Urteil des BGH vom 31.08.2012

Aufschiebende Wirkung, Gesetzliche Vermutung, Gefährdung, Rechtsanwaltschaft, Vermögensverfall

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (Brfg) 25 /12
vom
31. August 2012
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, die Richterin Roggenbuck, den
Richter Seiters sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Quaas und Dr. Braeuer
am 31. August 2012
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das
Urteil des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofes
vom 20. Februar 2012 wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Geschäftswert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000
festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 17. Juni 2010 die Zu-
lassung des Klägers wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) wider-
rufen. Dessen hierauf erhobene Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen.
Dagegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
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Mit Bescheid vom 3. November 2011 hat die Beklagte die sofortige Voll-
ziehung des Widerrufs angeordnet. Auf Antrag des Klägers hat der Anwaltsge-
richtshof durch Beschluss vom 19. Dezember 2011 die aufschiebende Wirkung
der Anfechtungsklage gegen den Zulassungswiderruf unter verschiedenen Auf-
lagen wieder hergestellt. Die Beklagte beantragt gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2
VwGO, diesen Beschluss wegen Veränderung der Sach- und Rechtslage auf-
zuheben und die aufschiebende Wirkung entfallen zu lassen.
II.
Der nach § 112e Satz 2, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des Klä-
gers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
(§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulas-
sungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine
erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt
wird (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Beschluss vom 23. Januar 2012
- AnwZ (Brfg) 11/11 Rn. 5 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Der Anwaltsgerichtshof
hat zutreffend ausgeführt, dass zum Zeitpunkt des Zulassungswiderrufs eine
gesetzliche Vermutung für den Vermögensverfall des Klägers bestand, weil er
mit vier Haftbefehlen vom 25. Mai 2010 in das Schuldnerverzeichnis beim Voll-
streckungsgericht eingetragen war (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 BRAO, § 915
ZPO). Daneben waren zahlreiche Schuldtitel gegen den Kläger ergangen, aus
denen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn durchgeführt worden
waren. Die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls zum Zeitpunkt des
Widerrufsbescheids hat der Kläger nicht widerlegt.
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Auf die Frage, ob der Vermögensverfall nachträglich entfallen ist, kommt
es entgegen der Ansicht des Anwaltsgerichtshofes aus Rechtsgründen nicht an.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft ist nach der mit Wirkung ab 1. September 2009 erfolgten
Änderung des Verfahrensrechts allein auf den Abschluss des Verwaltungsver-
fahrens abzustellen. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist
einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (BGH, Beschluss vom 29. Juni
2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, NJW 2011, 3234 Rn. 9 ff.).
Der Anwaltsgerichtshof hat auch eine Gefährdung der Interessen der
Rechtsuchenden bejaht. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieses Ergebnis-
ses bestehen nicht. Wie schon dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 1
BRAO zu entnehmen ist, geht der Gesetzgeber grundsätzlich von einer Gefähr-
dung der Interessen der Rechtsuchenden aus, wenn sich der Rechtsanwalt in
Vermögensverfall befindet. Diese Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick
auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf mögli-
chen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2007
- AnwZ (B) 101/05, ZVI 2007, 618 Rn. 8 m.w.N.). Sie gilt auch im vorliegenden
Fall, in welchem angesichts zweier anhängiger Strafverfahren wegen Untreue
zum Nachteil von Mandanten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die
aus dem Vermögensverfall folgende Gefährdung der Interessen der Recht-
suchenden schon mehrfach verwirklicht hat. Die Sozietät des Klägers mit
Rechtsanwalt W. H. birgt keine höhere Sicherheit als die Anstel-
lung bei einem Einzelanwalt, welche die Gefährdung nach ständiger Senats-
rechtsprechung nicht ausschließt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2005
- AnwZ (B) 13/05, AnwBl. 2006, 280; Beschluss vom 18. Oktober 2010
- AnwZ (B) 21/10 Rn. 12).
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2. Der weiter vom Kläger angeführte Zulassungsgrund der grundsätz-
lichen Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt eben-
falls nicht vor.
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2
BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Eine solche kommt einer Rechtssache zu,
wenn diese eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfä-
hige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen
stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer
einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Be-
schluss vom 23. Januar 2012 - AnwZ (Brfg) 11/11 Rn. 4 m.w.N.). Eine solche
grundsätzlich klärungsbedürftige Frage zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
Aus den vom Kläger vorgelegten Kanzleiverträgen aus den Jahren 1997 und
2000 und seinem Vortrag vor dem Anwaltsgerichtshof ergibt sich im Übrigen die
in dem Zulassungsantrag behauptete Einstandsverpflichtung des Prozessbe-
vollmächtigten für die privaten Verbindlichkeiten seines Sohnes nicht.
3. Schließlich liegt auch der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4
VwGO nicht vor. Auf von Entscheidungen des Senats abweichenden Rechts-
auffassungen des Anwaltsgerichtshofes beruht das Urteil nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 194 Abs. 2 Satz 1
BRAO.
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IV.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist der Widerruf der Zulassung
zur Rechtsanwaltschaft unanfechtbar geworden. Damit endet gemäß § 112c
Abs. 3 BRAO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage. Der Antrag der
Beklagten auf Abänderung des Beschlusses des niedersächsischen Anwaltsge-
richtshofes vom 19. Dezember 2011 ist damit gegenstandslos geworden.
Tolksdorf
Roggenbuck
Seiters
Quaas
Braeuer
Vorinstanzen:
AGH Celle, Entscheidung vom 20.02.2012 - AGH 13/10 -
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