Urteil des BGH vom 15.09.2016

Missbrauch, Überprüfung, Feststellungsklage, Feststellungsurteil

ECLI:DE:BGH:2016:150916B4STR330.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 330/16
vom
15. September 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 15. September 2016
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Landgerichts Offenburg vom 21. März 2016 wird Ziffer 2. des
Tenors dieses Urteils dahin geändert, dass festgestellt ist,
dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Adhäsionsklägerin
die künftig entstehenden materiellen und immateriellen
Schäden zu erstatten, soweit diese Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegan-
gen sind; im Übrigen wird von einer Entscheidung über den
Adhäsionsantrag abgesehen.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verwor-
fen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwenden Aus-
lagen sowie die in der Revisionsinstanz im Adhäsionsverfah-
ren entstandenen besonderen Kosten und notwendigen Aus-
lagen der Nebenklägerin zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs
einer Schutzbefohlenen in acht Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem
Missbrauch eines Kindes, in sechs Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen
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Verwandten, davon in vier Fällen in weiterer Tateinheit mit schwerem sexuellen
Missbrauch eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und
acht Monaten verurteilt. Ferner hat es ihn zur Zahlung eines Schmerzensgeldes
an die Adhäsionsklägerin verurteilt und festgestellt, dass der Angeklagte ver-
pflichtet ist, der Adhäsionsklägerin „sämtliche weiteren materiellen und imma-
teriellen
Schäden zu ersetzen, die aufgrund der festgestellten […] Straftaten
entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder über-
gehen werden“. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte
Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu der aus dem Tenor er-
sichtlichen Änderung der Adhäsionsentscheidung.
1. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet. Der
Erörterung bedarf insoweit lediglich das Folgende:
Die erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 252 StPO dadurch,
dass das Landgericht trotz Ungewissheit über die Ausübung des Zeugnisver-
weigerungsrechts die polizeilichen Vernehmungen der Tochter des Angeklagten
durch Vernehmung der Verhörsperson und die richterliche Vernehmung
– im
Einverständnis des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers
und der Vertreterin der Nebenklägerin
– durch deren Verlesung eingeführt ha-
be, ist jedenfalls unbegründet. Der Revision ist zuzugeben, dass wegen des
Verwertungsverbotes des § 252 StPO eine Vernehmung von nichtrichterlichen
Verhörspersonen oder eine Verlesung des richterlichen Vernehmungsprotokolls
nach § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO erst dann zulässig ist, wenn Gewissheit darüber
besteht, dass der Zeugnisverweigerungsberechtigte zur Aussage bereit ist (vgl.
BGH, Beschluss vom 18. Januar 2000
– 1 StR 589/99, NStZ-RR 2000, 210 f.;
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Urteil vom 11. April 1973
– 2 StR 42/73, BGHSt 25, 176, 177). Letzteres ist in-
dessen nach den Maßstäben des Freibeweises zu prüfen, nach denen eine
weitere Erforschung der prozessual bedeutsamen Tatsachen jedenfalls dann
nicht geboten ist, wenn aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles ein
sicherer Schluss darauf möglich ist, dass der Zeuge von seinem Recht zur
Zeugnisverweigerung keinen Gebrauch machen will (vgl. BGH, Urteil vom
19. Dezember 1995
– 1 StR 606/95, NStZ 1996, 295; Sander/Cirener in: Löwe/
Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 252 Rn. 16 mwN). So liegt der Fall hier, denn
eine Ungewissheit über die Aussagebereitschaft der mittlerweile volljährigen
Nebenklägerin bestand nicht, wie sich aus dem von der Revision selbst vorge-
legten Schriftsatz der Nebenklägervertreterin vom 9. März 2016, der einen An-
trag auf Ausschließung des Angeklagten während der Vernehmung der Neben-
klägerin zum Gegenstand hatte, ohne Weiteres entnehmen ließ. Jedenfalls auf
Grund dieses unmittelbar vor dem Beginn der Hauptverhandlung am 14. März
2016 eingereichten Antrages durfte das Landgericht bei Durchführung der Be-
weisaufnahme ohne weitere freibeweisliche Erkundigungen von fortbestehen-
der Aussagebereitschaft der Nebenklägerin ausgehen.
Auch soweit sich das Rechtsmittel gegen die Verurteilung zur Zahlung
eines Schmerzensgeldes an die Adhäsionsklägerin wendet, hat es keinen Er-
folg.
2. Die Feststellung, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Adhäsions-
klägerin die entstandenen oder künftig entstehenden materiellen und immateri-
ellen Schäden zu erstatten, hält dagegen der rechtlichen Überprüfung nicht in
vollem Umfang stand.
Entfallen muss die Feststellung, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der
Adhäsionsklägerin die weiteren, bereits entstandenen materiellen und immate-
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riellen Schäden zu erstatten. Insofern hat die Adhäsionsklägerin weder geltend
gemacht noch ist aus ihrem Vortrag ansonsten ersichtlich, welche Schäden be-
reits entstanden sind und warum sie nicht in der Lage ist, diese Schäden schon
jetzt zu beziffern. Für die Feststellungsklage mangelt es daher insoweit am
Feststellungsinteresse (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. August 2015
– 2 StR
585/15, juris Rn. 6 f.; vom 3. Dezember 2013
– 4 StR 471/13, StV 2014, 269,
Rn. 4; BGH, Urteil vom 20. Mai 2008
– X ZR 6/06; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl.,
§ 256 Rn. 7a mwN), zumal eine Fallgestaltung derart, dass bereits ein Feststel-
lungsurteil
– etwa wegen Beteiligung einer Versicherung oder der öffentlichen
Hand auf Schuldnerseite
– zu endgültiger Streitbeilegung führen würde (vgl.
Zöller/Greger, aaO Rn. 8 mwN), im vorliegenden Fall weder dargetan noch
sonst ersichtlich ist.
3. Der Senat hat im Hinblick auf den nur geringen Erfolg der Revision
keinen Anlass, den Angeklagten teilweise von den Kosten und Auslagen des
Rechtsmittels zu entlasten (§ 473 Abs. 4, § 472a Abs. 2 StPO).
Sost-Scheible
Cierniak
Franke
Bender
Paul
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