Urteil des BGH vom 08.06.2016

Sexueller Missbrauch, Wohnung, Amphetamin, König

ECLI:DE:BGH:2016:080616U5STR570.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 570/15
vom
8. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
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wegen des Vorwurfs des schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsun-
fähigen Person u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Juni 2016,
an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B.
als Verteidiger des Angeklagten E. ,
Rechtsanwalt Sc.
als Verteidiger des Angeklagten G. ,
Rechtsanwältin L.
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Nebenklägerin wird das Urteil des Land-
gerichts Frankfurt (Oder) vom 31. Juli 2015 aufgehoben, soweit
die Angeklagten im Fall 6 der Anklage vom 2. Februar 2015, der
Angeklagte G. darüber hinaus im Fall 8 der Anklage vom
2. Februar 2015, freigesprochen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an ei-
ne andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision hinsichtlich des Angeklagten
E. wird verworfen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten E. wegen vorsätzlichen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zehn Fällen unter Strafaussetzung zur Bewäh-
rung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Von dem
Vorwurf verschiedener Sexualstraftaten sowie weiterer Delikte zum Nachteil der
Nebenklägerin hat es ihn und den Angeklagten G. freigesprochen. Gegen die
Freisprechungen wendet sich die Nebenklägerin mit ihren auf die Rüge der Ver-
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letzung materiellen Rechts gestützten Revisionen, soweit nebenklagefähige
Straftaten betroffen sind. Die Rechtsmittel haben entsprechend dem Antrag des
Generalbundesanwalts in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Er-
folg. Im Übrigen sind sie unbegründet.
1. Den Angeklagten wird in Punkt 6 der Anklage vom 2. Februar 2015
vorgeworfen, in der Wohnung des Angeklagten E. an der ihnen
schutzlos ausgelieferten, stark bewusstseinsgetrübten Nebenklägerin gewalt-
sam eine Reihe sexueller Handlungen vorgenommen zu haben, wobei einer
von ihnen Teile einer Hand oder seinen Penis in deren Scheide eingeführt ha-
be. Der sich wehrenden Nebenklägerin habe der Angeklagte G. einen kräfti-
gen Schlag ins Gesicht versetzt, so dass sie zu Boden gegangen sei und sich
schmerzhafte Hämatome an den Knien zugezogen habe. Dem Angeklagten
G. liegt nach Punkt 8 der Anklage vom 2. Februar 2015 darüber hinaus zur
Last, die Nebenklägerin während einer Autofahrt gewaltsam zum Oralverkehr
gezwungen oder die widerstandsunfähige Nebenklägerin in dieser Weise
schwer sexuell missbraucht zu haben.
2. Das Landgericht hat zu diesen Vorwürfen im Wesentlichen Folgendes
festgestellt (Fall III.7 und III.8 der Urteilsgründe):
a) Am Abend des 27. Januar 2013 teilte der Angeklagte E. der
Nebenklägerin per SMS mit, dass sie Amphetamin erhalte, wenn sie sich
– wie
schon am frühen Morgen desselben Tages
– eine Bierflasche in die Scheide
einführe. Die Angeklagten sowie der Zeuge R. holten die Nebenklägerin ab
und fuhren mit ihr in die Wohnung des Angeklagten E. . Die Neben-
klägerin verlangte das Amphetamin. Der Angeklagte E. forderte sie
auf zu duschen, weil sie „stinke“. Nach Rückkunft aus der Dusche wollte die
Nebenklägerin erneut das versprochene Rauschgift haben. Der Zeuge R.
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bestand darauf, dass sie zuvor „das mit der Flasche“ zeige. Der Angeklagte
G. gab ihr Alkohol und kniff ihr in die Brüste. Sie trank und führte sich danach
eine Bierflasche in die Scheide ein. Das Amphetamin erhielt sie nicht, weswe-
gen ein Gerangel entstand, in dessen Verlauf der Angeklagte G. ihr mit der
flachen Hand ins Gesicht schlug.
b) Die Angeklagten und der Zeuge R. fuhren die Nebenklägerin nach
Hause. Der Angeklagte G. und die Nebenklägerin saßen auf der Rückbank
des Autos. Die Nebenklägerin führte am Angeklagten G. fünf bis zehn Minu-
ten lang den Oralverkehr durch. Dann biss sie in dessen Geschlechtsteil und
ließ zunächst nicht los. Der Schmerzen verspürende Angeklagte G. dachte
daran, die Nebenklägerin von sich wegzuschieben, verwarf dies aber, weil er
fürchtete, das an seinem Penis befindliche Piercing könne sonst in ihrem Mund
verbleiben. Um den schmerzhaften Biss abzuwehren, versetzte er ihr zwei
Faustschläge ins Gesicht.
c) Die Angeklagten und der Zeuge R. setzten die Nebenklägerin in
den frühen Morgenstunden des 28. Januar 2013 an der Wohnung ihres Bruders
ab. Gegen 8:30 Uhr wurde sie im Bereich des Domplatzes hilflos, unterkühlt
sowie mit stark eingetrübtem Bewusstsein gefunden und in ein Klinikum ge-
bracht. Zur behandelnden Ärztin sagte sie, sie sei am Vortag ab 20:00 Uhr bei
einem Bekannten gewesen, wo sie Alkohol getrunken habe. Erst seit 11:30 Uhr
des 28. Januar 2013 setze ihre Erinnerung wieder ein. Auf die Ärztin wirkte sie
verstört und unter dem Einfluss von Drogen stehend. Sie klagte über Unter-
bauchschmerzen, Schmerzen im Vaginalbereich sowie an den Knien und konn-
te nicht sagen, was passiert war. Bei ihrer körperlichen Untersuchung wurden
eine Rötung mit leichter Schürfung am Eingang der Scheide, ein Hämatom am
rechten Oberlid, eine Schwellung sowie eine Rötung an der linken Wange und
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Hämatome an der linken Oberlippe, an der Brust sowie an den Oberarmen, Rö-
tungen am linken Oberschenkel und an beiden Knien festgestellt. In ihrem Slip
fanden sich spermaverdächtige Anhaftungen, die DNA-Merkmale des Ange-
klagten E. aufwiesen.
3. Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass
die Angeklagten die ihnen vorgeworfenen Straftaten begangen haben. Die Aus-
sage der Nebenklägerin sei so inkonstant und inkonsistent gewesen, dass ein
Handlungsablauf im Sinne der Anklage nicht habe festgestellt werden können.
Der Zeuge R. , auf dessen Bekundungen die Anklage gestützt sei, habe in
der Hauptverhandlung von seinem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55
StPO Gebrauch gemacht. Die Strafkammer hat den Feststellungen von ihr als
„glaubhaft“ bewertete schriftliche Erklärungen der Angeklagten zugrunde gelegt,
die von den Verteidigern in der Hauptverhandlung verlesen worden sind. Die
Faustschläge des Angeklagten G. im Auto hat sie auf dieser Basis in Verbin-
dung mit einer ergänzenden Äußerung dieses Angeklagten als durch Notwehr
gerechtfertigt angesehen.
4. Die Freisprechungen der Angeklagten halten in den bezeichneten Fäl-
len revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. Die durch das Landgericht vorge-
nommene Beweiswürdigung ist insoweit lückenhaft und begegnet daher auch
eingedenk des hierbei beschränkten Prüfungsmaßstabs (vgl. etwa BGH, Urteil
vom 18. August 2015
– 5 StR 78/15, NStZ-RR 2015, 349, 350 mwN) durchgrei-
fenden rechtlichen Bedenken. Sie leidet insgesamt daran, dass die Aussagen
der Nebenklägerin bei ihren drei polizeilichen Vernehmungen nicht in einer
Weise mitgeteilt werden, die dem Senat eine Nachprüfung auf Rechtsfehler er-
möglichen würde. Im Übrigen ist Folgendes zu bemerken:
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a) Zu den Vorgängen in der Wohnung des Angeklagten E.
weist der Generalbundesanwalt richtig darauf hin, dass sich die Strafkammer
weder mit den bei der Nebenklägerin festgestellten Verletzungen noch mit den
in ihrem Slip gefundenen Spermaspuren hinreichend auseinandergesetzt hat.
Die vorformulierten und ersichtlich aufeinander abgestimmten Erklärungen der
Angeklagten, die das Landgericht trotz ihres allenfalls geringen Beweiswerts
(vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 2014
– 5 StR 296/14, NJW 2015,
360, 361, insoweit in BGHSt 60, 50 nicht abgedruckt; vom 30. Oktober 2007
– 3 StR 410/07, NStZ 2008, 476, 477; LR-StPO/Becker, 26. Aufl., § 243 Rn. 77
mwN) rechtsfehlerhaft als „glaubhaft“ zugrunde legt, ohne diese auch nur an-
satzweise kritisch zu hinterfragen (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2009
– 5 StR 65/09; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 73), bieten für die Befunde
keine genügende Erklärung. Darüber hinaus hat der Angeklagte G. die Ne-
benklägerin nach den Feststellungen grundlos in die Brust gekniffen (UA S. 15),
was wohl ein Hämatom zur Folge hatte (UA S. 18). Eine Würdigung zumindest
unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen Körperverletzung nimmt das ange-
fochtene Urteil nicht vor.
b) Die vorstehenden Erwägungen gelten für den Vorwurf eines während
der Autofahrt durch den Angeklagten G. erzwungenen bzw. mit der wider-
standsunfähigen Nebenklägerin vollführten Oralverkehrs im Fall III.8 der
Urteilsgründe entsprechend. Speziell zur Frage der Rechtfertigung der durch
diesen Angeklagten verübten Faustschläge hat der Generalbundesanwalt aus-
geführt:
„Insofern ist nicht verständlich, wieso es dem Angeklagten nicht
möglich war, die Nebenklägerin von seinem Geschlechtsteil
wegzuschieben. Die Faustschläge waren eher geeignet, die
Verletzungsgefahr für ihn zu erhöhen. Er musste dadurch
zwangsläufig mit ruckartigen, unkontrollierten Bewegungen der
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Nebenklägerin rechnen, die er angeblich im Hinblick auf sein
Intimpiercing so fürchtete.“
Mit diesem Aspekt hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müs-
sen. Die Einlassung des Angeklagten hätte dabei umso mehr besonders sorg-
fältiger Würdigung bedurft, als sich die darin geltend gemachte Notwehrlage in
dessen zunächst abgegebener schriftlicher Erklärung nicht widergespiegelt hat-
te. Ausweislich der Urteilsgründe erfolgte sie erst nach einem rechtlichen Hin-
weis auf ein in Betracht kommendes Körperverletzungsdelikt (UA S. 28). Sofern
das neue Tatgericht abermals zur Annahme einer Notwehrlage gelangen sollte,
wird es sich angesichts des Vorverhaltens des Angeklagten G. und des Zu-
standes der Nebenklägerin im Zeitpunkt der Tat mit dem Gebotensein und der
Erforderlichkeit zweier wuchtiger Faustschläge zur Abwehr des „Angriffs“ sorg-
fältiger auseinanderzusetzen haben, als dies im angefochtenen Urteil gesche-
hen ist.
c) Ein Erörterungsmangel ist auch darin zu sehen, dass das Landgericht
auf die Anklage stützende Angaben des Zeugen R. hinweist (UA S. 38),
ohne sie inhaltlich wiederzugeben und sich damit auseinanderzusetzen.
5. Der Senat schließt nicht aus, dass das Landgericht in den genannten
Fällen bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu anderen Ergebnissen gelangt
wäre und dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurtei-
lung der Angeklagten ermöglichen. Die Sache bedarf deshalb insoweit neuer
Verhandlung und Entscheidung. Hinsichtlich einer Verwertbarkeit der Aussage
des Zeugen R. wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom
17. Dezember 2015 (dort S. 4) hingewiesen.
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6. Demgegenüber weist das Urteil zu Fall 4 der Anklage (sexueller Miss-
brauch oder Vergewaltigung der Nebenklägerin durch den Angeklagten
E. am Morgen des 27. Januar 2013 im Auto) jedenfalls keinen durch-
greifenden Rechtsfehler zum Vorteil dieses Angeklagten auf, weswegen die
gegen seine Freisprechung in diesem Fall gerichtete Revision zu verwerfen
war.
7. Der Gesamtstrafausspruch gegen den Angeklagten E. hat
Bestand. Nur im Falle einer weiteren Verurteilung wird die festgesetzte Ge-
samtstrafe aufzulösen und unter Einbeziehung sämtlicher Einzelstrafen eine
neue Gesamtstrafe festzusetzen sein.
Sander Dölp König
Berger Bellay
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