Urteil des BGH vom 15.12.2015

Vertragsanpassung Leitsatzentscheidung

ECLI:DE:BGH:2015:151215UENZR65.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am:
15. Dezember 2015
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Vertragsanpassung
EnWG § 115 Abs. 1 Satz 2
Die Anpassung von Verträgen über den Anschluss an und den Zugang zu den
Energieversorgungsnetzen gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG kann nur für
Zeiträume verlangt werden, die nach der erstmaligen Geltendmachung eines
Anpassungsbegehrens liegen.
StromNEV § 18 Abs. 2
Der individuelle Beitrag, den eine während des gesamten Kalenderjahrs betrie-
bene Anlage zu der nach § 18 Abs. 2 Satz 4 StromNEV maßgeblichen Vermei-
dungsleistung erbracht hat, ist bei der Bemessung des Einspeiseentgelts nach
§ 18 StromNEV auch dann zu berücksichtigen, wenn ein solches nur für einen
Teil des Kalenderjahrs geschuldet ist und der Zeitpunkt der Jahreshöchstlast
außerhalb dieses Zeitraums liegt.
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 - EnZR 65/14 - OLG Brandenburg
LG Frankfurt (Oder)
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 15. Dezember 2015 durch die Präsidentin des Bundesge-
richtshofs Limperg und die Richter Prof. Dr. Strohn, Dr. Grüneberg, Dr. Bacher
und Dr. Deichfuß
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 25. November 2014 verkündete Urteil
des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts
wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin auf Zahlung vermie-
dener Netzentgelte für die Einspeisung von Strom im Zeitraum vom 29. Juli
2005 bis 31. Dezember 2006.
Die Klägerin betreibt ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Rostock-
Marienehe. Der dort erzeugte Strom wird an einem Umspannwerk zu einem
kleineren Teil in das damals ebenfalls von der Klägerin betriebene Mittelspan-
nungsnetz (20 Kilovolt) und zum größeren Teil in das von der Beklagten betrie-
bene Hochspannungsnetz (110 Kilovolt) eingespeist. Über dieses wird er zu
einem großen Teil in Mittelspannungsnetze transportiert, die damals ebenfalls
von der Klägerin betrieben wurden. Die restliche Strommenge vermarktet die
Klägerin selbständig an Dritte.
Die Nutzung des Hochspannungsnetzes regelten die Parteien im No-
vember 2003 in zwei separaten Verträgen, von denen der eine den Netzzugang
zum Zwecke der Durchleitung von Strom zu den anderen Mittelspannungsnet-
zen der Klägerin und der andere die Netznutzung durch Bezug von Strom und
durch Netzeinspeisung aus dem Kraftwerk betrifft.
Am 28. Oktober 2005 beantragte die Beklagte erstmals die Genehmi-
gung ihrer Entgelte gemäß § 23a EnWG. Die Bundesnetzagentur erteilte mit
Beschluss vom 4. Oktober 2006 eine Genehmigung für den Zeitraum vom
1. September 2006 bis 31. Dezember 2007.
Mitte 2007 vereinbarten die Parteien und eine aus der Klägerin ausge-
gliederte Gesellschaft, die den Betrieb der Netze in jenem Jahr übernommen
hatte, den Beitritt der neuen Gesellschaft zu den bestehenden Verträgen und
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die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel, diese Verträge schnellstmög-
lich an die neue Rechtslage anzupassen. Im Juni 2009 teilte die Klägerin mit,
der bevorstehende Abschluss der neuen Verträge erfolge ohne Präjudiz für An-
sprüche seit Inkrafttreten des neuen Energiewirtschaftsgesetzes. Zugleich mel-
dete sie dem Grunde nach eine Forderung wegen vermiedener Netzentgelte für
den Zeitraum vom 1. November 2005 bis 31. Dezember 2006 an.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin Zahlung von
3.657.586,11 Euro für das Jahr 2006 und im Wege der Stufenklage Auskunft
über die Höchstlast und die höchste Bezugslast sowie Zahlung vermiedener
Netzentgelte in der sich daraus ergebenden Höhe für den Zeitraum vom 29. Juli
bis 31. Dezember 2005.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist
erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-
folgt die Klägerin ihr Begehren in vollem Umfang weiter. Die Beklagte tritt dem
Rechtsmittel entgegen.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist unbegründet.
A. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung (OLG Brandenburg,
Urteil vom 25. November 2014 - Kart U 4/12, juris) im Wesentlichen wie folgt
begründet:
Nach den im Jahr 2003 geschlossenen Verträgen stehe der Klägerin ein
Entgelt für die von ihr vorgenommenen Einspeisungen nicht zu. Für die Nut-
zung des Hochspannungsnetzes zum Zwecke des Transports zu anderen Mit-
telspannungsnetzen der Klägerin sei lediglich ein Nutzungsentgelt zugunsten
der Beklagten vereinbart. Für die übrige Nutzung des Netzes sei zwar ein nach
Mengen gestaffeltes Einspeiseentgelt vereinbart. Den dafür maßgeblichen Min-
destwert für die Solleinspeisung habe die Klägerin in den Jahren 2005 und
2006 aber unstreitig nicht erreicht.
Aus der Einführung des gesetzlichen Entgelts für dezentrale Einspeisung
könne die Klägerin für die Zeit bis zum Wirksamwerden der Entgeltgenehmi-
gung am 1. September 2006 schon deshalb keine weitergehenden Rechte her-
leiten, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt eine Anpassung der bestehenden Ver-
träge nicht verlangt habe. Dies ergebe sich aus der Übergangsvorschrift in
§ 115 Abs. 1 EnWG, die nicht nur für Nutzungsentgelte, sondern auch für Ein-
speiseentgelte anwendbar sei. Das gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG erforder-
liche Anpassungsverlangen könne nicht für bereits vergangene Zeiträume gel-
tend gemacht werden. Rechtsgrundlose Mehrerlöse eines Netzbetreibers seien
periodenübergreifend auszugleichen, nicht aber durch Zahlungsansprüche zwi-
schen Netzbetreiber und Kunden.
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Für den Zeitraum vom 1. September bis 31. Dezember 2006 könne die
Klägerin ein Entgelt nicht verlangen, weil sich nicht feststellen lasse, dass sie
für diesen Zeitraum insgesamt mehr bezahlt habe, als sie auf der Grundlage
der genehmigten Entgelte nach Abzug des nach § 18 StromNEV geschuldeten
Einspeiseentgelts hätte zahlen müssen. Die Höhe der vermiedenen Netzentgel-
te könne im Streitfall nur anhand der eingespeisten Arbeit bemessen werden,
nicht aber anhand der eingespeisten Leistung. Der für die Leistung maßgebli-
che Höchstwert sei für jedes Kalenderjahr einheitlich zu bestimmen. Im Jahr
2006 sei dieser Wert bereits im Januar und damit außerhalb des in Rede ste-
henden Zeitraums erzielt worden. Das anhand der eingespeisten Arbeit zu be-
messende Einspeiseentgelt belaufe sich auf allenfalls 35.491,51 Euro. Die Dif-
ferenz zwischen den nach dem Vertrag geschuldeten und den genehmigten
Nutzungsentgelten betrage hingegen mehr als 230.000 Euro.
Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen unterlassener Vertragsanpas-
sung stehe der Klägerin nicht zu, weil sie bis zum Ablauf des Jahres 2006 eine
Anpassung nicht verlangt habe. Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch scheide
aus, weil Mehrerlöse nur periodenübergreifend abzuschöpfen seien.
B. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Überprüfung im
Ergebnis stand.
I.
Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht Ansprüche auf Zah-
lung von Einspeiseentgelt für den Zeitraum vom 29. Juli 2005 bis 31. August
2006 als unbegründet angesehen, weil die Klägerin innerhalb dieses Zeitraums
eine Anpassung der bestehenden Nutzungsverträge nicht verlangt hat.
1. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht vertragliche Zah-
lungsansprüche der Klägerin für diesen Zeitraum verneint.
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a) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des
Berufungsgerichts kann die Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nicht
auf die im Jahr 2003 getroffenen Vereinbarungen stützen. Rechtsfehler sind
insoweit nicht ersichtlich.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind weitergehende
Ansprüche der Klägerin nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil unberechtig-
te Mehreinnahmen nur im Wege der periodenübergreifenden Saldierung aus-
geglichen werden könnten.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats hat die gesetzliche
Regelung in § 118 Abs. 1b Satz 2 EnWG (in der bis 25. August 2009 geltenden
Fassung) und § 23a Abs. 5 Satz 1 EnWG, wonach die bisherigen Entgelte bis
zur Erteilung einer fristgerecht beantragten Genehmigung beibehalten werden
dürfen, zur Folge, dass ein Netzbetreiber gegenüber seinen Kunden bis zur Er-
teilung der Genehmigung auf der Grundlage der früheren Tarife abrechnen darf
und zu einer Rückabwicklung auch dann nicht verpflichtet ist, wenn sich aus der
später erteilten Genehmigung ergibt, dass diese Tarife den gesetzlichen
Vorgaben nicht entsprochen haben (BGH, Beschluss vom 14. August 2008
- KVR 39/07, RdE 2008, 323 Rn. 6 ff. und Rn. 20 ff. - Vattenfall).
Diese Grundsätze sind für die von der Klägerin geltend gemachten An-
sprüche indes nicht einschlägig. Sie gelten lediglich für Entgelte, die nach § 23a
EnWG der Genehmigung bedürfen. Hierzu gehört das Entgelt für die dezentrale
Einspeisung gemäß § 18 StromNEV nicht.
Einer Genehmigung bedürfen gemäß § 23a Abs. 1 EnWG nur Entgelte
für den Netzzugang nach § 21 EnWG. Die Einspeisung von Strom in ein Netz
ist zwar eine besondere Form der Netznutzung. Das hierfür vorgesehene Ent-
gelt stellt aber, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, keine Gegen-
leistung für die Gewährung des Zugangs dar, sondern einen Ausgleich für die
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Vorteile, die dem Netzbetreiber aufgrund der Einspeisung zufließen, weil ihm
geringere Kosten für die Inanspruchnahme vorgelagerter Netze entstehen.
Dass Einspeiseentgelte auf Seiten des Netzbetreibers als Kosten zu be-
rücksichtigen sind, die in die Kalkulation der genehmigungsbedürftigen Nut-
zungsentgelte einfließen, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Aus
diesem Umstand mag sich ergeben, dass die Höhe der gezahlten Einspeise-
entgelte im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens der Überprüfung durch die
Regulierungsbehörde unterliegen kann. Er hat aber nicht zur Folge, dass die
Einspeiseentgelte ihrerseits der Genehmigung bedürfen.
c) Zu Recht hat das Berufungsgericht aber entschieden, dass die Klä-
gerin eine rückwirkende Anpassung dieser Verträge für den in Rede stehenden
Zeitraum nicht verlangen kann.
aa) Nach der Übergangsvorschrift in § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG kann
eine Anpassung von Verträgen, die am 13. Juli 2005 bereits bestanden haben,
für einen Zeitraum, der vor der erstmaligen Geltendmachung eines Anpas-
sungsbegehrens liegt, nicht verlangt werden.
Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG, der zusammen mit der Neuregelung
des Energiewirtschaftsrechts am 13. Juli 2005 in Kraft getreten ist, sind beste-
hende Verträge über den Anschluss an und den Zugang zu Energieversor-
gungsnetzen spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten einer aufgrund der
§§ 17, 18 oder 24 EnWG erlassenen Rechtsverordnung an die Vorschriften die-
ses Gesetzes und die jeweilige Rechtsverordnung anzupassen, soweit eine
Vertragspartei dies verlangt. Für die von der Klägerin geltend gemachten An-
sprüche ist die aufgrund von § 24 EnWG erlassene Stromnetzentgeltverord-
nung maßgeblich, die am 29. Juli 2005 in Kraft getreten ist. Die zwischen den
Parteien getroffenen Vereinbarungen über die Nutzung des Hochspannungs-
netzes hätten auf ein entsprechendes Verlangen hin folglich spätestens zum
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29. Januar 2006 an die Vorschriften dieser Verordnung angepasst werden
müssen, und zwar jedenfalls dergestalt, dass der Klägerin ein Anspruch auf
Zahlung von Einspeiseentgelt in der in § 18 StromNEV näher bestimmten Höhe
zusteht.
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat
die Klägerin eine dahingehende Anpassung der im Jahr 2003 geschlossenen
Verträge, in denen auch die dezentrale Einspeisung von Strom aus dem in Re-
de stehenden Kraftwerk geregelt war, jedenfalls nicht vor dem Jahr 2007 ver-
langt. Deshalb kann sie eine Anpassung für die Jahre 2005 und 2006 nach
§ 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG nicht verlangen.
Aus dem Wortlaut von § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG ergibt sich zwar nicht
eindeutig, ob eine Vertragspartei die Anpassung eines bestehenden Vertrags
auch für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum verlangen kann. Der
Gesetzessystematik und dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist aber zu ent-
nehmen, dass ein solches Verlangen nicht zulässig ist.
§ 115 EnWG sieht eine Anpassungspflicht nur für solche Verträge vor,
deren Restlaufzeit bei Inkrafttreten der Regelung eine bestimmte Grenze über-
steigt. Verträge mit einer kürzeren Restlaufzeit bleiben in ihrem Bestand mithin
auch dann unberührt, wenn sie mit den Regelungen des Energiewirtschafts-
rechts oder einer auf dessen Grundlage ergangenen Verordnung in Wider-
spruch stehen. Verträge mit längerer Laufzeit sind grundsätzlich anzupassen.
Soweit es um die Belieferung von Haushaltskunden oder sonstigen Letztver-
brauchern oder um Nutzungsentgelte geht, die nach § 23a EnWG zu genehmi-
gen sind, ist die Anpassung nach § 115 Abs. 1a, 2 und 3 EnWG unabhängig
von einem entsprechenden Verlangen vorzunehmen. Sonstige Regelungen in
Verträgen über den Anschluss an und den Zugang zu einem Netz sind nach
§ 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG hingegen nur auf Verlangen anzupassen. Dem ist
zu entnehmen, dass den neuen Regelungen in Gesetz und Verordnung gegen-
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über bestehenden Verträgen kein absoluter Vorrang zukommt, eine Anpassung
vielmehr unterbleiben darf, solange keine der Vertragsparteien einen entgegen-
stehenden Willen äußert.
§ 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG enthält damit der Sache nach eine besondere
Regelung über die Anpassung von Verträgen an veränderte Umstände. Nach
allgemeinen Grundsätzen kommt die Anpassung eines Vertrags wegen Ände-
rung oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage regelmäßig nur für die Zukunft in
Betracht, sofern sich nicht aus den besonderen Umständen des jeweiligen Fal-
les etwas anderes ergibt (BGH, Urteil vom 7. Juli 2004 - VIII ZR 192/03, NJW
2004, 3115, 3116). In § 115 EnWG hat der Gesetzgeber eine solche Differen-
zierung selbst getroffen, indem er nur für bestimmte Konstellationen eine An-
passung unabhängig von einem entsprechenden Begehren einer Vertragspartei
vorschreibt. Dies spricht dafür, dass es für die in § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG
geregelte Konstellation bei dem genannten Grundsatz verbleibt, eine Anpas-
sung also frühestens für denjenigen Zeitpunkt vorzunehmen ist, an dem eine
Vertragspartei eine solche verlangt.
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus der Festlegung
einer Höchstfrist von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes oder der
einschlägigen Verordnung keine abweichende Schlussfolgerung. Diese Be-
stimmung betrifft lediglich solche Fälle, in denen eine Partei die Anpassung des
Vertrags schon vor Ablauf der genannten Frist verlangt. Sie führt dazu, dass
eine Anpassung in solchen Fällen unter Umständen erst von einem späteren
Zeitpunkt an verlangt werden kann. Für den Fall, dass eine Anpassung erst
nach Ablauf der Frist verlangt wird, kommt der Vorschrift hingegen keine Be-
deutung zu. Deshalb ist ein Anpassungsverlangen einerseits nicht schon des-
halb unzulässig, weil es erst nach Ablauf der Frist erhoben wurde. Andererseits
darf ein solches Verlangen nicht abweichend von den allgemeinen Grundsätzen
auf eine Anpassung für die Vergangenheit gerichtet werden.
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bb) Ein Anpassungsrecht nach § 115 Abs. 1a EnWG steht der Klägerin
nicht zu.
Nach § 115 Abs. 1a EnWG sind die von § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG er-
fassten Verträge unabhängig von einem entsprechenden Verlangen anzupas-
sen, soweit sie Entgelte regeln, die nach § 23a EnWG zu genehmigen sind.
Hierzu gehört das Einspeiseentgelt gemäß § 18 StromNEV aus den bereits
oben dargelegten Gründen nicht.
2. Entgegen der Auffassung der Revision kann die Klägerin ihr Begeh-
ren nicht auf § 18 StromNEV stützen.
Die in § 18 StromNEV enthaltenen Regelungen über Voraussetzungen
und Höhe des Entgelts für die dezentrale Einspeisung von Strom ist für Netzbe-
treiber und Einspeiser zwar grundsätzlich verbindlich. Diese Regelungen wer-
den aber überlagert durch die Übergangsregelung in § 115 EnWG, wonach Ver-
träge, die bei Inkrafttreten der Stromnetzentgeltverordnung bereits bestanden
hatten, nur unter bestimmten Voraussetzungen angepasst werden müssen. Aus
dem Zusammenspiel dieser beiden Regelungen ergibt sich, dass ein bestehen-
der Altvertrag, der eine abschließende Regelung über das für die dezentrale
Einspeisung zu zahlende Entgelt enthält, maßgeblich bleibt, solange er an die
Vorgaben des § 18 StromNEV weder angepasst worden ist noch angepasst
werden muss.
Im Streitfall war die dezentrale Einspeisung von Strom aus dem in Rede
stehenden Kraftwerk durch die beiden im Jahr 2003 geschlossenen Verträge
abschließend geregelt. Diese Verträge betrafen nicht nur die Entnahme von
Strom aus dem Hochspannungsnetz durch die Klägerin, sondern auch die Ein-
speisung des im Kraftwerk erzeugten Stroms.
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Der Vertrag über die Netznutzung enthielt nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts eine Regelung über das Einspeiseentgelt. Damit deckt sich
sein Regelungsgegenstand mit demjenigen von § 18 StromNEV. Dass die Re-
gelung inhaltlich von den Vorgaben der Verordnung abweicht, ist aufgrund der
Übergangsregelung in § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG unerheblich.
Der Vertrag über den Netzzugang sah demgegenüber zwar kein geson-
dertes Einspeiseentgelt vor. Dem Umstand, dass die Parteien über die Durch-
leitung von Strom zu anderen Mittelspannungsnetzen eine besondere vertragli-
che Regelung getroffen haben, ist mangels abweichender Anhaltspunkte aber
zu entnehmen, dass sie alle Aspekte dieser Form des Netzzugangs abschlie-
ßend regeln, eine auf das von der Klägerin zu zahlende Nutzungsentgelt anzu-
rechnende Einspeisevergütung also gerade ausschließen wollten. Eine solche
Regelung lag ohnehin nahe, weil bei dieser Nutzungsform die Menge des ein-
geleiteten Stroms grundsätzlich der Menge des entnommenen Stroms ent-
spricht und deshalb jeder Nutzungsvorgang sowohl ein Einspeiseentgelt als
auch ein Nutzungsentgelt auslösen würde.
II. Aus den aufgezeigten Gründen steht der Klägerin auch für den Zeit-
raum vom 1. September bis 31. Dezember 2006 ein Einspeiseentgelt nicht zu.
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheidet ein Zah-
lungsanspruch der Klägerin allerdings nicht schon deshalb aus, weil das Entgelt
gemäß § 18 StromNEV für diesen Zeitraum allein anhand der Vermeidungsar-
beit und nicht auch anhand der Vermeidungsleistung zu bemessen wäre.
a) Wie auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkannt hat, ist die
Vermeidungsleistung gemäß § 18 Abs. 2 Satz 4 StromNEV in der hier maßgeb-
lichen, bis 11. April 2008 geltenden Fassung als Differenz zwischen der zeit-
gleichen Jahreshöchstlast aller Entnahmen aus der Netz- oder Umspannebene
und der Bezugslast aus der vorgelagerten Netz- oder Umspannebene im Zeit-
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punkt der Jahreshöchstlast zu bestimmen. Die Aufteilung auf die einzelnen de-
zentralen Einspeisungen hat gemäß § 18 Abs. 3 Satz 1 StromNEV sachgerecht
nach individueller Vermeidungsarbeit und Vermeidungsleistung zu erfolgen.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist hieraus die
Schlussfolgerung zu ziehen, dass der individuelle Beitrag, den eine während
des gesamten Kalenderjahrs betriebene Anlage zu der nach § 18 Abs. 2 Satz 4
StromNEV maßgeblichen Vermeidungsleistung erbracht hat, bei der Bemes-
sung des Einspeiseentgelts nach § 18 StromNEV auch dann zu berücksichtigen
ist, wenn ein solches nur für einen Teil des Kalenderjahrs geschuldet ist und der
Zeitpunkt der Jahreshöchstlast außerhalb dieses Zeitraums liegt.
Die nach § 18 Abs. 2 Satz 4 StromNEV maßgebliche Vermeidungsleis-
tung kann aufgrund der darin vorgesehenen Anknüpfung an die Jahreshöchst-
last für ein Kalenderjahr nur einheitlich bestimmt werden. Dies hat zur Folge,
dass ein leistungsbezogener Entgeltanteil grundsätzlich nur für solche Einspei-
sungen anfallen kann, die einen individuellen Beitrag zu dieser Vermeidungs-
leistung erbringen. Wenn eine Anlage dieser Anforderung genügt, ist ihr indivi-
dueller Beitrag zur Vermeidungsleistung aber unabhängig davon zu berücksich-
tigen, mit welcher Leistung sie an den übrigen Tagen des Kalenderjahrs ein-
speist. Bliebe der Beitrag einer solchen Anlage nur deshalb unberücksichtigt,
weil sie nicht über das ganze Kalenderjahr hinweg in Betrieb war, so führte dies
zu einer mit den Verteilungsregeln in § 18 Abs. 2 und 3 StromNEV nicht verein-
baren Bevorzugung des Netzbetreibers oder der übrigen Einspeiser. Für den
Fall, dass eine Anlage über das ganze Kalenderjahr hinweg in Betrieb war, aber
nur für einen Teil davon ein Einspeiseentgelt zu zahlen ist, kann nichts anderes
gelten. Auch in diesem Fall ist ein leistungsbezogener Entgeltanteil geschuldet.
Er ist lediglich auf denjenigen Anteil des auf das gesamte Kalenderjahr entfal-
lenden Betrags zu reduzieren, der dem entgeltpflichtigen Zeitraum entspricht,
im vorliegenden Zusammenhang also auf ein Drittel des Jahresbetrags, weil es
um ein Einspeiseentgelt für einen Zeitraum von vier Monaten geht.
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Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führt diese Berech-
nungsweise nicht zu einer unzulässigen Auftrennung des Kalenderjahrs in meh-
rere Einzelzeiträume. Sie stellt aus den aufgezeigten Gründen vielmehr gerade
sicher, dass alle Beiträge zur Jahreshöchstlast in angemessener Weise berück-
sichtigt werden.
2. Die angefochtene Entscheidung erweist sich jedoch aus anderen
Gründen als im Ergebnis zutreffend (§ 561 ZPO).
a) Die Klägerin hat für den hier in Rede stehenden Zeitraum ebenfalls
keinen Anspruch auf Anpassung der im Jahr 2003 geschlossenen Verträge,
weil die Verträge auch insoweit gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG nur auf Ver-
langen anzupassen waren und die Klägerin eine Anpassung frühestens im Jahr
2007 verlangt hat.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich aus dem
Grundsatz, dass Netznutzungsentgelte nach Ablauf der in § 118 Abs. 1b EnWG
a.F. vorgesehenen Übergangsfrist - im vorliegenden Zusammenhang nach dem
28. Oktober 2005 - eine materielle Grundlage nur noch insofern haben, als sie
den Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes und der auf dessen Grundlage
ergangenen Verordnungen haben, keine abweichende Beurteilung.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist aus dem genann-
ten Grundsatz zwar abzuleiten, dass ein Netzbetreiber Erlöse, die er entgegen
den Vorgaben aus Gesetz und Verordnung erzielt hat, nicht behalten darf, son-
dern im Rahmen einer periodenübergreifenden Saldierung nach dem Vorbild
des § 11 StromNEV auszugleichen hat. Für das Verhältnis zu einzelnen Netz-
nutzern ergeben sich aus diesem Grundsatz aber keine unmittelbaren Rechts-
folgen (BGH, Beschluss vom 14. August 2008 - KVR 39/07, RdE 2008, 323
Rn. 20 ff. - Vattenfall).
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Für die Entscheidung des Streitfalls kann dahingestellt bleiben, ob die fi-
nanziellen Vorteile, die ein Netzbetreiber erzielt, indem er für die dezentrale
Einspeisung von Strom nicht die in § 18 StromNEV vorgesehenen Entgelte
zahlt, ebenfalls in eine periodenübergreifende Saldierung einzustellen sind.
Selbst wenn dies zu bejahen wäre, ergäben sich daraus keine Zahlungsansprü-
che des Einspeisers. Das diesem zustehende Entgelt richtet sich vielmehr
grundsätzlich nach den vertraglichen Vereinbarungen, die er mit dem Netzbe-
treiber geschlossen hat.
Für eventuelle Zahlungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte sind
damit auch für den Zeitraum vom 1. September bis 31. Dezember 2006 die
Bestimmungen der im Jahr 2003 geschlossenen Verträge maßgeblich, weil die-
se gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 EnWG nur auf Verlangen einer Vertragspartei
anzupassen waren und eine Anpassung frühestens im Jahr 2007 verlangt wur-
de.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führt der Umstand,
dass für die Netzentgelte der Beklagten ab dem 1. September 2006 eine Ge-
nehmigung erteilt wurde, ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
Mit der Erteilung einer Genehmigung darf der Netzbetreiber allerdings
auch im Verhältnis zu den Nutzern keine höheren als die genehmigten Entgelte
verlangen. Abweichend von § 118 Abs. 1b EnWG a.F. und § 23a Abs. 5 Satz 1
EnWG ist er mithin grundsätzlich zur Rückabwicklung verpflichtet, wenn er hö-
here Entgelte vereinnahmt.
Diese Rückabwicklungspflicht gilt aber nur für diejenigen Entgelte, die
der Genehmigung bedürfen. Hierzu zählen wie bereits mehrfach erwähnt nur
die von den Nutzern zu zahlenden Nutzungsentgelte, nicht aber die an Anla-
genbetreiber zu zahlenden Entgelte für dezentrale Einspeisung.
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Für Verträge, in denen für die Durchleitung von Strom ein einheitliches
Nutzungsentgelt ohne separat ausgewiesenes Einspeiseentgelt vereinbart ist,
hat dies zur Folge, dass Rückzahlungsansprüche für Zeiträume, in denen der
Vertrag an die Vorgaben aus Gesetz und Verordnungen weder angepasst wor-
den ist noch angepasst werden muss, nur insoweit in Betracht kommen, als das
vereinbarte Entgelt die genehmigten Entgelte übersteigt. Eine Saldierung mit
dem in § 18 StromNEV vorgesehenen Einspeiseentgelt ist entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts nicht vorzunehmen, weil das Einspeiseentgelt
nicht genehmigungsbedürftig ist und sich die Zulässigkeit einer entsprechenden
Vereinbarung bei Altverträgen ausschließlich nach § 115 EnWG richtet.
d) Der von der Revision postulierte Grundsatz, Einspeisung und Ent-
nahme seien stets getrennt zu beurteilen, führt ebenfalls nicht zu einer abwei-
chenden Beurteilung.
Dieser Grundsatz ist im vorliegenden Zusammenhang zwar insoweit ein-
schlägig, als das Nutzungsentgelt und das Einspeiseentgelt rechtlich gesondert
zu betrachten sind. Hieraus ergibt sich indes, wie die Revisionserwiderung zu-
treffend aufzeigt, gerade die oben aufgezeigte Konsequenz, dass die Bin-
dungswirkung einer nach § 23a EnWG erteilten Genehmigung nur das Nut-
zungsentgelt erfasst, nicht aber ein Einspeiseentgelt. Dies gilt auch dann, wenn
beide Entgelte durch denselben Nutzungsvorgang ausgelöst werden.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Limperg
Strohn
Grüneberg
Bacher
Deichfuß
Vorinstanzen:
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 10.05.2012 - 14 O 516/10 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 25.11.2014 - Kart U 4/12 -
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