Urteil des BGH vom 06.09.2011

Anwendung des Rechts, Gefährdung, Anstellungsvertrag, Konsolidierung, Rechtsanwaltschaft

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (Brfg) 5/11
vom
6. September 2011
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richterin Lohmann, den Richter Seiters sowie die
Rechtsanwälte Dr. Frey und Dr. Braeuer
am 6. September 2011
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das
Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs für das Land Nord-
rhein-Westfalen vom 24. September 2010 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger ist seit dem 19. Juni 2001 im Bezirk der Beklagten zur
Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 5. Mai 2010 widerrief die
Beklagte die Zulassung wegen Vermögensverfalls. Die Klage gegen diesen Be-
scheid ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der
Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
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II.
Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 1 BRAO, § 124a Abs. 4
VwGO statthaft. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
(§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulas-
sungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine
erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt
wird (BVerfGE 110, 77, 83; BVerfG, NVwZ 2000, 1163, 1164; NVwZ-RR 2008,
1; NJW 2009, 3642; vgl. ferner BVerwG, NVwZ-RR 2004, 542 f; Schmidt-
Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 112e BRAO
Rn. 77).
a) Der Kläger verweist darauf, dass die baldige Begleichung der Rück-
stände "aufgrund verschiedener Umstände" möglich war, und beruft sich dazu
auf "den Akteninhalt"; einige Gläubiger hätten eine vergleichsweise Regelung
vom Nachweis eines regelmäßigen Erwerbseinkommens abhängig gemacht,
wofür der Erhalt der Anwaltszulassung erforderlich sei. Dieser Vortrag erfüllt
schon nicht die formalen Anforderungen des § 112e Satz 2 BRAO und des
§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO an die Begründung eines Zulassungsantrags. In-
haltlich ist er unerheblich. Die Richtigkeit des Subsumtionsschlusses des An-
waltsgerichtshofs wird durch ihn nicht in Frage gestellt. Dass der Kläger zu den
genannten Zeitpunkten in der Lage gewesen wäre, sämtliche gegen ihn gerich-
teten Forderungen zu begleichen oder in anderer Weise zu erledigen, behaup-
tet er nicht.
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b) Der Kläger meint weiter, der in Aussicht genommene Anstellungsver-
trag mit einer aus drei Personen bestehenden Sozietät sei geeignet, eine Ge-
fährdung der Rechtsuchenden auszuschließen. Diese Ansicht trifft nicht zu. Ein
Anstellungsvertrag, der inhaltlich den Anforderungen der Senatsrechtsprechung
genügt, vermag allenfalls dann eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszu-
schließen, wenn er über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei durchge-
führt ("gelebt") worden ist (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B)
67/08, BRAK-Mitt. 2010, 129 Rn. 12).
c) Soweit der Kläger ohne Darlegung von Einzelheiten vorträgt, weitere
Verbindlichkeiten getilgt zu haben, ist dieses Vorbringen eben deshalb unerheb-
lich, weil das seit dem 1. September 2009 geltende neue Verfahrensrecht kei-
nen Raum für die Berücksichtigung eines nachträglichen Wegfalls des Wider-
rufsgrundes lässt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10).
Auch nach bisherigem Verfahrensrecht hat der Senat eine Konsolidierung der
Vermögensverhältnisse des betroffenen Rechtsanwalts nur dann angenommen,
wenn dieser seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend offen-
gelegt und den nachträglichen Fortfall seines Vermögensverfalls zweifelsfrei
nachgewiesen hat (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2010 - AnwZ (B) 74/09, juris
Rn. 10, 11 m.w.N.). Solange nicht sämtliche Forderungen getilgt oder in ande-
rer Weise erledigt sind, sind die Vermögensverhältnisse nicht geordnet.
2. Den Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen
Schwierigkeiten (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) hat der Klä-
ger nicht hinreichend dargelegt. Eine Rechtssache weist dann besondere tat-
sächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn sie wegen einer erheblich
über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu
Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das
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normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und
sich damit von den üblichen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich ab-
hebt (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. November 2010 - 1 L 134/10,
juris Rn. 7; VGH München, Beschluss vom 17. Januar 2011 - 14 ZB 10.1569,
juris Rn. 10). Diese Voraussetzungen müssen in der Begründung des Antrags
auf Zulassung der Berufung dargelegt werden (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a
Abs. 4 Satz 4 VwGO). Erblickt der Antragsteller die Schwierigkeiten des Falles
darin, dass die angefochtene Entscheidung auf bestimmte tatsächliche Aspekte
nicht eingegangen ist oder erhebliche Rechtsfragen nicht oder unzutreffend be-
antwortet hat, kann von ihm verlangt werden, dass er diese Gesichtspunkte in
nachvollziehbarer Weise darstellt und ihren Schwierigkeitsgrad plausibel macht
(BVerfG,
NVwZ
2000,
1163,
1164;
Schmidt-Räntsch
in
Gaier/
Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 112e BRAO Rn. 78).
Der Kläger sieht besondere Schwierigkeiten darin, dass die Aufnahme
des ihm zugesagten Arbeitsverhältnisses, die eine Konsolidierung seiner Ver-
mögensverhältnisse erst ermögliche, vom Fortbestand der Zulassung abhängt.
Hierbei handelt es sich jedoch um eine Fallgestaltung, die bei vielen in Vermö-
gensverfall geratenen Rechtsanwälten anzutreffen ist, und nicht um eine be-
sonders komplexe Tatsachen- oder Rechtsfrage.
3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2
BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn
der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klä-
rungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von
Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an
einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH,
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Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; BVerfG,
NVwZ 2009, 515, 518; BVerwG, NVwZ 2005, 709).
a) Der Kläger meint, die für seinen Fall entscheidungserheblichen
Rechtsfragen seien in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch nicht
ausreichend geklärt, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob die Zusage einer
festen Anstellung bei Erhalt der Zulassung eine Gefährdung der Rechtsuchen-
den (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) ausschließe. Dies trifft nicht zu. Der Senat hat mit
Beschluss vom 8. Februar 2010 (AnwZ (B) 67/08, BRAK-Mitt. 2010, 129) die
Voraussetzungen klargestellt, unter denen ein Anstellungsvertrag, der nach den
Vorgaben der älteren Senatsrechtsprechung erstellt worden ist (vgl. BGH, Be-
schluss vom 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511; vom 25. Juni
2007 - AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924), eine Gefährdung der Rechtsuchen-
den auszuschließen vermag. Dies gilt unabhängig davon, ob der Vertrag im
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits geschlossen oder nur für den
Fall der Aufhebung der Widerrufsverfügung in Aussicht genommen worden ist
(vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010, aaO Rn. 10).
b) Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Zulassungsgrund der
Grundsatzbedeutung nicht deshalb gegeben, weil die zitierte Senatsrechtspre-
chung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im
anwaltlichen und notariellen Berufsrecht vom 30. Juli 2009 (BGBl. I 2449) er-
gangen ist. Die hier maßgebliche Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist un-
verändert geblieben.
4. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124
Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist schon nicht schlüssig dargelegt. Eine Divergenz liegt
vor, wenn die anzufechtende Entscheidung von der Entscheidung eines höher-
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oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine
Abweichung in diesem Sinne liegt vor, wenn die anzufechtende Entscheidung
ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentschei-
dung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsent-
scheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (BGH, Be-
schluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291 f.; Schmidt-
Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 112e Rn. 36). Der
Kläger beanstandet, dass der Anwaltsgerichtshof die oben nachgewiesene Se-
natsrechtsprechung zur Begründung der von ihm getroffenen Entscheidung
herangezogen habe, obwohl der Fall besonders liege, rügt also nur die Anwen-
dung des Rechts im konkreten Einzelfall.
5. Der Kläger hat schließlich keinen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem
die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO,
§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Im Antrag auf Zulassung der Berufung wegen eines
Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss
substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände
Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehalte-
nen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche
tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachver-
haltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entwe-
der dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht,
insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachver-
haltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist
oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein sol-
ches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (BVerwG, NJW 1997,
3328; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 112e
Rn. 82). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Der
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Kläger beanstandet, dass der Anwaltsgerichtshof seinen Vortrag zu einer zu-
sätzlichen abhängigen Tätigkeit weder protokolliert noch bei der Entscheidung
berücksichtigt habe. Für die Frage des Vermögensverfalls kam es hierauf je-
doch nicht an.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Kessal-Wulf
Lohmann
Seiters
Frey
Braeuer
Vorinstanz:
AGH Hamm, Entscheidung vom 24.09.2010 - 1 AGH 54/10 -
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