Urteil des BGH vom 24.09.2015

Untersuchungshaft, Haftbefehl, Syrien, Tatverdacht

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
A K 3 0 / 1 5
vom
24. September 2015
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 24. September
2015 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-
richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesge-
richt Düsseldorf übertragen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde am 22. Januar 2015 festgenommen und befindet
sich seit diesem Tag aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des
Bundesgerichtshofs vom 20. Januar 2015 (2 BGs 33/15) in Untersuchungshaft,
unterbrochen zur Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen vom 10. März bis
30. April 2015.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich in
der Zeit von August 2013 bis November 2013 in Syrien an der "Jaish
al-Muhajirin wal-Ansar" ("Armee der Auswanderer und Helfer", im Folgenden:
JAMWA) als Mitglied beteiligt und damit an einer Vereinigung, deren Zwecke
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und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord, Totschlag, Völkermord, Ver-
brechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, erpresserischen
Menschenraub oder Geiselnahme zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1
Nr. 1 und 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über
sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des
Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden
Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die JAMWA gründete sich im März 2013 durch die Vereinigung der
von dem aus Georgien stammenden ethnischen Tschetschenen Tarkhan Bati-
rashvili (Kampfname Abu Umar al-Shishani) angeführten Gruppierung "Katibat
al-Muhajirin" ("Brigade der Emigranten" oder auch "Muhajirin-Brigade") mit den
militanten syrischen Gruppen "Jaish Mohammad" und "Kata'ib Khattab". Unein-
geschränkter Anführer der militärisch hierarchisch organisierten Vereinigung
blieb Abu Umar al-Shishani, dem ein Schura-Rat und ein Komitee für Fragen
der Scharia beigeordnet waren. Die Organisation verfügte auch über eine eige-
ne Medienstelle, die "FI SYRIA", die über einen eigenen Internetauftritt die Öf-
fentlichkeitsarbeit versah, sowie über ein eigenes Logo. An unterster Stelle der
Hierarchie standen die mehreren hundert Kämpfer, zu denen auch die Kampf-
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gruppe der "Muhajirun halab" zählte, der der Angeklagte angehörte. Das Ziel
der Vereinigung, die Errichtung eines islamischen Kalifats voranzutreiben,
suchte sie im Wege des militärischen Kampfs dadurch zu erreichen, dass sie
auf Seiten der Gegner Assads in den syrischen Bürgerkrieg eingriff. Kampfge-
biet der JAMWA war der Großraum um die syrische Stadt Aleppo. Bei ihren
Aktionen arbeitete die Vereinigung zunehmend mit der Organisation "Islami-
scher Staat im Irak und in Großsyrien (ISIG)" zusammen. Ab Anfang August
2013 war die JAMWA zudem an einer Offensive gegen alawitische Dörfer im
Gebirge der Provinz Latakia beteiligt, die zu zahlreichen Opfern unter der alawi-
tischen Zivilbevölkerung führte.
Ende November des Jahres 2013 legten Abu Umar al-Shishani und ein
Teil seiner Kämpfer den Treueid auf Abubakr al-Baghdadi, den Anführer des
ISIG, ab; in einer am 11. Dezember 2013 veröffentlichten Verlautbarung erklär-
te Abu Umar al-Shishani, die JAMWA sei durch den Treueid auf al-Baghdadi
aufgelöst. Seit diesem Zeitpunkt sind die Abu Umar al-Shishani folgenden
Kämpfer, zu denen auch die Kampfgruppe der "Muhajirun halab" zählt, als Teil
des ISIG anzusehen.
Ein Teil der Mitglieder der JAMWA sah sich durch den zuvor auf Doku
Umarov, den damaligen Anführer der Vereinigung Kaukasisches Emirat, geleis-
teten Gefolgschaftseid gehindert, sich dem ISIG anzuschließen. Unter der Füh-
rung des früheren Kommandeurs Salahuddin al-Shishani spalteten sie sich von
Abu Umar al-Shishani ab und führen den Namen JAMWA weiter, fügten ihm
jedoch den Zusatz "Islamisches Emirat Kaukasus" hinzu.
bb) Der Angeklagte radikalisierte sich seit dem Jahr 2010 und ordnete
sich einer extremistisch-islamistischen Ideologie unter, die den bewaffneten
Jihad als legitimes Ziel zur Durchsetzung ultra-konservativer islamistischer Inte-
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ressen ansieht und die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
ablehnt. Solcherart weltanschaulich geprägt reiste er im August 2013 über die
Türkei, wo er Unterstützung von Schleusern erhielt, nach Syrien. Dort wollte er
sich einer aktiven terroristischen Vereinigung anschließen und fand zur
JAMWA, bei der er eine Kampf- und Waffenausbildung absolvierte. Im Sep-
tember 2013 wurde er dem der JAMWA zugehörigen Kampfverband "Muhajirun
halab" ("Auswanderer von Aleppo") zugewiesen und in einen Vorort von Aleppo
verlegt. Der Verband untergliederte sich in 15 einzelne Kampfgruppen; der An-
geklagte wurde der "Kampfgruppe der Deutschen" unter Führung des deut-
schen Konvertiten Sch. zugeteilt. In diese Gruppe brachte sich der
Angeklagte ein, indem er - bewaffnet mit einem Sturmgewehr AK-47 - Wach-
dienste und logistische Aufgaben, etwa den Verpflegungstransport zur Frontli-
nie, übernahm. Bei einem solchen Einsatz wurde er im September oder Okto-
ber 2013 in ein Gefecht mit einer den syrischen Regierungstruppen zuzurech-
nenden Einheit verwickelt. Mitte November 2013 kehrte der Angeklagte aus
ungeklärten Gründen nach Deutschland zurück. Hier hielt er sich unter Beibe-
haltung seiner radikal-islamistischen Einstellung in der salafistischen Szene in
H. auf und nahm an einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen
Salafisten und Jesiden teil, zu der es anlässlich einer jesidischen Demonstrati-
on gegen die terroristische Vereinigung "Islamischer Staat", der Nachfolgeor-
ganisation des ISIG, kam.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der terroristischen
Vereinigung JAMWA aus den Auswertungen des Bundeskriminalamtes und
insbesondere aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. .
Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Ausführungen in dem Haftbefehl
und die dort in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.
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Die Einbindung des Angeklagten in die Kampfgruppe "Muhajirun halab",
seine Tätigkeiten für diese und die Eingliederung der Kampfgruppe in die
JAMWA ergibt sich aus der Aussage des polizeilich vernommenen gesondert
Verfolgten I. . Dieser hat bekundet, Mitglied der "Kampfgruppe der
Deutschen" unter der Führung des "Emirs" Sch. gewesen zu sein.
Als weitere Gruppenkameraden hat er neben einem M. aus dem Raum
Mö. (bei dem es sich mutmaßlich um den Mitangeklagten C.
handelt) einen "O. " benannt, der aus Ostdeutschland stamme, mit Betäu-
bungsmitteln in Erscheinung getreten sei und eine besondere Tätowierung ha-
be. Bei diesem "O. " handelt es sich nach dem bisherigen Stand der Ermitt-
lungen mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Angeklagten:
Dafür spricht, dass nach den durchgeführten Ermittlungen die Her-
kunftsangaben des I. zu "O. " sämtlich auf den Angeklagten zutreffen. Er
ist in F. geboren, mehrfach wegen Betäubungsmitteldelikten vor-
bestraft und trägt am rechten Oberarm eine Tätowierung mit einem sog. Tribal-
Motiv. Aus der Auswertung der bei seiner Festnahme sichergestellten Compu-
ter und Mobiltelefone, insbesondere auch dem der Zeugin Fa. , mit der der
Angeklagte nach islamischem Recht verheiratet ist, haben sich Hinweise darauf
ergeben, dass der Angeklagte sich "U. " nennt: So hatte die Zeugin Fa.
seine Mobilfunknummer unter diesem Namen in den Kontakten gespeichert,
der dieser Nummer zugeordnete WhatsApp-Account trug diesen Namen und
der Computername des sichergestellten Laptops lautete so. Zudem hat auch
die Zeugin St. angegeben, dass der Angeklagte diesen Alias-
namen verwende.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisgrundlage, die den dringen-
den Tatverdacht belegt, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen
Bezug auf den Haftbefehl. Der Tatvorwurf hat sich zudem ausweislich des in
der Anklageschrift dargestellten wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in
tatsächlicher Hinsicht weiter bestätigen lassen.
2. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich der
Angeklagte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Ver-
einigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2
StGB strafbar gemacht hat. Die Ausbildung im Umgang mit Waffen, die zur Er-
reichung der Ziele der Vereinigung mit terroristischen Mitteln dienen soll, die
Eingliederung in eine Kampfgruppe und die Durchführung von Verpflegungs-
transporten, bei denen es in jedenfalls einem Fall auch zu einem Gefecht kam,
stellen schwerwiegende mitgliedschaftliche Betätigungshandlungen für die
JAMWA dar.
Deutsches Strafrecht ist anwendbar: Dies folgt entweder unmittelbar aus
§ 129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009
- StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 1
StGB, weil der Angeklagte Deutscher ist und - wenn man nicht ohnehin davon
ausgeht, dass das Gebiet, in dem er sich aufhielt, effektiv keiner staatlichen
Strafgewalt unterlag - die Zugehörigkeit zu Personenzusammenschlüssen, die
sich terroristischer Akte bedienen, um die grundlegende Gesellschaftsordnung
zu ändern, nach Art. 304 bis 306 des syrischen Strafgesetzbuches mit Strafe
bedroht wird.
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung
zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern und Unterstützern der ausländi-
schen terroristischen Vereinigung JAMWA, die deutsche Staatsangehörige
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sind, sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten oder hier tätig werden,
liegt seit dem 15. Juli 2014 vor.
3. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1,
§ 129b Abs. 1 StGB besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3
StPO. Aus den fortgeltenden Gründen des Haftbefehls und des auf den Haft-
prüfungsantrag des Angeklagten ergangenen Haftfortdauerbeschlusses des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichthofs vom 19. März 2015 (2 BGs 171/15)
besteht darüber hinaus der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2
StPO: Der Angeklagte hat im Fall seiner Verurteilung wegen der im Haftbefehl
bezeichneten Taten mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Des-
halb steht nicht zu erwarten, dass er dem von dieser Straferwartung ausgehen-
den Fluchtanreiz widerstehen und sich den deutschen Strafverfolgungsbehör-
den freiwillig zur Verfügung stellen wird. Insbesondere reichen die von ihm auch
in seinem Schreiben an den Senat aufgeführten familiären Bindungen nicht
aus, haben sie ihn doch auch nicht von seiner Ausreise nach Syrien und der
Beteiligung an den Kampfhandlungen der JAMWA abgehalten. Da mit hoher
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Angeklagte auf Gleichge-
sinnte zurückgreifen kann, die ihn im Fluchtfall beim Untertauchen unterstützen
werden, kann der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger ein-
schneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden.
4. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Unter-
suchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben;
der Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht
zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft:
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Nach der Festnahme des Angeklagten waren sein und das Mobiltelefon
der Zeugin Fa. sowie sein Laptop auszuwerten, was einige Zeit in Anspruch
genommen hat. Zudem wurden mehrere Zeugen vernommen. Über diese
Maßnahmen legte das mit den Ermittlungen beauftragte Polizeipräsidium Mö.
Anfang April 2015 den Schlussbericht vor. Parallel zu den
übrigen Maßnahmen geführte Finanzermittlungen konnten erst Mitte Mai 2015
abgeschlossen werden.
Im Februar 2015 ist zudem ein Gutachten des Sachverständigen
Dr. S. zur JAMWA beim Generalbundesanwalt eingegangen, das für die
Ermittlungen zur Struktur der Vereinigung von Bedeutung ist.
Die auf der Grundlage dieser Ermittlungsergebnisse gefertigte Anklage-
schrift vom 11. Juni 2015 ist am 16. Juni 2015 beim Oberlandesgericht Düssel-
dorf eingegangen. Der Vorsitzende des 5. Strafsenats dieses Gerichts hat am
18. Juni 2015 die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten und seine
Verteidiger angeordnet und eine Erklärungsfrist von einem Monat bestimmt.
Nachdem zwischenzeitlich der 7. Strafsenat des Oberlandegerichts Düs-
seldorf für die Sache zuständig geworden ist, hat dieser mit Beschluss vom
21. September 2015 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.
Die Hauptverhandlung wird am 23. Oktober 2015 beginnen.
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5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhält-
nis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwarten-
den Strafe.
Becker Pfister Gericke
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