Urteil des BGH vom 14.04.2015

Gasnetz Springe Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
E n Z R 1 1 / 1 4
Verkündet am:
14. April 2015
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Gasnetz Springe
EnWG § 46 Abs. 2 Satz 4
Der Auskunftsanspruch der Gemeinde gegenüber dem bisherigen Nutzungsberech-
tigten nach § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG umfasst auch Angaben zu den kalkulatori-
schen Restwerten und den kalkulatorischen Nutzungsdauern für sämtliche Anlagen
des zu überlassenden Versorgungsnetzes.
BGH, Urteil vom 14. April 2015 - EnZR 11/14 - OLG Celle
LG Hannover
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. April 2015 durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg und die
Richter Prof. Dr. Strohn, Dr. Grüneberg, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Celle vom 9. Januar 2014 wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, in welchem Umfang die Beklagte gegenüber
der klagenden Gemeinde im Zusammenhang mit der Neuvergabe eines Konzessi-
onsvertrags zu einer Auskunft nach § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG verpflichtet ist.
Die Klägerin schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgen-
den: Beklagte) am 28. Juni 1989 einen Konzessionsvertrag über die Gasversorgung
in ihrem Stadtgebiet, der später bis zum 30. Juni 2014 verlängert wurde. Zur Vorbe-
reitung der Neuvergabe des Konzessionsvertrags verlangte die Klägerin von der Be-
klagten mit Schreiben vom 17. November 2009 und 7. Dezember 2009 die Mitteilung
bestimmter Informationen über das Gasnetz, insbesondere Angaben zu kalkulatori-
schen Restwerten. Dieses Begehren wurde von der Beklagten abgelehnt.
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Auf die Auskunftsklage der Klägerin wurde die Beklagte vom Landgericht
antragsgemäß verurteilt, der Klägerin für sämtliche Anlagen, die in dem Mengenge-
rüst der Beklagten mit Stand zum 31. Dezember 2011 ("Gasnetz Springe Gesamt-
übersicht") aufgeführt sind, Folgendes mitzuteilen:
die im jeweiligen Zeitpunkt ihrer Errichtung erstmals aktivierten Anschaf-
fungs- und Herstellungskosten (historische Anschaffungs- und Herstellungs-
kosten) sowie das Jahr der Aktivierung,
die der letzten Bestimmung des Ausgangsniveaus der Beklagten nach § 21a
EnWG i.V.m. § 6 Abs. 1 ARegV zugrunde liegenden kalkulatorischen Rest-
werte nach §§ 6, 32 GasNEV,
die der letzten Bestimmung des Ausgangsniveaus der Beklagten nach § 21a
EnWG i.V.m. § 6 Abs. 1 ARegV zugrunde liegenden kalkulatorischen Nut-
zungsdauern für die laufende Abschreibung nach § 6 GasNEV sowie
die kalkulatorischen Restwerte mit Stand zum 31. Dezember 2011.
Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht
zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die
Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet.
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I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung (OLG Celle, RdE 2014, 122)
im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Klägerin stehe der Auskunftsanspruch aus § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG in
der seit dem 4. August 2011 geltenden Fassung zu. Diese Vorschrift sei auf zu die-
sem Zeitpunkt bestehende Konzessionsverträge anwendbar. Für die hier maßgebli-
che Phase vor Abschluss eines Konzessionsvertrags regele sie den Auskunftsan-
spruch abschließend. Danach sei der bisherige Nutzungsberechtigte verpflichtet, der
Gemeinde spätestens ein Jahr vor der Bekanntmachung nach § 46 Abs. 3 EnWG
diejenigen Informationen über die technische und wirtschaftliche Situation des Net-
zes zur Verfügung zu stellen, die für eine Bewertung des Netzes im Rahmen einer
Bewerbung um den (Neu-)Abschluss eines Konzessionsvertrages erforderlich seien.
Ob kalkulatorische Netzdaten von dem Auskunftsanspruch der Gemeinde umfasst
seien, sei allerdings umstritten. Nach dem noch unter der Geltung der früheren
Rechtslage erstellten Gemeinsamen Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundes-
netzagentur seien kalkulatorische Netzdaten nicht in der - wie hier - ersten Phase
des Neuvergabeverfahrens mitzuteilen gewesen, sondern erst nach dessen Ab-
schluss gegenüber dem neuen Konzessionsinhaber. Daran könne indes nach der
neuen Rechtslage nicht festgehalten werden. Danach seien auch die von der Kläge-
rin begehrten kalkulatorischen Netzdaten bereits in der ersten Phase des Konzessi-
onsverfahrens mitzuteilen. Die Netzdaten seien geeignet, die Beurteilungsgrundlage
der möglichen Bewerber um eine Konzession zu verbessern, weil sich der Ertrag aus
dem Netzbetrieb vorrangig nach der kalkulatorischen Eigenkapitalverzinsung und der
kalkulatorischen Abschreibung bestimme. Die Kenntnis dieser Daten sei im Rahmen
einer Bewerbung um die Neuvergabe der Konzession auch erforderlich, um sowohl
den zu erwartenden Ertrag aus dem Netzbetrieb als auch die entstehenden Kosten
möglichst genau abschätzen zu können. Dies decke sich auch mit dem Wortlaut der
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Vorschrift und dem Willen des Gesetzgebers. Etwas anderes ergebe sich auch nicht,
wenn der Kaufpreis für den Netzübergang durch den Ertragswert zu begrenzen sei
und deshalb insoweit erst eine spätere Kenntnis der streitigen Netzdaten erforderlich
sei. Auch dann hätten die Konzessionsbewerber ein Interesse daran, bereits in der
ersten Phase des Konzessionsverfahrens die Daten zu kennen, um die Folgekosten
eines Konzessionsvertrags abschätzen zu können. Dies diene zugleich dazu, den
Informationsvorsprung des bisherigen Konzessionsinhabers auszugleichen und ei-
nen diskriminierungsfreien Wettbewerb zu fördern.
Dem Auskunftsanspruch stehe nicht entgegen, dass es sich bei den kalkula-
torischen Netzdaten möglicherweise um Geschäftsgeheimnisse der Beklagten han-
dele. Die Beklagte habe bereits ein Geheimhaltungsinteresse nicht hinreichend sub-
stantiiert dargelegt, so dass das Interesse an der Offenlegung der Daten gegenüber
den möglichen Bewerbern ein etwaiges Geheimhaltungsinteresse der Beklagten
überwiege. Zwar könnten unter Umständen aus den fraglichen Informationen Rück-
schlüsse auf die Struktur des zu übertragenden Gasnetzes gezogen werden. Wegen
des geringen Anteils dieses Teilnetzes am Gesamtnetz der Beklagten ließen sich
daraus aber keine Rückschlüsse auf deren Kostenkalkulation ziehen.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision
zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat zu Recht den von der Klägerin geltend
gemachten Auskunftsanspruch in vollem Umfang bejaht.
1. Das Berufungsgericht ist zu Recht von einer Anwendung des § 46 Abs. 2
Satz 4 EnWG in der seit dem 4. August 2011 geltenden Fassung ausgegangen. So-
weit - anders als hier - ein neuer Konzessionsvertrag bereits abgeschlossen worden
ist und sich der bisherige Konzessionsinhaber gegen die Wirksamkeit des neuen
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Vertrags wendet, ist zwar nach der Rechtsprechung des Senats in Bezug auf den
Inhalt des Anspruchs des neuen Energieversorgungsunternehmens auf das zur Zeit
seiner Entstehung geltende Recht abzustellen, so dass es insoweit auf den Zeitpunkt
des Abschlusses des neuen Konzessionsvertrags ankommt und der eigentliche Ver-
tragsbeginn unerheblich ist (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 2013 - KZR 66/12,
BGHZ 199, 289 Rn. 60 und 70 - Stromnetz Berkenthin und KZR 65/12, WuW/E DE-R
4139 Rn. 57 - Stromnetz Heiligenhafen). Hier geht es aber um den Inhalt eines ge-
setzlichen Auskunftsanspruchs in einem laufenden Konzessionsverfahren, das auf
einen in der Zukunft liegenden Abschluss eines neuen Konzessionsvertrags gerichtet
ist. Maßgeblich ist somit nach allgemeinen Grundsätzen das zur Zeit der letzten
mündlichen Tatsachenverhandlung geltende Recht (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Juni
2010 - KZR 24/08, WuW/E DE-R 2963 Rn. 25). Da diese im Dezember 2013 stattge-
funden hat, ist hier § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG in der seit dem 4. August 2011 gelten-
den Fassung anwendbar.
2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht zu Recht
angenommen, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf die begehrte
Auskunft aus § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG zusteht. Der Informationsanspruch der Ge-
meinde gegenüber dem bisherigen Netzbetreiber umfasst bereits im Verfahrenssta-
dium der Neuvergabe von Konzessionsverträgen insbesondere Angaben zu den kal-
kulatorischen Restwerten und kalkulatorischen Nutzungsdauern.
a) Das entspricht der zu dieser Vorschrift in Rechtsprechung und Schrifttum
überwiegend vertretenen Auffassung (OLG Frankfurt am Main, RdE 2011, 422
Rn. 85; Theobald in Danner/Theobald, Energierecht, Stand: September 2013, § 46
Rn. 110 f.; Byok/Dierkes, RdE 2012, 221, 224; Schau, NdsVBl. 2013, 89, 92 f.; eben-
so zur früheren Rechtslage: Säcker/Mohr/Wolf, Konzessionsverträge im System des
europäischen und deutschen Wettbewerbsrecht, S. 93 ff.; Bahr/Sassenberg, RdE
2011, 170, 171; Becker, RdE 2010, 243, 244; Byok/Dierkes, RdE 2011, 394, 398 f.;
Büttner/Templin, ZNER 2011, 121, 127 f.; Schau, RdE 2011, 1, 3 f.), der sich der Se-
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nat anschließt. Die Gegenauffassung, die einen Informationsanspruch hinsichtlich
der kalkulatorischen Daten erst nach Abschluss des neuen Konzessionsvertrags für
gegeben erachtet (BerlKommEnR/Wegner, 2. Aufl., EnWG, § 46 Rn. 106; Jacob,
N&R 2012, 194, 198 f.; ders., VersorgW 2014, 76 ff.; ebenso zur früheren Rechtsla-
ge: Berzel in Kermel, Praxishandbuch der Konzessionsverträge und der Konzessi-
onsabgaben, Kap. 5 Rn. 110 ff.; Höch/Kalwa, RdE 2010, 364, 365; Kermel, RdE
2005, 153, 158 f.; Marthol/Wolf, VersorgW 2010, 293 f.; Pippke/Gaßner, RdE 2006,
33, 38 f.), überzeugt nicht.
b) Die Frage, welche Daten im Einzelnen von dem Informationsanspruch des
§ 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG umfasst sind, wird durch den Wortlaut der Vorschrift nicht
eindeutig beantwortet, wenngleich er nahe legt, dass auch kalkulatorische Netzdaten
unter den Auskunftsanspruch fallen. Nach dieser Vorschrift hat der bisherige Nut-
zungsberechtigte der Gemeinde diejenigen Informationen über die technische und
wirtschaftliche Situation des Netzes zur Verfügung zu stellen, die für eine Bewertung
des Netzes im Rahmen einer Bewerbung um den Abschluss eines neuen Konzessi-
onsvertrags erforderlich sind.
Die Bewerber um einen neuen Konzessionsvertrag müssen somit in die Lage
versetzt werden, den wirtschaftlichen Wert des Energienetzes bestimmen zu können.
Die Bieter müssen bei der vor Angebotserstellung gebotenen Wirtschaftlichkeitsprü-
fung wissen, wie effizient ein Netz ist und welche Maßnahmen gegebenenfalls zur
Kostensenkung notwendig sind. Denn die Erlöse für den Netzzugang sind gemäß
§ 21a EnWG in Verbindung mit den Vorschriften der Anreizregulierungsverordnung
am wettbewerbsanalogen Preis ausgerichtet, der sich unternehmensintern in der
Maxime möglichst kosteneffizienter Leistungserbringung ausdrückt (vgl. Säcker/
Mohr/Wolf, Konzessionsverträge im System des europäischen und deutschen Wett-
bewerbsrecht, S. 94). In diesem Zusammenhang sind die genehmigten (kalkulatori-
schen) Restwerte der Anlagen des Altkonzessionärs für den Bieter von Interesse,
weil er diese im Falle des Zuschlags übernehmen und fortführen muss.
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Darüber hinaus sind die begehrten Auskünfte im Rahmen des Bieterverfah-
rens auch deshalb von maßgeblichem Interesse, weil sie zur Abschätzung der nach
§ 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG zu entrichtenden angemessenen Vergütung von Bedeu-
tung sind. Nach der Rechtsprechung des Senats können zur Berechnung der Vergü-
tung sowohl der Ertragswert als auch der Sachzeitwert zu Grunde gelegt werden, es
sei denn, dass der Sachzeitwert den Ertragswert des Versorgungsnetzes nicht uner-
heblich übersteigt (Senatsurteil vom 16. November 1999 - KZR 12/97, BGHZ 143,
128, 152 ff. - Endschaftsbestimmung I; Senatsbeschluss vom 3. Juni 2014 - EnVR
10/13, RdE 2015, 29 Rn. 45 - Stromnetz Homberg). Der Ertragswert des Netzes
hängt indes im Rahmen der nach § 4 Abs. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1 ARegV festgelegten
Erlösobergrenzen, die auf den neuen Netzbetreiber nach den Maßgaben des § 26
ARegV übergehen, maßgeblich von der genehmigten kalkulatorischen Eigenkapital-
verzinsung ab, die sich aus der Eigenkapitalquote und dem kalkulatorischen Rest-
wert des Anlagevermögens zusammensetzt (so auch Gemeinsamer Leitfaden von
Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur zur Vergabe von Strom- und Gaskonzes-
sionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers vom 15. Dezember 2010,
Rn. 59). Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 ARegV sind die vom Netzbetreiber anzusetzenden
kalkulatorischen Restwerte einer Regulierung gemäß §§ 6, 32 GasNEV/StromNEV
unterworfen. So sind die Abschreibungen nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Gas-
NEV/StromNEV nach den im Zeitpunkt ihrer Errichtung erstmalig aktivierten Anschaf-
fungs- und Herstellungskosten (historische Anschaffungs- und Herstellungskosten)
zu ermitteln und die Nutzungsdauern nach § 6 Abs. 5 GasNEV/StromNEV in Verbin-
dung mit Anlage 1 zu diesen Vorschriften festzustellen. Auch insoweit bleibt der neue
Netzbetreiber an die einmal in Ansatz gebrachte Nutzungsdauer einer Anlage für die
Restdauer ihrer kalkulatorischen Abschreibung gebunden (§ 6 Abs. 5 Satz 2 Gas-
NEV/StromNEV).
c) Entscheidend für eine solch weitgehende Auskunftspflicht des Altkonzes-
sionärs bereits zu Beginn des neuen Vergabeverfahrens spricht der Zweck des § 46
EnWG. Diese Vorschrift soll einen Wettbewerb um die Netze ermöglichen. Damit soll
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- was § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG zeigt - das energiewirtschaftsrechtliche Ziel des § 1
EnWG einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten
und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit
Elektrizität und Gas erreicht werden. Vor diesem Hintergrund dienen die gegenüber
der Gemeinde bestehenden Auskunftspflichten des § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG der
Information potentieller Bieter, damit sich andere Unternehmen um die Wegenut-
zungsrechte bewerben können, um damit zugleich der Gemeinde eine Bestenausle-
se zu ermöglichen (vgl. Senatsurteil vom 18. November 2014 - EnZR 33/13, ZNER
2015, 24 Rn. 17 - Stromnetz Schierke). Nur wenn allen potentiellen Bietern bekannt
ist, in welcher Größenordnung sich die angemessene Vergütung im Sinne des § 46
Abs. 2 Satz 2 EnWG bewegen wird, kann auch ein Wettbewerb entstehen. Die um-
fangreichen Netzinformationen zum Sachzeit- und Ertragswert dienen der gebotenen
Verfahrenstransparenz und Gleichbehandlung aller Bieter. Denn diese müssen
schon für die Entscheidung über die Teilnahme am Konzessionsvergabeverfahren
sowohl die Kosten ihres Angebots als auch die zukünftigen Erträge aus dem Netzbe-
trieb und damit die wirtschaftlichen Folgen einer Netzübernahme kalkulieren können,
weil § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG für den Fall eines Obsiegens die Netzüberlassungs-
und Vergütungspflicht unmittelbar an den Zuschlag der Gemeinde für einen Neukon-
zessionär anschließt. Daher ist für die Teilnahme am Wettbewerb die Kenntnis der
im Erfolgsfall entstehenden Folgekosten notwendig, um allen Bewerbern eine vorhe-
rige Wirtschaftlichkeitsanalyse zu ermöglichen (Theobald in Danner/Theobald, Ener-
gierecht, Stand: September 2013, § 46 Rn. 110 f.; Schau, NdsVBl. 2013, 89, 93;
ebenso bereits zur früheren Rechtslage Büttner/Templin, ZNER 2011, 121, 128).
d) Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Systematik des § 46 EnWG
bestätigt. Diese Vorschrift sieht in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 vor, dass mit
dem Zuschlag im Vergabeverfahren und dem Abschluss des neuen Konzessionsver-
trags kraft Gesetzes zum einen der Übereignungs- oder Überlassungsanspruch des
neuen Konzessionärs gegen den Altkonzessionär und zum anderen der Anspruch
des bisherigen Nutzungsberechtigten gegen den Neukonzessionär auf Zahlung einer
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angemessenen Vergütung entstehen. Damit verbindet das Gesetz in § 46 Abs. 2
Satz 4 EnWG die - zeitlich vorangehende - Informationspflicht des Altkonzessionärs
über die wirtschaftliche Situation des Netzes, die für eine Bewertung des Netzes im
Rahmen einer Bewerbung um den Abschluss des neuen Konzessionsvertrags erfor-
derlich ist. Diese Verknüpfung legt es nahe, dass die Informationspflicht auch solche
Daten umfasst, die für die Bemessung der angemessenen Vergütung von Bedeutung
sind.
Dagegen spricht nicht, dass die Daten gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 EnWG in
geeigneter Form zu veröffentlichen sind. Daraus ergibt sich insbesondere nicht, dass
die Auskunftspflicht in § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG nicht auf vertrauliche Kalkulations-
daten des bisherigen Nutzungsberechtigten gerichtet sein kann (so aber Jacob, N&R
2012, 194, 198 f.; ders., VersorgW 2014, 76, 78). Soweit es der Schutz des Ge-
schäftsgeheimnisses gebietet, führt dies lediglich dazu, dass die Daten nicht allge-
mein zugänglich gemacht, sondern lediglich den Bietern zur Verfügung gestellt wer-
den dürfen.
e) Schließlich sprechen auch die Gesetzesmaterialien nicht gegen eine weit-
gehende Informationspflicht des Altkonzessionärs. Die Einfügung des Satzes 4 in
§ 46 Abs. 2 EnWG durch das Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher
Vorschriften vom 26. Juli 2011 (BGBl. I S. 1554) sollte den Informationsanspruch der
Gemeinde gegenüber dem aktuellen Netzbetreiber anlässlich des Auslaufens eines
Konzessionsvertrags ausdrücklich gesetzlich verankern, nachdem dieser Informati-
onsanspruch, obwohl er sich auch aus dem Konzessionsvertrag als ungeschriebene
Nebenpflicht ableiten lässt, in der Praxis von Netzbetreibern häufig bestritten worden
war (BT-Drucks. 17/6072, S. 88). Zugleich sollte dies der diskriminierungsfreien und
effizienten Durchführung des Ausschreibungsverfahrens dienen, um den Wettbewerb
um die Vergabe der Konzession sicherzustellen (BT-Drucks. 17/6072, aaO). Über
den Umfang des Informationsanspruchs verhalten sich die Gesetzesmaterialien da-
gegen nicht. Insbesondere kann aus der in anderem Zusammenhang, nämlich im
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Hinblick auf das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung durch Nichterfüllung des
Informationsanspruchs, erfolgten Erwähnung des Gemeinsamen Leitfadens von
Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur zur Vergabe von Strom- und Gaskonzes-
sionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers vom 15. Dezember 2010 nicht
geschlossen werden, dass der Gesetzgeber sich die dort vorgeschlagene Auflistung
der - gestuft - mitzuteilenden Daten im Bieterverfahren einerseits (Leitfaden, Rn. 25)
und nach Abschluss des neuen Konzessionsvertrags andererseits (Leitfaden,
Rn. 57 f.) im Rahmen des § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG zu eigen machen wollte. Zudem
sind in dem Leitfaden die für das Bieterverfahren aufgeführten Angaben, in denen
kalkulatorische Daten - anders als im anschließenden Stadium nach Vertragsschluss
- nicht erwähnt werden, ersichtlich nicht abschließend, sondern lediglich - was sich
aus Rn. 28 des Leitfadens ergibt ("jedenfalls") - im Sinne von Minimalanforderungen
gemeint.
f) Insoweit ist unerheblich, dass in diesem frühen Stadium des Vergabever-
fahrens möglicherweise noch nicht bis ins Letzte feststeht, auf welche Teile des Net-
zes sich der Überlassungsanspruch des § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG bezieht, weil die-
ser nur die für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindege-
biet notwendigen Verteilungsanlagen umfasst (siehe dazu Senatsbeschluss vom
3. Juni 2014 - EnVR 10/13, RdE 2015, 29 Rn. 31 ff. - Stromnetz Homberg) und dar-
über zwischen dem Alt- und Neukonzessionär möglicherweise Streit bestehen wird.
Diese Ungewissheit stellt allein für den Bieter ein gewisses, von ihm zu tragendes
und bei seiner Kalkulation zu berücksichtigendes Kostenrisiko dar, das jedoch nicht
dahingehend gegen sein Informationsbedürfnis gewendet werden kann, dass ihm gar
keine kalkulatorischen Daten offengelegt werden müssten.
Entsprechendes gilt für das - von der Revision zu Unrecht als übergangen
gerügte - Vorbringen der Beklagten, die kalkulatorischen Netzdaten seien (allein)
nicht ausreichend, um eine aussagefähige Ertragswertberechnung vornehmen zu
können, weil dazu als zweite Komponente auch der Wertbeitrag aus der Erzielung
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von Synergieeffekten einbezogen werden müsse, der indes erst nach der - nach Ab-
schluss des Konzessionsvergabeverfahrens möglichen - Aufteilung der Erlösober-
grenzen ermittelt werden könne. Das Berufungsgericht hat sich damit befasst, die
Frage der Synergieeffekte aber zu Recht als unerheblich angesehen. Denn auch
dieser Umstand stellt zwar für die Bieter eine Unsicherheit für ihre Preiskalkulation
dar, die aber nach der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts gleichwohl
eine Abschätzung des Ertragswerts aufgrund der kalkulatorischen Netzdaten ermög-
licht. Diese Würdigung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
g) Entgegen der Auffassung der Revision steht dem Auskunftsanspruch auch
nicht entgegen, dass es sich bei den kalkulatorischen Netzdaten um Geschäftsge-
heimnisse der Beklagten handelt.
aa) Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen
dem berechtigten Interesse der Gemeinde an einer umfassenden Auskunft im Sinne
des § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG und dem als Ausfluss der Grundrechte der Art. 12 und
14 GG zu gewährenden Geheimnisschutz, insbesondere dem Schutz von Betriebs-
und Geschäftsgeheimnissen, eine Abwägung zu treffen ist. Damit wird zugleich der
verfassungsrechtlichen Anforderung nach praktischer Konkordanz Rechnung getra-
gen (vgl. BVerfG, WuW/E DE-R 1715 Rn. 98; BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014
- EnVR 12/12, RdE 2014, 276 Rn. 103 - Stadtwerke Konstanz GmbH). Hierbei ist bei
der verfassungskonformen Auslegung des § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG, der insoweit
lex specialis zu § 6a EnWG ist, neben dem privaten Interesse an effektivem Rechts-
schutz und dem - je nach Fallkonstellation - öffentlichen oder privaten Interesse an
Geheimnisschutz auch das öffentliche Interesse an der Information in die Abwägung
einzustellen (vgl. BVerfG, WuW/E DE-R 1715 Rn. 116; BGH, Beschluss vom
21. Januar 2014 - EnVR 12/12, aaO).
bb) Die Informationen über die kalkulatorischen Netzdaten sind Geschäfts-
geheimnisse der Unternehmen. Die in Rede stehenden Daten enthalten Angaben zu
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den historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten, dem Jahr ihrer Aktivierung,
den kalkulatorischen Restwerten nach §§ 6, 32 GasNEV, den kalkulatorischen Nut-
zungsdauern für die laufende Abschreibung nach § 6 GasNEV und den kalkulatori-
schen Restwerten mit Stand zum 31. Dezember 2011. Diese Daten sind nicht offen-
kundig. An ihrer Nichtverbreitung hat der bisherige Nutzungsberechtigte durchaus ein
anerkennenswertes Interesse. Die Verpflichtung der Gemeinden zum Schutz von
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ergibt sich aus § 30 VwVfG, der - wie § 71
Satz 1 EnWG zeigt - in Verfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz anwendbar ist.
Allerdings ist der Geheimnisschutz der kalkulatorischen Netzdaten im Rah-
men des Konzessionsvergabeverfahrens nach § 46 EnWG von vornherein einge-
schränkt. Mit Abschluss des neuen Konzessionsvertrags muss der bisherige Kon-
zessionsinhaber diese Daten - was auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt
wird - dem Neukonzessionär offenbaren, um die Verhandlungen über die wirtschaft-
lich angemessene Vergütung sachgerecht und fair führen zu können. Erst recht gilt
dies nach Abschluss des Übereignungs- oder Überlassungsvertrags, damit der neue
Netzbetreiber zur Fortführung der kalenderjährlichen Erlösobergrenzen nach § 26
Abs. 1 ARegV oder zur Beantragung der Neufestlegung der kalenderjährlichen Er-
lösobergrenzen nach § 26 Abs. 2 ARegV in der Lage ist.
Aufgrund dessen ist dem bisherigen Netzbetreiber eine Offenlegung der kal-
kulatorischen Netzdaten bereits im Bieterverfahren zumutbar. Zwar erfolgt dann die
Information gegenüber allen Bietern und nicht nur gegenüber dem obsiegenden
Wettbewerber. An einer entsprechenden Information besteht aber - wie oben darge-
legt - ein öffentliches Interesse, das das Geheimhaltungsinteresse des bisherigen
Nutzungsberechtigten überwiegt. Denn nur durch eine Information aller Bieter zum
Sachzeit- und Ertragswert des ausgeschriebenen Netzes kann ein Wettbewerb um
dieses Netz entstehen und wird der insoweit gebotenen Verfahrenstransparenz und
Gleichbehandlung aller Bieter Genüge getan.
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Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte keine konkreten Umstände darge-
legt, wonach vorliegend der verfassungsrechtliche Schutz von Betriebs- und Ge-
schäftsgeheimnissen das öffentliche Interesse an einer Offenlegung der streitgegen-
ständlichen Netzdaten überwiegen würde. Vielmehr hat sie sich nur pauschal auf die
Wahrung ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berufen, was den Anforderun-
gen an einen substantiierten Sachvortrag dazu, bei Offenlegung welcher konkreten
Geheimnisse sie welche Nachteile zu befürchten hätte (vgl. BGH, Urteil vom
19. November 2008 - VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 46; Senatsurteil vom
20. Juli 2010 - EnZR 23/09, RdE 2010, 385 Rn. 35 - Stromnetznutzungsentgelt IV),
nicht genügt.
cc) Danach ist allerdings nur eine Information der Bieter und nicht etwa der
gesamten Öffentlichkeit erforderlich. Eine Veröffentlichung der kalkulatorischen
Netzdaten auf der Homepage der Gemeinde ist daher von § 46 Abs. 3 Satz 1 EnWG
nicht gedeckt, weil dies mangels Erforderlichkeit nicht die "geeignete Form" im Sinne
dieser Vorschrift darstellt. Soweit die Gesetzesmaterialien eine Veröffentlichung auf
der Homepage für zulässig erachten (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 88), kommt dem
keine Bedeutung zu. Denn zum einen hat eine solch weitreichende Veröffentli-
chungsbefugnis im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden. Zum anderen
sind die Materialien insoweit widersprüchlich, weil durch die Änderung des § 46
Abs. 3 Satz 1 lediglich klargestellt werden sollte, dass die Gemeinde die vom bishe-
rigen Netzbetreiber zur Verfügung gestellten Daten im Rahmen der Ausschreibung
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allen potentiellen Bewerbern zur Verfügung stellen muss (vgl. BT-Drucks. 17/6072,
aaO); dies bedingt aber nur eine Information der Bewerber und gerade nicht der ge-
samten Öffentlichkeit.
Limperg
Strohn
Grüneberg
Bacher
Deichfuß
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 28.02.2013 - 21 O 10/11 -
OLG Celle, Entscheidung vom 09.01.2014 - 13 U 52/13 -