Urteil des BGH vom 22.07.2014

Daten, Kosten Und Nutzen, Überprüfung, Nummer, Energieversorgung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
E n V R 5 8 / 1 2
Verkündet am:
22. Juli 2014
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Juli 2014 durch die Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Dr. Raum
sowie die Richter Dr. Kirchhoff, Dr. Grüneberg und Dr. Bacher
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. August 2012 wird zurückge-
wiesen.
Die Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens ein-
schließlich der notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur zu tra-
gen.
Der Wert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000
€ festge-
setzt.
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Gründe:
I.
Die Betroffene betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz in Norddeutschland. Sie
wendet sich gegen die von der Bundesnetzagentur mit Beschluss vom 7. Juni 2011
(BK8-11/002; abrufbar unter: www.bundesnetzagentur.de) getroffene Festlegung
über den Beginn der Anwendung, die nähere Ausgestaltung und das Verfahren der
Bestimmung des Qualitätselements hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit für Elektrizi-
tätsverteilernetze nach den §§ 19 und 20 ARegV. In Nummer 1 der Festlegung wur-
de der Beginn der Anwendung des Qualitätselements auf den 1. Januar 2012 festge-
setzt und ihr Anwendungsbereich auf die Netzzuverlässigkeit bei Elektrizitätsvertei-
lernetzbetreibern beschränkt. In Nummer 2 ist geregelt, dass die Daten aller Elektrizi-
tätsverteilernetzbetreiber, die nicht am vereinfachten Verfahren nach § 24 ARegV
teilnehmen, zur Bestimmung des Qualitätselements Netzzuverlässigkeit heranzuzie-
hen sind. Im Übrigen enthält die Festlegung nähere Regelungen zur standardisierten
Bestimmung des Qualitätselements, wie etwa zur Ermittlung der Kennzahlen unter
Heranziehung von geplanten und ungeplanten Versorgungsunterbrechungen, zur
Ermittlung der Kennzahlenvorgaben (Referenzwerte) und zur Berechnungsmethode
sowie zur Berücksichtigung von Kappungsgrenzen.
Der Festlegung liegt eine Modellnetzanalyse zugrunde, die im Auftrag der
Bundesnetzagentur von der Consentec Consulting für Energiewirtschaft und -technik
GmbH in Kooperation mit der Forschungsgemeinschaft für Elektrische Anlagen und
Stromwirtschaft e.V. (FGH) und Frontier Economics Limited (im Folgenden: Consen-
tec) durchgeführt und im Juni und Oktober 2009 mit der Fachöffentlichkeit diskutiert
wurde. Darüber hinaus hatten die beteiligten Wirtschaftskreise im Rahmen einer
Konsultation zu dem Eckpunktepapier der Bundesnetzagentur zur "Ausgestaltung
des Qualitätselements Netzzuverlässigkeit Strom im Rahmen der Anreizregulierung"
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vom 15. Dezember 2010 Gelegenheit zur Stellungnahme. Am 20. April 2011 erließ
die Bundesnetzagentur die Festlegung über die Datenerhebung zur Bestimmung des
Qualitätselements hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit Strom nach den §§ 19 und 20
ARegV (BK8-11/001; abrufbar unter: www.bundesnetzagentur.de); die aufgrund die-
ser Festlegung erhobenen Daten flossen jedoch noch nicht in die streitgegenständli-
che Festlegung ein, sondern waren Grundlage für die Ermittlung des individuellen
Qualitätselements, die gegenüber der Betroffenen mit Beschluss vom 21. Februar
2012 (BK8-11/1835-81) erfolgte und zu einer Anpassung der Erlösobergrenzen für
die Kalenderjahre 2012 und 2013 führte.
Mit ihrer Beschwerde hat die Betroffene geltend gemacht, die Festlegung vom
7. Juni 2011 (BK8-11/002) beruhe auf formellen und materiellen Rechtsfehlern. Das
Beschwerdegericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die
Betroffene mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
Die von der Betroffenen in formeller Hinsicht gegen die Festlegung vorge-
brachten Rügen blieben ohne Erfolg. Entgegen ihrer Auffassung leide die Festlegung
nicht insoweit an einem Begründungsmangel, als sich ihr nicht entnehmen lasse,
welche Inputdaten die Bundesnetzagentur verwendet habe. Die Festlegung beinhalte
lediglich allgemeine Regelungen zur Qualitätsregulierung und konkretisiere damit die
in § 20 ARegV angelegte Bestimmung des Qualitätselements. Davon zu unterschei-
den seien die weitere Festlegung über die Datenerhebung zur Bestimmung des Qua-
litätselements hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit Strom nach den §§ 19 und 20
ARegV vom 20. April 2011 (BK8-11-001) und die Ermittlung des individuellen Quali-
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tätselements, das von der jeweils zuständigen Regulierungsbehörde durch geson-
derten Beschluss für den einzelnen Netzbetreiber festgelegt werde. Aufgrund dessen
mache die Betroffene auch ohne Erfolg geltend, es sei nicht nachvollziehbar, ob und
inwiefern die Bundesnetzagentur die von ihr verwendeten Daten einem Plausibilisie-
rungsprozess unterzogen habe; eine solche Plausibilisierung erfolge erst im Rahmen
der konkreten Ermittlung der Kennzahlenvorgaben und der individuellen Kennzahlen.
Schließlich habe es die Bundesnetzagentur auch nicht rechtsfehlerhaft unterlassen,
die in dem Consentec-Gutachten verwendeten Inputdaten in nicht anonymisierter
Form zu veröffentlichen; § 31 Abs. 1 Satz 2 ARegV sehe lediglich vor, dass die Re-
gulierungsbehörde neben den Effizienzwerten auch die nach §§ 19, 20 ARegV ermit-
telten Kennzahlenvorgaben und die Abweichungen der Netzbetreiber von diesen
veröffentlichen müsse.
Entgegen der Auffassung der Betroffenen sei die Festlegung auch in der Sa-
che rechtmäßig. Bei der Festlegung des Beginns der Anwendung des Qualitätsele-
ments und bei dessen weiterer Ausgestaltung, der Methodik und der Regelung des
Verfahrens zu dessen Bestimmung stehe der Bundesnetzagentur ein Gestaltungs-
spielraum zu, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliege.
Vor diesem Hintergrund sei deren Entscheidung zum Beginn der Anwendung
zum 1. Januar 2012 nicht zu beanstanden. Insbesondere habe es hierfür nicht an
hinreichend belastbaren Datenreihen gefehlt. Alle Netzbetreiber hätten der Bundes-
netzagentur gemäß § 52 EnWG seit dem Jahr 2006 einen jährlichen Bericht über alle
in ihrem Netz im letzten Kalenderjahr aufgetretenen - geplanten und ungeplanten -
Versorgungsunterbrechungen vorgelegt, bei denen Letztverbraucher oder Weiterver-
teiler länger als drei Minuten "spannungslos geworden" seien. Mit diesen Daten habe
die Bundesnetzagentur die von ihr in der Festlegung ausgewählten Kennzahlen
SAIDI und ASIDI bestimmen können, weil sie von der gewissenhaften Erfüllung der
Meldepflicht durch die Netzbetreiber habe ausgehen dürfen und die gelieferten Daten
im Laufe der Jahre in mehrfacher Hinsicht plausibilisiert habe. Den Auswirkungen
stochastischer Schwankungen habe die Bundesnetzagentur durch die Verwendung
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der Daten aus drei Jahren (2006 bis 2008) hinreichend entgegengewirkt. Zudem
werde die Bundesnetzagentur aufgrund der mit der Festlegung vom 20. April 2011
erfolgten Datenerhebung auch die in der Vergangenheit gemeldeten Daten erneut
überprüfen und gegebenenfalls Korrekturen vornehmen.
Fehl gehe auch der Einwand der Betroffenen, die Bundesnetzagentur habe
rechtsfehlerhaft den Störungsanlass "Einwirkung Dritter" als ungeplante Versor-
gungsunterbrechung miterfasst, dem bei städtischen Netzbetreibern rund 30% der
Störungen zuzuordnen seien. Mit Blick auf die Betroffenheit der Netzkunden seien
alle Versorgungsunterbrechungen zu berücksichtigen, die in der Sphäre des Netzbe-
treibers lägen und ihm zugerechnet werden könnten. Dazu gehöre auch der von der
Betroffenen angeführte "Baggerangriff". Denn das pauschale Herausnehmen solcher
von Dritten verursachten Versorgungsunterbrechungen würde den Anreiz abschwä-
chen, über öffentliche Informationen, Schulungsmaßnahmen und hochqualifizierte
Planauskünfte andere Akteure in die Sicherstellung der Versorgungszuverlässigkeit
einzubeziehen. Neben der präventiven Vorbeugung sei außerdem die Sorgfalt des
Netzbetreibers bei der Beseitigung einer gleichwohl eingetretenen Versorgungsun-
terbrechung zu berücksichtigen, um die Versorgungsqualität des Netzbetreibers ge-
rade auch an den von Dritten verursachten Versorgungsunterbrechungen repräsen-
tativ zu messen.
Es sei auch nicht zu beanstanden, dass die Bundesnetzagentur die in § 20
Abs. 2 Satz 2 ARegV enthaltene Anforderung, bei der Ermittlung der Kennzahlenvor-
gaben (Referenzwerte) gebietsstrukturelle Unterschiede zu berücksichtigen, nicht
durch eine Klassenbildung, sondern - auf Empfehlung des Consentec-Gutachtens -
durch eine von einem kontinuierlichen Strukturparameter, nämlich der Lastdichte,
abhängige Funktion umgesetzt habe. Im Rahmen der durchgeführten Modellnetz-
und der statistischen Analyse sei die Lastdichte als zur Abbildung gebietsstruktureller
Unterschiede geeigneter und signifikanter Parameter identifiziert worden. Schließlich
bedürfe es wegen der Orientierung am Zuverlässigkeitsniveau eines Durchschnitts-
unternehmens, der Verwendung von gemittelten Durchschnittswerten aus drei Jah-
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ren und der Deckelung der Erlöszuschläge und -abschläge nicht des von der Be-
troffenen geforderten Konfidenzbandes, das im Übrigen vom Verordnungsgeber
auch nicht vorgegeben sei. Mit der Berücksichtigung des Parameters Lastdichte sei
auch nicht die Wechselwirkung zwischen Effizienz- und Qualitätsvorgaben außer Be-
tracht gelassen worden. Dass eine höhere Netzzuverlässigkeit mit höheren Kosten
verbunden sei und daher zu einem niedrigeren Effizienzwert zu Lasten eines Netzbe-
treibers führen könne, könne die Qualitätsregulierung ausgleichen.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdege-
richt zu Recht angenommen, dass der Bundesnetzagentur bei der Bestimmung des
Qualitätselements ein Entscheidungsspielraum zusteht.
Die Ausgestaltung des nach §§ 19, 20 ARegV zu bestimmenden Qualitäts-
elements wie auch der Beginn seiner Anwendung und das Verfahren sind durch Ge-
setz und Verordnung nicht in allen Details punktgenau vorgegeben. Der mit der Be-
stimmung des Qualitätselements betrauten Regulierungsbehörde steht bei der Aus-
wahl der einzelnen Parameter und Methoden vielmehr - wie der Senat etwa auch für
den nach § 12 ARegV durchzuführenden Effizienzvergleich entschieden hat (Be-
schluss vom 21. Januar 2014 - EnVR 12/12, Rn. 10 ff. - Stadtwerke Konstanz
GmbH) - ein Spielraum zu, der in einzelnen Aspekten einem Beurteilungsspielraum,
in anderen Aspekten einem Regulierungsermessen gleichkommt.
aa) Nach § 21a Abs. 2 Satz 1 EnWG in der für den Streitfall maßgeblichen
Fassung vom 21. August 2009 - die sich in den hier relevanten Punkten von der der-
zeit geltenden Fassung nicht unterscheidet - erfolgt die Anreizregulierung durch Vor-
gabe von Obergrenzen für die Höhe der Netzzugangsentgelte oder für die Gesamter-
löse aus Netzzugangsentgelten, die innerhalb einer Regulierungsperiode erzielt wer-
den dürfen. Hierbei sind Effizienzvorgaben zu berücksichtigen. Gemäß § 21a Abs. 5
Satz 1 EnWG werden die Effizienzvorgaben unter anderem unter Berücksichtigung
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der Versorgungsqualität und auf diese bezogener Qualitätsvorgaben bestimmt. Die
Qualitätsvorgaben werden gemäß § 21a Abs. 5 Satz 2 EnWG auf der Grundlage ei-
ner Bewertung von Zuverlässigkeitskenngrößen oder Netzleistungsfähigkeitskenn-
größen ermittelt, bei der auch Strukturunterschiede zu berücksichtigen sind. Bei ei-
nem Verstoß gegen Qualitätsvorgaben können nach § 21a Abs. 5 Satz 3 EnWG
auch die Obergrenzen zur Bestimmung der Netzzugangsentgelte für ein Energiever-
sorgungsunternehmen gesenkt werden. Weitere materiell-rechtliche Vorgaben über-
lässt § 21a Abs. 6 EnWG einer Rechtsverordnung, die die nähere Ausgestaltung der
Methode einer Anreizregulierung und ihre Durchführung regeln (§ 21a Abs. 6 Satz 1
Nr. 2 EnWG) und insbesondere Regelungen für die Ausgestaltung der Qualitätsvor-
gaben treffen kann (§ 21a Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 EnWG).
bb) Diese Verordnungsermächtigung wird durch die Anreizregulierungsver-
ordnung ausgefüllt.
(1) Gemäß § 18 ARegV dienen Qualitätsvorgaben der Sicherung eines lang-
fristig angelegten, leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversor-
gungsnetzen. Als Instrumente zur Gewährleistung der Qualitätsvorgabe werden in
der Vorschrift Qualitätselemente nach den §§ 19 und 20 ARegV und die Berichts-
pflichten nach § 21 ARegV genannt. Das Qualitätselement ist Bestandteil der Regu-
lierungsformel in Anlage 1 zu § 7 ARegV. Hierfür sieht § 19 Abs. 1 Satz 1 ARegV
vor, dass auf die Erlösobergrenzen Zu- oder Abschläge vorgenommen werden kön-
nen, wenn Netzbetreiber hinsichtlich der Netzzuverlässigkeit oder der Netzleistungs-
fähigkeit von Kennzahlenvorgaben abweichen. Die Kennzahlenvorgaben sind nach
Maßgabe des § 20 ARegV unter Heranziehung der Daten von Netzbetreibern aus
dem gesamten Bundesgebiet zu ermitteln und in Zu- und Abschläge umzusetzen
(§ 19 Abs. 1 Satz 2 ARegV). Zulässige Kennzahlen für die Bewertung der Netzzuver-
lässigkeit, die in § 19 Abs. 3 ARegV definiert ist, sind gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1
ARegV insbesondere die Dauer der Unterbrechung der Energieversorgung, die Häu-
figkeit der Unterbrechung der Energieversorgung, die Menge der nicht gelieferten
Energie und die Höhe der nicht gedeckten Last. Nach § 20 Abs. 1 Satz 2 ARegV ist
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eine Kombination und Gewichtung dieser Kennzahlen möglich. Für die ausgewählten
Kennzahlen sind Kennzahlenwerte der einzelnen Netzbetreiber zu ermitteln (§ 20
Abs. 1 Satz 3 ARegV). Aus diesen Kennzahlenwerten sind nach § 20 Abs. 2 ARegV
Kennzahlenvorgaben als gewichtete Durchschnittswerte zu ermitteln, wobei bei der
Ermittlung der Kennzahlenvorgaben gebietsstrukturelle Unterschiede zu berücksich-
tigen sind, was durch Gruppenbildung erfolgen kann. Damit ist zugleich klargestellt,
dass die Referenzwerte nicht von der individuellen Qualität des jeweiligen Netzbe-
treibers abhängen sollen. Schließlich bestimmt § 20 Abs. 3 ARegV, dass für die Ge-
wichtung der Kennzahlen oder der Kennzahlenwerte sowie die Bewertung der Ab-
weichungen in Geld zur Ermittlung der Zu- und Abschläge auf die Erlöse nach § 19
Abs. 1 ARegV (monetäre Bewertung) insbesondere die Bereitschaft der Kunden, für
eine Änderung der Netzzuverlässigkeit niedrigere oder höhere Entgelte zu zahlen,
als Maßstab herangezogen werden, analytische Methoden, insbesondere analyti-
sche Kostenmodelle, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen müssen, oder
eine Kombination von beiden Methoden verwendet werden können.
Erfolgt nach diesen Maßgaben eine Bestimmung des Qualitätselements, so
hat die Regulierungsbehörde nach § 4 Abs. 5 ARegV von Amts wegen die Erlös-
obergrenze entsprechend anzupassen, wobei die Anpassung höchstens einmal jähr-
lich zum 1. Januar des folgenden Kalenderjahres zulässig ist. Gemäß § 19 Abs. 2
Satz 1 ARegV hat die Regulierungsbehörde über den Beginn der Anwendung des
Qualitätselements, der bei Stromversorgungsnetzen zur zweiten Regulierungsperio-
de zu erfolgen hat, zu entscheiden. Er soll nach § 19 Abs. 2 Satz 2 ARegV bereits
zur oder im Laufe der ersten Regulierungsperiode erfolgen, soweit der Regulie-
rungsbehörde hinreichend belastbare Datenreihen vorliegen.
(2) Die Zielrichtung der Qualitätsvorgaben entspricht damit dem in § 1 Abs. 2
EnWG festgelegten speziellen Ziel der Sicherung eines langfristig angelegten leis-
tungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen. Die Rege-
lungen zur Versorgungsqualität bilden einen wichtigen, notwendigen Bestandteil in
einer auf Kosteneffizienz ausgerichteten Regulierung der Netze, damit Kosteneffi-
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zienzsteigerungen nicht zu Lasten der Versorgungsqualität gehen. Der Verord-
nungsgeber hat sich mit den Regelungen der §§ 18 ff. ARegV gegen eine - alternativ
denkbare - integrative Qualitätsregelung entschieden, indem die Versorgungsqualität
nicht Bestandteil des Effizienzvergleichs nach §§ 12 ff. ARegV ist.
cc) Obwohl das Energiewirtschaftsgesetz und die Anreizregulierungsverord-
nung hiernach sowohl hinsichtlich der zu berücksichtigenden Kennzahlen als auch
hinsichtlich der Ermittlung der Kennzahlenwerte und der Kennzahlenvorgaben wie
auch hinsichtlich der anzuwendenden Methoden maßgebliche Weichenstellungen
vorgeben, verbleiben bei der näheren Ausgestaltung und dem Verfahren der Be-
stimmung des Qualitätselements sowie dem Beginn seiner Anwendung im Einzelnen
notwendigerweise erhebliche Spielräume.
Die in §§ 19 und 20 ARegV enthaltenen Vorgaben sind trotz ihrer zum Teil
hohen Regelungsdichte ausfüllungsbedürftig. Soweit der Verordnungsgeber in § 20
Abs. 1 Satz 1 ARegV bestimmte Kennzahlen für die Bewertung der Netzzuverlässig-
keit vorgegeben hat, ist diese Aufzählung nicht abschließend, sondern beinhaltet le-
diglich Regelbeispiele, die von der Regulierungsbehörde verwendet und um weitere
Parameter ergänzt werden können. Aus der in § 20 Abs. 1 Satz 2 ARegV eröffneten
Möglichkeit einer Kombination der Kennzahlen geht zugleich hervor, dass der Ver-
ordnungsgeber nicht eine kumulative Anwendung sämtlicher genannter Regelbei-
spiele vorschreibt, sondern der Regulierungsbehörde - was auch aus § 20 Abs. 1
Satz 3 ARegV, der die "ausgewählten" Kennzahlen in den Blick nimmt, hervorgeht -
insoweit ein Auswahlermessen einräumt. Entsprechendes gilt nach § 20 Abs. 3
ARegV im Hinblick auf die Gewichtung der Kennzahlen und Kennzahlenwerte sowie
die monetäre Bewertung. Zur Ausfüllung dieser Vorgaben kommen - was dem Ver-
ordnungsgeber bewusst war (vgl. BR-Drucks. 417/07, S. 63) - verschiedene interna-
tional verwendete Kennzahlen und unterschiedliche wissenschaftliche Methoden in
Betracht. Die Auswahl einer konkreten Kennzahl oder Methode, die den abstrakten
Vorgaben der Verordnung entspricht, hat der Verordnungsgeber nach § 32 Abs. 1
Nr. 6 ARegV der Regulierungsbehörde überlassen. Da die Auswahl der konkreten
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Kennzahlen und Methoden einen untrennbaren Zusammenhang mit der hinreichen-
den Belastbarkeit der dabei heranzuziehenden Datenreihen aufweist, berührt der der
Regulierungsbehörde eingeräumte Entscheidungsspielraum auch den Beginn der
Anwendung des Qualitätselements.
Dass solche Spielräume bestehen, deckt sich mit den Vorstellungen des Ge-
setzgebers. Dieser hat die gesetzlichen Vorgaben methodenoffen gestaltet, weil die
Regulierungsbehörde das Anreizregulierungsmodell entwickeln soll (BT-Drucks.
15/5268, S. 120).
dd) Die der Regulierungsbehörde eröffneten Spielräume kommen hinsichtlich
einiger Aspekte einem Beurteilungsspielraum, hinsichtlich anderer Aspekte einem
Regulierungsermessen gleich.
Die Bestimmung des Qualitätselements erfordert, wenn es die gesetzlich vor-
gegebene Zuverlässigkeit aufweisen soll, eine komplexe Modellierung der maßgebli-
chen Verhältnisse bei den einzelnen Netzen und Netzbetreibern, die nicht bis in alle
Einzelheiten rechtlich vorgegeben werden kann und vom Gesetzgeber bewusst nicht
vorgegeben worden ist. Dies hat Auswirkungen auf die gerichtliche Kontrolldichte.
Gerichtliche Kontrolle kann nicht weiter reichen als die materiell-rechtliche Bindung
der Instanz, deren Entscheidung überprüft werden soll. Sie endet deshalb dort, wo
das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entschei-
dungsverhalten nicht vollständig determiniert (BVerfGE 88, 40, 56, 61; 103, 142,
156 f.; BVerwGE 131, 41 Rn. 20).
Ob und inwieweit es sich bei den der Regulierungsbehörde eröffneten Spiel-
räumen um einen Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite der Norm oder um
ein Regulierungsermessen auf der Rechtsfolgenseite handelt, bedarf keiner ab-
schließenden Entscheidung. Die für diese beiden Kategorien geltenden Kontrollmaß-
stäbe unterscheiden sich, wie auch das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat
(BVerwG, NVwZ 2014, 589 Rn. 33 f. mwN), eher verbal und weniger in der Sache
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(Senatsbeschluss vom 21. Januar 2014 - EnVR 12/12, Rn. 26 - Stadtwerke Konstanz
GmbH). Ähnlich wie es der Senat für die Beurteilung der Effizienzwerte angenom-
men hat (Senatsbeschluss vom 21. Januar 2014 - EnVR 12/12, Rn. 28 - Stadtwerke
Konstanz GmbH), weist auch die Bestimmung des Qualitätselements eine besondere
Nähe zum Regulierungsermessen auf. Dessen Ermittlung ist das Ergebnis einer
komplexen Bewertung, die sowohl die Erfassung und Beurteilung der maßgeblichen
Elemente des Sachverhalts als auch die Auswahl zwischen mehreren in Frage kom-
menden Kennzahlen (einschließlich ihrer möglichen Kombination und Gewichtung)
und Bewertungsmethoden erfordert, und findet unmittelbar Eingang in die Regulie-
rungsformel nach Anlage 1 zu § 7 ARegV zur Bestimmung der Erlösobergrenzen.
Die Ausübung eines Beurteilungsspielraums ist darauf zu überprüfen, ob die
Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen
Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erhebli-
chen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentli-
chen Beurteilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere
das Willkürverbot nicht verletzt hat (BVerwGE 131, 41 Rn. 21). Die eine Abwägung
zwischen unterschiedlichen gesetzlichen Zielvorgaben erfordernde Ausübung des
Regulierungsermessens ist vom Gericht zu beanstanden, wenn eine Abwägung
überhaupt nicht stattgefunden hat (Abwägungsausfall), wenn in die Abwägung nicht
an Belangen eingestellt worden ist, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt wer-
den musste (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung der betroffenen Belange ver-
kannt worden ist (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen
ihnen zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwä-
gungsdisproportionalität; vgl. BVerwGE 131, 41 Rn. 47). Nach diesen Maßgaben ist
im Streitfall insbesondere zu überprüfen, ob die Bundesnetzagentur bei Erlass der
angefochtenen Festlegung die gesetzlichen Vorgaben in § 21a Abs. 5 EnWG und die
Anforderungen des Verordnungsgebers an Kennzahlen und Kennzahlenwerte in
§§ 19, 20 ARegV beachtet hat.
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ee) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erstreckt sich der Ent-
scheidungsspielraum der Bundesnetzagentur bei der Bestimmung des Qualitätsele-
ments im Ausgangspunkt auch auf die Festlegung über den Beginn seiner Anwen-
dung. Denn die hierfür entscheidende Frage, ob hinreichend belastbare Datenreihen
im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 2 ARegV vorliegen, lässt sich nur beantworten, wenn
klar ist, welche Daten für die Bestimmung des Qualitätselements im Einzelnen her-
angezogen werden. Insoweit besteht aber - wie aufgezeigt - ein Entscheidungsspiel-
raum der Regulierungsbehörde. Davon zu trennen ist allerdings die Frage, ob - nach
der abstrakten Auswahl der maßgeblichen Datenreihen - die konkret erhobenen Da-
ten hinreichend belastbar sind. Die Klärung dieser Frage ist gegebenenfalls mit
sachverständiger Hilfe möglich.
ff) Soweit die Rechtsbeschwerde unter Anführung mehrerer Einzelpunkte ei-
nen tragfähigen Sachgrund für die Annahme eines Entscheidungsspielraums der
Regulierungsbehörde bestreitet, kann dies aus den vorgenannten Gründen einen
solchen nicht grundsätzlich in Frage stellen. Die Einwände betreffen nur einzelne
Details des Qualitätselements und insbesondere die Fragen, ob die Regulierungsbe-
hörde den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat, dies heißt
hier insbesondere, ob sie von einer verlässlichen Datengrundlage ausgegangen ist,
und ob die Regulierungsbehörde in zutreffender Weise gewichtete Durchschnittswer-
te gebildet und gebietsstrukturelle Unterschiede berücksichtigt hat. Ihnen ist gerade
auch bei Annahme eines Entscheidungsspielraums gerichtlich nachzugehen.
b) Entgegen der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht rechtsfehler-
frei angenommen, dass die angefochtene Festlegung nicht schon wegen eines Be-
gründungmangels formell rechtswidrig sei.
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aa) Allerdings unterliegt die Regulierungsbehörde bei der Ausfüllung eines
Entscheidungsspielraums der vorliegenden Art besonderen Begründungsanforde-
rungen. Ähnlich wie es das Bundesverwaltungsgericht bei telekommunikationsrecht-
lichen Entscheidungen angenommen hat (BVerwG, NVwZ 2014, 589 Rn. 34 ff.), ist
bei einem derartigen Entscheidungsspielraum die eigentliche Bewertung der Behör-
de auch darauf nachzuprüfen, ob sie im Hinblick auf die Kriterien, die in der Rechts-
norm ausdrücklich hervorgehoben oder in ihr angelegt sind, ihre Festlegung plausibel
und erschöpfend begründet hat. Dies folgt aus der Gewährleistung effektiven
Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG. Die gerichtliche Kontrolle eines der Be-
hörde eingeräumten Gestaltungsspielraums ist grundsätzlich auf diejenigen Erwä-
gungen zu erstrecken und zu beschränken, die die Behörde zur Begründung ihrer
Entscheidung dargelegt hat; denn die notwendige Abwägung und ihre Darstellung im
Bescheid sollen zumindest auch die nachgehende gerichtliche Kontrolle ermögli-
chen, die angesichts des ohnehin eingeräumten Beurteilungsspielraums sonst nicht
hinreichend wirksam wäre.
Aufgrund dessen muss der Begründung der Entscheidung zu entnehmen sein,
dass die Regulierungsbehörde die in Betracht kommenden Kennzahlen und die Me-
thoden zur Ermittlung der Kennzahlenwerte und ihrer Gewichtung sowie der monetä-
ren Bewertung abgewogen und geprüft hat, welche dem Ziel der Sicherung eines
langfristig angelegten, leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energiever-
sorgungsnetzen am ehesten gerecht werden. Sodann muss die Behörde unter Be-
wertung der unterschiedlichen Belange im Einzelnen darlegen, dass und warum ihrer
Ansicht nach im Ergebnis Überwiegendes für die gewählte Methode spricht.
bb) Nach diesen Maßgaben liegt kein Begründungsmangel vor.
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(1) Ohne Erfolg beanstandet die Rechtsbeschwerde, der angefochtenen Fest-
legung lasse sich nicht entnehmen, welche Datengrundlage die Bundesnetzagentur
für ihre Entscheidung verwendet habe, weshalb die Festlegung einen Begründungs-
mangel aufweise. Dies ist nicht der Fall.
Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hin, dass die Festle-
gung - anders als das Beschwerdegericht offenbar meint - nicht nur allgemeine Re-
gelungen zur Qualitätsregulierung enthält, die ohne jeden Rückgriff auf konkrete Ein-
zeldaten der einzelnen Netzbetreiber getroffen worden sind. Nach der Begründung
der Festlegung ist die Referenzfunktion zur Bestimmung des Qualitätselements in
zwei Schritten ermittelt worden, nämlich zum ersten aufgrund einer von den Consen-
tec-Gutachtern entwickelten Modellnetzanalyse auf der Grundlage fiktiver, aber reali-
tätsnaher Versorgungsaufgaben und zum zweiten aufgrund einer Zuverlässigkeits-
bzw. Wirkungsanalyse dieses Modells anhand der für die Jahre 2006 bis 2008 erho-
benen Daten nach § 52 EnWG. Dies wird in der Festlegung wie auch in dem dort in
Bezug genommenen Consentec-Gutachten (S. 134 ff.) hinreichend dargelegt, wes-
halb unter diesem Gesichtspunkt kein Begründungsmangel ersichtlich ist.
(2) Soweit die Rechtsbeschwerde nicht die fehlende Begründung dazu, wel-
che Datenreihen verwendet worden sind, beanstandet, sondern vielmehr den Um-
stand, dass diese Datensätze nicht veröffentlicht worden seien und deshalb die in
der Festlegung vorgegebene Referenzkurve mit den dort ermittelten Parametern
nicht nachvollziehbar sei, bleibt dies ebenfalls ohne Erfolg.
(a) Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 EnWG ist die Einsicht in Informationen, die von
der Bundesnetzagentur erhoben und in deren Akten geführt werden, nur mit deren
Zustimmung zulässig. Eine solche Zustimmung hat die Bundesnetzagentur nicht er-
teilt. Diese Entscheidung unterliegt in entsprechender Anwendung von § 99 Abs. 2
VwGO nicht der gerichtlichen Nachprüfung (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014
- EnVR 12/12, Rn. 73 - Stadtwerke Konstanz GmbH).
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(b) Ob das Beschwerdegericht nach § 84 Abs. 2 Satz 4 EnWG ein Zwischen-
verfahren zur Entscheidung über eine Offenlegung der Daten hätte anordnen müs-
sen, kann bereits deshalb dahinstehen, weil weder die Betroffene im Beschwerdever-
fahren ein solches Verfahren angeregt hat noch die Rechtsbeschwerde die Unterlas-
sung einer entsprechenden Anordnung durch das Beschwerdegericht mit der Verfah-
rensrüge beanstandet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Februar 2010 - KVZ 16/09,
WuW/E DE-R 2879 Rn. 18 - Kosmetikartikel).
(c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Offenlegung der
Datengrundlage auch nicht nach § 73 Abs. 1 EnWG oder Art. 19 Abs. 4 GG geboten.
(aa) Das in § 73 Abs. 1 EnWG normierte Erfordernis, wonach die Regulie-
rungsbehörde ihre Entscheidungen zu begründen hat, dient dem Zweck, den Betei-
ligten und dem Gericht die Überprüfung der Entscheidung in tatsächlicher und recht-
licher Hinsicht zu ermöglichen. Hierzu ist es erforderlich und ausreichend, diejenigen
tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen anzuführen, aus denen sich die Recht-
mäßigkeit der ergangenen Entscheidung ergibt.
Im vorliegenden Zusammenhang sind keine konkreten Anhaltspunkte ersicht-
lich, die es aus rechtlichen Gründen als geboten erscheinen lassen, zur Überprüfung
der von der Bundesnetzagentur getroffenen Auswahlentscheidung bei der Ausgestal-
tung und dem Verfahren zur Bestimmung des Qualitätselements die dabei verwende-
te Datengrundlage im Detail zu betrachten.
Allerdings steht außer Zweifel, dass die Auswahl und Gewichtung der zur Er-
mittlung der Referenzkurve herangezogenen Parameter vom Inhalt der zugrunde
liegenden Datensätze abhängen. Eine detaillierte Überprüfung der von jedem betei-
ligten Unternehmen übermittelten Daten stünde aber mit dem Regelungskonzept der
Anreizregulierungsverordnung nicht in Einklang. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ARegV
sieht vor, dass die Regulierungsbehörde die zur Bestimmung des Qualitätselements
erforderlichen Daten durch Einholung von Auskünften bei den Netzbetreibern erhebt.
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Hieraus kann, wie auch das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, gefol-
gert werden, dass die Netzbetreiber zu vollständigen und wahrheitsgemäßen Anga-
ben verpflichtet sind. Ein System zur Sanktionierung unzutreffender Angaben oder
eine umfassende Überprüfung der Angaben durch die Bundesnetzagentur oder
durch Dritte sind in der Anreizregulierungsverordnung zwar nicht vorgesehen; bei der
Bestimmung des Qualitätselements hat die Bundesnetzagentur in der angefochtenen
Festlegung aber angekündigt, die Datenmeldungen anhand der jeweils aktuellen Da-
tenmeldungen nach § 52 EnWG zu überprüfen und zu plausibilisieren. Damit besteht
eine hinreichende Sicherung, dass nur belastbare Daten verwendet werden.
Der Verordnungsgeber war auch nicht gehalten, weitergehende Maßnahmen
zur Überprüfung der Daten durch die Bundesnetzagentur oder die Gerichte vorzuse-
hen. Er durfte davon ausgehen, dass ein beteiligtes Unternehmen im Regelfall nicht
vorsätzlich unzutreffende Auskünfte erteilen wird, dass sich versehentlich unzutref-
fende Einzelangaben angesichts der Breite der Datengrundlage auf das Ergebnis
nicht in nennenswertem Umfang auswirken und dass Anlass zu einer näheren Über-
prüfung nur dann besteht, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der
Richtigkeit der übermittelten Daten begründen. Solche Anhaltspunkte zeigt die
Rechtsbeschwerde nicht auf.
(bb) Eine weitergehende Überprüfungspflicht des Beschwerdegerichts ergibt
sich auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
Die Regelung in § 84 Abs. 2 EnWG dient ebenso wie die inhaltsgleiche Rege-
lung in § 72 Abs. 2 GWB (dazu BGH, WuW/E DE-R 2879 Rn. 13 - Kosmetikartikel)
dem Ausgleich zwischen dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf wirksamen
Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG und auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach
Art. 103 Abs. 1 GG einerseits und dem als Ausfluss der Grundrechte der Art. 12 und
14 GG zu gewährenden Geheimnisschutz, insbesondere dem Schutz von Betriebs-
und Geschäftsgeheimnissen andererseits. Damit wird zugleich der verfassungsrecht-
lichen Anforderung nach praktischer Konkordanz Rechnung getragen (vgl. BVerfGE
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115, 205, 234). Hierbei ist neben dem privaten Interesse an effektivem Rechtsschutz
und dem - je nach Fallkonstellation - öffentlichen oder privaten Interesse an Geheim-
nisschutz auch das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung in die Abwägung
einzustellen (BVerfGE 115, 205, 241).
Die Informationen über Versorgungsstörungen nach § 52 EnWG sind Ge-
schäftsgeheimnisse der Unternehmen, die sie der Bundesnetzagentur mitgeteilt ha-
ben. Die in Rede stehenden Daten enthalten Angaben zu Zeitpunkt, Dauer, Ausmaß
und Ursache der Versorgungsunterbrechungen und zu den ergriffenen Maßnahmen
zur Vermeidung künftiger Versorgungsstörungen, also die Umstände, anhand deren
die Tätigkeit der Netzbetreiber im Rahmen der Netzzuverlässigkeit als Qualitätsele-
ment bewertet wird. Diese Daten sind nicht offenkundig. An ihrer Nichtverbreitung
besteht ein berechtigtes Interesse. Die Verpflichtung der Regulierungsbehörden zum
Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ergibt sich aus § 30 VwVfG, auf
den § 71 Satz 1 EnWG ausdrücklich Bezug nimmt, und aus § 84 Abs. 2 Satz 2
EnWG, wonach die Einsicht in Unterlagen insbesondere dann zu versagen ist, wenn
dies zur Wahrung solcher Geheimnisse geboten ist. Dass das Interesse der Be-
troffenen an einer Offenlegung der Datenreihen höher zu bewerten ist, wird von der
Rechtsbeschwerde nicht dargelegt. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die
Referenzkurve nicht anhand der konkret nach § 52 EnWG erhobenen Datenreihen
ermittelt worden ist, sondern anhand einer Modellnetzanalyse, deren Ergebnisse le-
diglich anhand der Datenreihen plausibilisiert worden sind. Gegen die Modellnetz-
analyse als solche bringt die Rechtsbeschwerde indes nichts Erhebliches vor.
Aus Art. 19 Abs. 4 GG können sich grundsätzlich keine weitergehenden Auf-
klärungspflichten ergeben. Insbesondere ist es nicht zulässig, das Geheimhaltungs-
interesse grundsätzlich hinter das Rechtsschutzinteresse zurückzustellen (BVerfGE
115, 205, 242). Im Streitfall liegt deshalb keine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG vor.
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(3) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, ein Begründungsmangel liege da-
rin, dass aus der Festlegung nicht ersichtlich sei, ob eine Plausibilisierung der Daten
erfolgt sei.
Der Festlegung lässt sich entnehmen, dass dem Consentec-Gutachten die
nach § 52 EnWG erhobenen Datenreihen für die Jahre 2006 bis 2008 zugrunde ge-
legen haben und eine Plausibilisierung der aufgrund der Festlegung vom 20. April
2011 (BK8-11/001) erhobenen Daten nicht erfolgt ist; dies ergibt sich aus Nummer II
6.1 der Gründe, worin die Bundesnetzagentur ihre in die Zukunft zielende Absicht
kundgetan hat, diese Datenmeldungen erst zur Überprüfung der Bestimmung des
Qualitätselements heranziehen zu wollen. Die Belastbarkeit der seit 2006 erhobenen
Daten hat die Bundesnetzagentur in der Festlegung damit begründet, es sei davon
auszugehen, dass "Betreiber von Energieversorgungsnetzen ihren gesetzlichen Mel-
depflichten gewissenhaft nachkommen und grundsätzlich richtige Daten an die Bun-
desnetzagentur liefern". Aus dem in der Festlegung in Bezug genommenen Consen-
tec-Gutachten (S. 69, 134) ergibt sich, dass die Daten einer "groben Prüfung der
Plausibilität" unterzogen und "
offensichtlich fehlerhafte Daten … korrigiert bzw. ent-
fernt" worden sind.
c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat es das Beschwerde-
gericht nicht rechts- oder verfahrensfehlerhaft unterlassen, eigene Feststellungen zur
hinreichenden Belastbarkeit der von der Bundesnetzagentur herangezogenen Daten-
reihen und zur Zulässigkeit der verwendeten Kennzahlen für die Bewertung der
Netzzuverlässigkeit zu treffen, weil die Festlegung auf einer unzureichenden Tatsa-
chengrundlage beruhe. Einen solchen Rechts- oder Verfahrensfehler zeigt die
Rechtsbeschwerde nicht auf.
aa) Zu Unrecht beanstandet sie, dass in die Datenerhebung nur eine "geringe"
Anzahl von Netzbetreibern (127 bzw. 129 von insgesamt 191 Mittelspannungs- bzw.
190 Niederspannungsnetzbetreibern) einbezogen worden sei. Dies ist bereits im An-
satz nicht nachvollziehbar, weil damit die Daten von etwa zwei Drittel der jeweiligen
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Gruppe von Netzbetreibern berücksichtigt worden sind und dies für eine - wie hier -
Plausibilitätskontrolle der in einer Modellnetzanalyse gefundenen Ergebnisse eine
ausreichend große Anzahl darstellt. Dies wird durch das Consentec-Gutachten (S.
69) bestätigt, in dem die Gutachter die verwendete Datenbasis für hinreichend reprä-
sentativ halten, um grundsätzliche Abhängigkeiten aufzeigen zu können. Dagegen
bringt die Rechtsbeschwerde nichts Substantielles vor. Zudem hat die Bundesnetza-
gentur in der Festlegung angekündigt, die verwendeten Datenreihen anhand der auf
Grundlage der weiteren Festlegung vom 20. April 2011 erhobenen Daten zu plausibi-
lisieren.
bb) Entsprechendes gilt für den betrachteten Zeitraum von drei Jahren. In dem
Consentec-Gutachten (S. 25, 69) wird dies nachvollziehbar damit erklärt, dass mit
der Einbeziehung der Daten für mehrere Jahre einerseits der Einfluss stochastischer
Effekte möglichst gering gehalten werden soll, andererseits bei der Wahl eines zu
langen Zeitraums die Gefahr besteht, dass Veränderungen der Unternehmenskenn-
größen erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung erkennbar werden und sich zudem
der Erhebungsaufwand erhöht. Auch dagegen erhebt die Rechtsbeschwerde keine
substantiierten Einwände.
cc) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist es auch nicht zu beanstan-
den, dass die Datensätze aus der Zeit vor Beginn der Anreizregulierung stammen.
Dies ist ein allgemeiner und unvermeidbarer Umstand der Anreizregulierung, der
auch für die Bestimmung des Ausgangsniveaus der Erlösobergrenze nach § 6
ARegV oder für den Effizienzvergleich nach §§ 12 bis 14 ARegV gilt. Soweit die
Bundesnetzagentur nur auf die Daten der Jahre 2007 bis 2009 und nicht auch auf die
Daten der Jahre 2008 bis 2010 zurückgegriffen hat, hat sie dies in der Festlegung
nachvollziehbar damit erklärt, dass die Kennzahlen des Kalenderjahres 2010 zum
Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Festlegung noch nicht in einer auswertba-
ren Form vorgelegen haben. Dies ist von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen
worden.
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dd) Soweit die Rechtsbeschwerde weiterhin erhebliche Unplausibilitäten bei
den verwendeten Datenreihen behauptet, kann sie damit keinen Erfolg haben. Nach
den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat die Bundesnetzagentur die im Laufe
der Jahre gelieferten Daten in mehrfacher Hinsicht plausibilisiert, indem sie die Ein-
gabe unplausibler Daten durch hinterlegte Eingaberegeln ausgeschlossen und Daten
stichprobenartig auf offensichtliche Unplausibilitäten überprüft hat. Daneben lässt
sich auch dem Consentec-Gutachten (S. 69, 134) entnehmen, dass die Gutachter
eine eigene Plausibilisierung vorgenommen und Ausreißer eliminiert haben. Auch
insoweit zeigt die Rechtsbeschwerde keine konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass
die Bundesnetzagentur von einer fehlerhaften Tatsachengrundlage ausgegangen ist.
ee) Die Rechtsbeschwerde beanstandet auch ohne Erfolg, dass sich die Bun-
desnetzagentur nicht damit auseinandergesetzt habe, ob die ihr vorliegenden Da-
tensätze nach der Eliminierung von sogenannten Rückwirkungsstörungen noch hin-
reichend belastbar seien. Rückwirkungsstörungen beruhen auf Versorgungsunter-
brechungen in anderen, d.h. vor- oder nachgelagerten Netzebenen. Nach dem
Consentec-Gutachten (S. 19) ist deren Ausklammerung aus den vorliegenden Daten
aufgrund des gesondert erfassten Störungsanlasses "Rückwirkungsstörung" prob-
lemlos möglich, ohne dass die Belastbarkeit der verbleibenden Daten in Frage ge-
stellt wird (S. 69). Anderes wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt.
d) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Beschwerdegericht nicht
die Geeignetheit der von der Bundesnetzagentur verwandten ökonometrischen Me-
thode zur Bestimmung der Referenzwerte mit sachverständiger Hilfe überprüft habe
und nicht dem Einwand der Betroffenen nachgegangen sei, dass nicht sämtliche ge-
bietsstrukturellen Unterschiede durch den Parameter Lastdichte hinreichend berück-
sichtigt würden.
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aa) § 21a Abs. 5 Satz 2 EnWG bestimmt, dass bei der Ermittlung von Quali-
tätsvorgaben Strukturunterschiede zu berücksichtigen sind. Diese Vorgabe des Ge-
setzgebers hat der Verordnungsgeber in § 20 Abs. 2 Satz 2 und 3 ARegV dahinge-
hend präzisiert, dass bei der Ermittlung der Kennzahlenvorgaben gebietsstrukturelle
Unterschiede zu berücksichtigen sind, wobei dies durch Gruppenbildung erfolgen
kann. Dabei hat der Verordnungsgeber eine Unterscheidung nach Stadt und Land
oder nach neuen und alten Bundesländern zwar für möglich gehalten (BR-Drucks.
417/07, S. 64), dies oder auch die in § 20 Abs. 2 Satz 3 ARegV angesprochene
Gruppenbildung aber nicht zwingend vorgeschrieben, so dass der Regulierungsbe-
hörde bei der Festlegung der anzuwendenden Parameter ein Entscheidungsspiel-
raum zusteht. Allerdings lässt sich den gesetzlichen Vorgaben der Auftrag an die
Regulierungsbehörde entnehmen, bei der Bestimmung des Qualitätselements dem
Umstand Rechnung zu tragen, dass die Versorgungsstruktur eine starke, vom Netz-
betreiber nicht beeinflussbare Wirkung auf die Netzzuverlässigkeit hat und das Quali-
tätsniveau im Hinblick auf die Kosten-Nutzen-Relation etwa in ländlichen Gebieten
geringer sein kann als in städtischen Gebieten.
bb) In der angefochtenen Festlegung hat die Bundesnetzagentur auf der
Grundlage des Consentec-Gutachtens bestimmt, dass bei der Heranziehung des
Strukturparameters Lastdichte zur Berücksichtigung gebietsstruktureller Unterschie-
de die Ermittlung des Referenzwertes mittels einer Regressionsanalyse erfolgen soll
und die Referenzwerte in Form eines hyperbolischen funktionalen Zusammenhangs
berechnet werden sollen. Dies ist als solches rechtlich nicht zu beanstanden.
Bei der angegebenen Formel handelt es sich um die Grundvariante einer hy-
perbolischen Funktion, bei der die Referenzwerte in Abhängigkeit von der Lastdichte
berechnet werden. Die Ermittlung der Regressionskonstanten a, b und c erfolgt nicht
in der angefochtenen Festlegung, sondern erst bei der Ermittlung des individuellen
Qualitätselements, hier in dem Beschluss der Bundesnetzagentur vom 21. Februar
2012. Der hyperbelähnliche Funktionsverlauf hat sich aus analytischen Überlegun-
gen der Gutachter ergeben und ist von ihnen durch analytische Modellrechnungen
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bestätigt worden, wohingegen statistische Untersuchungen einer Vielzahl anderer
Parameter keine besseren Erklärungsbeiträge geliefert haben (S. 27 des Gutach-
tens). Zugleich hat die Bundesnetzagentur die Verwendung der Formel und die Her-
anziehung des Strukturparameters Lastdichte unter den Vorbehalt gestellt, dass sich
dieser auch nach Auswertung der aufgrund der Festlegung vom 20. April 2011 erho-
benen Daten für die Kalenderjahre 2007 bis 2009 als statistisch bedeutsam erweist.
Damit entspricht die Entscheidung der Bundesnetzagentur den Vorgaben, die
sich aus § 21a EnWG und §§ 19, 20 ARegV ergeben. Die Rechtsbeschwerde zeigt
keinen Vortrag auf, dem das Beschwerdegericht hätte entnehmen müssen, dass die
Formel zur Ermittlung der Referenzwerte und die Heranziehung des Strukturparame-
ters Lastdichte aus wissenschaftlicher Sicht unvertretbar oder eine andere Methode
eindeutig als besser geeignet anzusehen wäre.
cc) Die Bundesnetzagentur hat sich - wissenschaftlich beraten - in der ange-
fochtenen Festlegung dafür entschieden, auf die vom Verordnungsgeber lediglich als
Möglichkeit aufgeführte Gruppenbildung zu verzichten, weil diese - was auch im
Consentec-Gutachten (S. 26) dargelegt wird - willkürliche Grenzziehungen erfordert
und an den jeweiligen Klassengrenzen Sprünge und Verzerrungen bewirken kann,
und stattdessen den Referenzwert durch eine von einem kontinuierlichen Strukturpa-
rameter abhängige Funktion zu ermitteln. In dem Consentec-Gutachten (S. 68 ff.)
sind verschiedene strukturelle Einflussgrößen auf die Versorgungszuverlässigkeit
untersucht worden, darunter auch die von der Rechtsbeschwerde angeführten Pa-
rameter Kabelanteil, Anzahl der Anschlusspunkte, Leitungslänge und Belegenheit
Ost/West. Soweit diese einen signifikanten Einfluss auf die Versorgungszuverlässig-
keit gezeigt haben, haben die Gutachter des Weiteren beachtet, dass es bei der Be-
trachtung eines Parameters zu überlagernden Effekten durch die anderen Parameter
kommt, und denjenigen Parameter oder die Kombination an Parametern zu identifi-
zieren versucht, die unter Berücksichtigung der Überlagerungseffekte die strukturel-
len Einflüsse nach Maßgabe des Bestimmtheitsmaßes R
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am besten abbilden. Dabei
hat sich ergeben, dass der Strukturparameter Lastdichte die gebietsstrukturellen Un-
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terschiede als alleiniger Parameter am besten abbildet und eine Kombination mit an-
deren Parametern kein signifikant verbessertes Bestimmtheitsmaß ergibt. Insoweit ist
auch zu berücksichtigen, dass das Verfahren zur Bestimmung des Qualitätselements
- was gerade auch die Möglichkeit von Gruppenbildungen unterstreicht - zu gewissen
Vereinfachungen und Vergröberungen führt, die die einzelnen Netzbetreiber hinzu-
nehmen haben. Durch die Kappungsgrenzen ist dem Erfordernis der Zumutbarkeit
hinreichend Genüge getan.
Die darauf fußende Würdigung des Beschwerdegerichts ist aus Rechtsgrün-
den nicht zu beanstanden. Bei dieser Ausgangslage hat die Bundesnetzagentur im
Rahmen des ihr zustehenden Entscheidungsspielraums eine geeignete und nach-
vollziehbare ökonometrische Methode zur Bestimmung des Referenzwerts ange-
wendet, die mit den Vorgaben des Gesetzes und der Anreizregulierungsverordnung
in Einklang stehen. Der von der Rechtsbeschwerde aufgezeigte Vortrag der Be-
troffenen führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Insbesondere enthält er keine
Gesichtspunkte, die nicht bereits von der Bundesnetzagentur oder von den Consen-
tec-Gutachtern in ihre Betrachtung einbezogen worden sind. Aufgrund dessen ist es
auch nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht von der Einholung eines
Sachverständigengutachtens abgesehen hat.
dd) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Rechtsbeschwerde, dass bei der
gewählten ökonometrischen Methode die Wechselwirkung zwischen Qualitätsele-
ment und Effizienzwert nicht hinreichend berücksichtigt worden sei, weil durch die
Berücksichtigung der Lastdichte als einzigem Parameter die mit der Anreizregulie-
rung verbundene Zielsetzung, Anreize zur Effizienzsteigerung zu setzen, ohne die
Versorgungsqualität zu beeinträchtigen, verfehlt werde. Eine hohe Lastdichte führe
nämlich einerseits zu einer hohen Versorgungssicherheit, andererseits seien damit
aber auch Mehrkosten verbunden, die zu einem geringeren Effizienzwert führten.
Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hin, dass zwischen
Qualitätselement und Effizienzwert eine Wechselwirkung besteht. Dies hat auch der
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Gesetzgeber in § 21a Abs. 5 Satz 1 EnWG anerkannt. Von der danach möglichen
Integration der Versorgungsqualität in den Effizienzvergleich hat der Verordnungsge-
ber indes (vorerst) abgesehen und stattdessen die Bestimmung des Qualitätsele-
ments nach §§ 19, 20 ARegV als zusätzliches Element neben den Effizienzvergleich
nach §§ 12 bis 14 ARegV in die Regulierungsformel eingefügt. Dies ist folgerichtig,
weil andernfalls möglicherweise Kosten, die mit der Bereitstellung einer höheren
Versorgungsqualität verbunden sind, zu Lasten der Netzbetreiber mit einer ver-
gleichsweise hohen Netzqualität gingen, indem diese als Ineffizienzen ausgelegt
werden könnten und damit sinkende Erlösobergrenzen zur Folge hätten (vgl. Herr-
mann/Westermann in Holznagel/Schütz, ARegV, § 18 Rn. 5 mwN).
Dies bedeutet allerdings nicht, dass dieser Ausgleich deckungsgleich sein
muss und das Qualitätselement quasi ein genaues Korrektiv für den Effizienzver-
gleich sein soll. Dies würde die Unterschiede zwischen beiden Elementen verken-
nen. Es sind weder sachliche noch rechtliche Gründe erkennbar, die eine vollständi-
ge Kongruenz zwischen den Parametersätzen zur Berücksichtigung gebietsstruktu-
reller Unterschiede bei der Effizienzbewertung einerseits und bei der Qualitätsbewer-
tung andererseits gebieten. Die Qualitätsvorgabe enthält - anders als der Effizienz-
vergleich - keine Zielvorgabe, die ein Netzbetreiber erreichen muss. Ziel der Quali-
tätsregulierung ist nicht die Erreichung eines bestimmten - etwa absolut vorgegebe-
nen oder "bestmöglichen" - Qualitätsniveaus, sondern die Erreichung eines für Netz-
betreiber und Netznutzer im Hinblick auf Kosten und Nutzen optimalen Qualitätsni-
veaus, das langfristig durch einen dynamischen Prozess erzielt werden soll. Dies
ergibt sich aus der in § 20 Abs. 3 Satz 1 ARegV geregelten monetären Bewertung,
für die insbesondere die Bereitschaft der Kunden, für eine Änderung der Netzzuver-
lässigkeit niedrigere oder höhere Entgelte zu zahlen, als Maßstab herangezogen
werden kann.
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Die Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes und der Anreizregulierungsver-
ordnung fordern ebenfalls keine Gleichsetzung bei der Bewertung von Effizienz und
Qualität. Die Berücksichtigung von "Strukturunterschieden" (§ 21a Abs. 5 Satz 2
EnWG) und "gebietsstrukturellen Unterschieden" (§ 20 Abs. 2 Satz 2 ARegV) bei der
Ermittlung von Kennzahlenvorgaben für die Qualitätsregulierung ist zwar in ihrer in-
haltlichen Zielsetzung ähnlich aufgebaut wie bei der Effizienzbewertung; eine tat-
sächliche Berücksichtigung von Strukturparametern ist aber nur dann sachgerecht
und erforderlich, wenn sie sich auswirken. Wie oben ausgeführt worden ist, hat die
Bundesnetzagentur - rechtsfehlerfrei - den Strukturparameter Lastdichte als alleini-
gen Parameter für die bestmögliche Abbildung gebietsstruktureller Unterschiede im
Rahmen der Qualitätsbewertung erkannt. Demgegenüber werden beim Effizienzver-
gleich eine Mehrzahl von Vergleichsparametern (§ 13 Abs. 3 Satz 4 ARegV) verwen-
det, die die strukturelle Vergleichbarkeit möglichst weitgehend gewährleisten sollen
(§ 13 Abs. 3 Satz 8 ARegV). Dass diese Parameter nicht zwingend für die Qualitäts-
bewertung geeignet sind, zeigt sich am Beispiel des Parameters der Leitungslänge,
dessen kostentreibende Wirkung auf der Hand liegt, der jedoch in Bezug auf die Ver-
sorgungszuverlässigkeit neutral ist (siehe Consentec-Gutachten S. 49).
e) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdege-
richt die Berücksichtigung des Störungsanlasses "Einwirkungen Dritter" bei der Be-
wertung der Netzzuverlässigkeit zu Recht für zulässig erachtet.
Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 ARegV beschreibt die Netzzuverlässigkeit die Fähig-
keit des Energieversorgers, Energie möglichst unterbrechungsfrei und unter Einhal-
tung der Produktqualität zu transportieren. Nach der Verordnungsbegründung liegt
die Netzzuverlässigkeit bei 100 Prozent, wenn ein unterbrechungsfreier Transport
von Energie unter Einhaltung der Produktqualität stattfindet (BR-Drucks. 417/07,
S. 63). § 20 Abs. 1 ARegV nennt beispielhaft Kennzahlen für die Bewertung der
Netzzuverlässigkeit, nämlich die Dauer der Unterbrechung der Energieversorgung,
die Häufigkeit der Unterbrechung der Energieversorgung, die Menge der nicht gelie-
ferten Energie und die Höhe der nicht gedeckten Last. Nach der Verordnungsbe-
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gründung sollen die Kennzahlen geplante und ungeplante Unterbrechungen berück-
sichtigen (BR-Drucks. 417/07, S. 64).
Danach ist im Ausgangspunkt jegliche Versorgungsunterbrechung zu berück-
sichtigen, weil sie für die Verbraucher zu Unannehmlichkeiten führt und eine Ver-
schlechterung der Versorgungsqualität bedeutet. Ziel einer Qualitätsregulierung nach
§ 18 ARegV muss es sein, eine Versorgungsunterbrechung unter den gegebenen
Rahmenbedingungen nach Möglichkeit zu vermeiden und eine aufgetretene Störung
so kurz wie möglich zu halten, also auf eine zeitnahe Wiederaufnahme der Energie-
versorgung hinzuwirken. Soweit die Bundesnetzagentur bei der Bestimmung des
Qualitätselements die Störungsanlässe "Höhere Gewalt" und "Rückwirkungsstörun-
gen" sowie geplante Versorgungsunterbrechungen aufgrund von "Zählerwechseln"
außer Betracht gelassen hat, liegt dies im Rahmen des ihr zustehenden Entschei-
dungsspielraums.
Der Störungsanlass "Einwirkungen Dritter" ist indes damit nicht vergleichbar.
Aufgrund dessen ist es nicht zu beanstanden, dass die Bundesnetzagentur die er-
fassten Störungsanlässe - über die genannten Ausnahmen hinaus - nicht auf solche
beschränkt hat, die der Netzbetreiber schuldhaft im Sinne des § 276 Abs. 1 BGB
verursacht hat, sondern alle Störfälle berücksichtigt hat, deren Verursachung oder
deren Behebung in seiner Sphäre liegen. Insoweit hat das Beschwerdegericht zutref-
fend ausgeführt, dass ein Netzbetreiber Versorgungsunterbrechungen aufgrund des
Verhaltens Dritter durchaus beeinflussen kann. Dies gilt sowohl in Bezug auf eine
Vermeidung solcher Störungen etwa durch öffentliche Informationen, Schulungs-
maßnahmen und sorgfältige Planauskünfte als auch in Bezug auf die möglichst zeit-
nahe Beseitigung einer gleichwohl eingetretenen Versorgungsunterbrechung.
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Entgegen der Rechtsbeschwerde ist eine Berücksichtigung nur des Störungs-
anlasses "Zuständigkeit des Netzbetreibers" nicht ausreichend. Ganz im Gegenteil
könnte eine solche Beschränkung sogar zu einer fehlerhaften Datengrundlage füh-
ren, weil eine Unterscheidung zwischen den Störungsanlässen "Einwirkungen Dritter"
und "Zuständigkeit des Netzbetreibers" bereits bei der Erfassung zu Grenz- oder
Konfliktfällen führen und Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen würde. Die Feststellung
der tatsächlichen Verursachung einer Versorgungsunterbrechung kann im Einzelfall
Schwierigkeiten aufwerfen, wenn etwa ein Leitungsschaden zwar unmittelbar auf ei-
nem Baggerschaden beruht, dieser aber durch eine unsorgfältige Planauskunft des
Netzbetreibers mitverursacht worden oder dies nicht auszuschließen ist. In einem
solchen Fall wäre es im Rahmen der Qualitätsregulierung nicht sachgerecht, wenn
diese Versorgungsunterbrechung unberücksichtigt bliebe, weil als Störungsanlass
"Einwirkungen Dritter" benannt würde.
f) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Annahme des
Beschwerdegerichts, dass die Bundesnetzagentur zur Dämpfung von Schwankun-
gen nicht zur Einführung eines Tot- oder Konfidenzbandes, d.h. einer Bandbreite von
Abweichungen vom Referenzwert ohne Bonus oder Malus, verpflichtet sei. Ein sol-
ches Erfordernis sehen weder Energiewirtschaftsgesetz noch Anreizregulierungsver-
ordnung vor. Die Bundesnetzagentur hat sich in der Festlegung entsprechend der
Empfehlung der Gutachter (S. 33 f.) dafür entschieden, die Auswirkungen von
stochastischen Einflüssen durch eine Mittelwertbildung über mehrere Jahre zu dämp-
fen. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
g) Entgegen den Angriffen der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht
auch rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Bundesnetzagentur den Beginn der
Anwendung des Qualitätselements auf den 1. Januar 2012 festsetzen durfte.
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Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 ARegV entscheidet die Regulierungsbehörde über
den Beginn der Anwendung des Qualitätselements. Dieser soll nach § 19 Abs. 2
Satz 2 ARegV bereits zur oder im Laufe der ersten Regulierungsperiode erfolgen,
soweit der Regulierungsbehörde hinreichend belastbare Datenreihen vorliegen. In-
soweit hat das Beschwerdegericht dieser Norm aufgrund ihrer Formulierung als Soll-
Vorschrift zutreffend entnommen, dass diese Entscheidung nicht im freien Ermessen
der Regulierungsbehörde liegt, sondern bei Vorliegen der genannten Voraussetzung
zu erfolgen hat, soweit nicht zwingende Sachgründe entgegenstehen. Das wird von
der Rechtsbeschwerde auch nicht in Abrede gestellt.
Das Beschwerdegericht hat rechts- und verfahrensfehlerfrei angenommen,
dass der Bundesnetzagentur bei Erlass der Festlegung hinreichend belastbare Da-
tenreihen vorgelegen haben. Dies ist dann der Fall, wenn die ermittelten Daten sta-
tistisch eine hinreichende Aussagekraft haben, um für die konkret in den Blick ge-
nommenen Kennzahlen der Netzzuverlässigkeit ihrem Umfang und ihrer Beschaf-
fenheit nach repräsentative Aussagen treffen zu können. Nach den - von der
Rechtsbeschwerde in nicht rechtserheblicher Form angegriffenen - Feststellungen
des Beschwerdegerichts war dies hier - wie bereits oben ausgeführt worden ist - der
Fall. Aufgrund dessen hat für das Beschwerdegericht kein Anlass bestanden, eigene
Feststellungen zur hinreichenden Belastbarkeit der von der Bundesnetzagentur her-
angezogenen Datenreihen zu treffen.
Soweit die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang rügt, dass die Bun-
desnetzagentur die Anzahl der betroffenen Letztverbraucher in nachgelagerten Net-
zen bei der Qualitätsbewertung unberücksichtigt gelassen habe, ist dies - wie oben
dargelegt - unbehelflich. Gleiches gilt für ihren Einwand, die Bundesnetzagentur ha-
be die Ergebnisse des Consentec-Gutachtens "angepasst", indem sie die Referenz-
wertfunktion für die Niederspannung verändert habe. Dies betrifft die in Nummer 8
der Festlegung beschriebene alternative Berechnungsformel, die für den Fall ange-
wendet werden soll, dass dem Strukturparameter Lastdichte nach Überprüfung der
aufgrund der Festlegung vom 20. April 2011 erhobenen Daten keine statistische Sig-
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nifikanz zukommen sollte. Die - im Vergleich zu dem Eckpunktepapier erfolgte - Än-
derung dieser Formel wird in Nummer II 7.1 der Begründung der Festlegung damit
erklärt, dass die ursprüngliche Formel nach Hinweisen aus der Praxis nicht nachvoll-
ziehbar gewesen sei. Die Rechtsbeschwerde zeigt demgegenüber keine Anhalts-
punkte dafür auf, dass die Änderung der Referenzwertformel aufgrund einer Anpas-
sung der ursprünglichen Datenreihen tatsächlich erforderlich gewesen wäre.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.
Meier-Beck
Raum
Kirchhoff
Grüneberg
Bacher
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 22.08.2012 - VI-3 Kart 39/11 (V) -
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