Urteil des BGH vom 04.02.2016

Ausschluss der Öffentlichkeit, Vergewaltigung, Icd, Rüge

ECLI:DE:BGH:2016:040216B4STR493.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 493/15
vom
4. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Februar 2016 ge-
mäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Dortmund vom 13. Mai 2015 im Rechtsfolgenaus-
spruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zu-
rückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei
Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu der
Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psy-
chiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit Verfah-
rensbeschwerden und der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten.
Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg;
im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Zum Schuldspruch hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revi-
sionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erge-
ben. Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist
ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts anzumerken:
Bedenken bestehen bereits gegen die Zulässigkeit der Verfahrensrüge,
weil sich die Revision nicht dazu verhält, welche zusätzlichen Ausführungen bei
Schlussvorträgen in nicht öffentlicher Sitzung gemacht worden wären (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2015
– 4 StR 401/15; vom 23. Juni 1998
– 5 StR 261/98, NStZ 1998, 586; Urteile vom 10. Oktober 1978 – 4 StR 445/78,
bei Holtz, MDR 1979, 109; vom 17. Januar 1979
– 3 StR 450/78, bei Holtz,
MDR 1979, 458). Die Rüge ist aber jedenfalls unbegründet, weil auszuschlie-
ßen ist, dass die Entscheidung auf der ungesetzlichen Erweiterung der Öffent-
lichkeit beruht. Es ist vor dem Hintergrund, dass der Ausschluss der Öffentlich-
keit bei der Vernehmung des Zeugen auf Antrag des Zeugen ausschließlich zu
dessen Schutz angeordnet wurde, weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die
Schlussvorträge weitere den Angeklagten entlastende Gesichtspunkte erbracht
hätten, wenn in nicht öffentlicher Sitzung plädiert worden wäre.
2. Dagegen hat der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand, da eine tat-
richterliche Entscheidung über das Absehen von der Verhängung einer Ju-
gendstrafe nach § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG unterblieben ist.
Wird aus Anlass der Straftat eines nach Jugendstrafrecht zu beurteilen-
den Heranwachsenden gemäß § 63 StGB dessen Unterbringung in einem psy-
chiatrischen Krankenhaus angeordnet, ist grundsätzlich zu prüfen, ob die ange-
ordnete Maßregel die Ahndung mit Jugendstrafe entbehrlich macht (st. Rspr.;
vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015
– 4 StR 419/14, NStZ 2015,
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394, 395; vom 17. September 2013
– 1 StR 372/13, NStZ-RR 2014, 28). Eine
entsprechende Prüfung und Entscheidung ist dem angefochtenen Urteil auch in
seinem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen. Dies führt wegen des
Sachzusammenhangs zwischen Jugendstrafe und Unterbringungsanordnung
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2013
– 1 StR 372/13 aaO; vom
22. Juli 2009
– 2 StR 240/09) zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenaus-
spruches.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Ob eine vom Sachverständigen unter Heranziehung des Klassifikations-
systems ICD-10 diagnostizierte Persönlichkeitsstörung die Voraussetzungen
einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt,
ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter wertend zu entscheiden hat. Dabei
kommt es maßgeblich darauf an, ob die Störung in ihrem Gewicht einer krank-
haften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer
Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Fol-
gen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom
19. Dezember 2012
– 4 StR 494/12, BGHR StGB § 20 Seelische Abartigkeit 6
mwN; vom 21. September 2004
– 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327). Der neu
zur Entscheidung berufene Tatrichter wird sich eingehender, als bisher gesche-
hen,
– gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen –
mit dem Ausprägungsgrad der beim Angeklagten neben einer leichten Intelli-
genzstörung festgestellten sonstigen kombinierten Störung des Sozialver-
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haltens und der Emotionen (ICD-10 F92.8) und deren Einfluss auf die soziale
Anpassungsfähigkeit des Angeklagten zu befassen haben.
Sost-Scheible
RinBGH Roggenbuck ist urlaubs-
bedingt abwesend und deshalb
gehindert zu unterschreiben.
Sost-Scheible
Cierniak
Franke
Bender