Urteil des BGH vom 14.04.2011

Leitsatzentscheidung zu Sexuelle Handlung, Ausschluss der Strafbarkeit, Psychotherapeutische Behandlung, Sexueller Missbrauch, Einverständnis

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 669/10
vom
14. April 2011
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 174c
1. Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Be-
ratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1
StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vorge-
nommenen sexuellen Handlung nicht entgegen.
2. An einem Missbrauch im Sinne dieser Vorschrift fehlt es ausnahmsweise
dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine aufgrund des Beratungs-,
Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses bestehende Autoritäts- oder Ver-
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trauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme der sexuellen Handlung
ausnutzt.
BGH, Urteil vom 14. April 2011 – 4 StR 669/10 – LG Münster
wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsver-
hältnisses u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. April
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin Rosa Geppert aus Münster
als Nebenkläger-Vertreterin für Doris N. aus Nottuln,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Münster vom 29. April 2010 mit den Feststellungen auf-
gehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.5.c und II.5.d der Ur-
teilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs unter
Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses verurteilt wur-
de,
b) im Ausspruch über die im Fall II.2. der Urteilsgründe ver-
hängte Einzel- sowie die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeich-
nete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen 9 bis 14 der Anklage
(Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) freigespro-
chen wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
c) soweit gegen den Angeklagten kein Berufsverbot verhängt
wurde.
4. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen
"Ausspruch über die Zuerkennung einer Entschädigung gemäß
§ 8 Abs. 3 StrEG" wird als unzulässig verworfen. Insofern trägt
die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendi-
gen Auslagen des Angeklagten.
- 5 -
5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten
der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs un-
ter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in drei Fällen, in einem Fall in
Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr
und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und
bestimmt, dass drei Monate der Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Ferner hat
es das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe eingestellt und den Angeklag-
ten im Übrigen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der An-
geklagte mit zwei Verfahrensrügen, zudem beanstandet er die Anwendung des
sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Ange-
klagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision auf den Freispruch des
Angeklagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage sowie die Nicht-Anordnung ei-
nes Berufsverbots beschränkt. Zudem hat sie gegen die Kostenentscheidung
und eine Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz sofortige
Beschwerde einlegt. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang Erfolg. Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft sind ge-
genstandslos bzw. unzulässig.
1
- 6 -
I.
Soweit der Angeklagte verurteilt wurde und hinsichtlich der Freisprüche
in den Fällen 9 bis 14 der Anklage hat das Landgericht im Wesentlichen folgen-
de Feststellungen und Wertungen getroffen:
2
Der 57jährige Angeklagte schloss 1996 eine Ausbildung zum Heilprakti-
ker ab und erhielt im selben Jahr die Erlaubnis, "die Heilkunde auszuüben, oh-
ne über eine ärztliche Approbation zu verfügen". Den Beruf übte er in der Fol-
gezeit aus. Bis zum Jahr 2002 absolvierte er ferner eine Ausbildung zum
Osteopathen. Heute bezeichnet sich der Angeklagte zudem als Schamane.
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1. Am 29. Januar 2004 begab sich die Zeugin F. erstmals
zum Angeklagten. Grund hierfür war ihr - auch nach Aufsuchen von "Schulme-
dizinern" und eines Heilpraktikers - unerfüllt gebliebener Kinderwunsch; sie sah
eine Behandlung durch den Angeklagten als den "letzten Versuch" an, ihren
Wunsch zu erfüllen. Der Angeklagte "behandelte" die Zeugin bis zum 8. Juli
2004 an insgesamt neun Tagen, wobei er bis zum Juni 2004 mit ihrer Zustim-
mung unter anderem mindestens drei Mal ein "Vaginaltouché" durchführte.
Hierbei handelt es sich um eine - wie bei der Osteopathie im Allgemeinen - in
Deutschland nicht anerkannte "Behandlung" durch eine "Mobilisierung" des
"Vaginalraumes" unter anderem durch das Einführen eines oder mehrerer Fin-
ger in die Scheide der Patientin. Bei einer Gelegenheit versuchte der Angeklag-
te zudem, mit seiner Zunge in den Mund der Zeugin einzudringen. Am 7. Juni
sowie am 8. Juli 2004 wollte der Angeklagte ferner den Oralverkehr von der
Zeugin an sich vornehmen lassen. Hierzu führte er sein Glied an den Mund der
unbekleideten, auf Anweisung des Angeklagten mit geschlossenen Augen auf
der Liege des Behandlungsraums liegenden Zeugin heran, wobei er jeweils ihre
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- 7 -
Lippen berührte. Zu einem Eindringen kam es jedoch nicht, weil die Zeugin, die
mit einem Oralverkehr nicht einverstanden war, ihren Kopf zur Seite drehte.
Beide Fälle des versuchten Oralverkehrs (Fälle II.5.c und II.5.d der Ur-
teilsgründe) bewertete die Kammer als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung
eines Behandlungsverhältnisses und verhängte hierfür jeweils Freiheitsstrafen
von zehn Monaten. Von den weiteren Anklagevorwürfen zum Nachteil dieser
Zeugin sprach die Strafkammer - insofern unbeanstandet durch die Staatsan-
waltschaft - den Angeklagten frei, weil es sich nicht um sexuelle Handlungen
gehandelt habe.
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2. Am 26. Oktober 2004 begab sich die Zeugin M. auf Empfehlung ih-
rer Hausärztin in die Praxis des Angeklagten, um ihre Migräne behandeln zu
lassen. Auf Geheiß des Angeklagten entkleidete sich die Zeugin vollständig und
wurde vom Angeklagten etwa 40 Minuten lang "behandelt", unter anderem blies
er ihr in Nase, Ohren und Mund, schnippte mit den Fingern und schlug ihr mit
der Faust auf den Brustkorb. Zudem biss der Angeklagte der Zeugin "völlig un-
erwartet und für sie sehr schmerzhaft in deren unbekleidete linke Brust, so dass
die Zeugin vor Schmerzen aufschrie".
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Die Strafkammer bewertete den Biss in die Brust der Zeugin (Fall II.2.
der Urteilsgründe) als sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung eines Behand-
lungsverhältnisses in Tateinheit mit Körperverletzung und verhängte hierfür eine
Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten.
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3. In den angeklagten Fällen 9 bis 14 (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Ur-
teilsgründe) "behandelte" der Angeklagte ab dem 4. Januar 2004 die Zeugin
N. , die wegen starker Rückenschmerzen zum Angeklagten gekommen war.
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Während der "Behandlung" der jeweils vollständig entkleideten Zeugin nahm
der Angeklagte unter anderem "Vaginaltouchés" vor und veranlasste die Zeugin
- ebenfalls mit ihrer Zustimmung - mehrmals dazu, an ihm den Oralverkehr
durchzuführen (insofern wurde der Angeklagte - soweit die Taten von der zur
Hauptverhandlung zugelassenen Anklage erfasst waren - freigesprochen und
das Urteil von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen).
Am 22. Juli 2004 (Fall 9 der Anklage = Fall II.4.c der Urteilsgründe) ent-
kleidete sich auch der Angeklagte vollständig und vollzog - ohne Kondom - mit
der Zeugin den Geschlechtsverkehr. Die Zeugin war hiermit einverstanden und
fühlte sich "geborgen und ganz entspannt".
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Nach der zugelassenen Anklage kam es zwischen September 2004 und
Januar 2005 in mindestens vier weiteren Fällen zum Geschlechtsverkehr zwi-
schen dem Angeklagten und der Zeugin (Fälle 10 bis 13); nach den Feststel-
lungen der Strafkammer führten der Angeklagte und die Zeugin den einver-
nehmlichen Geschlechtsverkehr in diesem Zeitraum zwei Mal durch (bei zwei
der Behandlungen am 16. September, 28. Oktober und/oder 9. Dezember 2004
= Fälle II. 4.d der Urteilsgründe).
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Ferner kam es am 3. Februar 2005 erneut zum Geschlechtsverkehr zwi-
schen dem Angeklagten und der Zeugin (Fall 14 der Anklage = Fall II.4.e der
Urteilsgründe). Auch mit diesem war die Zeugin einverstanden; sie empfand
indes hierbei "nicht mehr die schönen und positiven Gefühle" wie zuvor.
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Wegen dieser Taten sprach die Strafkammer den Angeklagten aufgrund
des Einverständnisses der Zeugin vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs un-
ter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses frei.
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- 9 -
II.
Revision des Angeklagten
13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit er seine Verurteilung in
den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe angreift. Im Fall II.2. der Urteils-
gründe hat der Strafausspruch keinen Bestand. Dies hat die Aufhebung des
Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
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1. In den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe begegnet schon der
Schuldspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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a) Eine Verurteilung nach § 174c Abs. 1 StGB erfordert, dass sich das
Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Be-
handlung oder Betreuung anvertraut hat. Dies hat das Landgericht nicht (hinrei-
chend) festgestellt.
16
Nach den Feststellungen suchte die Zeugin den Angeklagten "wegen ei-
nes seit langer Zeit bestehenden, aber unerfüllt gebliebenen Kinderwunsches"
auf, nachdem "mehrfache schulmedizinische Versuche … und auch die Be-
handlung bei einem Heilpraktiker" erfolglos geblieben waren (UA 16). Ein uner-
füllter Kinderwunsch ist für sich betrachtet indes keine Krankheit oder Behinde-
rung (vgl. zum Sozialversicherungsrecht BVerfG, Urteil vom 28. Februar 2007
- 1 BvL 5/03, BVerfGE 117, 316, 325 f.; BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 - B1
KR 10/09 R, NZS 2011, 20, 21; ferner BGH, Urteil vom 15. September 2010 - IV
ZR 187/07, NJW-RR 2011, 111, 112 f.). Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob
der Begriff "Krankheit" über die Untersuchungen zur Erstellung einer
(Erst-)Diagnose hinaus (vgl. BT-Drucks. 13/8267 Anlage 3) auch solche Fälle
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- 10 -
erfasst, in denen eine Person lediglich aufgrund eines eingebildeten Zustandes
professionelle Hilfe aufsucht (so SSW-StGB/Wolters § 174c Rn. 3; Renzi-
kowski, NStZ 2010, 694, 695; derselbe in MünchKomm StGB, § 174c Rn. 13
jeweils mwN; für nicht-körperliche Erkrankungen auch NK-StGB-Frommel,
3. Aufl., § 174c Rn. 9; aA Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 174c Rn. 2; ersicht-
lich auch Hörnle in LK, 12. Aufl., § 174c Rn. 5 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss
vom 28. Oktober 2008 - 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325). Dass der unerfüllte
Kinderwunsch seine Ursache zumindest in einer in diesem Sinne zu verstehen-
den, vom Angeklagten an der Zeugin behandelten geistigen, seelischen oder
körperlichen Beeinträchtigung hatte, hat die Kammer nicht festgestellt und auch
nicht erörtert.
Soweit die Strafkammer beiläufig mitteilt, dass die Zeugin dem Angeklag-
ten während der "Anamnese" von einem Myom im Unterleib berichtet und der
Angeklagte erklärt habe, "dass man das beheben könne" (UA 17), ergibt sich
aus den Feststellungen - auch im Gesamtzusammenhang - nicht, dass die
nachfolgende "Behandlung" auf eine Beseitigung dieses Myoms gerichtet war.
Vielmehr legen die Urteilsausführungen (z.B. UA 19 oben) nahe, dass sich die
Zeugin der "Behandlung" durch den Angeklagten allein deshalb anvertraut und
unterzogen hat, weil sie dies als den "letzten Versuch, den Kinderwunsch zu
erfüllen", angesehen hatte.
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b) Eine psychotherapeutische Behandlung im Sinne des § 174c Abs. 2
StGB, der nach seinem Wortlaut keine Krankheit oder Behinderung voraussetzt
(vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 7; Zauner, Sexueller Missbrauch unter
Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses,
§ 174c StGB, Diss. Tübingen, 2004, S. 15 ff.), hat der Angeklagte nach den
Feststellungen der Strafkammer bei der Zeugin nicht vorgenommen. Einer Ver-
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- 11 -
urteilung nach dieser Vorschrift stünde zudem die Rechtsprechung des
1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs entgegen, wonach Täter insofern nur
sein kann, wer zum Führen der Bezeichnung "Psychotherapeut" berechtigt ist
(Beschluss vom 29. September 2009 - 1 StR 426/09, BGHSt 54, 169, 171 mit
ablehnender Anmerkung Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695).
2. Im Fall II.2. der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand.
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Die Verhängung einer Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten Dauer er-
fordert sowohl nach § 47 Abs. 1 StGB als auch nach dessen hier anzuwenden-
dem Absatz 2, dass die Freiheitsstrafe unerlässlich ist, sie sich also aufgrund
einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstän-
de als unverzichtbar erweist. Ob dies der Fall ist, hat die Strafkammer ersicht-
lich deshalb unerörtert gelassen, weil sie dem Angeklagten - was auch bei der
ersten abgeurteilten Tat Berücksichtigung finden kann (vgl. BGH, Urteil vom
12. Juli 2001 - 4 StR 104/01, DAR 2001, 513, 514) - eine eng zusammenhän-
gende Serie von Straftaten anlastet, die schon ohne nähere Darlegung ein Be-
dürfnis nach Einwirkung auf den - wenn auch nicht vorbestraften - Täter deutlich
zutage treten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03, NStZ
2004, 554 mwN). Dieser Wertung ist indes infolge der Aufhebung der Verurtei-
lung in den Fällen II.5.c und II.5.d der Urteilsgründe die tatsächliche Grundlage
entzogen.
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3. Im Übrigen hat die Revision des Angeklagten dagegen keinen Erfolg.
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Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbun-
desanwalt in der Antragsschrift vom 22. Dezember 2010 dargelegten Gründen
unbegründet bzw. unzulässig. Der Schuldspruch im Fall II.2. der Urteilsgründe
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- 12 -
begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Bewertung des Bisses in die Brust
der - für die Behandlung einer Migräne - auf Geheiß des Angeklagten vollstän-
dig entkleideten Zeugin als sexuelle Handlung lässt einen Rechtsfehler nicht
erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2005 - 4 StR 9/05, in StV
2005, 439 unvollständig abgedruckt; Laubenthal, Sexualstraftaten, 2000, Rn. 71
mwN). Den Ausführungen des Urteils ist ferner jedenfalls im Gesamtzusam-
menhang zu entnehmen, dass sich der Vorsatz des Angeklagten auf die Vor-
nahme einer sexuellen Handlung bezogen hat. Eine Einwilligung gemäß § 228
StGB in die vorsätzliche Körperverletzung oder auch die sexuelle Handlung
wurde von der durch die "Behandlung" völlig überraschten Patientin nicht erteilt.
III.
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft
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1. Die Revision der Staatsanwalt hat in vollem Umfang Erfolg.
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Das Landgericht ist bei den Freisprüchen in den Fällen 9 bis 14 der An-
klage (Fälle II.4.c, II.4.d und II.4.e der Urteilsgründe) zu Unrecht davon ausge-
gangen, dass eine Verurteilung des Angeklagten nach § 174c Abs. 1 StGB
schon deshalb ausscheidet, weil die Zeugin N. mit den vom Angeklagten
vorgenommenen sexuellen Handlungen einverstanden war.
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a) Einer Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung ei-
nes Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c
Abs. 1 StGB steht allein das Einvernehmen des Opfers mit der vom Täter vor-
genommenen sexuellen Handlung nicht entgegen. Ein solches Einvernehmen
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- 13 -
schließt weder als Einverständnis den Tatbestand noch als Einwilligung die
Rechtswidrigkeit der Tat aus.
aa) Dies belegt schon der Wille des Gesetzgebers.
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Zur ursprünglichen Fassung von § 174c Abs. 1 StGB verweisen die Ge-
setzesmaterialien (BT-Drucks. 13/8267 S. 7) ausdrücklich darauf, dass eine
Strafbarkeit des Täters nach dieser Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen
wird, dass das Opfer den sexuellen Handlungen zugestimmt hat; "denn wegen
der Eigenart der tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse kann das Opfer re-
gelmäßig nicht frei über sexuelle Kontakte zu der Autoritätsperson entschei-
den". Zwar bezogen sich diese "tatbestandlich eingegrenzten Verhältnisse"
nach der damals geltenden Gesetzesfassung auf Beratungs-, Behandlungs-
und Betreuungsverhältnisse mit Personen, die geistig oder seelisch erkrankt
waren oder an entsprechenden Behinderungen litten. Der Gesetzgeber hatte
aber schon damals die Einbeziehung körperlich erkrankter oder behinderter Op-
fer in den Straftatbestand erwogen, war aber zunächst - unter dem Vorbehalt
einer Überprüfung aufgrund neuer Erkenntnisse - davon ausgegangen, dass bei
körperlichen Leiden "eine tiefgreifende Einschränkung der freien Selbstbestim-
mung, wie sie bei geistig oder seelisch kranken oder behinderten Personen"
vorliegt, in der Regel nicht gegeben ist (BT-Drucks. 13/8267 S. 6 und Anlagen 2
und 3; vgl. zu dem Vorschlag, auch körperliche Leiden einzubeziehen, insbe-
sondere die Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BRat-Drucks.
295/1/97 S. 3, und die Stellungnahme des Bundesrates, BRat-Drucks. 295/97
[Beschluss] S. 3; zur Gesetzesgeschichte auch Zauner aaO, S. 7 ff.; Bungart,
Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen, 2005, S. 41 ff., 65, 68).
29
- 14 -
Letztere Ansicht hat der Gesetzgeber bei der Einbeziehung körperlich
kranker oder behinderter Menschen in den Anwendungsbereich des § 174c
Abs. 1 StGB im Jahr 2003 aufgegeben, ohne hierbei seine Auffassung zur Un-
beachtlichkeit einer Zustimmung des Opfers geändert zu haben. Denn "auch
bei körperlichen Krankheiten oder Behinderungen [kann] zwischen Therapeuten
und insbesondere mehrfach behinderten Patienten eine Abhängigkeit bestehen,
die durch Überlegenheit des Therapeuten und besonderes Vertrauen des hilfe-
suchenden Patienten gekennzeichnet ist. Dieses Vertrauensverhältnis muss
ebenso wie bei psychischen Krankheiten oder Behinderungen vor sexuellen
Übergriffen geschützt werden" (BT-Drucks. 15/350 S. 16). Dem Gesetzgeber
kam es mithin darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungs- und
Betreuungsverhältnissen generell und selbst bei einem Einverständnis des Pa-
tienten als missbräuchlich auszuschließen (Laubenthal aaO Rn. 276;
Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Wolters aaO § 174c Rn. 7).
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bb) Auch nach dem Wortlaut von § 174c Abs. 1 StGB schließt ein bloßes
Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung den Tatbestand dieser
Strafvorschrift nicht aus.
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§ 174c StGB erfordert - schon nach seinem Wortlaut - keine Nötigung
des Opfers. Anknüpfungspunkt für einen tatbestandlichen Ausschluss der
Strafbarkeit bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen könnte daher allein der
in § 174c Abs. 1 StGB geforderte "Missbrauch" sein (vgl. Renzikowski aaO §
174c Rn. 24 ff.; Hörnle aaO § 174c Rn. 22). Indes knüpft dieser "Missbrauch"
an das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis an; er ist auf den
Täter bezogen und liegt vor, wenn dieser "die Gelegenheit, die seine durch das
Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis begründete Vertrauens-
stellung bietet, unter Verletzung der damit verbundenen Pflichten bewusst zu
32
- 15 -
sexuellen Kontakten mit den ihm anvertrauten Personen ausnutzt" (BT-Drucks.
13/8267 S. 7; ferner OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. Juni 2009 - 3 Ss 113/08
mwN). Das erst während eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsver-
hältnisses erklärte Einvernehmen des Opfers mit der sexuellen Handlung ist
aber für die Begründung des Vertrauensverhältnisses ohne Bedeutung, es setzt
dieses - zumindest regelmäßig - vielmehr voraus (im Ergebnis ebenso OLG
Karlsruhe aaO; Wolters aaO § 174c Rn. 7; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 174c
Rn. 10; Zauner aaO S. 109 f., 111 f., 139 f.).
Auch bei § 174 Abs. 1 Nr. 2, § 174a Abs. 1, § 174b StGB, die ebenfalls
sexuelle Handlungen in einem Obhutsverhältnis unter Strafe stellen und dabei
an einen "Missbrauch" - aber nicht eine Nötigung - anknüpfen, wird allein dem
Einverständnis des Opfers mit der sexuellen Handlung keine tatbestandsaus-
schließende Wirkung beigemessen (vgl. BT-Drucks. VI/1552, S. 16; VI/3521
S. 20, 22 ff., 26, 28 f.; BGH, Urteile vom 8. Januar 1952 - 1 StR 561/51, BGHSt
2, 93, 94, und vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 f.; Fischer
aaO § 174 Rn. 15, § 174a Rn. 10; Renzikowski aaO § 174a Rn. 17, § 174b
Rn. 15 jeweils mwN).
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Eine im Schrifttum teilweise vorgeschlagene Differenzierung zwischen
geistigen (tatbestandsausschließendes Einverständnis nicht möglich) und kör-
perlichen Krankheiten oder Behinderungen (bei denen ein tatbestandsaus-
schließendes Einverständnis möglich sein soll; vgl. etwa Renzikowski aaO
§ 174c Rn. 27 f.; Sick/Renzikowski, Festschrift-Schroeder, 2006, S. 603, 610;
Perron/Eisele in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 174c Rn.6) lässt sich auch un-
ter dem Blickwinkel des Selbstbestimmungsrechts des Patienten in solch pau-
schaler Weise nicht rechtfertigen (vgl. auch Hörnle aaO § 174c Rn. 19 ff.) und
würde schon deshalb weitere Probleme aufwerfen, weil die Einbeziehung kör-
34
- 16 -
perlich erkrankter oder behinderter Personen in den Anwendungsbereich des
§ 174c Abs. 1 StGB gerade deshalb vorgenommen wurde, weil "körperliche und
seelische Krankheiten insbesondere bei mehrfach behinderten Patienten oft so
eng miteinander verzahnt sind, dass eine Erkennung, Heilung oder Linderung
nur unter einem Gesichtspunkt nicht möglich ist" (BT-Drucks. 15/350 S. 16;
Wolters aaO § 174c Rn. 7 f. nimmt deshalb trotz Einverständnisses des Opfers
einen Missbrauch stets an, wenn zumindest auch ein psychischer Defekt beim
Opfer vorliegt).
cc) Der Schutzzweck des § 174c Abs. 1 StGB gebietet es ebenfalls nicht,
allein aufgrund des Einvernehmens des Opfers mit der sexuellen Handlung die
Straflosigkeit des Täters anzunehmen.
35
Dabei kann dahinstehen, ob eine Zustimmung des Patienten schon des-
halb unbeachtlich ist, weil § 174c StGB auch zur Einhaltung von Berufspflichten
anhalten soll, also das Interesse der Allgemeinheit an einer sachgerechten Be-
handlung sowie das Vertrauen in die Lauterkeit einer Berufsgruppe schützt, und
schon deshalb für den Einzelnen nicht disponibel ist (vgl. Frommel aaO § 174c
Rn. 10; Zauner aaO S. 37, 112, 140; zu diesem Schutzzweck auch OLG Karls-
ruhe aaO; Perron/Eisele aaO § 174c Rn. 1; Laubenthal aaO Rn. 269; aA
Renzikowski, NStZ 2010, 694, 695; Bungart aaO S. 216).
36
Auch der von § 174c StGB jedenfalls vorrangig bezweckte Schutz der
Selbstbestimmung des Opfers steht bei dessen Einvernehmen mit der sexuel-
len Handlung der Strafbarkeit des Täters nicht von vorneherein entgegen. Denn
der Gesetzgeber hat in den §§ 174 ff. StGB gerade nicht eine allein gegen den
Willen oder ohne Einverständnis des Opfers an ihm vorgenommene sexuelle
Handlung unter Strafe gestellt, sondern hat hierbei auf - im Wesentlichen äuße-
37
- 17 -
re - Umstände abgestellt, bei deren Vorliegen er ersichtlich davon ausging, es
liege selbst bei einer Zustimmung des Opfers keine selbstbestimmte und auto-
nome Entscheidung, sondern ein strafwürdiges und strafbares Verhalten des
Täters vor (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 18 f.; Fischer, ZStW 112 [2000], S. 75,
90 f.). Auch bei § 174c StGB kam es dem Gesetzgeber - wie oben ausgeführt -
dementsprechend darauf an, sexuelle Kontakte in Beratungs-, Behandlungs-
und Betreuungsverhältnissen als missbräuchlich auszuschließen, weil er die
freie Selbstbestimmung in dem maßgeblich vom Täter beeinflussten Vertrau-
ens- und Abhängigkeitsverhältnis des Kranken oder Behinderten und seiner
sich daraus ergebenden Schutz- und Hilfsbedürftigkeit generell als beeinträch-
tigt ansah (vgl. dazu auch BT-Drucks. 13/8267 S. 4 sowie Fischer aaO S. 93).
b) Auf dieser Grundlage fehlt es an einem Missbrauch im Sinne des §
174c Abs. 1 StGB (lediglich) dann, wenn der Täter im konkreten Fall nicht eine
aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses beste-
hende Autoritäts- oder Vertrauensstellung gegenüber dem Opfer zur Vornahme
der sexuellen Handlung ausgenutzt hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1979
- 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367 [zu § 174 StGB]; Beschlüsse vom 29. Sep-
tember 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999, 29 f.; vom 25. Februar 1999 - 4 StR
23/99, NStZ 1999, 349 [beide zu § 174a StGB]). Der Tatrichter muss daher für
eine Verurteilung nach dieser Vorschrift zwar nicht (positiv) feststellen, dass das
Opfer im konkreten Tatzeitpunkt vom Angeklagten abhängig war oder dass der
Täter eine Hilflosigkeit oder die Bedürftigkeit des Opfers ausgenutzt hat (so
ausdrücklich BT-Drucks. 13/8267 S. 7; vgl. ferner OLG Karlsruhe aaO). Auch
kann er im Regelfall davon ausgehen, dass bei sexuellen Handlungen in einem
Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis dessen Missbrauch vor-
liegt (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 2 StR 385/08,
NStZ-RR 2009, 14, 15). Liegen aber Hinweise dafür vor, dass der Angeklagte
38
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ausnahmsweise nicht seine auf das Beratungs-, Behandlungs- oder Betreu-
ungsverhältnis gegründete Vertrauensstellung zur Vornahme der sexuellen
Handlung ausgenutzt hat, so muss er diesen Hinweisen nachgehen und im Fal-
le einer Verurteilung darlegen, dass ein solches Ausnutzen in dem von ihm zu
beurteilenden Fall gegeben war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008
- 3 StR 88/08, NStZ 2009, 324, 325).
Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdi-
gung der den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden Umstände festzustellen
(vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe aaO; Bungart aaO S. 221 f.; zu § 174a StGB
ferner BGH, Beschlüsse vom 29. September 1998 - 4 StR 324/98, NStZ 1999,
29; vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349). Hierfür ist eine vom
Opfer dem Täter gegenüber zum Ausdruck gebrachte Zustimmung zu der se-
xuellen Handlung eine gewichtige, regelmäßig sogar unerlässliche Vorausset-
zung, sofern sie nicht - wie etwa bei nahe an die Widerstandsunfähigkeit im
Sinn des § 179 StGB heranreichenden krankheits- oder behandlungsbedingten
Zuständen - von vorneherein als zu beachtende Willenserklärung ausscheidet
(vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 2, 4, 23 mwN). Jedoch genügt ein Einverständnis
allein - wie oben ausgeführt - nicht, um einen Missbrauch auszuschließen.
Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, aufgrund derer davon aus-
zugehen ist, dass eine aufgrund des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreu-
ungsverhältnisses regelmäßig gegebene Vertrauensbeziehung entweder tat-
sächlich nicht bestand oder für die Hinnahme der sexuellen Handlung ohne Be-
deutung war (vgl. auch BT-Drucks. VI/3521 S. 26, 27 [zu § 174a StGB]; BGH,
Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349 [zu § 174a
StGB]).
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Solche besonderen Umstände können etwa vorliegen bei einvernehmli-
chen sexuellen Handlungen des Ehepartners oder Lebensgefährten während
eines Betreuungsverhältnisses oder bei einer von dem Beratungs-, Behand-
lungs- oder Betreuungsverhältnis unabhängigen "Liebesbeziehung" und in de-
ren Folge nur gelegentlich der Behandlung oder nach deren Abschluss vorge-
nommenen sexuellen Handlung (vgl. BT-Drucks. VI/3521 S. 22 [zu § 174
StGB]; BGH, Beschluss vom 25. Februar 1999 - 4 StR 23/99, NStZ 1999, 349
[zu § 174a StGB]; Renzikowski aaO § 174c Rn. 28; Perron/Eisele aaO § 174c
Rn. 6; Lackner/Kühl aaO § 174c Rn. 5; Bungart aaO S. 222; dazu aber auch
BT-Drucks. VI/3521 S. 26; OLG Karlsruhe aaO). Hat der Täter dagegen bei-
spielsweise vorgegeben, die sexuelle Handlung sei medizinisch notwendig oder
Teil der Therapie (OLG Karlsruhe aaO; Hörnle aaO § 174c Rn. 23; Fischer aaO
§ 174c Rn. 10a; Wolters aaO § 174c Rn. 8; Renzikowski aaO § 174c Rn. 25,
28) bzw. hat er gar behandlungsbezogene Nachteile beim Zurückweisen seines
Ansinnens in den Raum gestellt (Wolters aaO § 174c Rn. 8; Hörnle aaO § 174c
Rn. 23) oder hat er eine schutzlose Lage des Opfers - etwa die einer auf seine
Aufforderung hin unnötig vollständig entkleideten Frau - zur Vornahme der se-
xuellen Handlung ausgenutzt (vgl. Hörnle aaO § 174c Rn. 23), so liegt ein Miss-
brauch im Sinne des § 174c Abs. 1 StGB auch dann vor, wenn das Opfer mit
dem Sexualkontakt einverstanden war.
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c) Auf dieser Grundlage können die allein auf das Einvernehmen der
Zeugin N. mit den sexuellen Handlungen gestützten Freisprüche des Ange-
klagten in den Fällen 9 bis 14 der Anklage keinen Bestand haben. Vielmehr le-
gen die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen nahe, dass ein Miss-
brauch des Behandlungsverhältnisses schon deshalb vorliegt, weil der Ange-
klagte nicht nur das diesem regelmäßig innewohnende Vertrauen der Patientin
ausgenutzt, sondern er ihr gegenüber - wie sich insbesondere aus der auf UA
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26 wiedergegebenen Aussage der Zeugin ergibt - ersichtlich den Eindruck er-
weckt hat, die sexuellen Handlungen seien Teil der Therapie.
2. Infolge der Teilaufhebung des angefochtenen Urteils ist die sofortige
Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung in dem
landgerichtlichen Urteil gegenstandslos. Ihre sofortige Beschwerde gegen eine
Entscheidung nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz ist dagegen nicht
statthaft und daher unzulässig, da eine solche Entscheidung von der Strafkam-
mer nicht getroffen wurde, die Staatsanwaltschaft aber ersichtlich nicht dieses
Unterlassen angreifen will.
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IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
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Die Strafkammer hat von der Anordnung eines Berufsverbots mit einer in
der Revision nicht zu beanstandenden Begründung abgesehen. Denn der Ge-
setzgeber hat dem Tatrichter für diese Entscheidung bewusst einen weiten Er-
messensspielraum eingeräumt (BGH, Urteile vom 20. Januar 2004 - 1 StR
319/03, und vom 7. November 2007 - 1 StR 164/07, wistra 2008, 58, 60), den
das Landgericht nicht überschritten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August
2009 - 5 StR 248/09, NStZ 2010, 170, 171).
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Sollte sich indes im Rahmen der neuen Hauptverhandlung ergeben, dass
der Angeklagte in größerem Umfang als bisher abgeurteilt seinen Beruf be-
wusst und planmäßig zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe auf Patientinnen
missbraucht hat, so kann dem auch für die Gefährlichkeitsprognose Bedeutung
zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 StR 319/03 mwN). Zuläs-
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siges Verteidigungsverhalten, wie etwa fehlende Einsicht, dürfte dabei indes
nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2001 - 5 StR
544/00, wistra 2011, 220). Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkam-
mer gegen den Angeklagten ein Berufsverbot verhängen, wird sie bei der Be-
stimmung dessen Umfangs zu berücksichtigen haben, ob der Gefährlichkeit des
Angeklagten dadurch hinreichend vorgebeugt werden kann, dass ihm bei-
spielsweise lediglich die Behandlung weiblicher Patienten untersagt wird (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2003 - 3 StR 454/02, StV 2004, 653 m.Anm.
Kugler; vom 8. Mai 2008 - 3 StR 122/08).
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender