Urteil des BGH vom 14.06.2016

Sexuelle Handlung, Vergleich, Urlaub, Missbrauch

ECLI:DE:BGH:2016:140616B3STR72.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 72/16
vom
14. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 14. Juni
2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig be-
schlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Oldenburg vom 22. Oktober 2015 im Schuldspruch in
den Fällen B. 1. - 4., 6. und 8. - 14. der Urteilsgründe dahin
geändert, dass der Angeklagte jeweils tateinheitlich nicht we-
gen Herstellens, sondern wegen Sichverschaffens kinderpor-
nographischer Schriften verurteilt wird.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstande-
nen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs ei-
nes Kindes in acht Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in
vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schrif-
ten, sowie wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften in zwei
Fällen zu der Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.
Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat lediglich den aus
dem Tenor ersichtlichen (Teil-)Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
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1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fotografierte oder
filmte der Angeklagte in 12 Fällen die nackte Scheide und das nackte Gesäß
seiner im Tatzeitraum neun und zehn Jahre alten Nichte, wobei er in drei Fällen
ihren Schambereich bzw. ihre Pobacken mit den Fingern spreizte (B. 1., 2. und
4. der Urteilsgründe), sie in fünf Fällen entkleidete und anwies, mit gespreizten
Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zeigen oder kniend ihm ihr nack-
tes Gesäß entgegenzustrecken (B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe),
sowie je zweimal veranlasste, sein erigiertes Geschlechtsteil in die Hand und
dann in den Mund zu nehmen (B. 3. und 12. der Urteilsgründe), bzw. mit ihr
den Geschlechtsverkehr vollzog (B. 8. und 10. der Urteilsgründe). In zwei Fäl-
len (B. 5. und 7. der Urteilsgründe) leitete er die Fotografien per Email oder
SMS an einen Freund weiter.
2. Diese Feststellungen tragen in den Fällen B. 3., 8., 10. und 12. die
Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176a
Abs. 2 Nr. 1 StGB, in den Fällen B. 1., 2. und 4. wegen sexuellen Missbrauchs
eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB sowie in den Fällen B. 5. und 7. wegen
Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften an einen Dritten nach
§ 184b Abs. 2 StGB aF (nunmehr: § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB). Im Übrigen er-
weist sich die rechtliche Bewertung hingegen als rechtsfehlerhaft.
a) Soweit der Angeklagte in den Fällen B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Ur-
teilsgründe die Geschädigte entkleidete und bezüglich der Pose anwies, bevor
er ihren Schambereich bzw. ihr nacktes Gesäß fotografierte, ist der Schuld-
spruch wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zwar im Ergebnis zutref-
fend. Doch hat der Angeklagte insoweit nicht den Tatbestand des § 176 Abs. 1
StGB, sondern den des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB erfüllt.
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aa) Als Tatbestandsvariante des § 176 Abs. 1 StGB kommt hier allein
die Vornahme einer sexuellen Handlung an einem Kind in Betracht. Das vom
Landgericht festgestellte Entkleiden der Geschädigten, das in den genannten
Fällen die einzige Handlung darstellt, bei der ein Körperkontakt mit dem Kind
hergestellt wurde, erfüllt diese tatbestandlichen Voraussetzungen indes nicht.
Das Ausziehen eines Kindes stellt sich regelmäßig nicht als sexuelle
Handlung "an" dessen Körper dar, wenn nicht das Entblößen seinerseits mit
einer sexuellen Handlung am Körper verbunden ist. Denn das bloße Entfernen
der Kleidung stellt nicht den körperlichen Kontakt her, der für eine sexuelle
Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB erforderlich ist (vgl. BGH, Urteil vom
17. August 1988 - 2 StR 346/88, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung
2; Beschlüsse vom 19. April 1990 - 3 StR 87/90, NStZ 1990, 490; vom
17. Juli 1991 - 5 StR 279/91, NStE Nr. 8 zu § 178 StGB; Urteil vom 24. Novem-
ber 1993 - 3 StR 517/93, juris Rn. 17). Ob insoweit etwas anderes gilt, wenn
der Täter sich - wie vorliegend festgestellt - schon mit dem Ausziehen selbst
sexuell erregen will (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1984 - 2 StR 392/84),
kann hier dahinstehen. Denn nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen,
die auf Sinnenlust beruhen oder ihr dienen sollen, sind tatbestandsmäßig im
Sinne des § 176 Abs. 1 StGB. Auszuscheiden sind vielmehr kurze oder aus
anderen Gründen unbedeutende Berührungen (BGH, Beschluss vom 13. Juli
1983 - 3 StR 255/83, NStZ 1983, 553 mwN). Dass es vorliegend zu Körperkon-
takten gekommen ist, die über die beim Ausziehen üblichen hinausgehen, er-
geben die Feststellungen nicht. Solche Berührungen von geringer Intensität
erfüllen aber das Erheblichkeitsmerkmal des § 184g Nr. 1 StGB aF bzw. § 184h
Nr. 1 StGB nF nicht.
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bb) Der Angeklagte hat sich aber in diesen Fällen gleichwohl des sexuel-
len Missbrauchs eines Kindes schuldig gemacht. Denn die Anweisungen an die
Geschädigte, mit gespreizten Beinen auf dem Bett liegend ihre Scheide zu zei-
gen oder kniend ihm ihr nacktes Gesäß entgegenzustrecken, erfüllt den Tatbe-
stand des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB, weil der Angeklagte damit das Kind zur
Vornahme einer sexuellen Handlung bestimmt hat. Beide Posen, zu deren Vor-
nahme er das Kind aufgefordert hat, enthalten eine - nicht unerhebliche (§ 184g
Nr. 1 StGB aF) - sexuelle Handlung, durch die der Betrachter sexuell provoziert
werden soll (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt
43, 366, 368). Damit hat der Angeklagte sich nach dieser Vorschrift wegen se-
xuellen Missbrauchs eines Kindes strafbar gemacht, so dass es insoweit einer
Schuldspruchänderung nicht bedarf.
b) Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Herstellens kinder-
pornographischer Schriften in den Fällen B. 1. - 4., 6., 8. - 14. der Urteilsgründe
erweist sich als rechtsfehlerhaft. Insoweit hat sich der Angeklagte lediglich des
Sichverschaffens solcher Schriften nach § 184b Abs. 4 StGB aF schuldig ge-
macht.
Mit den Aufnahmen der Missbrauchshandlungen hat der Angeklagte
zwar tatsächlich kinderpornographische Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) herge-
stellt. Doch war die Herstellung solcher Schriften nach der zum Tatzeitpunkt
geltenden Fassung des § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB (Fassung vom 31. Oktober
2008, BGBl. I, 2149) nur dann strafbar, wenn diese im Sinne von Nr. 1 und
Nr. 2 der Vorschrift - Verbreitung oder öffentliches Zugänglichmachen - Ver-
wendung finden sollten. Eine solche Verwendungsabsicht des Angeklagten ist
den Feststellungen nicht zu entnehmen. Die frühere Gesetzesfassung stellt
sich daher als die für den Angeklagten günstigere dar (§ 2 Abs. 3 StGB). Das
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Verhalten des Angeklagten erfüllt indes die Voraussetzungen des § 184b
Abs. 4 StGB aF, weil er sich Lichtbilder und Filme, die einen sexuellen Miss-
brauch von Kindern nach § 176 StGB zum Gegenstand haben und die auch ein
tatsächliches Geschehen wiedergeben, durch Anfertigen verschafft hat (BGH,
Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366, 368).
Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den
Schuldspruch deshalb dahin, dass der Angeklagte in den genannten Fällen des
(schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Sichverschaf-
fen kinderpornographischer Schriften schuldig ist. § 265 Abs. 1 StPO steht ei-
ner Schuldspruchänderung nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders
als geschehen hätte verteidigen können.
3. Einer Aufhebung der festgesetzten Jugendstrafe bedarf es nicht. Zwar
sieht der in den Fällen B. 6., 9., 11., 13. und 14. der Urteilsgründe zur Anwen-
dung kommende § 176 Abs. 4 StGB im Vergleich zu § 176 Abs. 1 StGB einen
milderen Strafrahmen vor. Auch ist der teilweise tateinheitlich verwirklichte
§ 184b Abs. 4 StGB aF mit einer milderen Strafe als Taten nach § 184b Abs. 1
StGB aF bedroht. Es ist jedoch auszuschließen, dass die Jugendkammer, die
die Schwere der Schuld zutreffend festgestellt und die Dauer der Jugendstrafe
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mit fehlerfreien Erwägungen bemessen hat, bei Zugrundelegung der vom Senat
vorgenommenen geringfügigen Änderungen in der rechtlichen Bewertung eine
niedrigere Strafe verhängt hätte.
RiBGH Mayer befindet sich
im Urlaub und ist daher ge-
hindert zu unterschreiben.
Becker Becker Gericke
Spaniol Tiemann