Urteil des BGH vom 10.11.2015

Energieversorgung Marienberg GmbH Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
EnVR 42/14
Verkündet am:
10. November 2015
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Energieversorgung Marienberg GmbH
GasNEV § 7 Abs. 1 Satz 4, § 6 Abs. 5 Satz 3 und 4
Bei der Bildung des Mittelwerts zwischen Jahresanfangs- und Jahresendbe-
stand gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 GasNEV ist für Neuanlagen, die im Laufe des
Geschäftsjahres angeschafft oder fertiggestellt wurden, im Anfangsbestand die-
ses Jahres der volle Betrag der maßgeblichen Anschaffungs- und Herstellungs-
kosten anzusetzen.
BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - EnVR 42/14 - OLG Dresden
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 10. November 2015 durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs
Limperg, den Vorsitzenden Richter Dr. Raum und die Richter Prof. Dr. Strohn,
Dr. Grüneberg und Dr. Bacher
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerden gegen den am 18. Juli 2014 verkündeten
Beschluss des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Dresden
werden zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerdeführerinnen tragen die Kosten des Rechts-
beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Be-
troffenen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
6.500 Euro festgesetzt.
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Gründe:
A. Die Betroffene betreibt ein Gasverteilernetz. Mit Bescheid vom
28. Mai 2013 legte die Landesregulierungsbehörde die Erlösobergrenzen für die
zweite Regulierungsperiode (2013 bis 2017) niedriger als von der Betroffenen
begehrt fest.
Mit ihrer Beschwerde hat sich die Betroffene unter anderem dagegen
gewandt, dass die Landesregulierungsbehörde bei der kalkulatorischen Verzin-
sung des Eigenkapitals den Wert des Jahresanfangsbestands für Neuanlagen,
die in dem für die Kostenermittlung maßgeblichen Basisjahr 2010 erstmals akti-
viert worden sind, mit Null angesetzt hat. Das Beschwerdegericht hat das Be-
gehren der Betroffenen (nur) insoweit als begründet angesehen und die Lan-
desregulierungsbehörde unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids zur
Neubescheidung verpflichtet.
Mit ihren vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerden
streben die Landesregulierungsbehörde und die Bundesnetzagentur weiterhin
die Zurückweisung der Beschwerde an. Die Betroffene tritt den Rechtsmitteln
entgegen.
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B. Die zulässigen Rechtsmittel sind unbegründet.
I.
Das Beschwerdegericht hat sich hinsichtlich des noch in Streit ste-
henden Punkts einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Be-
schluss vom 11. September 2013 - 3 Kart 198/12, RdE 2014, 26) angeschlos-
sen und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Bei der Bildung des Mittelwerts zwischen Jahresanfangs- und Jahres-
endbestand gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 GasNEV seien die während eines Basis-
jahres angeschafften Anlagegüter im Jahresanfangsbestand mit den vollen An-
schaffungs- und Herstellungskosten anzusetzen. Entgegen der Auffassung der
Regulierungsbehörden sei für die Bestimmung des Jahresanfangsbestands
nicht auf die Handelsbilanz zurückzugreifen. Maßgeblich seien vielmehr die
Bestimmungen in §§ 6 und 7 GasNEV, die ein geschlossenes Regelwerk bilde-
ten. Nach § 6 Abs. 5 Satz 3 und 4 GasNEV seien die kalkulatorischen Ab-
schreibungen jahresbezogen zu ermitteln, wobei ein Zugang zum 1. Januar des
Anschaffungsjahres fingiert werde. Diese Regelung sei im Rahmen von § 7
Abs. 1 Satz 4 GasNEV entsprechend anzuwenden.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
1. Zu Recht ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass sich
aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 1 GasNEV keine zwingenden Schlussfolgerun-
gen ableiten lassen.
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeführerinnen ist § 7
Abs. 1 Satz 4 GasNEV nicht zu entnehmen, dass der Anfangsbestand eines
Jahres entsprechend § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB zwingend mit dem Endbestand
des vorangegangenen Jahres übereinstimmen muss.
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Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 GasNEV ist die kalkulatorische Rechnung zur
Bestimmung der Netzkosten, zu der die kalkulatorische Verzinsung des Eigen-
kapitals gehört, ausgehend von den Gewinn- und Verlustrechnungen zu erstel-
len. Darin und in anderen Bestimmungen, die auf die Handelsbilanz Bezug
nehmen, liegt nach der Rechtsprechung des Senats kein Verweis auf Rechts-
normen des Handelsrechts. Die Handelsbilanz und sonstige nach handelsrecht-
lichen Vorschriften erstellte Rechenwerke dienen vielmehr als Datenquelle für
die Regulierungsentscheidung. Die Festlegung der Eigenkapitalverzinsung folgt
einem eigenständigen System, das in seinen Grundsätzen durch § 21 EnWG
vorgegeben und in der Gasnetzentgeltverordnung näher bestimmt wird. Die
§§ 6 und 7 GasNEV bilden hierbei ein abgeschlossenes Regelungswerk (BGH,
Beschluss vom 14. August 2008 - KVR 39/07, RdE 2008, 323 Rn. 36 f. - Vatten-
fall; Beschluss vom 7. April 2009 - EnVR 6/08, RdE 2010, 25 Rn. 18 - Verteil-
netzbetreiber Rhein-Main-Neckar).
b) Andererseits ergeben sich aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 1 Satz 4
GasNEV keine zwingenden Hinweise darauf, dass die Anschaffungs- und Her-
stellungskosten eines Anlageguts, das im Laufe des betreffenden Geschäfts-
jahrs angeschafft oder fertiggestellt wird, bereits im Jahresanfangsbestand zu
berücksichtigen sind.
Eine allein am Wortlaut orientierte Auslegung spricht vielmehr dafür, im
Anfangsbestand nur solche Vermögensgüter zu berücksichtigen, die bereits am
Anfang des betreffenden Jahres vorhanden waren. Güter, die erst im Laufe des
Jahres angeschafft oder fertiggestellt werden, gehören nicht ohne weiteres in
diese Kategorie.
Hieraus lassen sich jedoch keine zwingenden Schlussfolgerungen zie-
hen. Für die Berechnung nach §§ 6 und 7 GasNEV ist nämlich eine kalkulatori-
sche Sicht maßgeblich. Die Beantwortung der Frage, ob und mit welchem Wert
ein Anlagegut im Jahresanfangsbestand anzusetzen ist, hängt deshalb davon
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ab, ob das betreffende Gut aus kalkulatorischer Sicht so zu behandeln ist, als
sei es bereits am Jahresanfang vorhanden bzw. fertiggestellt gewesen.
2. Zu Recht ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass
die Berücksichtigung der Anschaffungs- und Herstellungskosten im Jahresan-
fangsbestand aufgrund der Regelung in § 6 Abs. 5 Satz 3 und 4 GasNEV gebo-
ten ist.
a) Wie auch das Beschwerdegericht nicht verkannt hat, betrifft die ge-
nannte Regelung allerdings nicht unmittelbar die Bewertung des Jahresan-
fangsbestands im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 4 GasNEV.
§ 6 GasNEV regelt die Frage, wie die kalkulatorischen Abschreibungen
zu berechnen sind. Diese Abschreibungen bilden, wie sich aus § 6 Abs. 1
GasNEV ergibt, eine eigenständige Position bei der Ermittlung der Netzkosten.
Sie sind zugleich von Bedeutung für die Ermittlung des Eigenkapitals. Güter des
Anlagevermögens sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 GasNEV mit ihren
kalkulatorischen Restwerten anzusetzen. Letztere ergeben sich bei Neuanlagen
- d.h. bei Anlagegütern, die ab dem 1. Januar 2006 aktiviert werden (§ 6 Abs. 1
Satz 3 GasNEV) - aus den um die kalkulatorischen Abschreibungen verminder-
ten Anschaffungs- und Herstellungskosten.
Aus der Regelung in § 6 Abs. 5 Satz 3 und 4 GasNEV, wonach die kalku-
latorischen Abschreibungen jahresbezogen zu ermitteln sind und jeweils ein
Zugang des Anlagegutes zum 1. Januar des Anschaffungsjahres zugrunde zu
legen ist, ergeben sich mithin unmittelbare Konsequenzen für den Restwert, mit
dem ein im Laufe des Geschäftsjahres angeschafftes oder fertiggestelltes
Anlagegut im Jahresendbestand anzusetzen ist. Dieser Wert entspricht stets
dem kalkulatorischen Restwert, der sich nach einer Abschreibungsdauer von
einem Jahr ergibt - unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des lau-
fenden Jahres die Anschaffung bzw. Fertigstellung erfolgt ist.
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Hinsichtlich der Frage, ob und mit welchem Wert solche Güter im An-
fangsbestand des Anschaffungsjahrs zu berücksichtigen sind, trifft § 6 Abs. 5
GasNEV hingegen keine unmittelbare Festlegung. Die Regelung in § 6 Abs. 5
Satz 4 GasNEV, wonach ein Zugang des Anlageguts zum 1. Januar des An-
schaffungsjahres zugrunde zu legen ist, mag ihrem Wortlaut nach zwar eine
Berücksichtigung im Anfangsbestand nahelegen. Diese Vorschrift steht aber in
Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen in § 6 Abs. 5 GasNEV. Ihr un-
mittelbarer Anwendungsbereich ist deshalb ebenfalls auf die Ermittlung der kal-
kulatorischen Abschreibungen beschränkt. Die Fiktion eines Zugangs zum
1. Januar stellt sicher, dass schon im Anschaffungsjahr ein voller Jahresbetrag
abgeschrieben wird - unabhängig davon, wie lange das Vermögensgut in die-
sem Jahr tatsächlich zur Verfügung stand.
b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht entschieden, dass § 6 Abs. 5
Satz 4 GasNEV aufgrund des systematischen Zusammenhangs zwischen § 6
und § 7 Abs. 1 GasNEV dennoch auch bei der Ermittlung des Jahresanfangs-
bestands zu berücksichtigen ist.
aa) Diese Rechtsfolge ergibt sich allerdings nicht schon aus dem vom
Verordnungsgeber mit der Einfügung von § 6 Abs. 5 Satz 3 und 4 GasNEV ver-
folgten Zweck.
Die kalkulatorische Abschreibung beruht gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1
GasNEV auf der Annahme, dass der kalkulatorische Restwert eines Anlageguts
nach Ablauf des angesetzten Abschreibungszeitraums - also der betriebsge-
wöhnlichen Nutzungsdauer (§ 6 Abs. 5 Satz 1 GasNEV) - Null beträgt. Die in
Anlage 1 zu § 6 Abs. 5 Satz 1 GasNEV vorgesehenen Abschreibungszeiträume
sind nach vollen Jahren bemessen. Bei Anlagegütern, die im Laufe eines Jah-
res angeschafft oder fertiggestellt werden, wäre danach anstelle eines vollen
Jahresbetrags jeweils nur ein Teilbetrag anzusetzen. Der Senat hat deshalb auf
der Grundlage der bis 8. September 2010 geltenden Fassung von § 6 Abs. 5
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GasNEV entschieden, dass eine pauschalierende, auf ganze Jahre abstellende
Betrachtung nicht zulässig ist, die Abschreibungen vielmehr monatsscharf vor-
zunehmen sind (BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - EnVR 6/08, RdE 2010, 25
Rn. 16 ff. - Verteilnetzbetreiber Rhein-Main-Neckar).
Mit der am 9. September 2010 in Kraft getretenen Regelung in § 6 Abs. 5
Satz 3 und 4 GasNEV hat der Verordnungsgeber eine auf ganze Jahre bezo-
gene Betrachtung angeordnet. Maßgeblich dafür war die Erwägung, dass die
bei der kalkulatorischen Abschreibung zu Grunde gelegten betriebsgewöhnli-
chen Nutzungsdauern die handels- und steuerrechtlich angewandten Nut-
zungsdauern erheblich übersteigen und dass eine auf unterjährige Zeiträume
abstellende Ermittlung von kalkulatorischen Abschreibungen der Handhabbar-
keit und Prüfbarkeit der Kostenrechnung widerspricht (BR-Drucks. 312/10 [Be-
schluss], S. 10).
Diese Erwägung ist auf die Ermittlung des Jahresanfangsbestands nicht
ohne weiteres übertragbar. Der Ansatz der Anschaffungs- und Herstellungskos-
ten im Anfangsbestand des Anschaffungsjahres erfordert vielmehr einen zu-
sätzlichen Rechenschritt. In der als Datengrundlage heranzuziehenden Bilanz
des Vorjahres sind die betroffenen Vermögensgüter noch nicht ausgewiesen,
weil sie erst nach dem dafür maßgeblichen Stichtag aktiviert worden sind. Die
Anschaffungs- und Herstellungskosten dieser Güter müssen deshalb in einem
gesonderten Schritt ermittelt und dem Jahresanfangsbestand zugeschlagen
werden. Der dafür erforderliche Zusatzaufwand mag nicht allzu hoch sein, zu-
mal die Anschaffungs- und Herstellungskosten schon für die Ermittlung der kal-
kulatorischen Abschreibungen zur Verfügung stehen müssen. Dennoch steht es
nicht ohne weiteres in Einklang mit dem vom Verordnungsgeber verfolgten
Zweck, den Regulierungsbehörden diesen zusätzlichen Prüfungsschritt aufzu-
geben.
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bb) Eine entsprechende Heranziehung von § 6 Abs. 5 Satz 4 GasNEV ist
dennoch geboten, um zu gewährleisten, dass das eingesetzte Eigenkapital trotz
der auf ganze Geschäftsjahre bezogenen Betrachtung in vollem Umfang be-
rücksichtigt bleibt.
(1) Wie bereits dargelegt soll § 6 Abs. 5 Satz 4 GasNEV gewährleisten,
dass die Kostenrechnung handhabbar und prüfbar bleibt. Diese Zielsetzung
schließt es zwar nicht schlechthin aus, bei der Verzinsung des Eigenkapitals
einen geringeren Wert anzusetzen als denjenigen, der sich bei einer monats-
scharfen Betrachtung ergibt. Mangels besonderer Anhaltspunkte kann aber
nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber den Ansatz ei-
ner geringeren Eigenkapitalbasis auch für Konstellationen in Kauf genommen
hat, bei denen sich ein Gleichlauf mit einer monatsscharfen Betrachtung ohne
gravierenden Zusatzaufwand erreichen lässt.
(2) Im vorliegenden Zusammenhang führte eine auf ganze Jahre bezo-
gene Betrachtung der Abschreibungen über den gesamten Abschreibungszeit-
raum hinweg gesehen zum Ansatz einer geringeren Eigenkapitalbasis, wenn
nicht im Gegenzug die vollen Anschaffungs- und Herstellungskosten im An-
fangsbestand des ersten Jahres berücksichtigt würden.
Hinsichtlich der Abschreibungen ergeben sich durch die auf ganze Jahre
bezogene Betrachtung nur zeitliche, nicht aber betragsmäßige Abweichungen.
Durch die Fiktion eines Zugangs zum 1. Januar wird der Beginn des Abschrei-
bungszeitraums um einige Monate vorverlegt. Im Vergleich zu einer monats-
scharfen Betrachtung hat dies zur Folge, dass im Jahr der Anschaffung höhere
Abschreibungen anfallen, die Abschreibungsmöglichkeit im letzten Jahr hinge-
gen entfällt. Die Höhe der Abschreibungen in den dazwischen liegenden Jah-
ren, der Gesamtbetrag der Abschreibungen und die Länge des Abschreibungs-
zeitraums bleiben hingegen unverändert. Bei Abschreibungszeiträumen von bis
zu 70 Jahren, wie sie in Anlage 1 zu § 6 Abs. 5 GasNEV vorgesehen sind, er-
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geben sich daraus - bezogen auf die gesamten Anschaffungs- oder Herstel-
lungskosten - nur relativ geringfügige Unterschiede, denen jedenfalls nach der
Vorstellung des Verordnungsgebers eine erhebliche Vereinfachung bei der Kos-
tenprüfung gegenübersteht.
Hinsichtlich der Verzinsung des Eigenkapitals führt die auf ganze Jahre
bezogene Betrachtung hingegen dazu, dass der im Jahresendbestand - und
damit im Anfangsbestand des jeweils darauffolgenden Jahres - anzusetzende
Wert, der in die Basis für die Verzinsung einfließt, über den gesamten Ab-
schreibungszeitraum hinweg geringer ausfällt als bei einer monatsscharfen Ab-
schreibung. Daraus ergibt sich insbesondere bei langen Abschreibungszeiträu-
men für jedes einzelne Geschäftsjahr zwar nur ein relativ geringer Differenzbe-
trag. Dieser fällt wegen der nach § 6 Abs. 4 GasNEV anzuwendenden linearen
Abschreibungsmethode aber über den gesamten Abschreibungszeitraum hin-
weg jedes Jahr von neuem an. Die Summe dieser jährlichen Differenzbeträge
beläuft sich unabhängig von der Abschreibungsdauer auf einen Gesamtbetrag,
der für jeden Monat, um den der Abschreibungsbeginn vorverlegt wird, einem
Zwölftel der gesamten Anschaffungs- und Herstellungskosten entspricht. Wenn
ein Anlagegut zum Beispiel zum 1. Juli eines Jahres aktiviert wird, führt die Vor-
verlegung des Abschreibungsbeginns insgesamt folglich zu einer Verringerung
der Eigenkapitalverzinsung um einen Betrag, der sich bei Verzinsung der Hälfte
der Anschaffungs- und Herstellungskosten für ein Jahr ergibt. Bei früheren oder
späteren Anschaffungszeitpunkten verringert bzw. erhöht sich der Anteil ent-
sprechend der Anzahl der Monate.
Diese Abweichung kann vermieden werden, indem die in § 6 Abs. 5
Satz 4 GasNEV vorgesehene Vorverlegung des Anschaffungszeitpunkts auf die
Berechnung des für die Verzinsung maßgeblichen Eigenkapitals erstreckt wird.
Der Ansatz der Anschaffungs- und Herstellungskosten beim Anfangsbestand
des Anschaffungsjahrs hat nämlich zur Folge, dass der nach § 7 Abs. 1 Satz 4
GasNEV zu bildende Mittelwert aus Jahresanfangs- und Jahresendbestand um
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die Hälfte dieser Anschaffungs- und Herstellungskosten erhöht wird. Dies führt
zwar nicht in jedem Fall, sondern nur bei Gütern, die im Juli erstmals aktiviert
werden, zu einer exakten Kompensation des aufgezeigten Differenzbetrags,
während es bei früher aktivierten Gütern zu einer gewissen Überkompensation
und bei später aktivierten Gütern zu einer gewissen Unterkompensation kommt.
Diese Ungenauigkeit steht aber in Einklang mit dem Regelungskonzept des § 7
Abs. 1 Satz 4 GasNEV, dem zufolge Änderungen des Kapitalbestands während
des Geschäftsjahrs nicht durch eine monats- oder gar tagesscharfe Betrach-
tung, sondern nur durch Bildung des Mittelwerts zwischen Jahresanfangs- und
Jahresendbestand Rechnung zu tragen ist.
Angesichts dessen kann nicht angenommen werden, dass der Verord-
nungsgeber mit § 6 Abs. 5 Satz 4 GasNEV über den Vereinfachungszweck hin-
aus das Ziel verfolgte, die maßgebliche Basis für die Verzinsung des Eigenkapi-
tals im Vergleich zu einer monatsscharfen Abschreibung zu verringern. Viel-
mehr ist der Vorverlegung des Abschreibungsbeginns durch Ansatz der An-
schaffungs- und Herstellungskosten im Anfangsbestand des ersten Jahres
Rechnung zu tragen.
c) Die von den Rechtsbeschwerdeführerinnen zusätzlich angeführten
Gesichtspunkte führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
aa) Dem Wortlaut von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 GasNEV, wonach
das Eigenkapital hinsichtlich des Anlagevermögens anhand der kalkulatori-
schen Restwerte zu bestimmen ist, kommt in diesem Zusammenhang keine
ausschlaggebende Bedeutung zu. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein
Wert, der den vollen Anschaffungs- und Herstellungskosten entspricht, als
Restwert bezeichnet werden kann. Selbst wenn dies zu verneinen wäre, ergäbe
sich jedenfalls aus dem aufgezeigten systematischen Zusammenhang zwi-
schen § 6 Abs. 5 und § 7 Abs. 1 Satz 4 GasNEV, dass für Anlagegüter, die im
Laufe des betreffenden Jahres angeschafft oder fertiggestellt wurden, im An-
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fangsbestand die nicht um Abschreibungen verminderten Kosten anzusetzen
sind.
bb) Dem systematischen Zusammenhang zwischen § 7 Abs. 1 und § 7
Abs. 2 GasNEV kommt für die hier zu entscheidende Frage ebenfalls keine
ausschlaggebende Bedeutung zu.
Nach der Rechtsprechung des Senats sind die Wertansätze von Aktiva
und Passiva zwar grundsätzlich denselben zeitlichen Vorgaben zu unterwerfen
(BGH, Beschluss vom 23. Juni 2009 - EnVR 76/07 Rn. 13). Im vorliegenden
Zusammenhang führt aber schon die Regelung in § 6 Abs. 5 Satz 3 und 4
GasNEV dazu, dass dieser Grundsatz nicht in vollem Umfang eingehalten wer-
den kann. Ein zeitlicher Einklang kann entweder mit der Bewertung der Passiva
oder mit der Berechnung der Abschreibungen und der darauf beruhenden Jah-
resendwerte auf der Aktivseite hergestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist
der Einklang auf der Aktivseite aus den oben aufgezeigten systematischen
Gründen vorrangig.
cc) Aus der Entstehungsgeschichte von § 6 Abs. 5 GasNEV ergeben
sich keine abweichenden Anhaltspunkte.
Zwar mag einiges dafür sprechen, dass der Verordnungsgeber mit der
Einfügung von § 6 Abs. 5 Satz 3 und 4 GasNEV das Ziel verfolgte, abweichend
von der erwähnten Entscheidung des Senats vom 7. April 2009 (EnVR 6/08,
RdE 2010, 25 - Verteilnetzbetreiber Rhein-Main-Neckar) eine Beibehaltung der
bisherigen Behördenpraxis bei der Ermittlung der Abschreibungen zu ermögli-
chen. Hieraus kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass er
die damit einhergehende Praxis, Anlagen, die im laufenden Jahr erstmals akti-
viert werden, im Jahresanfangsbestand mit dem Wert Null anzusetzen, eben-
falls festschreiben wollte. Der Umstand, dass der Verordnungsgeber § 7 Abs. 1
Satz 4 GasNEV unverändert ließ, spricht vielmehr dafür, dass er es bei dem
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oben aufgezeigten systematischen Zusammenhang zwischen dem Anfangs-
zeitpunkt der Abschreibungen und der Berücksichtigung im Jahresanfangsbe-
stand belassen wollte.
dd) Aus dem Sinn und Zweck des § 7 GasNEV können ebenfalls keine
abweichenden Schlussfolgerungen gezogen werden.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeführerinnen führt der
Ansatz der Anschaffungs- und Herstellungskosten im Anfangsbestand des An-
schaffungsjahres über den gesamten Abschreibungszeitraum hinweg nicht zu
einer Doppelverzinsung.
Wie auch die Betroffene nicht in Zweifel gezogen hat, kann es im An-
schaffungsjahr allerdings dazu kommen, dass zumindest ein Teil der in Rede
stehenden Kosten mehrfach berücksichtigt wird. Dies ist, wie die Bundesnetz-
agentur im Einzelnen dargelegt hat, insbesondere dann der Fall, wenn ein Teil
der Kosten schon in einem vorangegangenen Jahr für Anlagen im Bau aktiviert
wurde, darüber hinaus auch dann, wenn die Anschaffungs- und Herstellungs-
kosten kalkulatorisch durch einen Austausch von Einzelposten auf der Aktivsei-
te finanziert werden, und ferner sogar dann, wenn die Finanzierung ausschließ-
lich durch zusätzlich in Anspruch genommenes Fremdkapital erfolgt.
Diese Doppelberücksichtigung wird aber durch den oben aufgezeigten
Umstand kompensiert, dass der auf den 1. Januar vorgezogene Beginn der Ab-
schreibung zu einer Verminderung der Verzinsungsgrundlage führt, das Wirt-
schaftsgut in allen nachfolgenden Jahren also mit einem Wert anzusetzen ist,
der geringer ist als bei einer monatsscharfen Betrachtung. Über den gesamten
Abschreibungszeitraum hinweg führt mithin gerade die vom Beschwerdegericht
zu Recht als zutreffend erachtete Methode zu einer Betrachtung, die den tat-
sächlichen Verhältnissen am ehesten entspricht, weil sie nur zu einer zeitlichen
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Vorverlegung der Abschreibungen und der Eigenkapitalverzinsung, nicht aber
zu einer Veränderung der insgesamt anfallenden Beträge führt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG, die Festset-
zung des Gegenstandswerts auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.
Limperg
Raum
Strohn
Grüneberg
Bacher
Vorinstanz:
OLG Dresden, Entscheidung vom 18.07.2014 - Kart 10/13 -
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