Urteil des BGH vom 17.09.2015

Form, Rechtsanwaltschaft, Rüge, Widerruf

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
A n w Z ( B r f g ) 4 1 / 1 5
vom
17. September 2015
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Präsidentin des
Bundesgerichtshofs Limperg, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Remmert
sowie die Rechtsanwälte Dr. Martini und Dr. Kau
am 17. September 2015
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das
Urteil des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs
vom 5. Juni 2015 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger ist seit 1981 im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft
zugelassen. Mit Bescheid vom 20. Mai 2014, dem Kläger zugestellt am 21. Mai
2014, widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensver-
falls, nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen des Klägers wegen Fehlens einer die Kosten des Verfahrens de-
ckenden Masse abgelehnt worden war. Die Klage des Klägers gegen den Wi-
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derruf ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt er die Zulassung der Beru-
fung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 1 BRAO, § 124a Abs. 4
VwGO statthaft. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
(§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulas-
sungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine
erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt
wird (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187
Rn. 3; BVerfGE 110, 77, 83; BVerfG, NVwZ 2000, 1163, 1164; NVwZ-RR 2008,
1; NJW 2009, 3642; vgl. ferner BVerwG, NVwZ-RR 2004, 542 f.; Schmidt-
Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 112e BRAO
Rn. 77). Daran fehlt es hier.
a) Der Widerrufsbescheid vom 20. Mai 2014 ist in Form eines Schreibens
unter dem Briefkopf der Beklagten ergangen, welches den Widerruf ausspricht,
diesen begründet, eine Rechtsbehelfsbelehrung anschließt und vom Vizepräsi-
denten der Beklagten unterzeichnet ist. Der Kläger hält den Bescheid für formell
rechtswidrig, weil er nicht erkennen lasse, welche Mitglieder des Vorstandes
der Beklagten an der Entscheidung mitgewirkt hätten, und nicht von allen an
der Entscheidung beteiligten Vorstandsmitgliedern unterschrieben worden sei.
Er verweist auf eine Entscheidung des Anwaltsgerichts Hamm (MDR 2000, 55),
welche entsprechende Anforderungen stelle.
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b) Die Entscheidung des Anwaltsgerichts Hamm betrifft eine Rüge nach
§ 74 BRAO. Ob ein nach § 74 BRAO ergehender Bescheid stets von allen an
der Entscheidung beteiligten Vorstandsmitgliedern unterzeichnet werden muss,
ist streitig und höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Der Senat hat
es jedenfalls nicht für erforderlich gehalten, dass alle Vorstandsmitglieder, die
an der Beschlussfassung mitgewirkt haben, unterschreiben, wenn sie im Be-
scheid namentlich benannt werden (BGH, Urteil vom 12. Juli 2012 - AnwZ
(Brfg) 37/11, BGHZ 194, 79 Rn. 14).
c) Der vorliegende Fall betrifft keine Rüge, sondern einen Widerrufsbe-
scheid. Dessen Form sowie das einzuhaltende Verfahren ergeben sich, worauf
der Senat bereits hingewiesen hat (Beschluss vom 15. Oktober 2012 - AnwZ
(Brfg) 45/12, NJW-RR 2013, 303 Rn. 7), aus dem Gesetz. Nach § 34 BRAO
sind Verwaltungsakte, durch welche die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oder
die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer begründet oder versagt wird
oder erlischt, zuzustellen. Damit wird zugleich der Verwaltungsakt als Hand-
lungsform vorgeschrieben, für den die allgemeinen Vorschriften des (jeweiligen)
Verwaltungsverfahrensgesetzes gelten (§§ 35 ff. VwVfG). Auch die Zuständig-
keit der Rechtsanwaltskammern ist gesetzlich geregelt. Nach § 33 Abs. 1
BRAO sind die Rechtsanwaltskammern für die Ausführung der Bundesrechts-
anwaltsordnung und der auf deren Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen
zuständig, soweit nichts anderes bestimmt ist. Durch welche Organe die
Rechtsanwaltskammern handeln, folgt aus §§ 63 ff. BRAO. Jede Rechtsan-
waltskammer hat einen Vorstand (§ 63 Abs. 1 BRAO). Diesem obliegen die der
Rechtsanwaltskammer in der Bundesrechtsanwaltsordnung zugewiesenen Auf-
gaben und Befugnisse (§ 73 Abs. 1 Satz 2 BRAO). Der Vorstand kann mehrere
Abteilungen bilden (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BRAO), die innerhalb ihrer Zuständigkeit
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die Rechte und Pflichten des Vorstandes besitzen (§ 77 Abs. 5 BRAO). Das
einzuhaltende Verfahren ergibt sich aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz, auf
welches die Vorschrift des § 32 BRAO verweist, soweit nichts anderes bestimmt
ist.
d) Das Schreiben der Beklagten vom 20. Mai 2014 erfüllt sowohl der äu-
ßeren Form nach als auch inhaltlich alle Merkmale eines Verwaltungsaktes. Es
lässt die Beklagte als die erlassende Behörde erkennen, unterscheidet zwi-
schen dem Widerruf als dem verfügenden Teil des Verwaltungsaktes und sei-
ner Begründung (§ 39 Abs. 1 VwVfG), trägt die Unterschrift des Vizepräsiden-
ten als des Vertreters des Präsidenten (§ 37 Abs. 3 VwVfG), ist mit einer
Rechtsmittelbelehrung versehen und wurde zugestellt (§ 34 BRAO). Einzelhei-
ten der Beschlussfassung brauchten nicht mitgeteilt zu werden (BGH, Be-
schluss vom 15. Oktober 2012 - AnwZ (Brfg) 45/12, NJW-RR 2013, 303 Rn. 9).
Die Beschlussfassung als solche ist nicht Bestandteil des Widerrufs, sondern
nur dessen Grundlage. Mit dem Schreiben vom 20. Mai 2014 hat die Beklagte
die Anwaltszulassung des Klägers deshalb wirksam widerrufen.
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2
BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist gegeben,
wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und
klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von
Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an
einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH,
Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 291; BVerfG,
NVwZ 2009, 515, 518; BVerwG, NVwZ 2005, 709). Zur schlüssigen Darlegung
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der grundsätzlichen Bedeutung gehören Ausführungen zur Klärungsbedürftig-
keit und Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage sowie ihre Bedeu-
tung für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen oder ihre Auswirkung auf die All-
gemeinheit; begründet werden muss auch, warum ein korrigierendes Eingreifen
des Berufungsgerichts erforderlich ist.
b) Der Kläger hat keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dargelegt. Form
und Verfahren des Widerrufs der Anwaltszulassung sind im Gesetz hinreichend
klar geregelt. Das hat der Senat bereits im Beschluss vom 15. Oktober 2012
(AnwZ (Brfg) 45/12, NJW-RR 2013, 303) ausgeführt.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Limperg
Lohmann
Remmert
Martini
Kau
Vorinstanz:
AGH Celle, Entscheidung vom 05.06.2015 - AGH 14/14 (II 7/26) -
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