Urteil des BGH vom 29.01.2015

Gefahr, Nötigung, Einverständnis, Strafrichter, Zustandekommen

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 S t R 4 2 4 / 1 4
vom
29. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen exhibitionistischer Handlungen
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Januar
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Siegen vom 17. März 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels
zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbe-
zeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, so-
weit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch ent-
standenen notwendigen Auslagen, an das Amtsgericht
Siegen - Strafrichter - zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer exhibitionistischen
Handlung zu einer
Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Im Üb-
rigen hat es ihn freigesprochen. Gegen die Verurteilung wendet sich der Ange-
klagte mit seiner Revision, die auf die allgemeine Sachrüge gestützt ist. Die
Staatsanwaltschaft, die sich gegen den Freispruch wendet, rügt mit ihrer Revi-
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sion die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel der Staatsanwalt-
schaft hat Erfolg, dasjenige des Angeklagten bleibt hingegen erfolglos.
I.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war der Angeklagte
als Angestellter der Bundesagentur für Arbeit in der Außenstelle der ARGE im
Rathaus in H. als Fallmanager im Bereich Stellenvermittlung für die
unter 25-jährigen Arbeitssuchenden zuständig. Er betreute im Tatzeitraum
2009/2010 die beiden Söhne der Frau C. R. und die zum Ur-
teilszeitpunkt 27-jährige Nebenklägerin W. .
1. An einem Tag Ende April/Anfang Mai 2009 suchte Frau C. R.
den Angeklagten in seinem Büro auf, weil die Ausbildungsstelle ihres
älteren Sohnes in Gefahr war. Als sie weinend an dem Besuchertisch saß, den
Kopf auf die Tischplatte gelegt, öffnete der Angeklagte den Reißverschluss sei-
ner Hose, entblößte seinen erigierten Penis und schob seinen Schreibtischstuhl
neben Frau C. R. . Um ihre Aufmerksamkeit zu erwecken, erklär-
te er ihr, sie brauche nicht mehr zu weinen. Damit - gemeint war sein Penis -
könne sie glücklich sein. Dabei erhoffte er sich nicht den Geschlechtsverkehr
mit der Zeugin, sondern durch die Reaktion der Frau eine Steigerung seiner
sexuellen Befriedigung. Frau C. R. blickte auf, sah den erigier-
ten Penis und war überrascht und geschockt.
2. Die sehr sensible und wenig durchsetzungsfähige Nebenklägerin
W. bestellte der Angeklagte an einem Tag zwischen Ende November
2009 und Februar 2010 in sein Büro. Er fragte sie, ob sie einen Freund habe
und machte ihr Komplimente. Der Angeklagte war sexuell erregt und forderte
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die Nebenklägerin auf, "komm, lass uns küssen". In der Hoffnung, dann gehen
zu können, wehrte sich die Nebenklägerin nicht, als er ihr einen Zungenkuss
gab. Der Angeklagte fragte nun aber, "ob sie es ihm mit dem Mund machen
würde". Obwohl die Nebenklägerin die Frage verneinte, entblößte er sein eri-
giertes Geschlechtsteil und führte es ihr, ohne dass sie Widerstand leistete, in
den Mund. Er machte eine oder mehrere Vor- und Rückbewegungen, kam aber
nicht zum Samenerguss. Der Angeklagte zog nach kurzer Zeit seinen Penis aus
dem Mund der Nebenklägerin, stellte sich hinter sie und befriedigte sich selbst.
Dabei hielt er wiederholt den Penis an ihren Hinterkopf. Auch stellte er sich
wiederholt neben die Nebenklägerin, damit diese ihm zuschaue. Gleichzeitig
forderte er sie auf, doch zu schauen, was er mache. Die Nebenklägerin wandte
ihren Kopf immer wieder vom Angeklagten weg, der schließlich in seine Hand
ejakulierte. Die Nebenklägerin war schockiert.
3. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer exhibitionistischen
Handlung zum Nachteil von Frau C. R. verurteilt. Hinsichtlich der
Nebenklägerin hat es ein strafbares Verhalten verneint: Das Handeln des An-
geklagten stelle weder eine sexuelle Nötigung/Vergewaltigung nach § 177
Abs. 1 und 2 StGB noch eine Nötigung nach § 240 StGB dar. Der Angeklagte
habe weder Gewalt angewendet noch mit Gefahr für Leib oder Leben gedroht
noch habe sich die Nebenklägerin in einer schutzlosen Lage befunden. Der An-
geklagte habe auch nicht mit der Ausnutzung seiner "Machtposition" gedroht.
Eine exhibitionistische Handlung nach § 183 StGB liege nicht vor, weil sich der
Angeklagte nicht entblößt habe, um sich durch die Reaktion der Nebenklägerin
zu erregen, sondern weil er sich erhofft habe, mit ihr den Oralverkehr ausüben
zu können. Dass er sich ihr später noch einmal gezeigt habe, hat das Landge-
richt nicht als neuen Tatentschluss gewertet, denn entblößt habe sich der An-
geklagte zur Durchführung des Sexualverkehrs.
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II.
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu seinem
Nachteil ergeben.
III.
Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils, so-
weit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
1. Die Ausführungen der Strafkammer lassen besorgen, dass sie von ei-
nem zu engen Begriff der exhibitionistischen Handlung ausgegangen ist.
Eine exhibitionistische Handlung ist dadurch gekennzeichnet, dass der
Täter einem anderen ohne dessen Einverständnis sein entblößtes Glied vor-
weist, um sich dadurch oder zusätzlich durch Beobachten der Reaktion der an-
deren Person oder durch Masturbieren sexuell zu erregen, seine Erregung zu
steigern oder zu befriedigen (BT-Drucks. VI/3521 S. 53; BGH, Urteil vom
5. September 1995 - 1 StR 396/95, BGHR StGB § 183 Abs. 1 Exhibitionistische
Handlung 1). Die Tathandlung liegt in dem Vorzeigen des entblößten Gliedes
mit dem Ziel des hierdurch bewirkten sexuellen Lustgewinns. Dass der Täter
sein Geschlechtsteil bereits zu diesem Zweck entblößt hat, setzt die Vorschrift
hingegen nicht voraus (aA BayObLG NJW 1999, 72, 73). Weder aus dem Ge-
setzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien kann eine solche Einschrän-
kung hergeleitet werden. Vielmehr kann auch ein Täter, der sein Glied zuvor
etwa zum Zwecke des Urinierens frei gemacht hat oder der aus sonstigen
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Gründen nackt herumläuft, die Tathandlung begehen, wenn er sich in bereits
entblößtem Zustand entschließt, einem anderen ohne dessen Einverständnis
sein Glied zum Zwecke des sexuellen Lustgewinns zu präsentieren.
2. Die Wertung der Strafkammer, dass dem Vorzeigen des Geschlechts-
teils kein "neuer Tatentschluss" zugrunde lag (UA S. 63), beruht möglicher-
weise auf der - wie oben näher dargelegt - irrigen Rechtsansicht, bereits das
Entblößen des Gliedes müsse in Erregungs-/Befriedigungsabsicht erfolgt sein.
Maßgeblich ist hingegen allein der zum Zeitpunkt des Vorzeigens des entblöß-
ten Gliedes vom Täter verfolgte Zweck, sich gerade hierdurch oder zusätzlich
durch die Reaktion des Gegenübers oder durch Masturbieren zu befriedigen.
Ob dies der alleinige Zweck des Vorzeigens des Gliedes sein muss oder ob der
Tatbestand auch erfüllt ist, wenn bei dem Täter ein Motivbündel vorliegt (so
BGH, Urteil vom 30. März 1983 - 2 StR 32/83), kann im vorliegenden Fall da-
hingestellt bleiben. Nach den bisherigen Feststellungen liegt es nahe, dass der
Angeklagte der Nebenklägerin nach dem Oralverkehr sein entblößtes Glied ge-
rade zum Zwecke des sexuellen Lustgewinns vorgezeigt hat, denn er stellte
sich immer wieder neben sie und forderte sie auf, doch zu schauen, was er ma-
che, um sich zu stimulieren (UA S. 26, 62). Nicht ausschließbar beruhte auch
der Schock der Nebenklägerin auf dem mehrfachen Vorweisen des entblößten
Gliedes zum Zwecke der sexuellen Stimulierung. Eine Belästigung der Neben-
klägerin durch die exhibitionistische Handlung ist jedenfalls nach den bisherigen
Feststellungen nicht auszuschließen.
Die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin muss nach alledem neu verhan-
delt werden. Der Senat hat die Sache nach § 354 Abs. 3 StPO an das Amtsge-
richt Siegen - Strafrichter - zurückverwiesen, da dessen Zuständigkeit ausreicht.
Die sorgfältig getroffenen Feststellungen können als Grundlage einer möglichen
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Verurteilung nicht bestehen bleiben, weil der die Tat bestreitende Angeklagte
deren rechtsfehlerfreies Zustandekommen mangels Beschwer nicht überprüfen
lassen konnte (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2006 - 3 StR 79/06, NStZ-RR
2006, 316, 317).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Bender Quentin