Urteil des BGH vom 21.05.2015

Ratio Legis, Angriff, Ruanda, Gemeinde

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 5 7 5 / 1 4
vom
21. Mai 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Völkermord
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
30. April 2015 in der Sitzung vom 21. Mai 2015, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin - nur in der Verhandlung -
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt - nur in der Verhandlung -
als Nebenklägervertreter,
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Justizobersekretärin - in der Verhandlung - ,
Justizamtsinspektor - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen des Generalbundesanwalts und der Ne-
benkläger wird das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt
am Main vom 18. Februar 2014 aufgehoben; jedoch bleiben
die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrecht-
erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmit-
tel, an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zu-
rückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Ur-
teil wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendi-
gen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
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Gründe:
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Völ-
kermord zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt und festgestellt, dass
von dieser sechs Monate als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil richten sich
die Revisionen des Generalbundesanwalts und von vier Nebenklägern, die sich
mit der Sachrüge dagegen wenden, dass der Angeklagte nur als Gehilfe, nicht
aber als (Mit-)Täter des Völkermordes verurteilt worden ist, sowie die auf ver-
fahrensrechtliche Beanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen
Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die Rechtsmittel des Generalbun-
desanwalts und der Nebenkläger haben in dem aus der Entscheidungsformel
ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie ebenso wie die Revision des
Angeklagten unbegründet.
I. Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen wurde
die in dem zentralafrikanischen Land Ruanda lebende Bevölkerung seit frühes-
ter Zeit in die durch ihr Volkstum bestimmten Gruppen der Hutu, der Tutsi und
der Twa eingeteilt, wobei die Hutu mit knapp 90% den weitaus größten Bevöl-
kerungsanteil stellten. Gleichwohl bildeten die Tutsi bis zum Beginn der 1960er
Jahre die herrschende Gesellschaftsschicht. Sodann übernahm die Gruppe der
Hutu die Macht. Wie bereits zuvor ereigneten sich auch in der Folgezeit vielfach
ethnisch motivierte Gewalttaten, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen.
Viele Tutsi flohen in die benachbarten Länder. Der 58 Jahre alte, nicht vorbe-
strafte Angeklagte, welcher der Volksgruppe der Hutu angehört, war seit 1988
Bürgermeister der ca. 65.000 Einwohner zählenden, im Norden Ruandas gele-
genen Gemeinde Muvumba. Nachdem am 1. Oktober 1990 die Front Patrio-
tique Rwandais (im Folgenden: FPR), der mehrheitlich Tutsi angehörten, von
Uganda aus Ruanda angegriffen hatte, flohen die Bürger Muvumbas in Rich-
tung Süden. 1993 erreichten sie die Gemeinde Murambi, wo sie unter der Ver-
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waltung des Angeklagten in drei Flüchtlingslagern lebten. In dieser Zeit wurde
in Ruanda eine staatlich gelenkte Propaganda betrieben, der zufolge die Ange-
hörigen der durch ihr Volkstum bestimmten Gruppe der Tutsi "Komplizen" der
FPR und deshalb Staatsfeinde waren, die sowohl körperlich als auch als sozia-
le Gruppe vernichtet werden müssen. Es hatten sich u.a. extremistische sog.
Interahamwe-Milizen gebildet, die Tutsi angriffen und verfolgten.
Am Abend des 6. April 1994 wurde das Flugzeug des ruandischen
Staatspräsidenten Habyarimana beim Landeanflug auf den Flughafen von Ki-
gali, der Hauptstadt Ruandas, abgeschossen. Dabei fanden Habyarimana so-
wie der Präsident Burundis und mehrere hohe Offiziere den Tod. Dieses Ereig-
nis war der Anlass für den Beginn eines Genozids, bei dem Angehörige der
Hutu in der Zeit vom 6. April 1994 bis zum 18. Juli 1994 zwischen 500.000 und
1.000.000 Menschen töteten, die zum allergrößten Teil der Gruppe der Tutsi
angehörten. Ein kleiner Teil der Getöteten waren gemäßigte Hutu, die in Oppo-
sition zur Regierung standen oder sich dem Töten widersetzten. Der Angeklag-
te nahm gegenüber den Tutsi eine ambivalente Haltung ein: Einerseits war ihm
die Verfolgung und Vernichtung dieser Gruppe kein besonderes Anliegen; er
war auch am Wohlergehen derjenigen Bürger Muvumbas interessiert, die Tutsi
waren. Andererseits hielt er auch Reden, in denen er die offizielle gegen die
Tutsi gerichtete Propaganda verkündete, welche er auch in die Tat umzusetzen
bereit war, wenn es ihm aufgrund der jeweiligen Situation opportun erschien,
um seiner Stellung als Funktionsträger des Regimes zu genügen und diese zu
erhalten.
Im Zuge des Genozids an den Tutsi fand u.a. das sog. Kirchenmassaker
von Kiziguro statt. Mindestens 450 Menschen, von denen die allermeisten den
Tutsi angehörten, hatten vor den Gewalttaten auf dem Gelände der Kirche des
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in der Gemeinde Murambi gelegenen Ortes Kiziguro Schutz gesucht. Am
11. April 1994 griffen Soldaten, Gendarmen, Gemeindepolizisten, Angehörige
der Interahamwe-Milizen sowie Bürger Murambis und Muvumbas diese Perso-
nen mit dem Ziel an, sie zu töten. Der Angriff wurde, wie am Vortage bei einer
Zusammenkunft im Beisein des Angeklagten besprochen, vom ehemaligen
Bürgermeister der Gemeinde Murambi, Jean-Baptiste Gatete, und anderen Au-
toritätspersonen befehligt, zu denen auch der Angeklagte gehörte. Die Angrei-
fer töteten mindestens etwa 400 der auf dem Kirchengelände befindlichen
Menschen überwiegend mit Macheten, Lanzen, Knüppeln, Äxten, Beilen und
Hacken zumeist auf sehr qualvolle und grausame Weise. Viele der Getöteten
und einige noch Lebende warfen die Angreifer in eine 350 Meter entfernte tiefe
Grube; außerdem vergewaltigten sie Tutsi-Frauen und -Mädchen. Höchstens
60 Personen überlebten das Massaker, teilweise deshalb, weil sie in die Grube
sprangen und von dort nach etwa einer Woche befreit wurden.
Der Angeklagte wusste um die näheren Tatumstände und die Motivation
Gatetes und der übrigen Angreifer, welche mit dem Ziel handelten, jedenfalls
die in Ruanda lebenden Tutsi auszurotten. Nach dem Tatgeschehen floh er mit
vielen Angehörigen seiner Gemeinde und erreichte im April 1994 Tansania.
Nach weiterer Flucht lebt er seit dem Jahre 2002 mit seiner Familie in Deutsch-
land.
Nach der Wertung des Oberlandesgerichts ist der Angeklagte der Beihil-
fe zum Völkermord gemäß den nach § 2 Abs. 1 StGB anwendbaren § 220a
Abs. 1 Nr. 1 aF, § 27 StGB schuldig. Zur Begründung hat es, soweit in diesem
Revisionsverfahren von Bedeutung, ausgeführt, der objektive Tatbestand sei
erfüllt, weil der Angeklagte sowohl Gatete als auch den übrigen Angreifern Hilfe
geleistet habe. Gatete habe die Voraussetzungen des § 220a Abs. 1 Nr. 1
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StGB aF als mittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB) verwirklicht.
Aufgrund der bestehenden Hierarchie habe er als "starker Mann" Tatherrschaft
gehabt und sei mit Blick auf den ihm zur Verfügung stehenden Machtapparat
trotz der voll deliktisch handelnden unmittelbaren Täter als "Täter hinter dem
Täter" anzusehen. Der subjektive Tatbestand liege bei ihm vor. Die einzelnen
Angreifer hätten als unmittelbare Täter gehandelt. Der Angeklagte habe durch
sein Handeln diese Haupttaten gefördert; sein Vorsatz habe die Haupttaten und
seine fördernden Handlungen umfasst.
Die Voraussetzungen einer Verurteilung wegen mittäterschaftlich began-
genen Völkermordes lägen demgegenüber nicht vor. Der Angeklagte habe we-
der durch seine einzelnen Handlungen noch durch deren Gesamtheit Tatherr-
schaft gehabt. Dies ergebe sich sowohl bei funktionaler Betrachtung als auch
bei einer wertenden Gesamtschau aller Umstände. Der Senat habe nicht fest-
gestellt, dass die Handlungen des Angeklagten aus dessen Sicht derart we-
sentlich für das Massaker gewesen seien, dass dessen Durchführung aus sei-
ner Sicht maßgeblich von seiner Mitwirkung abgehangen habe. Weiter sei nicht
festgestellt, dass der Angeklagte selbst in der Absicht gehandelt habe, die
Gruppe der Tutsi ganz oder teilweise zu zerstören.
II. Revision des Generalbundesanwalts
Das Rechtsmittel des Generalbundesanwalts hat im Ergebnis weitge-
hend Erfolg. Die getroffenen Feststellungen belegen - selbst wenn man dem
Tatgericht bei der Abgrenzung von (Mit-)Täterschaft und Beihilfe einen Beurtei-
lungsspielraum einräumen will - entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts
die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands eines mittäterschaftlich vom
Angeklagten begangenen Völkermordes (§ 25 Abs. 2, § 220a Abs. 1 Nr. 1
StGB aF). Soweit das Oberlandesgericht die im Rahmen des subjektiven Tat-
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bestandes erforderliche Völkermordabsicht des Angeklagten nicht festgestellt
hat, hält die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung revisionsrechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
1. Täter des Völkermordes kann jedermann sein; in Betracht kommen
insbesondere nicht lediglich staatliche oder militärische Führungspersonen
(MüKoStGB/Kreß, 2. Aufl., § 6 VStGB Rn. 7, 30 mwN). Nach ständiger Recht-
sprechung, von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlass gibt, ist die
Frage, ob ein Beteiligter eine Tat als (Mit-)Täter oder Gehilfe begeht, nach fol-
genden Kriterien zu beurteilen: Mittäterschaft ist gegeben, wenn ein Tatbeteilig-
ter mit seinem Beitrag nicht bloß fremdes tatbestandsverwirklichendes Tun för-
dern will, sondern dieser Beitrag im Sinne arbeitsteiligen Vorgehens Teil einer
gemeinschaftlichen Tätigkeit sein soll. Dabei muss der Beteiligte seinen Beitrag
als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung
seines eigenen Tatanteils wollen. Der gemeinschaftliche Tatentschluss kann
durch ausdrückliche oder auch durch konkludente Handlungen gefasst werden.
Ob ein Beteiligter ein derart enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesam-
ten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrach-
tung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Beurteilung können
der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteili-
gung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille hierzu sein, so dass
Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betref-
fenden abhängen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. März 1994 - 3 StR
664/93, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 16). Die Annahme von Mittäterschaft
erfordert allerdings nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen; es
kann sogar ein Beitrag im Vorbereitungsstadium des unmittelbar tatbestandli-
chen Handelns (BGH, Beschluss vom 19. August 2014 - 3 StR 326/14, juris
Rn. 7; Urteil vom 8. Januar 1992 - 3 StR 391/91, BGHR StGB § 25 Abs. 2
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Mittäter 12) und ein solcher im Stadium zwischen Vollendung und Beendigung
der Tat (BGH, Beschluss vom 14. Juni 1989 - 3 StR 156/89, BGHR StGB § 25
Abs. 2 Mittäter 5) genügen.
Vor diesem Hintergrund ist das Oberlandesgericht bereits von einem zu
engen Verständnis der (Mit-)Täterschaft ausgegangen, wenn es darauf abge-
stellt hat, es habe nicht feststellen können, dass die Handlungen des Angeklag-
ten aus seiner Sicht derart wesentlich für das Massaker waren, dass dessen
Durchführung maßgeblich von seiner Mitwirkung abhing. Zudem sind seine Er-
wägungen unvollständig, mit denen es eine mittäterschaftliche Beteiligung des
Angeklagten an der Tat verneint hat; denn sie beziehen nicht alle festgestellten
Umstände des Falles in die gebotene tatrichterliche wertende Betrachtung des
Gesamtgeschehens ein. Von Bedeutung ist dabei etwa, dass der Angeklagte,
der aufgrund seiner Stellung und Funktion eine herausgehobene Autoritäts-
und Respektsperson war, bereits in die Vorbereitungen des Massakers einge-
bunden war. So ist im Einzelnen festgestellt, dass er sich ebenso wie Gatete
und andere "Verwalter" am 10. April 1994 zu dem Kirchengelände begab und
Gespräche mit den Priestern führte, in denen diesen zu verstehen gegeben
wurde, dass auch sie bei dem bevorstehenden Angriff getötet werden würden,
wenn sie das Kirchengelände nicht verließen. Am Nachmittag desselben Tages
nahm er an einer Zusammenkunft der "Verwalter" teil, bei der der Angriff be-
sprochen und beschlossen wurde, zur Verstärkung Soldaten aus Gabiro her-
beizuholen. Auch zu dem unmittelbaren Tatgeschehen leistete der Angeklagte
wesentliche Beiträge. Am Vormittag des 11. April begab er sich mit Gatete und
anderen Autoritätspersonen zu dem Kirchengelände, um den Angriff zu befeh-
ligen und zu koordinieren. Er stand neben Gatete, als dieser befahl, mit dem
Angriff zu beginnen, und verlieh auf diese Weise der Aufforderung zusätzliches
Gewicht. Auch forderte er die Angreifer persönlich mit Worten wie "Helft!",
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"Helft mal!", "Arbeitet!" und "Fangt mit Eurer Arbeit an!" dazu auf, die versam-
melten Tutsi zu töten, was die Angreifer weiter bestärkte. Nachdem er sich so-
dann für eine Weile entfernt hatte, fuhr er erneut mit Gatete vor und ließ sich
über den Stand der andauernden Tötungen berichten. Als er erfuhr, dass es
den bislang anwesenden Angreifern nicht gelingen werde, alle Tutsi zu töten,
bevor das Eintreffen der herannahenden RPR-Truppen zu erwarten war, sagte
er zu, Unterstützung zu bringen, und forderte die Anwesenden auf, das Mög-
lichste zu tun, um die anwesenden Tutsi umzubringen. Sodann fuhr er zu den
umliegenden Lagern und befahl einigen der sich dort aufhaltenden Flücht-
lingen, sich mit ihm zum Kirchengelände zu begeben und die dort befindlichen
Tutsi zu töten. Er transportierte die Betreffenden mit seinem Fahrzeug zum Kir-
chengelände und setzte sie dort ab. Anschließend ging er in den Innenhof des
Kirchengeländes, in dem zahlreiche Leichen lagen und das Blut knöchelhoch
stand, und forderte die dort tötenden Angreifer auf, sich mit dem weiteren Töten
zu beeilen. Im weiteren Verlauf des Massakers erschien er bei denjenigen An-
greifern, die das Gelände umstellten, und wies diese an aufzupassen, dass
niemand entkomme. Am Nachmittag des 11. April 1994 begab er sich mit Gate-
te zu einem in der Nähe gelegenen Krankenhaus und befahl, die dort anwe-
senden Tutsi herauszuholen; diese wurden sodann in Richtung des Kirchenge-
ländes getrieben.
Mit diesen zahlreichen und gewichtigen Tätigkeiten förderte der Ange-
klagte nicht lediglich fremdes Tun, sondern fügte mehrere eigene, vom Willen
zur Tatherrschaft getragene, objektiv für die Tat wesentliche Tatbeiträge derart
in eine gemeinschaftliche Tat ein, dass diese als Teil der Tätigkeit der anderen
und umgekehrt deren Tun als Ergänzung seiner eigenen Tatbeiträge anzuse-
hen sind. Da der Angeklagte sich an dem unmittelbaren Tatgeschehen beteilig-
te, bedarf es hier entgegen der in der Revisionsbegründung vertretenen Auf-
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fassung des Generalbundesanwalts nicht des Rückgriffs auf die für andere
Fallkonstellationen in der Rechtsprechung entwickelte Rechtsfigur der "Tatherr-
schaft kraft Organisationsherrschaft" (BGH, Urteil vom 26. Juli 1994 - 5 StR
98/94, BGHSt 40, 218 ff.), die zur mittelbaren Täterschaft gemäß § 25 Abs. 1
Alternative 2 StGB führt; das Verhalten des Angeklagten erfüllt vielmehr die
objektiven Voraussetzungen einer unmittelbaren Mittäterschaft nach § 25
Abs. 2 StGB, auch wenn nicht festgestellt ist, dass er eigenhändig Tötungs-
handlungen vornahm.
2. Mit Blick auf die insoweit auch in ihrem Zusammenhang eindeutigen
Urteilsgründe kann dem Vorbringen in der Revisionsbegründung des General-
bundesanwalts nicht gefolgt werden, die Urteilsgründe würden die nach § 220a
Abs. 1 StGB aF erforderliche Völkermordabsicht, das heißt das zielgerichtete
Wollen der teilweisen oder vollständigen Zerstörung einer von der Vorschrift
geschützten Gruppe (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2001 - 3 StR 244/00,
NJW 2001, 2732, 2733) zumindest in deren sozialer Existenz (BGH, Urteil vom
30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 80; vgl. im Einzelnen
MüKoStGB/Kreß, 2. Aufl., § 6 VStGB Rn. 71 ff.), positiv belegen. Die Umstel-
lung des Schuldspruchs auf täterschaftlich begangenen Völkermord und die
Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe durch den Senat kommen des-
halb nicht in Betracht. Allerdings weist die der Feststellung, der Angeklagte ha-
be nicht in Völkermordabsicht gehandelt, zugrunde liegende Beweiswürdigung
auch mit Blick auf den insoweit im Revisionsverfahren geltenden eingeschränk-
ten Prüfungsmaßstab durchgreifende Rechtsfehler auf.
a) Spricht das Tatgericht einen Angeklagten aus tatsächlichen Gründen
frei, oder verurteilt ihn - wie hier - lediglich als Gehilfen der Tat, weil es sich vom
Vorliegen eines für dessen Aburteilung als (Mit-)Täter erforderlichen subjekti-
ven Tatbestandsmerkmals nicht zu überzeugen vermag, so ist dies im Revisi-
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onsverfahren zwar grundsätzlich hinzunehmen. Ein durchgreifender Rechtsfeh-
ler kann aber darin liegen, dass die zugrunde liegende Beweiswürdigung lü-
ckenhaft ist oder das Tatgericht überspannte Anforderungen an die für die
Feststellung des Tatbestandsmerkmals erforderliche Sicherheit stellt. Daneben
ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten
des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen keine kon-
kreten Anhaltspunkte vorhanden sind. Dementsprechend kann ein Rechtsfehler
auch deshalb anzunehmen sein, weil das Tatgericht nach den Feststellungen
nahe liegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe
anzuführen, die dieses Ergebnis stützen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom
23. Februar 2012 - 4 StR 602/11, juris Rn. 10; Urteil vom 11. Dezember 2014
- 3 StR 265/14, juris Rn. 67).
b) Hieran gemessen bestehen im vorliegenden Fall durchgreifende
rechtliche Bedenken gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung. Das Oberlan-
desgericht hat insoweit zur Begründung lediglich ausgeführt, die Verfolgung
und Vernichtung der Tutsi seien dem Angeklagten kein besonderes eigenes
Anliegen gewesen; er habe diesen gegenüber eine ambivalente Haltung einge-
nommen. Deshalb könne aus der festgestellten Beteiligung an dem Massaker
nicht mit ausreichender Sicherheit auf seine Absicht im Sinne des § 220a
Abs. 1 StGB aF geschlossen werden. Diese im Gegensatz zu den sonstigen
Ausführungen zur Beweiswürdigung eher rudimentären, auf einer halben Seite
der schriftlichen Urteilsgründe abgehandelten Erwägungen greifen in mehrfa-
cher Hinsicht zu kurz:
Das Oberlandesgericht hat im Zusammenhang mit dem ambivalenten
Verhalten des Angeklagten gegenüber den Tutsi auch festgestellt, der Ange-
klagte habe Reden gehalten, in denen er die offizielle gegen die Volksgruppe
der Tutsi gerichtete Propaganda verkündete, welche er auch in die Tat umzu-
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setzen bereit gewesen sei, wenn es ihm aufgrund der jeweiligen Situation op-
portun erschienen sei, um seiner Stellung als Funktionsträger des Regimes zu
genügen und diese zu erhalten (UA S. 38). Diese ausdrückliche Feststellung
hätte Anlass gegeben zu erwägen, ob die Zerstörung zumindest eines Teils der
Volksgruppe der Tutsi sich für den Angeklagten als notwendiges Mittel für einen
dahinter liegenden weiteren Zweck - die Erhaltung seiner Stellung im staatli-
chen System Ruandas - darstellte. Denn es genügt, wenn die ganze oder teil-
weise Zerstörung der Gruppe das Zwischenziel des Täters bildet (Werle, Völ-
kerstrafrecht, 3. Aufl., Rn. 814); sie muss ebenso wie bei den sonstigen Delik-
ten mit einer durch eine besondere Absicht geprägten überschießenden Innen-
tendenz nicht Triebfeder bzw. Endziel, Beweggrund oder Motiv des Täters sein
(st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Dezember 2014 - 3 StR 265/14, juris
Rn. 66 mwN zu § 263 StGB).
Das Tatgericht hat auch nicht in den Blick genommen, dass die ambiva-
lente Haltung des Angeklagten nach den Feststellungen vor allem für diejeni-
gen Tutsi galt, für die er als Bürgermeister Verantwortung trug. Damit hat es
ebenfalls den naheliegenden Erklärungsansatz ausgeblendet, dass es dem
Angeklagten vor allem daran gelegen war, in dem Bereich - insbesondere den
Flüchtlingslagern -, für den er die administrative Verantwortung trug, keine Un-
ruhen aufkommen zu lassen.
Soweit sich die Ausführungen zur Beweiswürdigung bezüglich der Völ-
kermordabsicht im Übrigen in der pauschalen Aussage erschöpfen, auf diese
könne auch aus der festgestellten Beteiligung an der Tat nicht geschlossen
werden, ist zu besorgen, dass das Oberlandesgericht zum einen von einem zu
niedrigen Gewicht der objektiven Tathandlungen ausgegangen ist und zum an-
deren nicht beachtet hat, dass das Massaker Teil eines staatlich geförderten
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genozidalen Gesamtgeschehens war (vgl. zur diesbezüglichen Indizwirkung für
die Völkermordabsicht der Beteiligten Werle, Völkerstrafrecht, 3. Aufl., Rn. 825
mwN). Jedenfalls wären die mehreren, sich über einen längeren Zeitraum hin-
ziehenden und sich in das Gesamtgeschehen nahtlos einfügenden objektiven
Tathandlungen des Angeklagten, die für sich genommen nicht nahelegen, der
Angeklagte habe als einziger aller gemeinschaftlich handelnden Tatbeteiligten
nicht mit Völkermordabsicht gehandelt, im Einzelnen auf ihre Indizwirkung für
deren Vorliegen zu würdigen gewesen. Dies hat das Oberlandesgericht ver-
säumt.
III. Revisionen der Nebenkläger
Da der Senat durch gesonderten Beschluss mit in der Hauptverhandlung
ausdrücklich erklärter Zustimmung des Generalbundesanwalts und aller Ne-
benkläger die Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 in
Verbindung mit § 154 Abs. 1 Nr. 2 StPO auf den Vorwurf des Völkermordes
anlässlich des "Massakers von Kiziguro" beschränkt hat, bedarf es keiner Erör-
terung, ob die Revisionen der Nebenkläger Erfolg haben könnten, weil das
Oberlandesgericht seine Kognitionspflicht verletzt hat, indem es im erstinstanz-
lichen Verfahren die angeklagten konkreten Tötungsdelikte ohne Zustimmung
der Nebenkläger und damit nicht in wirksamer Weise von der Strafverfolgung
ausgenommen hat.
Die Revisionen aller vier Nebenkläger haben mit der Sachrüge aus den-
selben Gründen und in demselben Umfang Erfolg wie diejenige des General-
bundesanwalts. Insbesondere kommt auch auf die Revision der Nebenkläger
die von diesen begehrte Änderung des Schuldspruchs durch den Senat nicht in
Betracht.
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IV. Revision des Angeklagten
1. Die erhobenen Verfahrensrügen greifen aus den vom Generalbun-
desanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführten Gründen nicht durch. Der Se-
nat bemerkt insoweit zusammenfassend bzw. ergänzend:
a) Soweit die Revision eine Verletzung der §§ 261, 52 StPO geltend
macht und beanstandet, das Oberlandesgericht habe bei der Würdigung der
Aussage der Ehefrau des Angeklagten rechtsfehlerhaft berücksichtigt, dass die
Zeugin zunächst von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und
sich erst gegen Ende der Hauptverhandlung zu einer Aussage entschlossen
habe, zeigt sie zwar einen Rechtsfehler auf (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1987
- 4 StR 46/87, BGHSt 34, 324, 327; Beschluss vom 27. Januar 2009 - 3 StR
1/09, juris Rn. 2 ff.; Beschluss vom 13. August 2009 - 3 StR 168/09, NStZ
2010, 101, 102). Auf diesem beruht die angefochtene Entscheidung jedoch
nicht (§ 337 StPO). Die Zeugin hat insoweit im Wesentlichen lediglich bekun-
det, am 9. April 1994 - und damit zwei Tage vor dem Massaker - mit dem An-
geklagten telefoniert zu haben. Dabei habe dieser angegeben, sich in Kayonza
- das etwa 20 km von Kiziguro entfernt liegt - zu befinden. Das Oberlandesge-
richt hat seine Überzeugung davon, dass der Angeklagte am Tattag in Kiziguro
am Tatort war, sorgfältig dargelegt und begründet. Es ist mit Blick auf die zahl-
reichen Zeugen, die ausgesagt haben, den Angeklagten am Tatort gesehen zu
haben, und deren Bekundungen nach der Wertung des Oberlandesgerichts
durch die Aussage der Ehefrau des Angeklagten nicht in Frage gestellt werden,
ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht zu einem anderen Ergebnis der
Beweisaufnahme gekommen wäre, hätte es die rechtsfehlerhafte Erwägung
nicht angestellt.
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b) Die Rüge, die Zeugin U. sei vereidigt worden, obwohl sie in dem
Verfahren gegen Gatete vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda
(im Folgenden: IStGHR) falsch ausgesagt und deshalb ein Vereidigungsverbot
nach § 60 Nr. 2 StPO bestanden habe, dringt nicht durch. Dabei kann dahin
stehen, ob anzunehmen ist, ein Verstoß scheide bereits deshalb aus, weil die
Vorschrift voraussetzt, dass der Zeuge sich nach deutschen Strafrechtsnormen
strafbar gemacht hat. Hält man die Norm auch dann für anwendbar, wenn der
Zeuge zuvor gegen eine internationale Strafvorschrift verstoßen hat, so kommt
ein Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 2 StPO jedenfalls nur in solchen Fällen in
Betracht, in denen die internationale Strafvorschrift inhaltlich einer der in § 60
Nr. 2 StPO genannten Straftaten entspricht, hier also dem § 258 StGB ähnlich
ist und die (versuchte) Strafvereitelung unter Strafe stellt. Denn § 60 Nr. 2 StPO
führt nicht alle in diesem Zusammenhang denkbaren Straftaten, sondern aus-
drücklich nur solche auf, die mit der abzuurteilenden Tat in einem inneren Zu-
sammenhang stehen. Dies entspricht der ratio legis, die nicht in erster Linie
dahin geht, den Zeugen vor einem Meineid zu bewahren, sondern in den Blick
nimmt, dass der Tatverdächtige seine Stellung als der eines Beschuldigten
ähnlich empfindet und der Eid erfahrungsgemäß in einem solchen Fall zur Er-
höhung des Beweiswertes nicht geeignet ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO,
58. Aufl., § 60 Rn. 8 mwN). Die von der Revision angeführte Rule 91 (H) der
Rules of Procedure and Evidence des IStGHR, bei der es sich um selbstge-
setztes Recht des Strafgerichtshofs handelt, statuiert indes allenfalls ein Aus-
sagedelikt. Aussagedelikte sind in dem Katalog des § 60 Nr. 2 StPO aus den
genannten Gründen aber gerade nicht enthalten. Keiner näheren Betrachtung
bedarf deshalb auch, ob das Verhalten der Zeugin vor dem IStGHR überhaupt
nach dessen Rule 91 strafbar ist.
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c) Die Beanstandung, § 244 Abs. 3 und 6 StPO seien verletzt, weil das
Oberlandesgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sei, aufgrund von Zeu-
genschutzmaßnahmen und Sperrerklärungen des IStGHR bestimmte Aus-
landszeugen nicht vernehmen zu dürfen, so dass diese unerreichbar im Sinne
von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO seien, dringt nicht durch. Dabei ist nicht von Be-
lang, ob das Oberlandesgericht an die diesbezüglichen Entscheidungen des
IStGHR gebunden war oder über die Vernehmung der Zeugen ohne entspre-
chende Bindungswirkung nach Maßgabe allein des deutschen Rechts zu befin-
den hatte. Denn das Oberlandesgericht hat die Ablehnung des Antrags auf
Vernehmung der benannten Auslandszeugen mit näherer rechtsfehlerfreier
Begründung auch auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützt, was die Revision
nicht angreift.
d) Die Rüge, es liege ein Verstoß gegen § 55 Abs. 1, § 244 Abs. 2 StPO
vor, weil das Oberlandesgericht rechtsfehlerhaft von einer Vernehmung des
Zeugen Gatete abgesehen habe, nachdem dieser sich auf ein umfassendes
Auskunftsverweigerungsrecht berufen hatte, hat keinen Erfolg. Sie ist bereits
nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Beanstan-
dung der Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht muss unter anderem
eine bestimmte Beweisbehauptung enthalten (KK-Gericke, 7. Aufl., § 344
Rn. 51; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 367, jeweils mwN); hieran fehlt
es. Die Revision bringt in diesem Zusammenhang lediglich vor, der Zeuge hätte
bestätigt, dass der Angeklagte nicht an der Tat in Kiziguro mitwirkte. Dieses auf
ein Negativgeschehen bezogene, weit gefasste, pauschale und somit durch
Wertungen ausfüllungsbedürftige Vorbringen erfüllt die Anforderungen an eine
ausreichend bestimmte Beweisbehauptung nicht; es ist vielmehr lediglich auf
die Ermittlung eines Beweisziels, das heißt die Folgerung, die das Gericht zie-
hen soll (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 96), gerichtet. Die Beanstan-
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dung ist auch unbegründet, denn dem Zeugen stand aus den vom Oberlandes-
gericht und dem Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführten Gründen ein
Auskunftsverweigerungsrecht zu. Aufgrund der Angaben seines Rechtsbei-
standes durfte das Oberlandesgericht auch davon ausgehen, dass der Zeuge
von diesem Recht Gebrauch machen würde; weitere Maßnahmen waren inso-
weit nicht veranlasst.
2. Die auf die Sachrüge veranlasste materiellrechtliche Überprüfung des
Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbe-
sondere ist die Beweiswürdigung, soweit sie das objektive Tatgeschehen be-
trifft, sorgfältig und frei von Rechtsfehlern. Das Oberlandesgericht hat sich u.a.
mit den Besonderheiten des vorliegenden Falles, die sich etwa daraus ergeben,
dass die Zeugen überwiegend aus einem fremden Kulturkreis stammen, ausei-
nandergesetzt und die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen nicht nur
auf die Aussagen von "Opferzeugen", sondern auch auf die Bekundungen von
Personen gestützt, die auf der Seite der Täter an den Straftaten zum Nachteil
der Tutsi beteiligt waren.
V. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind als solche
rechtsfehlerfrei getroffen worden; sie werden von den aufgezeigten Rechtsfeh-
lern nicht erfasst und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
Demgegenüber bedarf die Sache bezüglich des subjektiven Tatbestandes neu-
er Verhandlung und Entscheidung. Dies gilt auch für den als solchen rechts-
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fehlerfrei festgestellten Vorsatz des Angeklagten; dieser ist mit der Völkermord-
absicht so eng verknüpft, dass der Senat auch die diesbezüglichen Feststellun-
gen aufhebt, um dem neuen Tatgericht zu ermöglichen, insgesamt einheitliche
Feststellungen zum subjektiven Tatbestand zu treffen.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol