Urteil des BGH vom 23.09.2015

Eigenes Verschulden, Pflichtverteidiger, Weisung, Versicherung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 S t R 3 6 4 / 1 5
vom
23. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und der Beschwerdeführerin am 23. September 2015 beschlossen:
1. Der Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung
der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom
6. März 2015 wird zurückgewiesen.
2. Die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete
Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels
zu tragen.
Gründe:
Die Angeklagte wurde am 6. März 2015 wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum uner-
laubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt. Sie und ihr Verteidiger verzichteten ausweislich des
Hauptverhandlungsprotokolls nach Verkündung des Urteils auf eine Rechtsmit-
telbelehrung.
1. Die Revision der Angeklagten gegen dieses Urteil ist unzulässig, weil
sie erst am 23. März 2015 und damit verspätet eingelegt wurde (§ 341 Abs. 1,
§ 349 Abs. 1 StPO).
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2. Ihr
– rechtzeitiges – Wiedereinsetzungsgesuch hat keinen Erfolg, weil
die Angeklagte nicht ohne eigenes Verschulden an der Fristwahrung gehindert
war (§ 44 StPO).
a) Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Angeklagte
in einer „Eidesstattlichen Versicherung“ vorgetragen, sie habe ihren Pflichtver-
teidiger in Anwesenheit der Dolmetscherin mündlich unmittelbar nach Urteils-
verkündung „angewiesen“, ein Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil ein-
zulegen; ihr Verteidiger habe diese eindeutige Weisung missachtet. Abgesehen
davon, dass, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend
hervorhebt, die eigene eidesstattliche Versicherung eines Angeklagten kein zu-
lässiges Mittel der Glaubhaftmachung ist (SSW-StPO/Tsambikakis, § 45 Rn. 17
mwN), ist die in dieser Erklärung enthaltene Behauptung, auf die zur Begrün-
dung des Wiedereinsetzungsantrags Bezug genommen wird, schon nach dem
Inhalt der weiteren Unterlagen, die zur Glaubhaftmachung vorgelegt werden,
als widerlegt anzusehen. Ausweislich der Erklärung der bei dem Gespräch zwi-
schen der Angeklagten und ihrem Verteidiger anwesenden Dolmetscherin hat
die Angeklagte diesem lediglich mitgeteilt, sie wolle
„Berufung“ einlegen und
einen „neuen Versuch starten“. Daraufhin habe ihr Verteidiger darauf hingewie-
sen, man habe für die Entscheidung über die Einlegung der Revision noch ein
paar Tage Zeit, sie könne es sich
– auch vor dem Hintergrund der am selben
Tag eingegangenen Nachricht vom Tode ihres Bruders
– daher in Ruhe über-
legen und ihn dann anrufen, um ihm ihre endgültige Entscheidung mitzuteilen.
Die Angeklagte habe dies bestätigt und ergänzend um einen Rückruf des Ver-
teidigers gebeten, sollte sie sich selbst
– möglicherweise wegen der Notwen-
digkeit, sich wegen des Todesfalles vorrangig um ihre familiären Angelegenhei-
ten zu kümmern
– nicht am letzten oder vorletzten Tag der Einlegungsfrist bei
ihm gemeldet haben. Bestätigt wird die sachliche Richtigkeit dieser Erklärung,
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die auch von der Angeklagten nicht in Frage gestellt wird, durch den Inhalt des
ebenfalls vorgelegten Schreibens des Verteidigers an die Postanschrift der An-
geklagten am Tag vor Fristablauf, in dem er u.a. darlegt, er habe mehrfach,
letztmalig am selben Tage, vergeblich versucht, diese telefonisch zu erreichen,
um
– absprachegemäß – ihre Entscheidung über die Rechtsmitteleinlegung zu
erfahren.
Danach kann keine Rede davon sein, dass die Frage der Einlegung
eines Rechtsmittels unmittelbar nach der Urteilsverkündung verbindlich durch
eine dahingehende Weisung der Angeklagten entschieden worden und ihr
Pflichtverteidiger in der Folgezeit dieser Weisung abredewidrig nicht nachge-
kommen wäre. Vielmehr war die endgültige Entscheidung noch von einer ent-
sprechenden Willensäußerung der Angeklagten abhängig.
b) Im Übrigen bewertet auch die neue Wahlverteidigerin der Angeklagten
in ihrer Stellungnahme zu dem Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts
das Ergebnis des Gesprächs unmittelbar nach Urteilsverkündung dahin, der
Pflichtverteidiger habe auf den Wunsch der Angeklagten nach Einlegung der
Revision „ausweichend“ geantwortet. Ein Angeklagter, der die definitive Zusage
seines Verteidigers, ein Rechtsmittel einzulegen, noch nicht erhalten hat, kann
aber während des Laufs der Einlegungsfrist nicht darauf vertrauen, dass dies
gleichwohl geschieht (BGH, Beschluss vom 6. August 2009
– 3 StR 319/08,
NStZ-RR 2009, 375; Tsambikakis aaO, § 44 Rn. 41).
c) Vor diesem Hintergrund geht auch die Auffassung der neuen Wahlver-
teidigerin der Angeklagten fehl, ihr damaliger Pflichtverteidiger hätte rein vor-
sorglich Revision einlegen müssen, da mangels telefonischer Erreichbarkeit der
Angeklagten eine definitive Klärung über die Rechtsmitteleinlegung innerhalb
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der Rechtsmittelfrist nicht erfolgen konnte. Gerade weil die Frage der Revisi-
onseinlegung noch offen war, war es Sache der Angeklagten, dafür Sorge zu
tragen, dass ihr Verteidiger sie für eine Rücksprache erreichen konnte (vgl.
BGH, Beschluss vom 11. September 1996
– 2 StR 426/96, NStZ 1997, 95).
Dass die Angeklagte, der die Wochenfrist zur Einlegung der Revision ausweis-
lich ihrer eigenen Erklärung bekannt war, angenommen haben könnte, diese
Frist sei eine reine Bedenkzeit und umfasse nicht zugleich die für den rein tech-
nischen Vorgang der Einlegung des Rechtsmittels erforderliche Zeitspanne, ist
weder vorgetragen noch ersichtlich. Zwar war die Absendung des unter dem
12. März 2015 abgefassten, an die Postanschrift der Angeklagten in den Nie-
derlanden gerichteten Schreibens ihres Pflichtverteidigers mit der Aufforderung,
sich zur Frage der Einlegung der Revision nunmehr zu erklären, im Hinblick auf
die am nächsten Tag ablaufende Frist ersichtlich verspätet und deshalb wenig
sachdienlich. Das eigene Verschulden der Angeklagten wird dadurch aber nicht
beseitigt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2012
– 4 StR 299/12).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke
Bender
Quentin