Urteil des BGH vom 04.11.2015

Methadon, Klinik, Unterbringung, Untersuchungshaft

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 337/15
vom
4. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 4. November 2015 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Paderborn vom 30. April 2015 mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in dreizehn Fällen, davon
in acht Fällen tateinheitlich mit unerlaubtem Einführen von Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und
zwei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit
seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, wobei er ins-
besondere die Nichtanordnung einer Maßregel nach § 64 StGB beanstandet.
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Insoweit hat sein Rechtsmittel auch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht von einer Unterbringung
des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat, halten rechtlicher
Prüfung nicht stand.
1. Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte von 1993 bis 1995
heroinabhängig. In der Folgezeit wurde er mit Methadon substituiert, wobei dies
teilweise unter ärztlicher Aufsicht, teilweise in Eigenregie mit Methadon vom
Schwarzmarkt geschah. Der Angeklagte konsumierte überwiegend Methadon,
gelegentlich fand ein Konsum von Heroin statt. Im Jahre 2012 befand sich der
Angeklagte in der LWL-Klinik in D. zu einer Entgiftung. Dort
erhielt er 20 bis 40 ml Methadon täglich. Er verließ die Klinik nach sieben Tagen
gegen ärztlichen Rat. In der Untersuchungshaft wurde der Angeklagte von
40 mg Methaddict (Tabletten) auf 40 mg Methadon (flüssig) umgestellt. Die Do-
sierung wurde während des halben Jahres bis zum Schluss der Hauptverhand-
lung auf die Hälfte reduziert. Seinen Lebensunterhalt bestritt der Angeklagte
überwiegend aus dem Verkauf von Heroin.
Das Landgericht hat einen Hang des Angeklagten verneint, weil zwar ein
gelegentlicher Heroinkonsum vorliege, dieser aber im Tatzeitraum nicht die
Qualität einer ernsthaften Suchterkrankung erreicht habe. Körperliche Entzugs-
symptome hätten nicht festgestellt werden können. Der Angeklagte befinde sich
in einem guten körperlichen Zustand, die Leberwerte seien im normalen Be-
reich, die Arbeits- und Leistungsfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Der reflektier-
te Umgang mit Heroin und Methadon spreche gegen eine klassische Abhängig-
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keit. Es liege lediglich ein Methadonmissbrauch, kombiniert mit gelegentlichem,
kontrolliertem Heroinmissbrauch vor.
2. Die Ausführungen der Strafkammer zur Verneinung eines Hanges be-
ziehen sich allein auf den festgestellten Konsum von Heroin. Die Strafkammer
hat aber ersichtlich nicht berücksichtigt, dass auch Methadon ein berauschen-
des Mittel im Sinne des § 64 StGB darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni
2002
– 4 StR 207/02, NStZ 2003, 484; Beschluss vom 27. Juni 2001 – 2 StR
204/01, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 7; Beschluss vom 5. Juli 2000
– 2 StR
87/00, NStZ-RR 2001, 12). Sowohl die Tatsache, dass der Angeklagte bei der
Entgiftungsbehandlung in der LWL-Klinik Methadon erhielt als auch der Um-
stand, dass er in der Untersuchungshaft mit Methadon substituiert wird, legen
einen bei ihm vorhandenen Hang zum Opiatkonsum nahe. Auch die Strafkam-
mer geht von einem Methadonmissbrauch aus, erörtert diesen aber nicht im
Zusammenhang mit einem Hang des Angeklagten.
Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen den Taten und einem
Hang lässt sich nach den Urteilsgründen nicht ausschließen. Die Strafkammer
konnte für den Tatzeitraum kein legales Einkommen des Angeklagten feststel-
len, so dass es nahe liegt, dass er mit den Taten auch seinen Methadonkonsum
finanziert hat. Dass beim Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines
Behandlungserfolgs nicht besteht, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen
(vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 1999
– 3 StR 303/99 mwN).
3. Die Sache bedarf daher insoweit neuer tatrichterlicher Prüfung. Dass
nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Nachholung der Unterbrin-
gungsanordnung nicht entgegen. Der Strafausspruch wird von der Teilaufhe-
bung nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass der Tatrichter, der beim Ange-
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klagten die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Zeit der Taten rechtsfehlerfrei
verneint hat, bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ge-
ringere Strafen verhängt hätte.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak
Mutzbauer
Quentin