Urteil des BGH vom 03.02.2015

Überzeugung, Beweisantrag, Beweiswert, Einfluss, Beweisergebnis

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 S t R 5 4 4 / 1 4
vom
3. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Betruges
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 3. Februar 2015 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Krefeld vom 18. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgeho-
ben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Betruges in
drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revisi-
on des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg; auf die geltend ge-
machten sachlichrechtlichen Beanstandungen kommt es deshalb nicht mehr
an.
I. Die Revision rügt zu Recht, dass die Strafkammer einen Beweisantrag
mit fehlerhafter Begründung abgelehnt hat (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).
1
2
- 3 -
1. Dem liegt zugrunde:
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte im Fall II.1.) der
Urteilsgründe ein Inkassounternehmen mit dem Einzug angeblicher Forderun-
gen für die Teilnahme an Gewinnspielen beauftragte. Von insgesamt 57.129
angeschriebenen Personen zahlten 9.057 insgesamt 1.193.948,86 €. Im Fall
II.2.) der Urteilsgründe vermittelte er die Dienste des Inkassounternehmens an
ein Schweizer Unternehmen, transferierte die von 3.452 Personen gezahlten
Gelder auf ein Konto in der Türkei, hob sie dort ab und verbrachte sie in bar in
die Schweiz, wobei er 5% bis 10% der überbrachten Beträge einbehielt. Im Fall
II.3.) der Urteilsgründe war der Angeklagte für eine Schweizer Aktiengesell-
schaft tätig, die keine Erlaubnis zum Betreiben eines Inkassounternehmens
hatte. Mindestens 9.223 Angeschriebene zahlten mindestens 1.114.241,12 €,
von denen 884.900 € auf ein Konto überwiesen wurden, für das der Angeklagte
verfügungsberechtigt war. Von diesem Konto wurden mehrere Überweisungen
in die Türkei getätigt, wo der Angeklagte das Geld erneut in bar abhob und für
eine Provision von 10% in die Schweiz brachte. Der Angeklagte nahm in allen
Fällen billigend in Kauf, dass keine der angeschriebenen Personen den geltend
gemachten Betrag schuldete. Die Strafkammer hat sich "aus prozessökonomi-
schen Gründen" in keinem Fall in der Lage gesehen aufzuklären, ob die Zah-
lungen aufgrund einer Täuschung durch die versandten Schreiben, aufgrund
von Angst vor Zwangsmaßnahmen, aufgrund des Wunsches nach Ruhe oder
- im Fall II.1.) der Urteilsgründe - aufgrund einer tatsächlich bestehenden For-
derung vorgenommen wurden. Gegebenenfalls sei im letzten Fall von einem
untauglichen Versuch auszugehen gewesen.
3
4
- 4 -
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er sei in allen Fällen davon
ausgegangen, dass nur Forderungen eingetrieben worden seien, die tatsäch-
lich bestanden hätten. Dies hat das Landgericht als widerlegt angesehen.
Der Angeklagte hat beantragt, die im Fall II.1.) der Urteilsgründe ange-
schriebenen Personen als Zeugen dazu zu vernehmen, sie hätten auf die gel-
tend gemachte Forderung gezahlt, weil sie zuvor den jeweiligen Gewinn-
spieleintragungsdienst in Auftrag gegeben und die gegen sie geltend gemachte
Forderung deshalb als berechtigt anerkannt hätten. Das Landgericht hat diesen
Antrag mit der Begründung abgelehnt, die Beweistatsachen seien für den
Schuldspruch aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Der Anklagevorwurf
betreffe einen versuchten Betrug; insoweit komme es auf das Vorstellungsbild
des Angeklagten, nicht aber der Zahler an. Auch als Indiztatsache komme der
Frage, ob die Zahler die gegen sie geltend gemachten Forderungen als berech-
tigt anerkannt hätten, keine Bedeutung zu; denn dies lasse keinen Rückschluss
für das Vorstellungsbild des Angeklagten zu. Für den Rechtsfolgenausspruch
könnten die Beweisbehauptungen so behandelt werden, als seien sie wahr.
2. Diese Begründung trägt die Zurückweisung des Beweisantrags nicht.
Eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ist aus tatsächli-
chen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos, wenn sie in keinem Zu-
sammenhang mit der Urteilsfindung steht oder weil sie trotz eines solchen Zu-
sammenhangs selbst im Falle ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richter-
liche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte, da sie
nur einen möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsa-
che oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht und das Ge-
richt der Überzeugung ist, dass dieser Schluss in Würdigung der gesamten
5
6
7
8
- 5 -
Beweislage nicht gerechtfertigt wäre. Ob der Schluss gerechtfertigt wäre, hat
das Tatgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beurtei-
len. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache so, als sei
sie erwiesen, in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu
prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der von der potentiell be-
rührten Haupttatsache bzw. zum Beweiswert des anderen Beweismittels in ei-
ner für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüt-
tert würde (st. Rspr.; vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220 mwN).
Vor diesem Hintergrund greifen die Erwägungen des Landgerichts zu
kurz. Dabei kann dahinstehen, ob hier eine Fallkonstellation gegeben ist, bei
der es ausnahmsweise zulässig sein könnte, einen Beweisantrag bezüglich des
Schuldspruchs wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit und bezüglich des
Rechtsfolgenausspruchs im Wege der Wahrunterstellung zurückzuweisen, ob-
wohl die Ablehnungsgründe der Bedeutungslosigkeit und der Wahrunterstel-
lung einander grundsätzlich ausschließen (LR/Becker aaO, § 244 Rn. 297
mwN). Denn der Ablehnungsbeschluss erweist sich unabhängig hiervon jeden-
falls aus anderen Gründen als rechtsfehlerhaft. Zwar hat das Landgericht zu-
treffend erkannt, dass es für die Versuchsstrafbarkeit maßgebend auf den Ta-
tentschluss, mithin im Wesentlichen den Vorsatz des Täters bezüglich der ob-
jektiven Tatbestandsmerkmale, ankommt. Soweit die Strafkammer indes ange-
nommen hat, die Vorstellung der potentiell Geschädigten bezüglich des Beste-
hens der Forderung erlaube keinen Rückschluss auf die Vorstellung des Ange-
klagten, trifft dies in der Sache nicht zu; denn es ist durchaus möglich, die hier
aufgestellten Beweisbehauptungen derart in eine Beweiswürdigung einzustel-
len, dass ihnen eine indizielle Bedeutung für die Frage des Tatentschlusses
zukommt. Das Landgericht hätte sich deshalb, wollte es den Beweisantrag we-
gen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptungen ablehnen,
9
- 6 -
nicht damit begnügen dürfen auszuführen, ein Rückschluss auf das Vorstel-
lungsbild des Angeklagten sei nicht möglich. Es hätte vielmehr die Beweistat-
sachen in eine antizipierende Würdigung des Beweisergebnisses einstellen und
auf dieser Grundlage entscheiden müssen, ob es den genannten Schluss zie-
hen will oder nicht.
3. Das Urteil beruht insgesamt auf dem dargelegten Verfahrensfehler
(§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller sein
Prozessverhalten auf eine rechtsfehlerfreie Begründung des Ablehnungsbe-
schlusses in einer für den Schuldspruch erheblichen Weise hätte einrichten
können. Dies gilt nicht nur für den Fall II.1.) der Urteilsgründe. Ausweislich der
Feststellungen bauen die drei abgeurteilten Taten zeitlich und in der Sache
aufeinander auf. Hinzu kommt, dass das Landgericht im Rahmen der Beweis-
würdigung zu den Fällen II.2.) und 3.) der Urteilsgründe jeweils auch auf Um-
stände abgestellt hat, die zu Fall II.1.) der Urteilsgründe festgestellt sind. Die
Sache bedarf somit insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
II. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat mit Blick auf die bis-
herigen Feststellungen vor allem betreffend die Fälle II.2.) und 3.) der Urteils-
gründe darauf hin, dass die Feststellungen die näheren Tatumstände und die
Tatbeiträge des Angeklagten so genau umschreiben müssen, dass eine revisi-
onsrechtliche Kontrolle des Schuldspruchs möglich ist. Gegebenenfalls wird
auch zu erwägen sein, ob in diesen Fällen die Voraussetzungen einer
10
11
- 7 -
(Mit-)Täterschaft des Angeklagten oder lediglich diejenigen einer Beihilfe durch
die Feststellungen belegt sind. Zu den Anforderungen an das Verfahren und
die Feststellungen in Fällen, die Betrugstaten gegenüber einer Vielzahl von po-
tentiell Geschädigten betreffen, wird auf die Entscheidungen des Bundesge-
richtshofs insbesondere vom 6. Februar 2013 (1 StR 263/12, NStZ 2013, 422)
und 22. Mai 2014 (4 StR 430/13, NStZ 2014, 459) Bezug genommen.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol