Urteil des BGH vom 05.04.2016

Unterbringung, Rauschgift, Streckmittel, Täterschaft

ECLI:DE:BGH:2016:050416B3STR554.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 554/15
vom
5. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 5. April
2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Bad Kreuznach vom 29. Juli 2015 mit den jeweils zuge-
hörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 1. der Urteilsgründe verur-
teilt worden ist;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;
c) soweit die Anordnung der Unterbringung in einer Ent-
ziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäu-
bungsmitteln in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln jeweils in nicht
geringer Menge (Fall II. 1. der Urteilsgründe), Abgabe von Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge (Fall II. 2. der Urteilsgründe) sowie Handeltreibens mit
1
- 3 -
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 3. der Urteilsgründe) zu ei-
ner Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von
einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64
StGB hat es abgesehen. Die Revision des Angeklagten wendet sich mit verfah-
rens- und materiellrechtlichen Beanstandungen gegen die Verurteilung. Das
Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersicht-
lichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es entsprechend den zutreffenden Ausfüh-
rungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe hält sachlich-
rechtlicher Prüfung nicht stand; denn die Feststellungen belegen nicht, dass der
Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel als (Mit-)Täter in
die Bundesrepublik Deutschland einführte.
a) Nach den zu diesem Fall vom Landgericht getroffenen Feststellungen
bestellte die Freundin des Angeklagten einem gemeinsamen Tatplan entspre-
chend bei einem Händler in den Niederlanden Heroin, Amphetamin und
Streckmittel. Das Rauschgift war teilweise zum gewinnbringenden Weiterver-
kauf, teilweise zum jeweils hälftigen Eigenkonsum durch den Angeklagten und
seine Freundin bestimmt. Aufgrund einer Erkrankung seiner Freundin beabsich-
tigte der Angeklagte, die Betäubungsmittel in den Niederlanden abzuholen. An
der Grenze wurde ihm jedoch die Weiterreise aufgrund seiner Alkoholisierung
untersagt. Daher unternahm nach telefonischer Abstimmung schließlich doch
seine Freundin mit einem auf den Angeklagten zugelassenen PKW die Fahrt in
die Niederlande, während dieser die Heimreise antrat. Die Freundin des Ange-
klagten erwarb sodann in den Niederlanden die Betäubungs- und -streckmittel,
konsumierte einen Teil des Heroins und des Amphetamins und verbrachte den
2
3
- 4 -
Rest nach Deutschland. Hier wurde sie aufgrund ihres auffälligen Fahrstils von
der Polizei aufgegriffen und zu einer Wache verbracht. Es gelang ihr aber, das
Rauschgift zu verstecken. Nachdem sie dem Angeklagten ihren Aufenthaltsort
mitgeteilt hatte, holte dieser sie ab und half ihr, die Betäubungsmittel nach
Hause zu bringen.
b) Zwar ist es nicht erforderlich, dass der Täter der Einfuhr das Rausch-
gift eigenhändig ins Inland verbringt. Vielmehr kann auch derjenige, der die Be-
täubungsmittel nicht selbst nach Deutschland transportiert, (Mit-)Täter der Ein-
fuhr des unmittelbar handelnden Täters sein, wenn er einen Tatbeitrag erbringt,
der sich bei wertender Betrachtung nicht nur als Förderung fremden Tuns, son-
dern als Teil der zur Tatbestandsverwirklichung führenden Tätigkeit aller Mitwir-
kenden darstellt, und der die Tathandlungen der anderen als Ergänzung seines
eigenen Tatanteils erscheinen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli
1992 - 3 StR 35/92, BGHSt 38, 315, 319 mwN). Wesentliche Anhaltspunkte für
die Täterschaft sind dabei der Grad seines Tatinteresses, der Umfang der Tat-
beteiligung, die Tatherrschaft und der Wille dazu, die in eine wertende Ge-
samtbetrachtung einzubeziehen sind (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 11. Juli
1991 - 1 StR 357/91, BGHSt 38, 32, 33 mwN). Auch der im Inland aufhältige
Empfänger von Betäubungsmitteln aus dem Ausland kann deshalb wegen
täterschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln strafbar sein, wenn er sie durch
Dritte über die Grenze bringen lässt und dabei mit Täterwillen die Tatbestands-
verwirklichung fördernde Beiträge leistet. Hat der Empfänger hingegen keinen
Einfluss auf den Einfuhrvorgang und wartet er nur darauf, dass der Lieferant
ihm die eingeführten Betäubungsmittel bringt, kann er sich zwar etwa wegen
einer Bestellung des Rauschgifts wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
strafbar machen; die bloße Bereitschaft zur Entgegennahme der eingeführten
Betäubungsmittel begründet aber weder die Stellung als Mittäter noch als Ge-
4
- 5 -
hilfe der Einfuhr (Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 29 Teil 5 Rn. 167
mwN).
c) Nach diesen Maßstäben ist die Wertung, der Angeklagte sei als Mit-
täter der Einfuhr anzusehen, rechtsfehlerhaft.
Der Angeklagte hatte zwar ein nicht unerhebliches Interesse an dem Er-
werb der Betäubungsmittel sowie deren Transport nach Deutschland, da er
diese teilweise mitverkaufen und teilweise selbst konsumieren wollte. Dies al-
lein begründet seine (Mit-)Täterschaft an der Einfuhr der Drogen hier aber mit
Blick auf den Umfang der Tatbeteiligung und die fehlende Tatherrschaft des
Angeklagten nicht. Die Strafkammer hat keine Feststellungen dazu getroffen,
dass der Angeklagte einen auch nur geringen Einfluss auf den konkreten
Transport der Betäubungsmittel von den Niederlanden nach Deutschland hatte.
Diesen Teil der Tat führte vielmehr allein die ebenfalls mit einem erheblichen
Eigeninteresse handelnde Freundin des Angeklagten aus. Dieser beteiligte sich
lediglich an der Planung des Einkaufs, unternahm einen bereits an der Grenze
zu den Niederlanden endenden vergeblichen Versuch, das Rauschgift zu er-
werben, informierte seine Freundin hierüber und half schließlich beim Weiter-
transport der sich bereits in Deutschland befindenden Betäubungsmittel. Beim
Erwerb des Heroins, Amphetamins und der Streckmittel in den Niederlanden
war der Angeklagte ebenso wenig zugegen wie bei der sich anschließenden
Rückfahrt seiner Freundin, die mit dem erworbenen Rauschgift trotz ihres Zu-
stands selbstständig bis auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ge-
langte.
5
6
- 6 -
Die Sache bedarf daher insoweit neuer tatgerichtlicher Verhandlung und
Entscheidung. Es ist nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhand-
lung weitere, über die bisherigen Feststellungen hinausgehende Umstände
festgestellt werden können, welche die Annahme rechtfertigen, der Angeklagte
habe sich an der Einfuhr als (Mit-)Täter, Anstifter oder Gehilfe beteiligt.
d) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Einfuhr von Betäubungs-
mitteln bedingt auch die Aufhebung des - für sich genommen rechtsfehler-
freien - Schuldspruchs wegen tateinheitlich verwirklichten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie der Gesamtstrafe. Um dem
neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, sieht der
Senat davon ab, die insoweit bislang getroffenen Feststellungen auch nur teil-
weise bestehen zu lassen.
2. Die Entscheidung, von der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt abzusehen, hat ebenfalls keinen Bestand.
a) Die sachverständig beratene Strafkammer hat einen Hang des seit
seiner Jugend Betäubungsmittel konsumierenden Angeklagten im Sinne des
§ 64 Satz 1 StGB bejaht, jedoch eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht ei-
ner Maßnahme nach § 64 Satz 2 StGB verneint. Zur Begründung hat sie aus-
geführt, der Angeklagte habe in der Hauptverhandlung mitgeteilt, er könne sich
eine Maßnahme nach § 35 BtMG vorstellen, sei jedoch zu einer Maßnahme
nach § 64 StGB nicht bereit.
Dies trägt das Absehen von der Unterbringungsanordnung nicht. Die Un-
terbringung nach § 64 StGB geht der Zurückstellung der Strafvollstreckung
nach § 35 BtMG vor (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 11. Juli 2013
- 3 StR 193/13 mwN); ein "Wahlrecht" des Angeklagten besteht insoweit nicht.
7
8
9
10
11
- 7 -
Hinzu kommt, dass das Tatgericht zu prüfen hat, ob die konkrete Aussicht be-
steht, dass die Bereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung während
der Therapie geweckt werden kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom
25. April 2013 - 5 StR 104/13, NStZ-RR 2013, 239, 240 mwN). Hierzu äußern
sich die Urteilsgründe nicht. Diese stellen lediglich ohne nähere Erläuterung auf
den persönlichen Eindruck ab, den die Strafkammer während der Hauptver-
handlung von dem Angeklagten gewonnen habe. Dies genügt nicht.
Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entzie-
hungsanstalt muss deshalb - unter erneuter Hinzuziehung eines Sachverstän-
digen (§ 246a Abs. 1 StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dass
nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unter-
bringungsanordnung nicht (BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt
37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch
das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (BGH, Urteil
vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
12
- 8 -
b) Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Schuldspruch in den Fällen II.
2. und 3. der Urteilsgründe unberührt. Es ist auch auszuschließen, dass das
Landgericht in diesen Fällen bei Anordnung der Unterbringung mildere Einzel-
strafen verhängt hätte.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Tiemann
13