklagten als
pharmazeutischer Unternehmer wesentlich noch macht sie diese unmöglich
(vgl. BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 31 f. - Abschlagspflicht I). Eine Vertiefung des
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Grundrechtseingriffs folgt auch nicht aus einer rückwirkenden Einführung dieser
Bestimmung. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung liegt nicht vor
(dazu B II 3).
(3) An der Einstufung der Vorschrift des § 1 AMRabG als Berufsaus-
übungsregelung ändert auch das weitere Vorbringen der Revision nichts,
ZESAR dürfe ohne qualifizierten Nachweis Gelder in Millionenhöhe binnen kur-
zer Frist und unter Abwälzung des Insolvenzrisikos der Kostenträger auf die
pharmazeutischen Unternehmer anfordern, ohne dass den Zahlungspflichtigen
nennenswerte und kurzfristig wirkende Überprüfungsmöglichkeiten zur Verfü-
gung stünden. Das Abrechnungsverfahren belastet die Beklagte - auch im Zu-
sammenwirken mit der Abschlagspflicht - nicht in einer Weise, die einer Be-
schränkung der Berufswahl gleichkommt.
b) Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich der Ein-
griff in die Freiheit der Berufsausübung der Beklagten innerhalb der verfas-
sungsrechtlichen Schranken der Gewährleistung des Grundrechts hält, so dass
eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gegeben ist.
aa) Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Eingriffs in das
Grundrecht nach Art. 12 Abs. 1 GG bestimmt sich nach der Eingriffsintensität.
Ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar,
wenn er vernünftigen Zwecken des Gemeinwohls dient (dazu B II 2 b bb) und
den Berufstätigen nicht übermäßig oder unzumutbar trifft (dazu B II 2 b cc). Da-
zu muss der Eingriff dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen (vgl.
BVerfGE 7, 377, 397; 85, 248, 259; BVerfG, GRUR 2011, 838 Rn. 39; GRUR
2012, 72 Rn. 20).
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bb) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Ge-
setzgeber mit § 1 AMRabG bezweckt hat, einen bezahlbaren Krankenversiche-
rungsschutz für Privatversicherte und die Funktionsfähigkeit der privaten Kran-
kenversicherung dauerhaft zu gewährleisten und dies beachtliche Interessen
des Gemeinwohls sind. Hinzu kommt das ebenfalls beachtliche im Sinne der
Allgemeinheit liegende Interesse, die öffentlichen Haushalte zu schonen (vgl.
BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 35, 40 - Abschlagspflicht I).
(1) Ohne Erfolg wendet die Revision ein, die Gewährleistung eines be-
zahlbaren Krankenversicherungsschutzes für Privatversicherte sei kein zur
Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs geeignetes Gemeinwohlinteresse, weil
eine Gefahr für eine bezahlbare Gesundheitsversorgung der Privatversicherten
nicht einmal im Ansatz erkennbar sei. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass
Unternehmen der privaten Krankenversicherung ihre Prämien in einer Weise
erhöht hätten, dass die Bezahlbarkeit des Versicherungsschutzes gefährdet sei.
Das Einkommensniveau privat Krankenversicherter liege deutlich oberhalb des-
jenigen der gesetzlich Krankenversicherten. Die Einschätzungsprärogative des
Gesetzgebers sei nur auf der Grundlage einer hinreichenden Sachverhaltser-
mittlung eröffnet. Im Gesetzgebungsverfahren seien jedoch zur Frage einer Ge-
fährdung der Bezahlbarkeit des privaten Versicherungsschutzes keine privaten
Befunde erhoben worden. Die Erwägung des Gesetzgebers, ohne Einführung
des Arzneimittelrabatts zugunsten der privaten Krankenversicherungsunter-
nehmen sei zu befürchten, dass die Pharmaunternehmen Gewinneinbußen in-
folge des Zwangsrabatts im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu
Preiserhöhungen zu Lasten der privaten Krankenversicherungsunternehmen
nutzen könnten, entbehre gleichfalls der tatsächlichen Grundlage. Der Um-
stand, dass die Unternehmen der privaten Krankenversicherung großzügig Bei-
träge zurückerstatteten, belege, dass Prämienerhöhungen als solche kein taug-
licher Indikator für die Frage seien, ob die private Krankenversicherung noch
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bezahlbar sei. Eine Gemeinwohlorientierung sei jedenfalls nicht gegeben, weil
das Leistungsniveau der privaten Krankenversicherung außerhalb des Basis-
tarifs dasjenige der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich übersteige.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt dem
Gesetzgeber bei der Regelung der Berufsausübung insbesondere auf dem Ge-
biet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung eine weite Gestaltungs-
freiheit zu. Der dem Gesetzgeber zustehende weite Einschätzungs- und Beur-
teilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die gesetzgeberischen Er-
wägungen so fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für
derartige Maßnahmen abgeben können (vgl. BVerfGE 13, 97, 107; 77, 84, 106;
117, 163, 189; 121, 317, 354;
BVerfG, GesR 2013, 603, 605 = NZS 2013, 858;
vgl. auch Scholz in Maunz/Dürig aaO Art. 12 Rn. 336; BeckOK GG/Ruffert,
Art. 12 Rn. 98 [Stand 1. März 2015]).
Der mit § 1 AMRabG verfolgte Zweck, Kosten im Bereich der Arzneimittel
bei den privaten Krankenversicherungen einzusparen und dadurch einen güns-
tigeren Prämienverlauf für Privatversicherte zu erreichen, ist nach diesem Maß-
stab nicht zu beanstanden. Die Gewährleistung eines bezahlbaren Krankenver-
sicherungsschutzes in der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung
dient anerkanntermaßen dem Schutz wichtiger Interessen des Gemeinwohls
(BVerfGE 123, 186, 242; BVerfG, GesR 2013, 603, 605). Vor diesem Hinter-
grund ist nicht festzustellen, dass - wie von der Revision gerügt - die vom Ge-
setzgeber angestellten Erwägungen keine hinreichende Grundlage für die Re-
gelung des § 1 AMRabG darstellen.
Mit der Einführung des § 1 AMRabG bezweckte der Gesetzgeber, Ein-
sparungen im Bereich der von den Preisregulierungen des Sozialgesetzbuchs V
nicht erfassten, von Kostensteigerungen aber ebenfalls besonders stark be-
troffenen Arzneimittelausgaben in der privaten Krankenversicherung zu erzielen
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(vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom
10. November 2010, BT-Drucks. 17/3698, S. 60). Der Gesetzgeber befürchtete,
dass es ohne eine solche Regelung für den Bereich der nicht nach dem Sozial-
gesetzbuch V regulierten Arzneimittelpreise zu Ausweichbewegungen in Form
von Preiserhöhungen zulasten der privaten Krankenversicherung kommen wür-
de, die in der Vergangenheit bereits beobachtet wurden (BT-Drucks. 17/3698,
S. 61). Der Gesetzgeber ist weiter davon ausgegangen, dass die staatliche
Verantwortung für eine zweckmäßige und kostengünstige Gesundheitsversor-
gung in allen von der gesetzlichen Versicherungspflicht umfassten Versiche-
rungsverhältnissen besteht und eine entsprechende soziale Bedarfssituation
auch im Bereich der Privatversicherten mit vielen Beziehern kleiner und mittle-
rer Einkommen vor allem unter Selbständigen, Beihilfeberechtigten und Rent-
nern gegeben ist (BT-Drucks. 17/3698, S. 61; vgl. BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 37
- Abschlagspflicht I).
Diese gesetzgeberischen Annahmen vermag die Revision mit dem Hin-
weis auf eine in der Vergangenheit nicht zu verzeichnende erhebliche Prämien-
steigerung in der privaten Krankenversicherung oder ein höheres Einkommens-
niveau der Privatversicherten nicht zu erschüttern. Die von der Revision ange-
führten Umstände sind vielmehr mit der prognostischen Annahme des Gesetz-
gebers, die mit der Regelung des § 1 AMRabG bezweckte Gewährleistung der
zukünftigen Prämienstabilität sei in Ansehung der wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnisse der Privatversicherten angemessen, in tatsächlicher Hinsicht
durchaus vereinbar. Die Revision setzt hier lediglich ihre eigene Bewertung an
die Stelle des Gesetzgebers. Im Übrigen decken sich die Annahmen des Ge-
setzgebers mit den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellun-
gen des Landgerichts, dass nur etwa die Hälfte der Privatversicherten einer Er-
werbstätigkeit nachgeht und etwa 22% Rentner sind. Die Erwägung des Ge-
setzgebers, mit der Einführung des § 1 AMRabG vor dem Hintergrund der
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Preisregulierung nach § 130a SGB V Ausweichbewegungen der Pharmaher-
steller in Gestalt von Preiserhöhungen zu Lasten der privaten Krankenversiche-
rung zu verhindern, erweist sich - entgegen der Annahme der Revision - nicht
als sachwidrig. Darauf, ob solche Reaktionen in der Vergangenheit bereits be-
obachtet worden sind, wie die Revision in Zweifel zieht, kommt es nicht ent-
scheidend an.
Die Praxis der Beitragsrückerstattung spricht - entgegen der Ansicht der
Revision - ebenfalls nicht gegen die mit § 1 AMRabG verfolgte Zweckbestim-
mung. Das Instrument der Beitragsrückerstattung dient dazu, einen Anreiz zu
schaffen, Versicherungsleistungen nicht in Anspruch zu nehmen, um dadurch
eine kostendämpfende Wirkung zu erzielen. Die Revision legt nicht dar, warum
dies dagegen sprechen soll, dass der Gesetzgeber mit § 1 AMRabG seinerseits
eine kostendämpfende Maßnahme ergreift, die zudem bei einem Verzicht des
Versicherungsnehmers auf eine Kostenerstattung die Pharmaunternehmen
nicht belastet.
Der Angriff der Revision, § 1 AMRabG liege angesichts des Versor-
gungsniveaus der privaten Krankenversicherung, das außerhalb des Basistarifs
höher als dasjenige der gesetzlichen Krankenversicherung sei, keine hinrei-
chende Orientierung des Gemeinwohls zugrunde, vielmehr begünstige der Ge-
setzgeber rein private Interessen, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Das Argument,
die außerhalb des Basistarifs Privatversicherten seien finanziell leistungsfähig
und daher nicht schutzbedürftig, verfängt im Hinblick auf die bereits erwähnte
Zusammensetzung der Gesamtheit der Privatversicherten nicht. Diese sind viel-
fach Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, nur etwa zur Hälfte erwerbstätig
und zu ungefähr 22% Rentner. Der Schutz der Bevölkerung vor dem Risiko der
Erkrankung, das sich bei jedem und jederzeit realisieren und ihn mit unabseh-
baren Kosten belasten kann, zählt zu den Kerngeboten des Sozialstaats im
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Sinne des Art. 20 Abs. 1 GG (BVerfGE 123, 186, 242). Vor diesem Hintergrund
ist die von der Revision vertretene Differenzierung in der Schutzbedürftigkeit
gesetzlich und privat Krankenversicherter nicht sachgerecht (vgl. BGH, GRUR
2016, 93 Rn. 38 - Abschlagspflicht I).
Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der dauerhaften Funktionsfähigkeit
der privaten Krankenversicherung stellt sich als Annex des Postulats einer aus-
reichenden und bezahlbaren Gesundheitsversorgung der Versicherten dar (vgl.
BT-Drucks. 17/3698, S. 61). Diesem Ziel hat der Gesetzgeber in Anbetracht der
Einkommensstruktur der Privatversicherten nicht schon mit der Schaffung des
dualen Systems von gesetzlicher und privater Krankenversicherung abschlie-
ßend genügt. Der Zweck des § 1 AMRabG, Einsparungen im von Kostensteige-
rungen besonders stark betroffenen, nicht dem Sozialgesetzbuch V unterfallen-
den Bereich der Arzneimittelversorgung für Privatversicherte zu erzielen (vgl.
BT-Drucks. 17/3698, S. 60), ist gleichermaßen Bestandteil der legitimen Ab-
sicht, einen bezahlbaren privaten Krankenversicherungsschutz zu gewährleis-
ten (vgl. BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 39 - Abschlagspflicht I).
Die Revision vermag diese gesetzgeberische Berücksichtigung des Ge-
meinwohls auch mit dem Hinweis auf das höhere Versorgungsniveau in der
privaten Krankenversicherung nicht erfolgreich in Zweifel zu ziehen. Die nach
Auffassung der Revision zur Kosteneinsparung vorrangig vorzunehmende Re-
duzierung des Leistungsumfangs in der privaten Krankenversicherung bedeute-
te weitgehende Eingriffe in bestehende privatrechtliche Versicherungsverträge,
die als hoheitliche Eingriffe in privatautonom gestaltete Vertragsverhältnisse
spezifischen, dem jeweilig betroffenen Grundrecht zu entnehmenden verfas-
sungsrechtlichen Rechtfertigungsvoraussetzungen unterlägen (vgl. BVerfGE
89, 48, 61; 88, 384, 403; Di Fabio in Maunz/Dürig aaO Art. 2 Rn. 101 mwN
[Stand 75. Ergänzungslieferung September 2015]). Da dem Gesetzgeber bei
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der Regelung der Berufsausübung insbesondere auf dem Gebiet der Arbeits-
markt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung ein weiter Gestaltungsspielraum zu-
kommt (oben Rn. 30), ist die Entscheidung des Gesetzgebers, anstelle von an-
deren denkbaren Maßnahmen - etwa Eingriffen in Privatversicherungsverhält-
nisse - Kosteneinsparungen durch eine die Arzneimittelhersteller belastende
Abschlagspflicht zu realisieren, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die verfassungsrechtliche Legitimität des vom Gesetzgeber verfolgten
Ziels, bezahlbaren privaten Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten, wird
- entgegen der Ansicht der Revision - durch die Verpflichtung des Staates zur
amtsangemessenen Besoldung und Versorgung seiner Beamten ("Alimentati-
onsprinzip") nicht berührt. Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass die amts-
angemessene Alimentation auch die Kosten einer Krankenversicherung um-
fasst, die zur Abwendung krankheitsbedingter, durch Leistungen aufgrund der
Fürsorgepflicht nicht ausgeglichener Belastungen erforderlich ist (vgl. BVerfGE
83, 89, 98; 106, 225, 233; BVerfG, Beschluss vom 17. November 2015
- 2 BvL 19/09, 2 BvL 20/09, 2 BvL 5/13, 2 BvL 20/14, Rn. 105, juris). Zum einen
zählen zu den Privatversicherten nicht nur Beamte, sondern auch Selbständige
und Rentner ohne beamtenrechtliche Versorgungsansprüche. Zum anderen
liegt es im weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers,
zum Zwecke der Gewährleistung der Prämienstabilität in der privaten Kranken-
versicherung durch eine Abschlagspflicht auf Arzneimittelpreise die Arzneimit-
telhersteller heranzuziehen.
(2) Weiteres legitimes gesetzgeberisches Ziel des § 1 AMRabG ist die
Schonung der öffentlichen Haushalte. Diese Zwecksetzung kommt in der An-
spruchsberechtigung der Beihilfeträger in § 1 Satz 1 AMRabG zum Ausdruck. In
der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Schonung
der öffentlichen Kassen im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG eine vernünftige Er-
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wägung des Gemeinwohls darstellt, die Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit
rechtfertigen kann (vgl. BVerfGE 33, 240, 246; 101, 331, 349). Lediglich für den
Fall der Einschränkung der Berufswahlfreiheit kommt dem fiskalischen Argu-
ment der Erhöhung staatlicher Einnahmen oder der Verminderung von Ausga-
ben allein kein hinreichendes Gewicht zu (BVerfGE 102, 197, 216; 115, 276,
307). Um einen Fall der Beschränkung der Freiheit der Berufswahl geht es vor-
liegend aber nicht (vgl. BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 40 - Abschlagspflicht I).
cc) Die aus Gründen des Gemeinwohls nicht zu umgehenden Einschrän-
kungen der Berufsausübungsfreiheit stehen unter dem Gebot der Verhältnis-
mäßigkeit (vgl. BVerfGE 121, 317, 346). Der Eingriff muss zur Erreichung des
damit verbundenen Ziels geeignet sein (dazu B II 1 b dd) und darf nicht weiter-
gehen, als dies zur Verwirklichung der Belange des Gemeinwohls erforderlich
ist (dazu B II 1 b ee). Der Eingriff darf weiter nicht übermäßig belastend sein, so
dass bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und der
Bedeutung der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit ein-
gehalten ist (dazu B II 1 b ff).
dd) Zur Erreichung des in Rede stehenden Zwecks ist die Regelung des
§ 1 AMRabG geeignet.
(1) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, § 1 AMRabG sei bei Berück-
sichtigung des gesetzgeberischen Ermessensspielraums zur Zweckerreichung
geeignet. Es erscheine jedenfalls möglich, dass die Abschläge einem Anstieg
der Versichertenbeiträge entgegenwirkten.
(2) Diese Beurteilung hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
Im Rahmen der Prüfung, ob sich eine gesetzgeberische Maßnahme für
die Zweckverfolgung eignet, ist der tendenziell weiten Einschätzungsprärogati-
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ve des Gesetzgebers Rechnung zu tragen. Die Eignung einer Maßnahme ist
gegeben, wenn sie auf der Basis einer sachgerechten und vertretbaren An-
nahme des Gesetzgebers zur Zweckerreichung geeignet erscheint (vgl.
BVerfGE 25, 1, 17 ff.; 57, 139, 160; 77, 308, 332; 103, 293, 307; 115, 276, 308;
Scholz in Maunz/Dürig aaO Art. 12 Rn. 336, 340).
Nach diesem Maßstab ist § 1 AMRabG zur Erreichung des Normzwecks
geeignet. Der den privaten Krankenversicherungsunternehmen und Beihilfeträ-
gern zugutekommende Abschlag auf die Abgabepreise wirkt - bezogen auf die
Unternehmen der privaten Krankenversicherung - wegen der in § 1 Satz 4
AMRabG angeordneten Zweckbindung der Mittel stabilisierend auf die Versi-
cherungsbeiträge. Dies zeigt auch das von der Revision dargestellte, mithilfe
der Abschläge erreichte Einsparvolumen von 161 Millionen
€ im Jahr 2011. Die
Revision verweist selbst darauf, dass die Steigerung der Arzneimittelkosten
durch diese Einsparungen um 6,7% geringer ausgefallen sei als im Vorjahr.
Die Revision zieht mit dem Hinweis auf die in § 12b Abs. 2 VAG geregel-
te Verpflichtung, die Prämien erst bei einer Kostenveränderung von mehr als
10% anzupassen, die Wirksamkeit der Arzneimittelrabatte zur Prämienstabili-
sierung ohne Erfolg in Zweifel. Die Regelung des § 1 AMRabG ist schon dann
zur Zweckerreichung geeignet, wenn die auf ihrer Grundlage erhobenen Ab-
schläge dazu führen, dass der Grenzwert für eine Kostensteigerung nicht oder
zu einem späteren Zeitpunkt erreicht wird (vgl. BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 53
- Abschlagspflicht I).
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ee) Ohne Erfolg greift die Revision die weitere Annahme des Berufungs-
gerichts an, dass § 1 AMRabG zur Erreichung der mit dieser Vorschrift verfolg-
ten Ziele erforderlich ist.
(1) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es fehle nicht deshalb an der
Erforderlichkeit, weil es andere Mittel innerhalb des Krankenversicherungs-
systems gebe, die andere Personen weniger belasteten als die konkret heran-
gezogene Gruppe. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel sei nicht ersichtlich.
Auch hier sei der weite Ermessensspielraum des Gesetzgebers nicht über-
schritten.
(2) Diese Beurteilung ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstan-
den.
Im Sinne der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist eine Maßnahme, wenn
sie das mildeste unter gleich geeigneten Mitteln darstellt und deshalb weniger
belastende, aber gleichermaßen geeignete Mittel nicht zur Verfügung stehen
(BVerfGE 136, 382 Rn. 16). In diesem Zusammenhang ist ebenfalls der Beur-
teilungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers bei der Verfolgung sozial-
oder wirtschaftspolitischer Ziele zu berücksichtigen. Eine Maßnahme, die der
Gesetzgeber für erforderlich hält, ist verfassungsrechtlich erst zu beanstanden,
wenn nach den dem Gesetzgeber bekannten Tatsachen und im Hinblick auf
bisher gemachte Erfahrungen festzustellen ist, dass andere in Betracht kom-
mende Beschränkungen die gleiche Wirksamkeit versprechen, die Betroffenen
jedoch weniger belasten (vgl. BverfGE 115, 276, 309 mwN). Solche anderweiti-
gen Beschränkungen sind - jedenfalls bei der Verfolgung eines komplexen Ziels
(vgl. BverfG, VersR 2004, 898) - stets mit Blick auf die konkret betroffene Grup-
pe zu untersuchen; das Argument, andere Mittel innerhalb des Systems belas-
teten andere Personen weniger, spricht in einer solchen Konstellation nicht ge-
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gen die Erforderlichkeit der gewählten Maßnahme (vgl. BverfG, VersR 2004,
898, 900).
(3) Die Absicht des Gesetzgebers, die genannten Ziele gerade durch ei-
ne Begrenzung der besonders stark gestiegenen Arzneimittelkosten zu verfol-
gen, hält sich im Rahmen der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative.
Der Hinweis auf anderweitig und zu Lasten anderer Betroffener bestehende
Einsparmöglichkeiten vermag die Erforderlichkeit der angegriffenen Maßnahme
im Rahmen des vorliegend verfolgten, komplexen Ziels der Sicherstellung einer
bezahlbaren privaten Krankenversicherung nicht zu widerlegen (vgl. BGH,
GRUR 2016, 93 Rn. 52 - Abschlagspflicht I).
Ohne Erfolg macht die Revision geltend, ein milderes, aber gleich wirk-
sames Mittel stelle die Methode dar, die Arzneimittelrabatte für den Fall rück-
zahlbar auszugestalten, wenn im Nachhinein festgestellt werde, dass der
Schwellenwert nach § 12b Abs. 2 VAG nicht erreicht sei. Dann stehe fest, dass
die Einnahmen aus den Abschlägen ausschließlich in die Gewinne oder Über-
schüsse der Versicherungsunternehmen geflossen seien und der vom Gesetz-
geber bezweckte Erfolg nicht erreicht worden sei.
Dem kann aus dem bereits ausgeführten Grund nicht gefolgt werden,
dass die Arzneimittelrabatte nach § 1 AMRabG im Rahmen der nach § 12b
Abs. 2 VAG anzustellenden Berechnung dazu führen können, dass der Grenz-
wert für Prämienerhöhungen von 10% nicht oder erst später überschritten wird
(s.o. B II 2 b dd (2) Rn. 45). Allein weil der Schwellenwert des § 12b Abs. 2
VAG innerhalb eines Jahres nicht erreicht ist, kann also nicht gefolgert werden,
der Zweck des Arzneimittelrabatts - die Prämienstabilität - sei verfehlt worden.
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ff) Die Revision hat weiter keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die An-
nahme des Berufungsgerichts wendet, § 1 AMRabG sei im engeren Sinne ver-
hältnismäßig.
(1) Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die entsprechenden
Ausführungen im Urteil des Landgerichts angenommen, das mit § 1 AMRabG
verfolgte Ziel, einen bezahlbaren Versicherungsschutz für alle privat Kranken-
versicherten zu gewährleisten, habe erhebliches Gewicht. Allerdings werde der
Eingriff dadurch verstärkt, dass Selbstbehalte gemäß § 1 Satz 3 AMRabG bei
der Berechnung der Abschläge unberücksichtigt blieben, mithin die pharmazeu-
tischen Unternehmer im Einzelfall Abschläge zu entrichten hätten, die den tat-
sächlich vom Kostenträger übernommenen Erstattungsbetrag überstiegen. Es
sei aber nicht angemessen, in diesem Zusammenhang Ausnahmefällen allzu
viel Gewicht zuzubilligen, denn einerseits müsse das Gesamtsystem im Auge
behalten werden, andererseits sei die Beklagte auch in diesen Ausnahmefällen
nicht wirtschaftlich nachteiliger als sonst betroffen, weil bei ihr jedenfalls der um
den Abschlag verminderte Arzneimittelpreis verbleibe. Insgesamt erweise sich
der Eingriff im Hinblick auf die verfolgten Ziele nicht als unzumutbar. Es sei zu
berücksichtigen, dass die pharmazeutischen Unternehmer aus der Zweiglied-
rigkeit des deutschen Krankenversicherungssystems durchaus Vorteile erlang-
ten. Auch die steuerliche Ungleichbehandlung der Abschläge nach § 1
AMRabG einerseits und nach § 130a SGB V andererseits sowie die Ausgestal-
tung des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 2 AMRabG begründeten keine Un-
zumutbarkeit.
(2) Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
Eine Maßnahme ist verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn der Eingriff
in die Freiheit der Berufsausübung bei einer Gesamtabwägung zwischen der
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Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe für
den Betroffenen noch zumutbar ist, also nicht außer Verhältnis zum verfolgten
Zweck steht (BVerfGE 30, 292, 316 f.; 46, 120, 148; 85, 248, 261; 102, 197,
220). Je enger der Bezug einer gesetzgeberischen Maßnahme zu einem
Schutzgut ist, desto eher lassen sich Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit
verfassungsrechtlich rechtfertigen; besteht hingegen nur ein entfernter Zusam-
menhang zwischen grundrechtlicher Beschränkung und Gemeinschaftsgut, so
kann dieses nicht generell Vorrang vor der Berufsausübungsfreiheit beanspru-
chen (BVerfGE 85, 248, 261; 107, 186, 197; Mann in Sachs, GG, 7. Aufl., Art.
12 Rn. 144). Bei der Prüfung, ob eine die Berufsausübung betreffende gesetzli-
che Regelung zumutbar ist, ist nicht ohne weiteres die individuelle Interessen-
lage des jeweiligen Betroffenen Maßstab der dem Gemeinwohl gegenüberzu-
stellenden Interessen. Vielmehr ist eine generalisierende Betrachtungsweise
geboten, die auf den betroffenen Wirtschaftszweig oder die betroffene Berufs-
gruppe insgesamt abstellt (BVerfGE 30, 292, 315; 68, 193, 219; 70, 1, 30).
(3) Die Würdigung des Berufungsgerichts entspricht diesen Maßstäben.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass angesichts der
erheblichen Bedeutung des mit § 1 AMRabG verfolgten Ziels - der Beitragssta-
bilisierung in der privaten Krankenversicherung - die mit dieser Vorschrift ver-
bundene Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit der Beklagten nicht un-
verhältnismäßig ist (vgl. BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 59 - Abschlagspflicht I).
(4) Die Revision rügt erfolglos, die Regelung des § 1 AMRabG sei unzu-
mutbar, weil die pharmazeutischen Unternehmen durch das Abrechnungssys-
tem gemäß § 2 AMRabG zusätzlich belastet würden. Sie seien einer Zahlungs-
frist von nur zehn Tagen ausgesetzt und es bestünden nur geringe Überprü-
fungsmöglichkeiten. Zudem werde den Pharmaunternehmen das Insolvenzrisi-
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ko der privaten Krankenversicherungen während des Zeitraums der Klärung
umstrittener Abschlagsforderungen aufgebürdet.
Der Einzug der Abschläge obliegt nach § 2 Satz 1 AMRabG einer zentra-
len Stelle, die von den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und den
Beihilfeträgern bei dem Verband der privaten Krankenversicherung zu bilden
ist. Hierbei handelt es sich um die Zentrale Stelle zur Abrechnung von Arznei-
mittelrabatten GmbH (ZESAR). Nach § 2 Satz 2 AMRabG übermittelt die zen-
trale Stelle oder eine von dieser beauftragte Stelle zum Nachweis des Ab-
schlags die Pharmazentralnummer des abgegebenen Arzneimittels, das Abga-
bedatum, das Apothekenkennzeichen und den Anteil der Kostentragung ma-
schinenlesbar an die pharmazeutischen Unternehmer. Diese haben die Ab-
schläge innerhalb von zehn Tagen nach Geltendmachung des Anspruchs zu
erstatten (§ 2 Satz 3 AMRabG). Weitere Einzelheiten zur Abrechnung und Zah-
lungsfrist können die Beihilfeträger und der Verband der privaten Krankenversi-
cherung mit den Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer
abweichend vom Arzneimittelrabattgesetz vereinbaren (§ 2 Satz 4 AMRabG).
Gemäß § 3 Satz 1 AMRabG können die pharmazeutischen Unternehmer in be-
gründeten Fällen sowie in Stichproben die Abrechnung der Abschläge durch
einen Treuhänder überprüfen lassen.
Das in § 1 AMRabG festgelegte Abrechnungssystem ist, wie das Beru-
fungsgericht zu Recht ausgeführt hat, darauf ausgelegt, die Erhebung des Arz-
neimittelrabatts als Massengeschäft im Wege einer einfachen Verfahrensgestal-
tung und unter Aufrechterhaltung des Schutzes personenbezogener Daten der
Versicherungsnehmer sicherzustellen. Die Revision zieht die vom Berufungsge-
richt in Bezug genommene Feststellung des Landgerichts, dass den Pharmaun-
ternehmen im Hinblick auf Abrechnungsfehler durch das in § 3 AMRabG vorge-
sehene Treuhänderverfahren hinreichend effektive Kontrollmöglichkeiten einge-
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räumt sind, nicht substantiiert in Zweifel. Unzumutbar wird diese Regelung auch
nicht deshalb, weil die Pharmaunternehmer innerhalb einer kurzen Frist die Ab-
schläge zahlen müssen und im Hinblick auf etwaige Rückforderungen das In-
solvenzrisiko der privaten Versicherungsunternehmen tragen müssen. Im Hin-
blick auf die über Versicherungsunternehmen ausgeübte Versicherungsaufsicht
fällt das von der Revision angeführte Insolvenzrisiko im Rahmen der Zumutbar-
keitsbetrachtung nicht maßgeblich ins Gewicht. Gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 und
5 VAG aF/§ 294 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 VAG nF bezieht sich die über Versiche-
rungsunternehmen geführte Finanzaufsicht auf die dauernde Erfüllbarkeit der
Verpflichtungen aus den Versicherungen und hierbei insbesondere auf die Bil-
dung ausreichender versicherungstechnischer Rückstellungen und die Anlage
in entsprechenden geeigneten Vermögenswerten, die Einhaltung der kaufmän-
nischen Grundsätze einschließlich einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisa-
tion, auf die Solvabilität sowie die langfristige Risikotragfähigkeit der Unterneh-
men und die Einhaltung der übrigen finanziellen Grundlagen des Geschäftsbe-
triebs. Durch diese Finanzaufsicht wird dem von der Revision angeführten In-
solvenzrisiko maßgeblich entgegengewirkt.
(5) Die Revision rügt weiter ohne Erfolg, dass das Berufungsgericht im
Rahmen der Zumutbarkeitsbetrachtung darauf abgestellt hat, pharmazeutische
Unternehmen profitierten von der Zweigliedrigkeit des deutschen Krankenversi-
cherungssystems. Die Revision macht geltend, der Verkauf von Arzneimitteln
an Privatversicherte sei in der marktwirtschaftlichen Ordnung kein besonderer
Vorteil, sondern der nicht begründungsbedürftige Regelfall; hingegen bedürften
die mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung einhergehenden
Marktbeschränkungen der Begründung.
Mit dieser Rüge vermag die Revision nicht durchzudringen. Das Beru-
fungsgericht hat mit der angegriffenen Feststellung die Ausführungen im Urteil
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des Landgerichts in Bezug genommen, wonach sich die private Krankenversi-
cherung mit Blick etwa auf den gegenüber der gesetzlichen Krankenversiche-
rung weitergehenden Leistungsumfang sowie den höheren Anteil an der Ver-
schreibung von Originalpräparaten anstelle von Generika für die Pharmaher-
steller als vorteilhaftes Geschäftsfeld erweist. Diese Feststellungen greift die
Revision nicht an. Die Instanzgerichte haben hier in rechtlich nicht zu bean-
standender Weise bei der Beurteilung der Frage, ob die Berufsausübungsrege-
lung des § 1 AMRabG im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG zumutbar ist, den
durch § 1 AMRabG bewirkten nachteiligen Folgen für die Pharmaunternehmen
Vorteile des betroffenen Geschäftsfelds gegenübergestellt.
(6) Der Einwand der Revision, es fehle an verlässlichen tatsächlichen
Feststellungen zu der vom Gesetzgeber befürchteten Ausweichbewegung der
Pharmahersteller in Gestalt von Preiserhöhungen zu Lasten der privaten Kran-
kenversicherung, greift mit Blick auf die insoweit bestehende Einschätzungs-
prärogative des Gesetzgebers nicht durch (dazu bereits B II 1 b bb Rn. 30).
(7) Ohne Erfolg wendet sich die Revision weiter gegen die Annahme des
Berufungsgerichts, die Modalitäten der Abschlagsberechnung, das Bestehen
einer Abschlagspflicht bei nur teilweiser Kostenerstattung durch die private
Krankenversicherung und Beihilfeträger verstärkten den Grundrechtseingriff
nicht in einer Weise, dass die angegriffene Regelung die Zumutbarkeitsgrenze
überschreitet.
Die Pflicht der pharmazeutischen Unternehmen, die Abschläge gemäß
§ 1 AMRabG auch dann zu bezahlen, wenn die privaten Versicherungsunter-
nehmen oder Beihilfeträger die Arzneimittelkosten nur teilweise erstatten, führt
im Rahmen der Gesamtabwägung ebenfalls nicht zu der Feststellung, dass die
angegriffene Regelung die Beklagte unzumutbar belastet (vgl. BGH, GRUR
2016, 93 Rn. 66 ff. - Abschlagspflicht I).
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Die Abschlagspflicht entsteht gemäß § 1 Satz 1 AMRabG, wenn Arznei-
mittelkosten ganz oder teilweise erstattet werden. Voraussetzung der Pflicht zur
Gewährung von Abschlägen ist die tatsächliche Übernahme von Kosten. In den
Gesetzesmaterialien heißt es dazu (Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Gesundheit vom 10. November 2010 aaO S. 61):
Voraussetzung eines Abschlagsanspruchs ist, dass die Anspruchsberechtigten
auch tatsächlich Kosten übernommen haben. Der Abschlagsanspruch gilt nur
für die Träger der Kosten im Rahmen einer Absicherung im Krankheitsfall, nicht
jedoch für Versicherte selbst, so dass für Arzneimittel, deren Kosten - etwa auf-
grund eines Selbstbehalts - nicht geltend gemacht werden, auch kein Abschlag
zu gewähren ist. Damit wird das Prinzip der Kostenerstattung im Bereich der
privaten Krankenversicherung und der Beihilfe berücksichtigt und dem Zweck
der Entlastung der Kostenträger Rechnung getragen.
An der Zumutbarkeit einer Abschlagsgewährung bei nur teilweiser Kos-
tenerstattung ändert auch die rückwirkende Einführung des § 1 Satz 3 AMRabG
nF nichts. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die rückwirkende Einführung der
Bestimmung als notwendig angesehen. Dazu heißt es in den Gesetzesmateria-
lien (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom
6. Juni 2013, BT-Drucks. 17/13770, S. 25 f.):
Mit der Regelung wird - der ursprünglichen Gesetzesintention des Arzneimittel-
marktneuordnungsgesetzes (AMNOG) folgend - klargestellt, dass auch bei Ver-
sicherten mit absoluter oder prozentualer Selbstbeteiligung den Kostenträgern
zusammen die Abschlagszahlung in voller Höhe zu gewähren ist. Bei den an
der Umsetzung des AMRabG Beteiligten sind insoweit Unsicherheiten im Ge-
setzesverständnis aufgekommen.
(...)
Nach § 1 Satz 1 AMRabG haben die pharmazeutischen Unternehmer der PKV
und Beihilfe die Herstellerabschläge nach dem Anteil der Kostentragung zu ge-
währen. Dabei geht es um die Aufteilung der Kostentragung zwischen PKV und
Beihilfe, die vom Status des Beihilfeempfängers abhängt. Eine besondere Be-
rücksichtigung von Selbstbehalttarifen hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen.
Selbst- oder Eigenbehalte beziehen sich in der Regel auf mehr als einen Leis-
tungsbereich. Deshalb wäre es zufällig und hinge von der Reihenfolge der vom
Versicherten eingereichten Rechnungen ab, ob und in welcher Höhe die Her-
stellerabschläge gewährt würden. Darüber hinaus tragen die Versicherten bis
zur Höhe der Selbstbeteiligung die gesamten Arzneimittelkosten ohne Berück-
sichtigung der Herstellerabschläge.
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Die Abschläge fallen also stets in voller Höhe an, wenn die Kostenträger
Arzneimittelkosten ganz oder - dies ist der Regelungsgehalt des neuen Sat-
zes 3 von § 1 AMRabG - aufgrund von Selbstbehalten nur teilweise erstattet
haben. In diesem Fall ist der Abschlag im Innenverhältnis zwischen privaten
Krankenversicherungsunternehmen und Beihilfeträgern "nach dem Anteil der
Kostentragung" aufzuteilen. Hingegen bleibt es dabei, dass kein Abschlag zu
zahlen ist, wenn - etwa aufgrund von betragsmäßig bestimmten Selbstbehalten
- die Kostenträger keine Kosten für das Arzneimittel erstattet haben. Diese Re-
gelung kann also dazu führen, dass private Krankenversicherungsunternehmen
oder Beihilfeträger Arzneimittelkosten nur teilweise erstattet haben, jedoch der
Abschlag in voller Höhe anfällt.
Der in der Beschlussempfehlung (BT-Drucks. 17/13770, S. 25 f.) bezo-
gen auf den internen Ausgleich zwischen privaten Versicherungsunternehmen
und Beihilfeträgern als unerwünscht beschriebene Befund, dass es ohne die
neue Regelung vom Zufall oder der Reihenfolge der Belegeinreichung abhängt,
ob und in welcher Höhe der Abschlag anfällt, besteht durch die neue Regelung
bezogen auf die Abschlagspflicht der pharmazeutischen Unternehmer dem
Grunde nach - allerdings beschränkt auf anteilige Selbstbehalte - damit fort. Nur
bei anteiligen Selbstbehalten besteht die Pflicht zur Abschlagsgewährung. An-
gesichts des erheblichen Gewichts der mit § 1 AMRabG verfolgten Ziele ist die
aus der fehlenden Berücksichtigung anteiliger Selbstbehalte folgende Belastung
der pharmazeutischen Unternehmen als zumutbar zu beurteilen (vgl. BGH,
GRUR 2016, 93 Rn. 70 - Abschlagspflicht I). Die von der Revision als beson-
ders belastend gerügte Wirkung der Maßnahme erschöpft sich darin, dass bei
teilweiser Kostenerstattung der volle Abschlag anfällt, während keine Abschläge
zu zahlen sind, wenn die Arzneimittelkosten vollständig vom Privatversicherten
getragen werden.
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Dem Einwand der Beklagten, bei fehlender Kostenerstattung verschaffe
der Abschlag den privaten Krankenversicherungen schlicht zusätzliche Ein-
nahmen auf Kosten der pharmazeutischen Unternehmer, ist entgegenzuhalten,
dass die aufgrund des Abschlags eingenommenen Mittel gemäß § 1 Satz 4
AMRabG ausschließlich zur Vermeidung oder Begrenzung von Prämienerhö-
hungen oder zur Prämienermäßigung verwendet werden dürfen, so dass die
Wahrung des gesetzgeberischen Zwecks sichergestellt ist (vgl. BGH, GRUR
2016, 93 Rn. 71 - Abschlagspflicht I).
Die Auferlegung der Abschlagspflicht zugunsten der Beihilfeträger ist im
Hinblick auf das Gewicht des gesetzgeberischen Ziels, die öffentlichen Kassen
zu schonen, ebenfalls nicht unzumutbar. Die pharmazeutischen Unternehmer
werden nicht zu beliebigen fiskalischen Zwecken zur Zahlung einer Abgabe
herangezogen, sondern ihnen wird als auf die Arzneimittelpreise maßgeblich
einwirkenden Beteiligten ein Beitrag zur Verminderung der Steigerung oder zur
Senkung dieses Kostenfaktors abverlangt, sofern die Beihilfeträger Arzneimit-
telkosten an die Beihilfeberechtigten erstatten. Auch hier besteht ein innerer
Zusammenhang zwischen der Auferlegung der Abschlagspflicht und dem ver-
folgten Zweck, der die Annahme der Unzumutbarkeit ausschließt (vgl. BGH,
GRUR 2016, 93 Rn. 73 - Abschlagspflicht I). Die Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts, dass allein fiskalische Erwägungen einen Eingriff in die
Freiheit der Berufswahl nicht rechtfertigen (vgl. BVerfGE 102, 197, 216; 115,
276, 307), steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Vorliegend handelt es sich
lediglich um eine Berufsausübungsregelung. Zudem ist die Abschlagspflicht
nicht allgemein fiskalisch begründet, sondern soll der Steigerung gerade derje-
nigen von der öffentlichen Hand zu tragenden Kosten entgegenwirken, die die
Beihilfeträger für Arzneimittel zu erstatten haben (vgl. BGH, GRUR 2016, 93
Rn. 73 - Abschlagspflicht I).
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- 31 -
(8) Die Revision macht weiter ohne Erfolg geltend, dass die Regelung
des § 1 AMRabG unzumutbar sei, weil hier Dritte zur Stabilisierung von Versi-
cherungsprämien herangezogen würden, ohne dass die am Versicherungsver-
hältnis Beteiligten zuvor Anstrengungen zur Kosteneinsparung - etwa in Form
von Leistungseinschränkungen, Zuzahlungsverpflichtungen oder der Verminde-
rung von Beitragsrückerstattungen - unternommen hätten. Die Unzumutbarkeit
folge ebenfalls daraus, dass nur eine einzige Personengruppe sehr hoch belas-
tet werde, anstatt die Belastung auf mehrere Personengruppen - unter Ein-
schluss der für den Kostenanfall im Gesundheitswesen besonders wichtigen
Ärzte - zu verteilen.
Zur Zahlungspflicht nach § 1 AMRabG werden nicht beliebige Wirt-
schaftsteilnehmer herangezogen, sondern die pharmazeutischen Unternehmer,
die durch die Möglichkeit zur freien Bestimmung des Abgabepreises für Arz-
neimittel (vgl. Rehmann, AMG, 4. Aufl., § 78 Rn. 1; Sandrock/Nawroth in Die-
ners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, § 9 Rn. 153) Einfluss auf die Arz-
neimittelkosten haben. Es besteht mithin ein innerer Zusammenhang zwischen
der wirtschaftlichen Tätigkeit der pharmazeutischen Unternehmer und der durch
§ 1 AMRabG angeordneten Abschlagspflicht, der die Heranziehung der phar-
mazeutischen Unternehmer auch im Hinblick auf andere von der Revision für
möglich und wirksam erachtete Handlungsmöglichkeiten der am Versiche-
rungsverhältnis Beteiligten zur Kostensenkung nicht als übermäßige Belastung
erscheinen lässt. Angesichts dieses inneren Zusammenhangs steht der Um-
stand, dass Kosteneinsparungen durch die Einbeziehung weiterer Leistungser-
bringer des Gesundheitswesens erzielbar wären, der Annahme der Zumutbar-
keit der Belastung durch § 1 AMRabG nicht entgegen.
(9) Die Revision macht ohne Erfolg geltend, § 1 AMRabG beinhalte eine
unzumutbare Regelung, weil eine Übertragung des Abschlags der gesetzlichen
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Krankenversicherung auf die private Krankenversicherung unangebracht sei,
weil sich der Abschlag in der gesetzlichen Krankenversicherung, auf die 90%
aller Versicherten entfielen, lediglich als moderater Mengenrabatt erweise.
Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung auf
einen solchen Aspekt nicht gestützt hat, spricht nichts gegen die Angemessen-
heit eines Rabatts, durch den über den Bereich der gesetzlichen Krankenversi-
cherung mit 90% der Versicherten hinaus der Markt der verbleibenden 10% der
Privatversicherten umfasst wird (vgl. BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 76 - Abschlags-
pflicht I).
(10) Soweit die Revision rügt, die Unzumutbarkeit des § 1 AMRabG folge
aus dem Umstand, dass der mit der Abschlagspflicht verbundene Eingriff von
hohem Gewicht sei und die Härtefallregelung des § 130a Abs. 4 SGB V, wenn
überhaupt, erst bei einer Gefährdung der finanziellen Leistungsfähigkeit des
Unternehmens eingreife, bleibt auch dieser Einwand ohne Erfolg.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob - wie das Berufungsgericht unter Be-
zugnahme auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Landgerichts
angenommen hat - die Härtefallvorschrift des § 130a Abs. 4 SGB V auf die Ab-
schlagspflicht nach § 1 AMRabG anwendbar ist. Der Hinweis der Revision da-
rauf, dass sich § 1 AMRabG erheblich auf die Unternehmensgewinne der Be-
klagten auswirke, bleibt schon deshalb erfolglos, weil bei der Beurteilung der
Zumutbarkeit einer wirtschaftsordnenden gesetzlichen Regelung im Bereich der
Berufsausübung nicht die Interessenlage des Einzelnen maßgebend ist, son-
dern es auf eine generalisierende Betrachtungsweise des betreffenden Wirt-
schaftszweigs insgesamt ankommt. Die Möglichkeit, dass eine gesetzliche
Maßnahme im Einzelfall die Existenz eines Unternehmens gefährden oder so-
gar zu seinem Ausscheiden aus dem Markt führen könnte, rechtfertigt es noch
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- 33 -
nicht, sie unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit von Verfassungs wegen
zu beanstanden (vgl. BVerfGE 30, 292, 316; 68, 193, 220; 70, 1, 30).
Abgesehen davon hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass die
Abschlagspflicht für die Beklagte oder die Gesamtheit der pharmazeutischen
Unternehmer existenzgefährdend wirkt. Die Revision macht auch nicht geltend,
dass das Berufungsgericht entsprechenden Vortrag der Beklagten übergangen
hätte. Daher bestehen auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestell-
ten Sachverhalts, der im Revisionsverfahren zugrunde zu legen ist, keine An-
haltspunkte, der Abschlag überfordere die Beklagte oder die pharmazeutische
Industrie insgesamt wirtschaftlich oder gefährde sie in ihrem Bestand.
Das Berufungsgericht hat die Schwere des Eingriffs in die Berufsaus-
übungsfreiheit der Beklagten zutreffend bewertet und dabei den Aspekt der Hö-
he des zu zahlenden Abschlags in die Gesamtabwägung einbezogen. Dazu hat
es ausgeführt, die aufgrund der angegriffenen Regelung zunächst geltende Ab-
schlagshöhe von zunächst 16% und aktuell 7% sei zwar erheblich, führe jedoch
im Ergebnis nicht zur Unzumutbarkeit des § 1 AMRabG. Das ist aus Rechts-
gründen nicht zu beanstanden.
2. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, § 1 AMRabG sei mit dem
Grundrecht der Beklagten aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Dieses Grund-
recht der Beklagten ist nicht verletzt, so dass es auch insoweit keiner Vorlage
des Rechtsstreits an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1
Satz 1 GG bedarf.
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a) Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen im
Urteil des Landgerichts angenommen, es liege kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1
GG darin, dass die Abschlagspflicht nach § 1 AMRabG nur die pharmazeuti-
schen Unternehmer und nicht andere Leistungserbringer des Gesundheitswe-
sens, etwa Ärzte, treffe. Es handele sich bei den Leistungserbringern nicht um
eine homogene Gruppe, sondern zwischen ihnen bestünden Unterschiede, die
eine unterschiedliche gesetzliche Behandlung ermöglichten.
b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
aa) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches
gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Die Vorschrift schützt
also vor sachlich nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlung vergleichbarer
Sachverhalte und vor der Gleichbehandlung nicht vergleichbarer Sachverhalte
(BVerfGE 83, 1, 23; 89, 132, 141; 126, 400, 416; Sachs/Osterloh/Nußberger
aaO Art. 3 Rn. 8 ff.; Jarass/Pieroth aaO Art. 3 Rn. 7 f.). Grundrechtsträger sind
gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch juristische Personen des Privatrechts (BVerfGE
35, 348, 357; Sachs/Osterloh/Nußberger aaO Art. 3 Rn. 72). Um zu prüfen, ob
eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte vorliegt, sind
Vergleichsgruppen zu bilden (vgl. BVerfGE 130, 151, 175; Jarass/Pieroth aaO
Art. 3 Rn. 7).
bb) Die Regelung des § 1 AMRabG verletzt das Grundrecht der Beklag-
ten aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht.
Es kann offen bleiben, ob - wie die Revision rügt - das Berufungsgericht
unter Bezugnahme auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Land-
gerichts zu Recht angenommen hat, dass es schon an der Vergleichbarkeit der
zu regelnden Sachverhalte - Arzneimittelversorgung durch pharmazeutische
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Unternehmer einerseits, Tätigkeit anderer Leistungserbringer im Gesundheits-
wesen, etwa der ambulanten Ärzte, andererseits - fehle, weil die durch § 1
AMRabG betroffenen pharmazeutischen Unternehmer und andere Leistungser-
bringer des Gesundheitswesens nicht derselben Vergleichsgruppe angehörten.
Jedenfalls ist angesichts der vom Gesetzgeber beobachteten besonde-
ren Kostensteigerungen im Arzneimittelbereich die alleinige Belastung der
pharmazeutischen Unternehmer durch § 1 AMRabG als sachlich gerechtfertigt
anzusehen. Diese Kostensteigerungen stehen im Zusammenhang mit der Tä-
tigkeit der pharmazeutischen Unternehmer. Es erscheint sachgerecht und liegt
im Interesse eines zielgerichteten Kostenmanagements, Maßnahmen zur Kos-
teneinsparung im Gesundheitswesen nach einzelnen Leistungsbereichen zu
differenzieren. Die Vielgestaltigkeit der für die Kostenentwicklung in den jeweili-
gen Leistungsbereichen maßgeblichen Faktoren steht einer schematischen
Gleichbehandlung entgegen. Es besteht deshalb von Verfassungs wegen keine
Pflicht des Gesetzgebers, schematisch jede Kostensenkungsmaßnahme auf
alle Leistungserbringer gleichermaßen zu verteilen (vgl.
BGH, GRUR 2016, 93
Rn. 86 - Abschlagspflicht I).
3. Vergeblich rügt die Revision einen Verstoß des § 1 Satz 3 AMRabG
gegen das Grundrecht der Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit
Art. 20 Abs. 3 GG unter dem Aspekt der Rückwirkung.
a) Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die entsprechenden
Ausführungen des Landgerichts angenommen, im Falle des § 1 Satz 3
AMRabG nF handele es sich nicht um eine verfassungsrechtlich unzulässige
Rückwirkung. Zwar sei diese Vorschrift durch Art. 3a des Dritten Gesetzes zur
Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften vom 7. August 2013 (BGBl. I,
S. 3108) mit Wirkung zum 1. Januar 2011 - also rückwirkend - eingeführt wor-
den. Jedoch liege darin keine verfassungsrechtlich verbotene Rückwirkung, weil
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die in § 1 Satz 3 AMRabG nF geregelte Unbeachtlichkeit von Selbst- oder Ei-
genbehalten für die Ermittlung des nach § 1 Satz 1 AMRabG anfallenden Ab-
schlags bereits vor Einführung des § 1 Satz 3 AMRabG eine vertretbare Ausle-
gung dieser Vorschrift dargestellt habe. Jedenfalls sei ein Vertrauen der Beklag-
ten auf den Bestand des anderslautenden bisherigen Rechts nicht schutzwür-
dig, weil die mit der Auslegung des § 1 AMRabG verbundenen Unsicherheiten
offengelegen hätten und auch Gegenstand schon der vorgerichtlichen Diskus-
sion der Parteien gewesen seien.
b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entfaltet
eine Rechtsnorm "echte" Rückwirkung (sog. Rückbewirkung von Rechtsfolgen),
wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon für vor dem Zeitpunkt
ihrer Verkündung bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll (vgl.
BVerfGE 109, 133, 181; 114, 258, 300; 127, 1, 16 f.; 131, 20, 39). Von "unech-
ter" Rückwirkung wird gesprochen, wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm
erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins
Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden (sog. tatbestandliche Rück-
anknüpfung; vgl. BVerfGE 72, 200, 242; 97, 67, 79; 127, 1, 17; 131, 20, 39;
BGH, Beschluss vom 7. Mai 2015 - I ZR 171/10, GRUR 2015, 820 Rn. 15 ff. =
WRP 2015, 976 - Digibet II). Die "echte" Rückwirkung ist verfassungsrechtlich
unzulässig, sofern nicht zwingende Belange des Gemeinwohls sie erfordern
oder ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand des
Rechts für die Vergangenheit fehlt (vgl. BVerfGE 72, 200, 258; 97, 67, 79 f.;
101, 239, 263 f.; 131, 20, 39).
Hingegen ist die "unechte" Rückwirkung zulässig,
sofern nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten (vgl.
BVerfGE 38, 61, 83; 68, 193, 222; 105, 17, 40; 109, 133, 180 f.; 125, 104, 135;
131, 20, 39 f.). Eine Rückwirkung liegt grundsätzlich nicht vor, wenn die Neure-
gelung deklaratorischer Art ist, also nur bestätigt, was von vornherein aus der
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verkündeten ursprünglichen Norm folgte (vgl. BVerfGE 18, 429, 436; 50, 177,
193; 126, 369, 393; 131, 20, 37). Weil die verbindliche Auslegung von Rechtss-
ätzen den Gerichten obliegt, ist eine vom Gesetzgeber etwa beanspruchte Be-
fugnis zu "authentischer" Interpretation der rückwirkend geänderten Norm nicht
anzuerkennen, sondern ihr Regelungsgehalt vielmehr nach allgemeinen Grund-
sätzen zu ermitteln (vgl. BVerfGE 65, 196, 215; 111, 54, 107; 126, 369, 392;
131, 20, 37). Für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung
konstitutiven Charakter hat, genügt die Feststellung, dass die geänderte Norm
von den Gerichten nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in
einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, die mit der
Neuregelung ausgeschlossen werden soll (BVerfGE 131, 20, 37 f.).
bb) Nach den vorstehenden Grundsätzen ist die Annahme des Beru-
fungsgerichts, § 1 Satz 3 AMRabG beinhalte keine Rückwirkung, sondern ledig-
lich eine Klarstellung des schon anfänglich geltenden Regelungsgehalts des § 1
AMRabG, nicht zu beanstanden (so auch schon
BGH, GRUR 2016, 93 Rn. 32
- Abschlagspflicht I).
Nach dem Wortlaut des bereits vor Einführung des § 1 Satz 3
AMRabG nF geltenden § 1 Satz 1 AMRabG haben die pharmazeutischen Un-
ternehmer den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und den Trä-
gern der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach beamtenrechtli-
chen Vorschriften für verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten diese
ganz oder teilweise erstattet haben, nach dem Anteil der Kostentragung Ab-
schläge entsprechend § 130a Absatz 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch zu gewähren. Der Wortlaut dieser Norm knüpft die Ab-
schlagspflicht mithin an eine vollständig oder teilweise erfolgte Kostenerstattung
und bestimmt weiter, dass die Abschläge nach dem Anteil der Kostentragung
zu erstatten sind.
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Die von der Revision vertretene Lesart, mit dem "Anteil der Kostenerstat-
tung" sei nicht nur das Verhältnis zwischen den Kostenträgern, sondern auch
das Verhältnis zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer gemeint,
überzeugt nicht. Wortlaut und Systematik der Norm legen vielmehr die Ausle-
gung nahe, dass mit der erstgenannten Wendung ("deren Kosten diese ganz
oder teilweise erstattet haben") die Frage angesprochen wird, ob die Kostenträ-
ger - und sei es auch nur teilweise - Kosten erstattet haben, wohingegen die
zweitgenannte Formulierung ("Anteil der Kostenerstattung") die Frage regelt,
wie im Falle einer Mehrheit von Kostenträgern, von denen jeder Kosten erstattet
hat, der Abschlag zu verteilen ist.
Die vom Gesetzgeber vorliegend im Zusammenhang mit der Einführung
des § 1 Satz 3 AMRabG nF in Anspruch genommene Auslegung, wonach es
sich bei § 1 Satz 3 AMRabG nF lediglich um eine Klarstellung des schon bisher
geltenden Rechtszustands handelt (vgl. BT-Drucks. 17/13770, S. 34), ist zwar
für die Beurteilung dieser Rechtsnorm durch die Gerichte aufgrund ihrer alleini-
gen Kompetenz zur Auslegung des § 1 Satz 1 AMRabG nicht verbindlich. Diese
Auslegung des § 1 AMRabG findet jedoch ihre Bestätigung in der bei der Schaf-
fung des § 1 AMRabG dokumentierten Absicht des Gesetzgebers, eine Ab-
schlagsgewährung davon abhängig zu machen, dass die Anspruchsberechtig-
ten überhaupt Kosten übernommen haben (BT-Drucks. 17/3698, S. 61; zitiert
bei B II 1 b ff (7) Rn. 66). Daraus folgt, dass schon auf der Grundlage des § 1
AMRabG in der ursprünglichen Fassung vom 22. Dezember 2010 die Ab-
schlagspflicht auch bei nur teilweiser Kostenerstattung in voller Höhe bestand.
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Entgegen der Ansicht der Revision kann der Formulierung in den Geset-
zesmaterialien
, "(…) dass für Arzneimittel, deren Kosten - etwa aufgrund eines
Selbstbehalts - nicht geltend gemacht werden, auch kein Abschlag zu gewäh-
ren ist" (BT-Drucks. 17/3698, S. 61; zitiert bei B II 1 b ff (7) Rn. 66), nicht ent-
nommen werden, dass eine Abschlagspflicht bei nur teilweiser Erstattung nur
teilweise bestehen sollte. Aus dem Zusammenhang wird deutlich, dass lediglich
gemeint ist, eine Abschlagspflicht entfalle (nur) dann, wenn überhaupt keine
Kosten für ein Arzneimittel erstattet worden sind, während bei teilweiser Erstat-
tung die Abschlagspflicht unberührt bleiben soll.
Danach wird durch § 1 Satz 3 AMRabG nF nur die schon zuvor gültige
Rechtslage wiedergegeben, wonach die Abschlagspflicht auch bei nur teilwei-
ser Kostenerstattung durch die Kostenträger bestand.
4. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, der Arzneimittelrabatt nach
§ 1 AMRabG stelle eine nach Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG verfassungswidrige
Sonderabgabe dar.
a) Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die entsprechenden
Ausführungen des Landgerichts angenommen, es handele sich bei dem Arz-
neimittelrabatt nach § 1 AMRabG nicht um eine den Anforderungen der Finanz-
verfassung unterliegende Sonderabgabe, sondern eine allein an den Grund-
rechten zu messende staatliche Preisregulierung.
b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind
nichtsteuerliche Abgaben im Hinblick auf die Begrenzungs- und Schutzfunktion
der bundesstaatlichen Finanzverfassung des Grundgesetzes nur unter be-
stimmten Voraussetzungen zulässig (vgl. hierzu im Einzelnen BVerfGE 55, 274,
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298 ff.; 67, 256, 275 ff.; 82, 159, 179 ff.; 91, 186, 201; 101, 141, 148; 108, 186,
218; 110, 370, 389). Staatliche Preisreglementierungen wie Mindestvergütun-
gen oder Zwangsrabatte unterliegen dem Maßstab für nichtsteuerliche Abgaben
jedoch nicht. Die für Abgaben geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen dienen
dazu, die Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen und den Verfassungs-
grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans (Art. 110 Abs. 1 GG) zu ge-
währleisten. Dieser Schutzzweck ist im Falle von Preisinterventionen des Staa-
tes nicht berührt, weil sich diese nur im Bereich privatautonom vereinbarter
Leistungsbeziehungen auswirken. Sie unterliegen daher nicht den Anforderun-
gen der Finanzverfassung, sondern nur den übrigen formellen und materiellen
Voraussetzungen des Grundgesetzes, insbesondere der Prüfung am Maßstab
der Grundrechte (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit des Preisabschlags nach
§ 130a Abs. 1 und 2 SGB V BVerfGE 114, 196, 249 f.).
bb) Die Abschlagspflicht nach § 1 AMRabG stellt danach keine Sonder-
abgabe dar.
(1) Die Revision macht geltend, mangels einer direkten, privatautonomen
synallagmatischen Leistungsbeziehung zwischen pharmazeutischen Unter-
nehmern und privaten Krankenversicherungen handele es sich bei der Ab-
schlagspflicht nach § 1 AMRabG nicht um eine Preisreglementierung, sondern
ein völlig neues gesetzliches Schuldverhältnis zwischen anderweitig rechtlich
nicht verbundenen Unternehmen. Auch eine mittelbare Austauschbeziehung
bestehe nicht, weil die Abschlagspflicht nicht an die tatsächliche Kostenerstat-
tung, sondern die bloße Hereingabe von Rezepten geknüpft sei, wie aus § 1
Satz 3 AMRabG folge. Damit dringt die Revision nicht durch.
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(2) Das Verhältnis zwischen pharmazeutischen Unternehmern und priva-
ten Krankenversicherungen ist entgegen der Annahme der Revision dem vom
Bundesverfassungsgericht außerhalb des finanzverfassungsrechtlichen Schutz-
zwecks angesiedelten Bereich der privatautonomen Leistungsbeziehungen zu-
zuordnen. Zwar trifft es zu, dass eine direkte, gar synallagmatische Leistungs-
beziehung zwischen den pharmazeutischen Unternehmen und den privaten
Krankenversicherungen im Hinblick auf den Arzneimittelpreis nicht besteht. Das
ist für die Annahme, der finanzverfassungsrechtliche Schutzzweck sei durch § 1
AMRabG nicht betroffen, auch nicht erforderlich. Die Zuordnung zum Bereich
privatautonomer Leistungsbeziehungen folgt schon daraus, dass der von dieser
Vorschrift angeordnete Abschlag an den vertraglichen Erstattungsvorgang zwi-
schen privater Krankenversicherung und Versicherungsnehmer anknüpft. Der
Abschlag fällt auf den Preis des Arzneimittels an, dessen Kosten der Versiche-
rungsnehmer von seiner privaten Krankenversicherung als Aufwendung min-
destens teilweise (§ 1 Satz 3 AMRabG) erstattet erhält. Der pharmazeutische
Unternehmer ist insoweit - wie die Revision zu Unrecht in Abrede stellt - mittel-
bar durch seine Preisgestaltung in den Leistungsaustausch einbezogen.
III. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Beru-
fungsgerichts, der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Zahlung
von Abschlägen nach § 1 AMRabG sei in der zuerkannten Höhe begründet.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe den gel-
tend gemachten Zahlungsanspruch hinreichend dargelegt. Der Gesetzgeber
habe mit dem Arzneimittelrabattgesetz ein besonderes Verfahren zur Geltend-
machung von Einwendungen gegen die Ansprüche auf Rabattgewährung ge-
schaffen. Es könne der Klägerin nicht abverlangt werden, ihre Klageforderung
hinsichtlich aller vorliegend betroffenen ungefähr 68.000 Datensätze auf Tau-
senden von Seiten darzustellen und zu begründen. Gleichermaßen sei nicht
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anzunehmen, der Gesetzgeber habe die Gerichte mit einer Überprüfung aller
Datensätze belasten wollen. Vielmehr müsse nach der Konzeption des Gesetz-
gebers das Pharmaunternehmen auf erstes Anfordern an ZESAR zahlen, erhal-
te aber im Rahmen des Treuhänderverfahrens nach § 3 AMRabG Gelegenheit,
Einwände gegen die Inanspruchnahme überprüfen zu lassen und zu konkreti-
sieren, so dass der Stoff einer nachfolgenden gerichtlichen Auseinandersetzung
auf die wesentlichen Punkte konzentriert werde. Es seien auch die schutzwür-
digen Belange der Versicherungsnehmer zu berücksichtigen, die in einen nach-
folgenden Rechtsstreit hineingezogen würden. Soweit Angaben betroffen seien,
die über die in § 2 AMRabG genannten Nachweise hinausgingen, könnten Ein-
wendungen daher zunächst nur im Rahmen des Treuhänderverfahrens vorge-
bracht werden. Im Forderungsprozess treffe das Pharmaunternehmen eine se-
kundäre Darlegungslast hinsichtlich bestrittener Abschlagspositionen. Das
Recht, Einwendungen gegen einzelne Forderungen zu erheben, werde den in
Anspruch genommenen Pharmaunternehmen damit nicht genommen, sondern
im Hinblick auf den schnellen Ausgleich der Abschläge und einer praktikablen
Verfahrensgestaltung eingeschränkt. Mangels Einleitung eines Treuhänderver-
fahrens habe die Beklagte vorliegend ihrer sekundären Darlegungslast bezüg-
lich ihres Einwands, die Klägerin mache Abschläge ohne zugrundeliegende
Kostenerstattung geltend, nicht nachkommen können, so dass sie der Klägerin
zur Zahlung der Abschläge in geltend gemachter Höhe verpflichtet sei.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem
Umfang stand. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht
die Klageforderung allein auf der Grundlage des von der Beklagten mit Nicht-
wissen bestrittenen Vortrags der Klägerin zugesprochen hat.
a) Nach § 1 Satz 1 AMRabG haben die pharmazeutischen Unternehmer
den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und den Beihilfeträgern für
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verschreibungspflichtige Arzneimittel, deren Kosten diese ganz oder teilweise
erstattet haben, nach dem Anteil der Kostentragung Abschläge entsprechend
§ 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V zu gewähren. Die Regelung des § 1
Satz 3 AMRabG sieht vor, dass zur Ermittlung der Abschläge nach Satz 1
Selbst- oder Eigenbehalte, die Unternehmen der privaten Krankenversicherung
mit den Versicherungsnehmern vereinbart haben oder die auf beamtenrechtli-
chen Vorschriften oder anderen Vorschriften beruhen, nicht zu berücksichtigen
sind. Nach § 2 Satz 1 AMRabG wird mit dem Einzug der Abschläge eine von
den Unternehmen der privaten Krankenversicherung und den Beilhilfeträgern
gebildete zentrale Stelle - die ZESAR GmbH - beauftragt. Nach § 2 Satz 2
AMRabG übermittelt die zentrale Stelle an die pharmazeutischen Unternehmer
zum Nachweis des Abschlags die Pharmazentralnummer des abgegebenen
Arzneimittels, das Abgabedatum, das Apothekenkennzeichen und den Anteil
der Kostentragung in maschinenlesbarer Form. § 2 Satz 3 AMRabG bestimmt,
dass die pharmazeutischen Unternehmer die Abschläge innerhalb von zehn
Tagen nach Geltendmachung des Anspruchs zu erstatten haben.
b) Die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Satz 1 AMRabG liegen im
Streitfall dem Grunde nach vor. Die Klägerin ist ein privates Krankenversiche-
rungsunternehmen. Die Beklagte unterfällt als pharmazeutischer Unternehmer
der in dieser Vorschrift angeordneten Abschlagspflicht. Die Revision stellt nicht
in Abrede, dass § 1 Satz 1 AMRabG einen Anspruch des jeweiligen Kostenträ-
gers begründet, den die zentrale Stelle nach § 2 Satz 1 AMRabG lediglich in
dessen Auftrag einzieht.
c) Die Revision beanstandet zu Recht, dass den Feststellungen des Be-
rufungsgerichts nicht zu entnehmen ist, ob die von der Klägerin geltend ge-
machten Forderungen Gegenstand einer Sammelrechnung der ZESAR GmbH
waren und der Klägerin zuzuordnen sind. Mit Erfolg wendet sich die Revision
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weiter gegen die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Beklagten eine
- von dieser nicht erfüllte - sekundäre Darlegungslast oblegen habe (dazu B III 2
c aa). Ebenfalls mit Erfolg macht die Revision geltend, dass die Beklagte den
Klägervortrag in zulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten hat (nachfolgend B
III 2 c bb).
aa) Der Beklagten obliegt hinsichtlich der Frage, ob die in der Anlage K 7
genannten Einzelpositionen von den Sammelrechnungen der ZESAR GmbH
erfasst waren und der Klägerin zuzuordnen sind, keine sekundäre Darlegungs-
last.
(1) Im Ausgangspunkt ist es die prozessuale Aufgabe des Klägers, den
geltend gemachten Anspruch so eingehend zu begründen, dass das von ihm
angerufene Gericht den Anspruch vollständig überprüfen kann. Grundsätzlich
ist mithin ein Beklagter nicht verpflichtet, das Vorbringen des Klägers zu ergän-
zen oder zu erläutern (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1983 - III ZR 187/81, NJW
1983, 2879, 2880; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 138 Rn. 8). Dieser Grund-
satz der vollen Darlegungslast des Klägers erfährt eine Einschränkung, wenn
der Kläger außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den
Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann, während dem Beklagten die er-
forderliche tatsächliche Aufklärung ohne weiteres möglich und auch zuzumuten
ist. Prozessuale Folge ist eine sekundäre Darlegungslast des Beklagten, deren
Nichterfüllung die Unwirksamkeit des einfachen Bestreitens und die Geständ-
niswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO nach sich zieht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil
vom 4. Dezember 2008 - I ZR 3/06, GRUR 2009, 871 Rn. 27 = WRP 2009, 967
- Ohrclips; Urteil vom 19. Februar 2014 - I ZR 230/12, GRUR 2014, 578 Rn. 14
= WRP 2014, 697 - Umweltengel für Tragetasche).
(2) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin behauptet, ihre Klageforderung
bestehe aus der Summe der Abschläge, die sich aus den in der Anlage K 7 ge-
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nannten Einzelerstattungsvorgängen ergebe. Die ZESAR GmbH habe mit den
Sammelrechnungen vom 18. Dezember 2011, 18. Januar 2012, 18. Februar
2012 und 18. März 2012 unter Nennung der von § 2 AMRabG geforderten An-
gaben die auf diese Einzelerstattungsvorgänge entfallenden, der Klägerin zu-
stehenden Abschlagsbeträge in Höhe von 649.588,14
€, 72.567,29 €,
89.796,01 € sowie 81.777,81 € von der Beklagten eingefordert. Die Klägerin hat
weiter behauptet, die Identität der in der Anlage K 7 genannten Erstattungsvor-
gänge mit den von den Sammelrechnungen der ZESAR GmbH erfassten Er-
stattungsvorgängen ergebe sich daraus, dass die in der Anlage K 7 als "Record
ID" bezeichnete jeweilige Identifizierungsnummer mit dem jeweiligen als Pro-
duktID_ZS" bezeichneten Datenelement übereinstimme, das den von der
ZESAR GmbH mit der Sammelrechnung übermittelten "HER"-Datensätzen für
jeden in der Sammelrechnung enthaltenen Erstattungsvorgang zu entnehmen
sei. Jeder einzelne über "ProduktID_ZS" bzw. "Record ID" identifizierbare Ab-
rechnungsvorgang lasse sich über das von der ZESAR GmbH verwendete
- allerdings in den "HER"-Datensätzen unstreitig nicht enthaltene - Instituts-
kennzeichen "ID VU/Beilhilfe" dem jeweiligen Abschlagsberechtigten zuordnen.
Auf die Klägerin entfalle die Institutskennziffer 1 .
Die Beklagte hat demgegenüber mit Nichtwissen bestritten, dass die in
der Anlage K 7 genannten Einzelpositionen von den Sammelrechnungen der
ZESAR GmbH erfasst worden sind und auf die Klägerin entfallen.
(3) Bei dieser Sachlage obliegt der Beklagten auch in Ansehung des in
§ 2 AMRabG geregelten Abrechnungsmodus keine sekundäre Darlegungslast
zu der Frage, ob die in der Anlage K 7 genannten Einzelpositionen von den
Sammelrechnungen der ZESAR GmbH erfasst worden sind und auf die Kläge-
rin entfallen.
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Die Beklagte ist an dem Vorgang der Datenübersendung zwischen den
Abschlagsberechtigten - hier: der Klägerin - und der ZESAR GmbH, der dem
Abschlagseinzug durch die ZESAR GmbH nach § 2 AMRabG vorangeht, nicht
beteiligt. Die Beklagte ist lediglich Adressatin der Sammelrechnung nebst
"HER"-Datensätzen der ZESAR GmbH. Die Beklagte hat mangels Beteiligung
an der Datenübersendung zwischen Abschlagsberechtigten und ZESAR GmbH
keine Kenntnis darüber, welches Unternehmen der privaten Krankenversiche-
rung oder welcher Beihilfeträger hinsichtlich einzelner Erstattungsvorgänge an-
spruchsberechtigt ist, weil - wie unstreitig ist - sich aus den Sammelrechnungen
und "HER"-Datensätzen der ZESAR GmbH die Identität des jeweiligen Gläubi-
gers nicht ergibt. Mangels Beteiligung am Datenaustausch zwischen Klägerin
und ZESAR GmbH hat die Beklagte auch keine Kenntnis darüber, ob ein Erstat-
tungsvorgang Gegenstand einer Sammelrechnung der ZESAR GmbH gewor-
den ist.
Es kann also keine Rede davon sein, dass - wie für die Annahme einer
sekundären Darlegungslast erforderlich - die Klägerin außerhalb des maßgebli-
chen Geschehens steht und den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann,
während der Beklagten die erforderliche tatsächliche Aufklärung ohne weiteres
möglich ist. Der Umstand, dass die Klägerin im Laufe des Prozesses vorgetra-
gen hat, die Identität von Erstattungsvorgängen könne anhand der Überein-
stimmung der als "ProduktID_ZS" und "Record ID" bezeichneten Datenelemen-
te in Anlage K 7 und den "HER"-Datensätzen ermittelt werden, verschafft der
Beklagten, zumal sie diese Behauptung bestritten hat, ebenfalls keine Position
überlegenen Wissens nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast.
Ohnehin ergibt sich aus der von der Klägerin behaupteten Übereinstimmung
der Positionen "ProduktID_ZS" in Anlage K 7 und "Record ID" in den "HER"-
Dateien noch keine Zuordnung des Erstattungsvorgangs zur Klägerin.
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(4) Die Verteidigungsmöglichkeiten der pharmazeutischen Unternehmer
sind allerdings im Hinblick auf die materiell-rechtliche Konzeption der Ab-
schlagspflicht nach dem Arzneimittelrabattgesetz eingeschränkt. Diese Ein-
schränkungen beziehen sich aber nicht auf die Frage, ob Erstattungsvorgänge,
die einer von einem Einzelgläubiger geltend gemachten Abschlagsforderung
zugrunde liegen, in einer Sammelrechnung der zentralen Stelle enthalten waren
und dem Einzelgläubiger zuzuordnen sind.
Im Ausgangspunkt trifft die vom Berufungsgericht ausgeführte Erwägung
zu, dass das System des Abschlagseinzuges nach diesem Gesetz im Hinblick
auf das massenhafte Vorkommen von Erstattungsvorgängen vom Bemühen um
Einfachheit und Effizienz gekennzeichnet ist (vgl. BT-Drucks. 17/3698, S. 61).
Die pharmazeutischen Unternehmer haben binnen einer Frist von zehn Tagen
nach Übersendung der Sammelrechnung durch die mit dem Einzug beauftragte
zentrale Stelle - die ZESAR GmbH - zu zahlen, sofern die in § 2 AMRabG vor-
gesehenen Angaben übermittelt worden sind. Die Prüfung der Korrektheit der
Abschlagsforderungen steht den pharmazeutischen Unternehmen in begründe-
ten Fällen sowie in Stichproben nur im nachgelagerten Treuhänderverfahren
nach § 3 AMRabG offen.
Der Gesetzgeber hat den Einzug der Abschlagsforderungen dabei mit
Blick auf die zentrale Stelle konzipiert, die die Gesamtheit aller Abschlagsforde-
rungen - im Prozess in Prozessstandschaft für die Einzelgläubiger (vgl. [zu
§ 130a Abs. 2 Satz 2 SGB V] BSG, Urteil vom 2. Juli 2013 - B 1 KR 18/12 R,
BSGE 114, 36 Rn. 10) - geltend macht. Beansprucht die ZESAR GmbH von
einem pharmazeutischen Unternehmer sämtliche Abschläge aller Gläubiger, so
kann nach der Konzeption des Gesetzgebers der pharmazeutische Unterneh-
mer einem § 2 AMRabG entsprechenden Zahlungsverlangen nicht entgegen-
halten, dass eine Teilforderung einem bestimmten Gläubiger - aus welchem
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Grund auch immer, etwa weil keine Kostenerstattung erfolgt sei - nicht zustehe,
sondern er ist darauf verwiesen, entsprechende Einwände im Treuhänderver-
fahren nach § 3 AMRabG zu verfolgen. Bei einer prozessualen Geltendma-
chung durch die zentrale Stelle muss dieser gesetzgeberischen Konzeption
dadurch entsprochen werden, dass die Abschlagspflicht nach § 1 AMRabG ma-
teriell-rechtlich als eine Art Zahlungspflicht "auf erstes Anfordern" angesehen
wird, der allein entgegengehalten werden kann, die Sammelrechnungen und die
mit ihnen übermittelten Datensätze genügten nicht den Anforderungen des § 2
Satz 2 AMRabG (Angabe der Pharmazentralnummer des abgegebenen Arz-
neimittels, des Abgabedatums, des Apothekenkennzeichens und des Anteils
der Kostentragung in maschinenlesbarer Form). Der Sammelrechnung kommt
in Verbindung mit den Anforderungen nach § 2 Satz 2 AMRabG somit eine Ge-
währfunktion zu, die es nach der Vorstellung des Gesetzgebers rechtfertigt, die
pharmazeutischen Unternehmer hinsichtlich der Korrektheit der Inanspruch-
nahme im Übrigen auf das nachgelagerte Treuhänderverfahren nach § 3
AMRabG zu verweisen.
Die Frage, ob von einem einzelnen Gläubiger geltend gemachte Erstat-
tungsvorgänge in einer zuvor ergangenen Sammelrechnung der ZESAR GmbH
enthalten waren und dem Einzelgläubiger zuzuordnen sind, stellt sich bei dem
Einzug der Summe aller Forderungen der Abschlagsgläubiger durch die zentra-
le Stelle nicht, weil diesem Einzug die Sammelrechnung zugrunde liegt. Bei der
Geltendmachung durch einen Einzelgläubiger kommen diese Fragen hingegen
als weitere Prüfungsschritte hinzu, die wegen der Notwendigkeit der Bezifferung
der Forderung und der Prüfung, ob die nach § 2 Satz 2 AMRabG notwendigen
Angaben gemacht worden sind, eine entsprechende Darlegung erfordern. Die-
ser weiteren Darlegung des Einzelgläubigers kommt die Richtigkeitsgewähr, die
der Gesetzgeber der Sammelrechnung zubilligt, nicht zu. Das Arzneimittelra-
battgesetz enthält insoweit zugunsten des Einzelgläubigers keine Erleichterun-
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gen der Darlegungs- und Beweislast. Nach den allgemeinen Regeln des Zivil-
prozesses handelt es sich vielmehr um dem klagenden Einzelgläubiger im Pro-
zess obliegenden Sachvortrag.
Ergibt die Prüfung, dass die der Abschlagsforderung zugrundeliegenden
Erstattungsvorgänge in einer den Erfordernissen des § 2 Satz 2 AMRabG ent-
sprechenden Sammelrechnung enthalten waren und dem klagenden Einzel-
gläubiger zuzuordnen sind, so ist sein Zahlungsanspruch - vorbehaltlich des
Ergebnisses eines etwaigen Treuhänderverfahrens - begründet. In diesem Falle
wirkt die Gewährfunktion der Sammelrechnung auch zugunsten des klagenden
Einzelgläubigers, so dass es auf die Frage, ob der Einzelgläubiger die Ab-
schlagszahlung im Übrigen zu Recht beansprucht, bei der Geltendmachung
durch ihn ebenso wenig ankommt wie bei der Geltendmachung der Gesamtfor-
derung durch die zentrale Stelle. Die Geltendmachung durch einen Einzelgläu-
biger selbst bedeutet keine Verschlechterung der Rechtsposition der pharma-
zeutischen Unternehmer, sondern ist mit der gesetzlichen Konzeption der Ab-
schlagsforderung als individuellem Anspruch der Kostenträger vereinbar. Ist
sichergestellt, dass die der Inanspruchnahme durch einen Einzelgläubiger zu-
grundeliegenden Erstattungsvorgänge Gegenstand einer Sammelrechnung der
zentralen Stelle waren und dem Einzelgläubiger zuzuordnen sind, so ist der
pharmazeutische Unternehmer auch gegen eine über den in der Sammelrech-
nung genannten Gesamtbetrag hinausgehende Inanspruchnahme geschützt.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Umstand, dass die von
der Klägerin der Zahlungsforderung zugrunde gelegten Erstattungsvorgänge
von einer vorangegangenen Sammelrechnung der ZESAR GmbH erfasst waren
und der Klägerin zuzuordnen sind, von der Klägerin neben den in § 2 Satz 2
AMRabG angeführten Angaben darzulegen und - falls die Beklagte dies bestrei-
tet - nachzuweisen ist.
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bb) Die Beklagte konnte die Behauptung der Klägerin, die in der Anla-
ge K 7 verzeichneten Einzelforderungen seien Gegenstand einer Sammelrech-
nung der ZESAR GmbH gewesen und ihr zuzuordnen, wirksam mit Nichtwissen
bestreiten.
Ein Bestreiten mit Nichtwissen - also die Einlassung, die Richtigkeit oder
Unrichtigkeit der Behauptungen des Klägers nicht zu kennen (vgl. Hk-ZPO/
Woestmann, 6. Aufl. § 138 Rn. 7) - ist nach § 138 Abs. 4 ZPO nur zulässig,
wenn die betroffenen Tatsachen weder eigene Handlungen der Partei noch
Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind; andernfalls tritt wiede-
rum die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO ein (vgl. Leipold in Stein/
Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 138 Rn. 49). Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder
Verantwortungsbereich werden den eigenen Handlungen oder Wahrnehmun-
gen im Sinne des § 138 Abs. 4 ZPO gleichgestellt, weil andernfalls eine Partei
sich durch arbeitsteilige Organisation ihren prozessualen Erklärungspflichten
entziehen könnte (Zöller/Greger aaO § 138 Rn. 16). Die Partei hat eine Erkun-
digungspflicht, sofern die maßgebenden Tatsachen Personen bekannt sind, die
unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (st.
Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 19. April 2001 - I ZR 238/98, GRUR 2002, 190,
191 = WRP 2001, 1328 - DIE PROFIS; Urteil vom 2. Juli 2009 - III ZR 333/08,
NJW-RR 2009, 1666 Rn. 16). Die Anforderungen an die Erkundigungspflicht
dürfen allerdings nicht überspannt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1996
- IX ZR 240/95, NJW 1996, 1954, 1957 [insoweit nicht in BGHZ 132, 229 abge-
druckt]; Urteil vom 15. November 1989 - VIII ZR 46/89, BGHZ 109, 205, 209 f.).
Einer Partei darf nur eine zumutbare Informationspflicht auferlegt werden (vgl.
[zu den Anforderungen an substantiiertes Bestreiten im Sinne des § 138 Abs. 2
ZPO] BGH, Urteil vom 7. Dezember 1998 - II ZR 266/97, NJW 1999, 579, 580;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 74. Aufl., § 138 Rn. 53; Zimmer-
mann, ZPO, 9. Auf., § 138 Rn. 10).
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Vorliegend ist der Beklagten der Inhalt der von der Klägerin an die
ZESAR GmbH übermittelten Daten unbekannt. Sie hat von der ZESAR GmbH
lediglich die Sammelrechnungen nebst zugrundeliegenden "HER"-Datensätzen
erhalten, denen die Zuordnung zum jeweiligen Einzelgläubiger nicht entnom-
men werden kann. Im Prozess hat die Klägerin behauptet, die in der Anlage K 7
befindlichen Erstattungsvorgänge entfielen auf sie und könnten den "HER"-
Datensätzen aufgrund der Übereinstimmung der Datenelementbezeichnungen
"ProduktID_ZS" und "Record ID" zugeordnet werden. Das Bestehen dieser Zu-
ordnungsmöglichkeit liegt außerhalb der Wahrnehmungsmöglichkeit der Be-
klagten, so dass sie diesen Umstand wirksam mit Nichtwissen bestreiten konn-
te. Darüber hinaus stellte es eine Überspannung der im Rahmen des § 138
Abs. 4 ZPO in Betracht kommenden Informationspflicht dar, der Beklagten eine
Untersuchung der insgesamt über 500.000 in den "HER"-Dateien gemäß Anla-
ge K 7 enthaltenen Einzelvorgänge abzuverlangen, damit sie konkret benennen
kann, welche der von der Klägerin vorliegend der Klageforderung zugrunde ge-
legten ca. 68.000 Erstattungsvorgänge nicht in den Sammelrechnungen enthal-
ten gewesen sind. Dass die in Anlage K 7 enthaltenen Vorgänge von den
Sammelrechnungen erfasst worden sind, gehört vielmehr zur schlüssigen Dar-
legung der Klageforderung, die der Klägerin obliegt. Gleiches gilt für die Zuord-
nung der in der Sammelrechnung enthaltenen Erstattungsvorgänge zur Kläge-
rin.
d) Mit Erfolg beanstandet die Revision auch die Annahme des Beru-
fungsgerichts, zu den der Klageforderung zugrundeliegenden Erstattungsvor-
gängen habe die ZESAR GmbH - der Vorschrift des § 2 Satz 2 AMRabG ent-
sprechend - mit den Sammelrechnungen jeweils die
Pharmazentralnummer des
abgegebenen Arzneimittels, das Abgabedatum, das Apothekenkennzeichen
und den Anteil der Kostentragung maschinenlesbar an die Beklagte übermittelt.
Das Berufungsgericht hat diese Annahme rechtsfehlerhaft allein auf der Grund-
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lage des Vortrags der Klägerin getroffen. Erst wenn die Klägerin dargelegt und
gegebenenfalls bewiesen hat, dass die in der Anlage K 7 genannten Erstat-
tungsvorgänge Gegenstand der Sammelrechnungen der ZESAR GmbH waren
und ihr zuzuordnen sind, kann festgestellt werden, ob die ZESAR GmbH die in
§ 2 Satz 2 AMRabG vorgesehenen Angaben gemacht hat.
Ob der Beklagten nach erfolgter Zuordnung der Erstattungsvorgänge
gemäß Anlage K 7 zu den "HER"-Dateien ein substantiiertes Bestreiten abver-
langt werden kann, hängt davon ab, ob ihr die Durchsuchung auf fehlende An-
gaben im Sinne von § 2 Satz 2 AMRabG zugemutet werden kann. Diese Frage
kann derzeit nicht beantwortet werden, weil unklar ist, auf welche Weise die
Klägerin ihrer Darlegungs- und Beweislast nachkommen wird. Sofern sich die
Klägerin etwa für den Beweis der Tatsache, dass die in Anlage K 7 enthaltenen
Erstattungsvorgänge in den Sammelrechnungen enthalten waren, auf den Be-
weis durch Zeugen beruft, verbliebe es dabei, dass die Durchsuchung der
"HER"-Dateien der Beklagten unzumutbar (dazu B III 2 c bb Rn. 125) und es
weiterhin allein Sache der Klägerin wäre, die notwendigen Angaben darzule-
gen.
e) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Beru-
fungsgerichts, die pharmazeutischen Unternehmer könnten der Klageforderung
nicht entgegenhalten, es seien von den Abschlagsgläubigern tatsächlich keine
Kosten erstattet worden.
Die Verteidigungsmöglichkeiten der pharmazeutischen Unternehmer ge-
gen die Inanspruchnahme aufgrund einer Sammelrechnung der zentralen Stelle
sind darauf beschränkt zu bestreiten, dass die in § 2 Satz 2 AMRabG genann-
ten Angaben erfolgt und - im Falle der Geltendmachung durch einen Einzel-
gläubiger - die der Klageforderung zugrundeliegenden Erstattungsvorgänge
dem Einzelgläubiger zuzuordnen sind und Gegenstand einer Sammelrechnung
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waren (dazu B III 2 c aa Rn. 40 ff.). Alle weiteren Einwände gegen die Richtig-
keit der Abschlagsforderung hat der Gesetzgeber dem Treuhänderverfahren
nach § 3 AMRabG zugewiesen.
f) Erfolglos beanstandet die Revision ferner die Annahme des Beru-
fungsgerichts, dass bei der Berechnung der Abschläge gemäß § 1 Satz 3
AMRabG Selbst- oder Eigenbehalte außer Betracht bleiben (dazu B II 1 a cc
Rn. 24).
3. Da das Berufungsgericht das Bestehen der Hauptforderung nicht
rechtsfehlerfrei festgestellt hat, hat die Revision auch hinsichtlich des Zinsan-
spruchs Erfolg.
C. Die Revision der Klägerin ist ebenfalls begründet.
I. Die Revision der Klägerin ist uneingeschränkt zulässig. Eine Zulas-
sungsbeschränkung ist vorliegend nicht erfolgt (s.o. B I Rn. 14).
II. Die Revision der Klägerin beanstandet erfolgreich die Annahme des
Berufungsgerichts, dass der geltend gemachte Zinsanspruch der Klägerin ge-
mäß § 286 BGB erst ab dem 7. Februar 2013 besteht.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Zinsanspruch bestehe ge-
mäß § 286 BGB erst seit dem 7. Februar 2013, weil die Klägerin erst mit der
Beklagten an diesem Datum zugestelltem Schriftsatz weitere Erläuterungen
vorgenommen und eine Datei übermittelt habe, mit der die Zuordnung der For-
derung an die Klägerin möglich geworden sei.
2. Dieser Revisionsangriff hat Erfolg. Soweit die Hauptforderung der Klä-
gerin besteht, ist Verzug der Beklagten mit den Teilforderungen zehn Tage
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nach Übersendung der jeweiligen Sammelrechnung durch die ZESAR GmbH
eingetreten.
a) Im Falle der ordnungsgemäßen Geltendmachung einer Sammelrech-
nung durch die zentrale Stelle nach § 2 Satz 2 AMRabG gerät der in Anspruch
genommene pharmazeutische Unternehmer gegenüber den Einzelgläubigern
nach Ablauf der Zahlungsfrist des § 2 Satz 3 AMRabG in Verzug. Da die zentra-
le Stelle die Gesamtheit aller Abschlagsansprüche sämtlicher Gläubiger gegen-
über den pharmazeutischen Unternehmern geltend macht, kommt es für den
Eintritt des Verzugs nicht darauf an, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Über-
sendung der Sammelrechnung die Identität der Einzelgläubiger nicht kennt. Die
zentrale Stelle ist nach § 2 Satz 2 und 3 AMRabG zur Einziehung der Forde-
rungen sämtlicher Gläubiger einschließlich etwaiger Verzugsschäden beauf-
tragt. Die darin liegende Ermächtigung lässt - anders als eine Zession (vgl. da-
zu BGH, Urteil vom 9. Februar 2006 - I ZR 70/03, MDR 2006, 980) - die Forde-
rungszuständigkeit der Einzelgläubiger unberührt. Darauf, ob der pharmazeuti-
sche Unternehmer die Identität des Einzelschuldners kennt, kommt es für den
Verzugseintritt nicht an.
b) Soweit die Hauptforderung der Klägerin besteht, weil den von ihr gel-
tend gemachten Abschlagsforderungen Erstattungsvorgänge zugrunde liegen,
die entsprechend § 2 Satz 2 AMRabG Gegenstand der von der ZESAR GmbH
am 18. Dezember 2011, 18. Januar 2012, 18. Februar 2012 und 18. März 2012
übermittelten Sammelrechnungen gewesen sind, ist Verzug nach § 286 BGB
zehn Tage nach Übersendung der jeweiligen Sammelrechnung eingetreten.
aa) Entgegen der Auffassung der Revision handelt es sich bei dem in § 2
Satz 3 AMRabG genannten Leistungszeitpunkt von zehn Tagen nach Geltend-
machung des Anspruchs allerdings nicht um eine kalendermäßige Leistungsbe-
stimmung im Sinne des § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
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Der Leistungszeitpunkt ist im Sinne des § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB kalen-
dermäßig bestimmt, wenn er nach dem Kalender berechnet werden kann. Dies
ist nicht der Fall, wenn auf einen zukünftigen, noch nicht feststehenden Zeit-
punkt abgestellt wird ("Bezahlung zehn Tage nach Lieferung"; vgl. Münch-
Komm.BGB/Ernst, 7. Aufl., § 286 Rn. 57). Der vorliegend maßgebliche Beginn
der zehntägigen Zahlungsfrist hängt von der Geltendmachung der Forderung
durch Übersendung der Sammelrechnung, mithin von einem ungewissen Zeit-
punkt ab.
bb) Die gesetzliche Zahlungsfrist des § 2 Satz 3 AMRabG erfüllt aber die
Voraussetzungen des § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Nach § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB tritt Verzug ohne Mahnung ein, wenn der
Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die
Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach
dem Kalender berechnen lässt. Diese Bestimmung ist in erster Linie auf ver-
tragliche Vereinbarungen anwendbar (vgl. nur MünchKomm.BGB/Ernst aaO
§ 286 Rn. 58). Im Falle des Widerrufs nach § 355 BGB ist aber der Ablauf der
gesetzlichen Fristen der §§ 357 Abs. 1, 357a Abs. 1 BGB verzugsbegründend
(Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 286 Rn. 23). Es unterliegt keinen Beden-
ken, § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB auch auf andere gesetzlich bestimmte Leistungs-
fristen anzuwenden. Im Falle des § 2 Satz 3 AMRabG ist die Leistungszeit an
die Übersendung der Sammelrechnung geknüpft, so dass deren Ablauf gemäß
§ 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB verzugsbegründend wirkt.
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D. Das angefochtene Urteil ist danach auf die Revisionen der Parteien
aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten der Revisionen - an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Büscher
Kirchhoff
Löffler
Schwonke
Feddersen
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 19.12.2013 - 17 O 5027/12 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 15.07.2014 - 4 U 286/14 -
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