Urteil des BGH vom 12.04.2016

Unterbringung, Amphetamin, Abhängigkeit, Leistungsfähigkeit

ECLI:DE:BGH:2016:120416B4STR17.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 17/16
vom
12. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 12. April 2016 gemäß § 44, § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung
der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts Paderborn vom 20. Oktober 2015 Wiederein-
setzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete
Urteil im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststel-
lungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Ang
eklagten wegen „unerlaubten Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführung eines
sonstigen Gegenstandes, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen ge-
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eignet und bestimmt ist, in Tateinheit mit unerlaubtem Anbau von Betäubungs-
mitteln und in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln“ zu
einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat die
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorweg-
vollzug von einem Jahr und drei Monaten der Freiheitsstrafe angeordnet sowie
einen Geldbetrag für verfallen erklärt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er
die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der
Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im
Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Dem Angeklagten war aus den Gründen der Antragsschrift des Gene-
ralbundesanwalts vom 16. Februar 2016 Wiedereinsetzung gegen die Versäu-
mung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren.
2. Das Urteil hat keinen Bestand, soweit die Unterbringung des Ange-
klagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
a) Die Annahme des Landgerichts, beim Angeklagten bestehe ein Hang,
Cannabis im Übermaß zu sich zu nehmen (UA Bl. 20), findet in den tatsäch-
lichen Feststellungen des Urteils keine Grundlage. Zum Umfang des Betäu-
bungsmittelkonsums des Angeklagten enthält das Urteil nur vage Angaben. In
den Urteilsgründen heißt es hierzu lediglich, dass der Angeklagte in Kellerräu-
men eine professionelle Indoor-Plantage für Cannabispflanzen errichtet hat,
„um eine geringe Menge des zu erzielenden Ertrages gelegentlich selbst zu
konsumieren und weitüberwiegend gewinnbringend zum Zwecke der Erzielung
einer langfristigen erheblichen Einnahmequelle zu verkaufen. Zu diesem Zweck
bezog er weiter aus unbekannter Quelle auch Amphetamin, XTC-Tabletten und
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MDMA. Jedenfalls von dem Amphetamin konsumierte er auch selbst“ (UA
Bl. 4). An anderer Stelle des Urteils hat das Landgericht gestützt auf die Aus-
führungen eines Sachverständigen eine schwere andere seelische Abartigkeit
im Sinne des § 20 StGB und damit eine verminderte Schuldfähigkeit ausge-
schlossen, weil der
– hinsichtlich seines Umfangs nicht näher beschriebene –
Konsum von Betäubungsmitteln nicht zu einer Einschränkung der sozialen und
beruflichen Leistungsfähigkeit geführt hat (UA Bl. 16). Auch dies stellt die An-
nahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB in Frage.
Darüber hinaus lässt sich den Urteilsgründen auch nicht entnehmen,
dass der Angeklagte aufgrund einer Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefähr-
lich erscheint. Die Kammer sieht diese Voraussetzungen deshalb als erfüllt an,
weil der Angeklagte in der Vergangenheit aufgrund seiner Cannabisabhängig-
keit verurteilt worden ist und weil er seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf
der von ihm angebauten und angeschafften Betäubungsmittel gesichert hat.
Feststellungen dazu, dass die Vorverurteilungen des Angeklagten
– u.a. eine
geringe Geldstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln
– auf
übermäßigen Cannabiskonsum zurückzuführen sind, fehlen jedoch. Die verfah-
rensgegenständlichen Taten hat der Angeklagte gerade nicht begangen, um
den eigenen Rauschgiftgenuss zu ermöglichen, sondern für seinen Lebens-
unterhalt. Dies lässt auch den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang
zwischen den Taten und einem möglichen Hang im Sinne von § 64 StGB frag-
lich erscheinen (vgl. Senatsbeschluss vom 3. März 2016
– 4 StR 586/15).
b) Auch in Zusammenschau mit den
– geringfügigen – Vorstrafen ist zu-
dem nicht ausreichend dargetan, dass vom Angeklagten aufgrund eines Han-
ges zum Cannabiskonsum erneute Straftaten nach dem Betäubungsmittel-
gesetz zu erwarten sind. Dass der Angeklagte in Zukunft entsprechende erheb-
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liche rechtswidrige Taten begehen wird, hat die Strafkammer dem Sachver-
ständigen folgend lediglich aufgrund einer statistischen Untersuchung ange-
nommen, wonach die Basisrate für Rückfälligkeit der Drogendelinquenz bei
über 50 % liege. Dies genügt den Anforderungen an die Gefahrenprognose
schon deshalb nicht, weil sich die Ausführungen des Sachverständigen in die-
ser allgemeinen Erwägung erschöpfen, ohne die Umstände des vorliegenden
Falls in den Blick zu nehmen (BGH, Beschlüsse vom 25. März 2009
5 StR 7/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Gefährlichkeit 2, Rn. 4; vom 30. März
2010
– 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204; vom 22. Juli 2010 –
3 StR 169/10, StV 2011, 271; vom 1. Oktober 2013
– 3 StR 311/13, NStZ-RR
2014, 42, jeweils mwN).
3. Mit der Aufhebung der Anordnung nach § 64 StGB entfällt auch die
Bestimmung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe.
4. Die Teilaufhebung lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat
kann ausschließen, dass das Landgericht ohne die Anordnung der Maßregel
eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt hätte.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke
Mutzbauer
Quentin
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