Urteil des BGH vom 06.04.2016

Einwirkung, Zerstückelung, Schlachtung, Video

ECLI:DE:BGH:2016:060416U5STR504.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 504/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016,
an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay,
Richter Dr. Feilcke
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt W. ,
Rechtsanwältin B.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt N. ,
Rechtsanwalt K.
als Nebenklagevertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft
wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. April 2015 auf-
gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurge-
richtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit
Störung der Totenruhe zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Mo-
naten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen das Urteil
richten sich die Revision des Angeklagten und die zu seinen Ungunsten einge-
legte Revision der Staatsanwaltschaft. Beide Rechtsmittel haben mit der
Sachrüge Erfolg, so dass es auf die vom Angeklagten zudem erhobene Verfah-
rensbeanstandung nicht ankommt.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Nach der Trennung von seiner Ehefrau ging der nicht vorbestrafte Ange-
klagte, der bis zu seiner Inhaftierung als Handschriftensachverständiger im
Landeskriminalamt Sachsen tätig war, im Jahr 2000 eine Beziehung zu einem
Mann ein. Im Jahr 2003 erfolgte nach der Ehescheidung die Eintragung der Le-
benspartnerschaft. In der neuen Beziehung lebte der Angeklagte die Freiheit zu
weiteren sexuellen Kontakten offen aus. Nachdem er etwa im Jahr 2005 erst-
mals mit sadomasochistischen Praktiken in Kontakt gekommen war, registrierte
er sich Anfang September 2013 auf einer Internetseite, deren Nutzer sich mit
kannibalistischen Phantasien beschäftigen. Vom 6. September bis 5. Novem-
ber 2013 verfasste der Angeklagte eine Vielzahl von Nachrichten an unter-
schiedliche Chatpartner. Dabei stellte er klar, an der „realen Schlachtung“ eines
anderen Menschen interessiert zu sein, und bemühte sich, Treffen zu vereinba-
ren. Hierbei verwies er mit Blick auf das im Keller des von ihm bewohnten Hau-
ses eingerichtete SM-Studio darauf, über geeignete Räumlichkeiten für die
„Schlachtung“ zu verfügen, diese jedoch nur mit dem Einverständnis des ande-
ren durchführen zu wollen. Fast ausnahmslos blieb es beim schriftlichen Aus-
tausch. Nur in zwei Fällen kam es zu persönlichen Treffen.
Am Abend des 12. September 2013 holte der Angeklagte den damals
30 Jahre alten Zeugen Bu. in dessen Wohnung in Baden-
Württemberg ab. Dessen Wunsch, vom Angeklagten aufgespießt und gegrillt zu
werden, wurde jedoch nicht erfüllt, weil der Angeklagte zögerte und schließlich
mitteilte, dass er zur Mitwirkung nicht mehr bereit sei; der Zeuge Bu.
sei „zu
jung zum Sterben“.
Bei seinen Versuchen, ein Treffen zu vereinbaren, hatte der Angeklagte
nur noch bei dem 59-jährigen Tatopfer St. Erfolg. Dieser
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war zumindest seit dem Jahr 2011 im Internet auf der Suche nach einer Person,
die ihn „schlachten und verspeisen“ würde. Auch er hatte sich auf der genann-
ten Internetseite angemeldet. Am 2. Oktober 2013 nahm er Kontakt zum Ange-
klagten auf. In der Folge kam es zu wiederholten schriftlichen und telefonischen
Kontakten. Immer wieder drang St. hierbei auf eine konkrete Verab-
redung. Am 4. November 2013 reiste er schließlich vereinbarungsgemäß mit
dem Bus nach Dresden, wo er vom Angeklagten abgeholt wurde. In der Nacht
zuvor war dieser in seinem SM-Studio vor eine Kamera getreten. Mit den Hän-
den an seinem Geschlechtsteil manipulierend
sprach er darüber, dass „morgen
großes Schlachtfest sei, was
für ihn sehr geil werde“. Auf der Fahrt vom Bus-
bahnhof unterhielten sie sich über das gemeinsame Vorhaben, zu dem
St. im Unterschied zum Angeklagten fest entschlossen war und auf
dessen Umsetzung er auch nach der Ankunft im Haus des Angeklagten drang.
Beide kamen schließlich überein, dass der Angeklagte ihn im Kellerstudio er-
hängen sollte.
Mit einem ca. 4,10 m langen und 10,90 mm starken Kletterseil wurde ein
sogenannter Henkersknoten mit fünf bis fünfeinhalb Wicklungen geknüpft. Das
andere Ende des Seiles verknotete der Angeklagte an einem Karabinerhaken,
der sich am Ende des Seilzuges einer an einem Deckenbalken befestigten
elektrischen Drahtseilwinde befand. St. legte sich die Schlinge um
den Hals und zog sie zu. Auf seine Aufforderung verknotete der Angeklagte ihm
die Hände auf dem Rücken mit Plastikkabelbindern.
Zwischen 17:43 Uhr und 17:45 Uhr zog der Angeklagte
St. mittels der Seilwinde nach oben. Durch die Einwirkung des Kör-
pergewichts von 83 kg zog sich die Schlinge zu und komprimierte die Hals-
schlagadern mit der Folge einer bereits nach wenigen Sekunden eintretenden
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Bewusstlosigkeit. Durch das Zusammenziehen der Schlinge sowie der Knoten
und die Belastungsdehnung des Materials verlängerte sich das Seil, so dass
St. mit den Füßen den Boden wieder berührte. Wegen der unmittel-
bar nach Kompressionsbeginn eingetretenen Bewusstseinstrübung bestand
jedoch für ihn keine Möglichkeit mehr, sich aus der Schlinge zu befreien.
Der Angeklagte handelte, um St. in dessen Einverständnis zu
töten. Durch die Tötung wollte der
– voll schuldfähige – Angeklagte die an-
schließende Zerstückelung des Körpers, insbesondere die Präparation der Ge-
nitalien, ermöglichen, von der er sich sexuellen Lustgewinn versprach.
Um 17:47 Uhr schaltete der Angeklagte eine Videokamera an, die er be-
reitgestellt hatte, um sich durch die späteren Aufnahmen der Zerstückelung des
Leichnams eine dauerhaft verfügbare sexuelle Stimulanz zu verschaffen. Nach-
dem bis ca. 17:49 Uhr der Körper des Tatopfers noch mehrfach deutlich sicht-
bar gezuckt hatte, ließ der Angeklagte die Seilwinde wieder herunter und schal-
tete die Videokamera aus. Todeszeitpunkt und -ursache konnten nicht festge-
stellt werden. St. verstarb entweder durch Ersticken infolge des
Hängens oder durch einen ihm durch den Angeklagten später beigebrachten
Kehlschnitt, sofern dieser noch vor Eintritt des Hirntodes erfolgte.
Nachdem der Angeklagte den Leichnam an den Füßen aufgehängt hatte,
schaltete er die Kamera erneut ein. In den folgenden 15 Minuten legte er Penis
und beide Hoden frei, bevor er sie mit dem Messer komplett abtrennte. Sodann
eröffnete er mit einem größeren Messer die Bauchhöhle durch die vordere
Rumpfwand. Danach stellte er die Kamera aus. Als er sie um 19:02 Uhr erneut
aktivierte, hatte er den Körper bereits weitgehend zerteilt. Er hatte den Kopf
abgetrennt, den Rumpf durchschnitten und die Organe der Brust- und Bauch-
höhle entfernt. Auf einem mit einer weißen Decke versehenen Tisch hatte er
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einzelne Körperteile abgelegt. Die Hoden und den Penis hatte er dort auf einer
silbernen
Servierschale „drapiert“. Um 19:07 Uhr filmte sich der Angeklagte da-
bei, wie er
– nunmehr vollständig unbekleidet – mit einem Messer die rechte
Hand von dem auf einem Schneidebrett liegenden Arm abtrennte und im An-
schluss daran mit seinen blutigen Händen an seinem Penis manipulierte. Den
Kopf kochte er; anschließend zertrümmerte er ihn mit einem Vorschlaghammer.
Er zerlegte die Leiche in kleine Teile und vergrub diese im Garten, wo sie spä-
ter fast vollständig aufgefunden wurden; lediglich ein Hoden und der Penis fehl-
ten.
2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer Tötung auf Verlangen
(§ 216 StGB) verneint; der Tötungswunsch von St. sei für den Ange-
klagten nicht handlungsleitend gewesen. Sein Entschluss habe schon festge-
standen, bevor es zum Kontakt mit dem Geschädigten gekommen sei. Der An-
geklagte habe seit Beginn seiner Chat-Aktivitäten aus eigenem Antrieb nach
Personen gesucht, die bereit wären, sich von ihm töten, insbesondere schlach-
ten zu lassen. Sein entsprechender Entschluss habe mithin bereits festgestan-
den, bevor St. sich ihm als Opfer anbot. Dass dieser dabei den
ernstlichen Wunsch hatte, getötet und verspeist zu werden, sei für den Ange-
klagten zwar notwendige Voraussetzung zur Durchführung der Tat, aber nicht
handlungsleitendes Motiv gewesen.
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte we-
gen Mordes in Tateinheit mit Störung der Totenruhe schuldig gemacht habe. Er
habe sowohl zur Befriedigung des Geschlechtstriebs als auch zur Ermöglichung
einer Störung der Totenruhe (§ 168 Abs. 1 StGB) gehandelt. Von der „Schlach-
tung“ habe er sich sexuelle Befriedigung, zumindest aber sexuellen Lustgewinn
versprochen und das Geschehen deswegen teilweise auf Video aufgenommen.
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Das Ausweiden und Zerlegen eines getöteten Menschen dokumentiere eine
grob ungehörige und eine rohe Gesinnung zeigende Handlung, die eine men-
schenunwürdige und die Würde des Menschen als Gattungswesen missach-
tende Behandlung darstelle.
Von der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe gemäß § 211 Abs. 1
StGB hat das Landgericht abgesehen und die Strafe dem nach § 49 Abs. 1
Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Zwar habe der Angeklagte
zwei Mordmerkmale verwirklicht. Das in seiner Entschlussfähigkeit nicht beein-
trächtigte Tatopfer sei aber mit der Tötung nicht nur einverstanden gewesen,
sondern habe diese unbedingt gewollt. Angesichts der Nähe zum Tatbestand
der Tötung auf Verlangen mit einem von sechs Monaten bis zu fünf Jahren
Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen sei die Verhängung lebenslanger Frei-
heitsstrafe unverhältnismäßig. Der „unbedingte Todeswunsch“ stelle einen „au-
ßergewöhnlichen Umstand“ im Sinne der von der Rechtsprechung entwickelten
sogenannten
Rechtsfolgenlösung dar. Vom Angeklagten seien keine weiteren
gleichartigen Taten zu erwarten. Er habe nach der Tat seine Suche nach Op-
fern eingestellt und seine Aktivitäten im Internet beendet. Das von der Tat ange-
fertigte Video habe er gelöscht. Er habe Reue gezeigt und sich bei den Angehö-
rigen des Tatopfers entschuldigt.
3. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die revisi-
onsgerichtlicher Kontrolle nur begrenzt zugängliche Beweiswürdigung des
Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn sie erweist sich als
lückenhaft und nicht frei von Widersprüchen. Das Landgericht hat die Möglich-
keit nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass St. sich selbst getö-
tet hat.
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a) Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten in der Hauptver-
handlung, St. habe sich stehend in die Schlinge fallen lassen und
somit selbst getötet, als unwahre Schutzbehauptung angesehen. Es sei nicht
möglich gewesen, dass dieser vor Einwirkung seines Körpergewichts auf das
Kletterseil mit den Füßen Kontakt zum Fußboden gehabt habe (UA S. 53). Zwar
habe St. am Ende des Erhängungsvorgangs wieder Bodenkontakt
ge
habt, wobei „ca. fünf Zentimeter Spiel im Seil“ für ein aufrechtes Stehen vor-
handen gewesen seien (UA S. 56). Durch das Körpergewicht habe sich das Seil
jedoch nach Ansicht des sachverständig beratenen Landgerichts während der
Belastung im Bereich von der Oberkante des am Karabinerhaken befestigten
Ankerstegs bis zur Unterkante des Henkersknotens von ca. 20,5 cm auf
ca. 43,4 cm, mithin um 22,9 cm verlängert. Angesichts dessen sei sicher aus-
zuschließen, dass St. vor Belastung des Seils mit seinem Körperge-
wicht auch nur mit den Zehenspitzen Bodenkontakt gehabt habe (UA S. 58).
b) Diese Bewertung steht in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu der
vom Landgericht getroffenen Feststellung, St. habe sich vor dem
Tätigwerden des Angeklagten die Schlinge des Henkersknotens selbst um den
Hals gelegt und zugezogen (UA S. 24). Denn dies kann er nur getan haben,
wenn er
– wenigstens auf Zehenspitzen – stand.
c) Diese Ausgangsposition kann
– ungeachtet der abweichend getroffe-
nen Feststellung
– auch nicht aufgrund der vom Landgericht mitgeteilten Be-
rechnungen des Sachverständigen ausgeschlossen werden. Nach den insofern
relevanten Daten befand sich die Unterkante des Lasthakens in einer Höhe von
196,5 cm. Infolge der Einwirkung des Körpergewichts verlängerte sich das Seil
im Bereich von der Oberkante des Ankerstegs bis zur Unterkante des Henkers-
knotens von ca. 20,5 cm auf 43,4 cm (UA S. 58). Unbelastet befand sich die
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Unterkante des Henkersknotens somit in einer Höhe von 176 cm. Von diesem
Knoten ging die Schlinge nach unten ab. Angesichts dessen erscheint es ohne
Weiteres möglich, dass der 171 cm große St. in der ursprünglichen
Position Kontakt zum Boden hatte. Es stellt eine Lücke dar, dass das Landge-
richt sich hiermit nicht näher auseinandergesetzt hat.
Das gilt umso mehr, als es im Rahmen seiner Beweiswürdigung ausführt,
dass das verwendete Seil sich bereits „unmittelbar nach Einwirkung der Belas-
tung“ durch das Körpergewicht um 16,21 % gedehnt habe (UA S. 56), und
de
mentsprechend feststellt, dass „St. mit den Füßen wieder auf dem
Boden zu stehen kam“ (UA S. 25). Es wäre zu erörtern gewesen, dass dadurch
ein eventueller Verlust des Kontaktes zum Boden nur von kurzer Dauer gewe-
sen sein kann.
d) Allerdings hat das auch insofern sachverständig beratene Landgericht
in diesem Zusammenhang ausgeführt, das durch das festgestellte Betätigen
des Seilzuges erfolgte Zuziehen des Seils habe eine Kompression der Hals-
weichteile bewirken sowie „unmittelbar mit ihrem Beginn“ eine Bewusstseins-
trübung und „binnen weniger Sekunden“ eine Bewusstlosigkeit nach sich ziehen
können. Schon die Bewusstseinstrübung habe eine Selbstbefreiung aus der
Schlinge ausgeschlossen (UA S. 61).
Danach stünde der ursprüngliche und möglicherweise andauernde oder
nach kurzer Zeit wieder bestehende Bodenkontakt dem vom Landgericht fest-
gestellten Geschehen nicht zwingend entgegen. Dies wäre freilich ebenso,
wenn St.
– wie der Angeklagte es behauptet – sich selbst in die
Schlinge hätte fallen lassen. Auch dann hätte die unmittelbar nach dem Beginn
der Kompression einsetzende Bewusstseinstrübung es ihm unmöglich ge-
macht, die lebensgefährliche Lage insbesondere durch einen abstützenden
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Einsatz seiner Beine wieder zu beenden. Auch hiermit hat sich das Landgericht
nicht befasst.
e) Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass in die durchgeführten Be-
rechnungen ein Vergleich zwischen der sich am unteren Rand des rechten Ohr-
läppchens des Getöteten befindlichen Unterkante des Henkersknotens
(153,1 cm) und der Höhe dieses Knotens bei einer stehenden und den Kopf
neigenden, jedoch einen Zentimeter kleineren Vergleichsperson einbezogen
worden ist, ohne zu erörtern, ob sich Ohrläppchen beim Menschen stets im sel-
ben Verhältnis zur Gesamtkörpergröße befinden.
4. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt aus den genannten Gründen
(3.) zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) ebenfalls zur Aufhebung des Ur-
teils. Im Übrigen hat sie hinsichtlich der Beurteilung des Konkurrenzverhältnis-
ses sowie des Rechtsfolgenausspruchs zum Nachteil des Angeklagten Erfolg.
a) Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe den Mord
und die Störung der Totenruhe tateinheitlich verwirklicht, weil er die Zerstücke-
lung des Leichnams von Anfang an geplant und in räumlich-zeitlichem Zusam-
menhang mit der Tötung vorgenommen hat. Diese Umstände vermögen jedoch
die
– angesichts der fehlenden identischen Ausführungshandlung (§ 52 Abs. 1
StGB)
– notwendige wertende Verknüpfung beider Tatbestände nicht zu tragen.
Vielmehr stehen beide Delikte im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB), weil
der für die Begehung des § 168 StGB erforderliche vorherige Tod des Opfers
als maßgebliche Zäsur anzusehen ist.
b) Die Staatsanwaltschaft beanstandet weiter zu Recht, dass das Land-
gericht von der Verhängung der nach § 211 Abs. 1 StGB bei einer Verurteilung
wegen Mordes vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen hat,
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weil es deren Milderung nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit Blick auf die Entschei-
dungen des Bundesverfassungsgerichts zur lebenslangen Freiheitsstrafe
(BVerfGE 45, 187) und des Großen Senats für Strafsachen (BGH, Beschluss
vom 19. Mai 1981
– GSSt 1/81, BGHSt 30, 105) „aus Gründen des verfas-
sungsrechtlich verankerten Übermaßverbots für zwingend geboten“ (UA S. 88)
erachtet hat. Denn die hierfür herangezogene sogenannte Rechtsfolgenlösung
ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.
aa) Die ihr zugrundeliegende Entscheidung des Großen Senats für Straf-
sachen (BGH, aaO) betraf allein das Mordmerkmal der Heimtücke. Eine An-
wendung der insofern aufgestellten Grundsätze auch auf die hier erfüllten
Mordmerkmale der Befriedigung des Geschlechtstriebes sowie der Ermögli-
chungsabsicht ist von Verfassungs wegen nicht ohne Weiteres geboten
(BVerfG, NJW 2009, 1061, 1062 ff.).
bb) Die Voraussetzungen der Rechtsfolgenlösung sind nicht erfüllt.
(1) Diese eröffnet nicht allgemein einen Sonderstrafrahmen für „minder
schwere“ Fälle. Vielmehr müssen „Entlastungsfaktoren, die den Charakter au-
ßergewöhnlicher Umstände haben
“, vorliegen, so „dass jener ‚Grenzfall‘
(BVerfGE 45, 187, 266, 267) eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger
Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen er-
heblich geminderter Schuld unverhältnismäßig wäre“ (BGH, Beschluss vom
19. Mai 1981
– GSSt 1/81, aaO, 118 f.). Dies soll etwa bei Taten in Betracht
gezogen werden können, die durch eine notstandsnahe, ausweglos erschei-
nende Situation motiviert, in großer Verzweiflung begangen, aus tiefem Mitleid
oder aus „gerechtem Zorn“ auf Grund einer schweren Provokation verübt wor-
den sind oder in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten,
zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Op-
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fer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben (BGH,
Beschluss vom 19. Mai 1981
– GSSt 1/81, aaO, 119). Es müssen schuldmin-
dernde Umstände besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzli-
chen Milderungsgründen vergleichbar sind und im Hinblick auf die überragende
Bedeutung des geschützten Rechtsguts nicht voreilig bejaht werden dürfen
(BGH, Urteile vom 10. Mai 2005
– 1 StR 30/05, BGHR StGB § 211 Abs. 1
Strafmilderung 7; vom 23. November 2004
– 1 StR 331/04, NStZ 2005, 154,
155).
(2) Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Der Angeklagte handelte
nicht aus einer außergewöhnlichen Notlage heraus; er befand sich auch nicht in
einer den angeführten Beispielen entsprechenden notstandsnahen Bedrängnis.
Vielmehr tötete er nach den Feststellungen primär zur Befriedigung seines Ge-
schlechtstriebs und damit in besonders verwerflicher Weise. Dabei erwächst
der gesteigerte Unwert der Tat aus dem groben Missverhältnis von Mittel und
Zweck, indem der Täter das Leben eines anderen Menschen der Befriedigung
eigener Geschlechtslust unterordnet (BGH, Urteil vom 22. April 2005
– 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 86; BVerfG, NJW 2009, 1061, 1063).
(3) Hieran vermochte auch der Wunsch des Tatopfers, getötet zu wer-
den, nichts zu ändern. Das menschliche Leben steht in der Werteordnung des
Grundgesetzes
– ohne zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu
schützenden Rechtsgüter (BGH, Urteil vom 7. Februar 2001
– 5 StR 474/00,
BGHSt 46, 279). Hierdurch wird auch die sich aus § 216 StGB ergebende Ein-
willigungssperre legitimiert (BGH, Urteil vom 20. Mai 2003
– 5 StR 66/03,
NStZ 2003, 537). Nur unter den engen
– vom Landgericht auf der Basis der
getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneinten (vgl. BGH, Urteil vom
22. April 2005
– 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 91 f.) – Voraussetzungen dieser
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Vorschrift kann eine Einwilligung bei einer vorsätzlichen Tötung eines Men-
schen Bedeutung erlangen und die Tat in einem milderen Licht erscheinen las-
sen. Ein Absehen von der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe kommt
mithin vorliegend nicht in Betracht und konnte vom Landgericht auch nicht auf
die kaum verständliche Erwägung gestützt werden, St. habe getötet,
zerstückelt und verspeist werden wollen und sei nicht lediglich
– wie das Opfer
in dem Fall, der der Entscheidung aus dem Jahr 2005 zugrunde lag (BGH,
aaO)
– mit seiner Tötung einverstanden gewesen, um das Ziel einer Penisam-
putation zu verwirklichen (UA S. 88).
cc) Angesichts dessen braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die
tatgerichtliche Einschätzung, St.
sei nicht „infolge einer psychischen
Erkrankung o.ä. in seiner Entschlussfreiheit beeinträchtigt gewesen“ (UA S. 87),
auf einer hinreichenden Prüfung beruht. Er kann auch offen lassen, ob an der
sogenannten Rechtsfolgenlösung überhaupt festzuhalten ist.
5. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Hierfür
weist der Senat auf das Folgende hin:
a) Sollte das neue Tatgericht sich nicht davon überzeugen können, dass
der Angeklagte St. erhängt hat, wäre bei der strafrechtli-
chen Bewert
ung die von ihm jedenfalls beigebrachte „glattrandige Durchtren-
nung der Halsweichteile einschließlich des Kehldeckels“ (UA S. 66, auch 26) in
den Blick zu nehmen. Hierbei wäre zu würdigen, dass der Angeklagte im Rah-
men seiner ersten Vernehmung als Beschuldigter gegenüber der Polizei ange-
geben hat, St.
„mit einem Messer … die Kehle durchgeschnitten“
und ihn dadurch getötet zu haben, was dessen „erster Wunsch“ gewesen sei
(UA S. 30) und im Übrigen mit den von diesem für die Tat gemachten Vorgaben
übereinstimmt. St.
hatte insofern u.a. als „No Go’s“ mitgeteilt: „Keine
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Verletzungen im Kopfbereich, außer natürlich den Kopf abschneiden, solange
ich noch lebe“ (UA S. 17). Sollte sich wiederum nicht feststellen lassen, ob
St. zum Zeitpunkt des Schnittes noch lebte, so wäre eine Verurtei-
lung des Angeklagten wegen versuchten Mordes (§§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB)
in Betracht zu ziehen.
b) Sofern es ungeachtet der sonstigen auf eine durch den Angeklagten
begangene Tötung hindeutenden Indizien (etwa Geständnis bei der ersten poli-
zeilichen Beschuldigtenvernehmung; durch St. geäußerter Wunsch,
in näher beschriebener Weise getötet zu werden; gegen eine Selbsttötung
sprechende sexuell untermauerte Phantasie, geschlachtet zu werden) erneut
auf die vom Tatgericht angestellten Berechnungen ankommen sollte, wird die
Durchführung eines Versuchs mit einer derartigen Anordnung in Betracht zu
ziehen sein, die mit der auf dem Video festgestellten Hängesituation im Ergeb-
nis identisch und dieser nicht nur ähnlich ist.
c) Zudem wird gegebenenfalls auch die Gelegenheit bestehen, näher
darzulegen, welche konkreten Auswirkungen die seitens des rechtsmedizini-
schen Sachverständigen diskutierte „Bewusstseinstrübung“ gehabt hat bzw.
gehabt haben könnte und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Ein-
schätzung zugrunde liegen. Denn die vom Landgericht festgestellte unmittelbar
nach Kompressionsbeginn einsetzende, zumindest weitgehende Handlungsun-
fähigkeit versteht sich nicht von selbst.
d) Sollte das neue Tatgericht erneut feststellen, dass der Angeklagte vor
dem Geschehen im Keller-Studio Crystal konsumiert und sich anschließend
„entspannter gefühlt“ hat (UA S. 24 und 34), so darf ihm wegen des zu diesem
Zeitpunkt bereits bestehenden Tatplans bei der Bemessung einer eventuell zu
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verhängenden zeitige
n Freiheitsstrafe eine „gewisse Enthemmung“ nicht zu-
gutegehalten werden.
Sander Schneider Berger
Bellay Feilcke