Urteil des BGH vom 10.11.2015

Toilette, Restaurant, Rüge, Vergewaltigung

ECLI:DE:BGH:2015:101115U5STR303.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 S t R 3 0 3 / 1 5
vom
10. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Novem-
ber 2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Sc.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin G.
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Ne-
benklägerin wird das Urteil des Landgerichts Dresden
vom 17. Februar 2015 mit den zugehörigen Feststellun-
gen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen
worden ist.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an ei-
ne andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwie-
sen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete
Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin insoweit erwachsenen notwendi-
gen Auslagen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten
wegen „schwerer“ Vergewaltigung
in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von
sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Unterbringung in der
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Sicherungsverwahrung angeordnet und ihn vom Vorwurf einer gleichartigen Tat
zum Nachteil der Nebenklägerin freigesprochen. Die gegen den Freispruch von
der Staatsanwaltschaft
– vom Generalbundesanwalt vertreten – und der Ne-
benklägerin mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts geführten Revisio-
nen haben Erfolg. Dagegen ist das Rechtsmittel des Angeklagten, mit dem die
Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, aus den Gründen der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
I.
Hinsichtlich der Revision des Angeklagten bedarf nur die Rüge der feh-
lerhaften Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs betreffend den beisitzen-
den Richter Klinzing (§ 338 Nr. 3 StPO) der Erörterung:
Es kann dahinstehen, ob die Rüge bereits deswegen unzulässig ist
(§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision versäumt, die nach Anbringung
des Befangenheitsgesuchs abgegebenen Stellungnahmen mitzuteilen, insbe-
sondere die der Staatsanwaltschaft bzw. eine etwaige Äußerung des abgelehn-
ten Beisitzers, auf dessen Zeugnis sich der Angeklagte zur Glaubhaftmachung
berufen hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. März 2015
– 5 StR 578/14). Denn
die Strafkammer hat den Befangenheitsantrag im Ergebnis zu Recht wegen
Verspätung als unzulässig abgelehnt. Der Angeklagte hätte nach den insoweit
geltenden strengen Maßstäben (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006
– 3 StR 429/05, BGHR StPO § 25 Abs. 2 unverzüglich 5; vom 6. Mai 2014
– 5 StR 99/14, BGHR StPO § 25 Abs. 2 unverzüglich 6, jeweils mwN) das Be-
fangenheitsgesuch unmittelbar nach Fortsetzung der Hauptverhandlung anbrin-
gen müssen. Dies hat er jedoch versäumt und zunächst einen bereits vor der
45-minütigen Unterbrechung angekündigten Beweisantrag gestellt.
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II.
Die Anklage legt dem Angeklagten zur Last, an der aufgrund heimlich
beigebrachter bewusstseinsbeeinträchtigender Substanzen willenlosen Neben-
klägerin sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben.
1. Die Strafkammer hat Folgendes festgestellt: Am 15. September 2011
bot der Angeklagte auf der Straße der ihm unbekannten Nebenklägerin eine
Anstellung als
„Eventbegleiterin“ prominenter Personen an. Zur Besprechung
von Einzelheiten lud er die interessierte Nebenklägerin in ein Restaurant ein.
Von Anfang an hatte der Angeklagte vor, die Nebenklägerin bei einem von ihr
zu absolvierenden
„Test“ zur Duldung sexueller Handlungen zu bewegen.
Nachdem die Nebenklägerin und der Angeklagte in dem Restaurant jeweils Ge-
tränke zu sich genommen und sich etwa eine halbe Stunde lang über das An-
gebot unterhalten hatten, verließen beide das Lokal, weil der Angeklagte nun-
mehr den angekündigten
„Test“ durchführen wollte. Beide fuhren mit dem Pkw
des Angeklagten zu einer Aral-Tankstelle, wo der Angeklagte sein Fahrzeug
abstellte. Während die Nebenklägerin in dem Fahrzeug verblieb, holte der An-
geklagte den Schlüssel für die Toilette der Tankstelle. Auf sein Geheiß folgte
die Nebenklägerin dem Angeklagten nunmehr in die Toilette. Dort küsste er sie,
berührte ihre Brüste, manipulierte mit den Fingern im Vaginalbereich und veran-
lasste sie, seinen Penis in die Hand zu nehmen. Schließlich zog der Angeklagte
der Nebenklägerin die Hose herunter und führte von hinten den vaginalen Ge-
schlechtsverkehr durch. Die sexuellen Handlungen wurden dadurch beendet,
dass ein Unbekannter die Toilette betrat. Der Angeklagte setzte die Nebenklä-
gerin wieder in der Innenstadt ab, nachdem er erfolglos versucht hatte, sie zur
Fortsetzung der sexuellen Handlungen zu bewegen.
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2. Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass der
Angeklagte der Nebenklägerin vor den sexuellen Handlungen während des
Restaurantbesuchs heimlich
„KO-Tropfen“ verabreicht hat. Es hat vielmehr
nicht ausschließen können, dass die Nebenklägerin von dem Angeklagten
„überrumpelt“ und dadurch in einen „Schockzustand“ versetzt worden ist, der
die
– vom Angeklagten eingeräumten – sexuellen Handlungen ermöglicht hat.
Es liege zwar „sehr nahe“, dass der Angeklagte der Nebenklägerin bei dem
Restaurantbesuch ein bewusstseinstrübendes Mittel verabreicht habe, es sei
aber
„letztlich nicht befriedigend“ geklärt worden, auf welche Weise eine Bei-
bringung des Mittels angesichts der räumlichen Verhältnisse in dem Restaurant
hätte erfolgen können, zumal die Nebenklägerin ihr Getränk durchgehend im
Blick gehabt und ihren Tisch auch niemals verlassen habe.
3. Die Freisprechung des Angeklagten hat keinen Bestand. Die tatrichter-
liche Beweiswürdigung hält trotz der beschränkten revisionsgerichtlichen Kon-
trolle (vgl. etwa BGH, Urteile vom 5. November 2014
– 1 StR 327/14,
NStZ-RR 2015, 83, und vom 28. Mai 2015
– 3 StR 65/15 mwN) rechtlicher
Überprüfung nicht stand. Denn sie ist lückenhaft.
Der psychiatrische Sachverständige hat es zwar für nicht ausgeschlos-
sen gehalten, dass die von der Nebenklägerin beschriebene Empfindung
– „ich
war total perplex“, „als ob das Gehirn ausgeschaltet war“, „wie in Trance“, „willig
und hörig
“ u.a. (UA S. 60, 62) – auf einem Schockzustand aufgrund von Über-
rumpelung beruhen könnte. Der von der Strafkammer deshalb als mögliche Al-
ternativursache angesehene Schockzustand bleibt indes ohne tatsächlich kon-
krete Anhaltspunkte und lässt deshalb, wie der Generalbundesanwalt zutreffend
ausgeführt hat, eine schlüssige Erklärung vermissen. Selbst wenn aber ein
Schockzustand vorgelegen hätte, könnte dies nicht ohne weiteres erklären
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– und hätte deshalb auch erörtert werden müssen –, dass die Nebenklägerin
schon nach dem Besuch des Restaurants auf dem Weg zur Tankstelle die glei-
che Symptomatik
– „wie in Watte gepackt“, „ich konnte nicht mehr Einfluss
nehmen“ (UA S. 61), „willenlos und hörig“ (UA S. 62) – aufgewiesen hat wie
später in der Toilette.
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
Sander Dölp König
Berger Bellay
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