Urteil des BGH vom 09.07.2015

Leitsatzentscheidung zu Öffentliche Sicherheit, Mitgliedschaft, Ausschluss der Öffentlichkeit, Straftat

ECLI:DE:BGH:2015:090715B3STR537.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 537/14
vom
9. Juli 2015
Nachschlagewerk: ja
BGHSt:
ja
Veröffentlichung:
ja
StGB § 129 Abs. 1, § 129a Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 1
Zum Konkurrenzverhältnis von Handlungen, die mitgliedschaftliche Beteili-
gungsakte an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung darstellen und
zugleich den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen.
BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14 - LG Köln
- 2 -
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 9. Juli 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Köln vom 27. Januar 2014 werden verworfen.
Die Beschwerdeführer haben jeweils die Kosten ihres Rechtsmit-
tels zu tragen.
Gründe:
I. Das Landgericht hat die Angeklagten - jeweils unter Freispruch im Üb-
rigen - wie folgt verurteilt, wobei es die Vollstreckung aller Haftstrafen bis zu
zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt hat:
Vereinigung "als Rädelsführer" in Tateinheit mit gefährlicher Körper-
verletzung sowie wegen Volksverhetzung zu der Einheitsjugendstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten;
den Angeklagten Ko. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Sachbe-
schädigung und im anderen Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körper-
verletzung zu der Einheitsjugendstrafe von einem Jahr;
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den Angeklagten D. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung in drei Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung, im dritten Fall in Tateinheit mit Nötigung, zu der
Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten;
den Angeklagten H. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Ver-
einigung zu der Jugendstrafe von neun Monaten;
den Angeklagten S. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung in Tateinheit mit Nötigung in zwei Fällen, in einem Fall in
weiterer Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, im
anderen Fall in weiterer Tateinheit mit Körperverletzung, zu der Ein-
heitsjugendstrafe von einem Jahr;
den Angeklagten Ku. wegen Mitgliedschaft in einer kriminel-
len Vereinigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter
Einbeziehung zweier Geldstrafen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von
einem Jahr und sechs Monaten.
Die von den Angeklagten R. , D. und H. jeweils auf die
Rügen der Verletzung sowohl formellen als auch materiellen Rechts, von den
Angeklagten Ko. , S. und Ku. nur auf die Sachrüge gestütz-
ten Revisionen sind unbegründet.
II. Den erhobenen Verfahrensrügen bleibt ein Erfolg versagt.
1. Die Beanstandung des Angeklagten R. , ein Hilfsbeweisantrag
auf Einholung eines weiteren psychiatrischen Sachverständigengutachtens
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zum Beweis der Tatsache, dass er bei dem als Volksverhetzung abgeurteilten
Geschehen aufgrund eines hochgradigen sthenischen Affektstaus schuld-
unfähig gewesen sei, sei rechtsfehlerhaft zurückgewiesen worden, greift nicht
durch. Das mitgeteilte schriftliche Schuldfähigkeitsgutachten des von der Kam-
mer beauftragten Sachverständigen entspricht den an ein solches zu stellenden
Anforderungen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04,
BGHSt 49, 347, 352 ff.). Da maßgeblich das im Rahmen der Hauptverhandlung
mündlich erstattete Gutachten ist (vgl. schon BGH, Urteil vom 21. November
1969 - 3 StR 249/68, BGHSt 23, 176, 185), kann eine allein in der schriftlichen
Ausarbeitung fehlende Auseinandersetzung mit der ohnehin eher fernliegenden
Frage einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung eine mangelnde Sachkunde
ebenso wenig begründen wie der fehlende Hinweis auf die Vorläufigkeit des
schriftlichen Gutachtens. Aus der im Rahmen des Antrags erstmals erklärten
Bereitschaft des Angeklagten zur Exploration ergeben sich schließlich keine
überlegenen Forschungsmittel eines anderen Sachverständigen (vgl. BGH,
Urteil vom 12. Februar 1998 - 1 StR 588/97, BGHSt 44, 26).
2. Die Rüge des Angeklagten D. , die Öffentlichkeit sei zu Unrecht
ausgeschlossen worden, geht schon deshalb ins Leere, weil dieser zum Zeit-
punkt eines Teils der angeklagten Taten noch Jugendlicher war, mithin bei Ver-
handlung nur gegen ihn die Öffentlichkeit gemäß § 48 Abs. 1 JGG von Geset-
zes wegen ausgeschlossen gewesen wäre, unabhängig davon, dass er zum
Zeitpunkt weiterer verfahrensgegenständlicher Taten bereits das 18. Lebens-
jahr vollendet hatte (BGH, Urteil vom 13. Dezember 1967 - 2 StR 548/67,
BGHSt 22, 21). Dieser Umstand führt dazu, dass der Angeklagte einen auf § 48
Abs. 3 Satz 2 JGG gestützten Ausschluss der Öffentlichkeit nicht mit Aussicht
auf Erfolg rügen kann (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - 4 StR 412/02, NStZ
2004, 294 mwN).
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3. Im Übrigen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des
Generalbundesanwalts Bezug.
III. Die aufgrund der Sachrügen gebotene umfassende Nachprüfung des
Urteils hat keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
1. Soweit für die Entscheidung von Bedeutung hat das Landgericht fol-
gende Feststellungen getroffen:
Die Angeklagten sowie zeitweise weitere Personen, die allesamt eine
rechtsextreme Gesinnung einte, bildeten spätestens ab April 2011 den "Freun-
deskreis Rade". In diesem Rahmen verfolgten sie das Ziel, Personen mit Migra-
tionshintergrund und Andersdenkende aus "ihrem Revier" - Ra. und
die angrenzenden Ortschaften - zu vertreiben oder zumindest erheblich einzu-
schüchtern. Die Angeklagten fühlten sich gegenseitig verpflichtet, sich an den
gemeinsamen Aktionen - Demonstrations- und Konzertbesuche - sowie an re-
gelmäßigen Treffen zu beteiligen und erwarteten dies auch untereinander von
den anderen Mitgliedern. Sie waren des Weiteren der Auffassung, dass die
gemeinsamen "höheren" Ziele absoluten Vorrang und andere Belange, insbe-
sondere persönliche Neigungen hinten anzustehen hatten.
Diese Ziele wollten die Angeklagten einerseits dadurch erreichen, dass
sie ihre Gegner im öffentlichen Raum so bedrohten, einschüchterten und miss-
handelten, dass diese in ihrem Sicherheitsgefühl erheblich gestört würden. Da-
zu beabsichtigten sie, auch Waffen bzw. gefährliche Gegenstände einzusetzen
und sich durch Vermummung vor Strafverfolgung zu schützen. Daneben be-
trieb der "Freundeskreis" eine eigene Internetseite, mit der eine aggressive
Stimmung gegen Ausländer und Andersdenkende erzeugt und über Veranstal-
tungen berichtet werden sollte, die der Gesinnung der Teilnehmer entsprachen.
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Schließlich gestalteten die Angeklagten Plakate und Aufkleber zur Hetze gegen
und zur Einschüchterung Andersdenkende(r) und Ausländer, um diese in
"ihrem Revier" anzubringen.
Zwischen April 2011 und März 2012 kam es zu den im Einzelnen abge-
urteilten Taten, ganz überwiegend Körperverletzungs- und Nötigungsdelikte, die
das Landgericht - mit Ausnahme der abgeurteilten Volksverhetzung durch den
Angeklagten R. (B.IX. der Urteilsgründe) - jeweils als Ausfluss dieser
Zielsetzung gewertet hat. Dabei kam dem Angeklagten R. eine Füh-
rungsposition zu. Als geistiger Kopf der Gruppe war er Ansprechpartner und
Berater für die übrigen Mitglieder. Er koordinierte Aktionen, insbesondere auch
den Rückzug der Gruppe aus der Öffentlichkeit im April 2012 in der Folge der
Verhaftungen von Mitgliedern des sogenannten "Braunen Hauses" in K.
im Vormonat. Die übrigen Angeklagten nahmen neben ihrer Beteiligung an ein-
zelnen Taten jeweils an den regelmäßigen Treffen teil. Darüber hinaus zeichne-
te der Angeklagte Ko. für die Pflege der Internetseite verantwortlich, wofür
ihm von den Angeklagten H. und Ku. Bildmaterial zur Verfügung ge-
stellt wurde. Der Angeklagte D. warb und betreute neue Mitglieder.
2. Zu Recht hat das Landgericht die Angeklagten wegen mitgliedschaftli-
cher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Var. 2
StGB verurteilt.
a) Eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist ein auf gewisse
Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindes-
tens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den
Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in
Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.;
etwa BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 262/11, StV 2012, 339,
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340). Eine solche Vereinigung wird zur kriminellen, wenn ihre Zwecke oder Tä-
tigkeit auf die Begehung von hinreichend bestimmten Straftaten gerichtet sind.
Diese Zielsetzung muss durch den internen Willensbildungsprozess der Mit-
glieder gedeckt sein. Zu verlangen ist demnach jedenfalls, dass die von einzel-
nen verfolgte Zweckgerichtetheit von den übrigen Mitgliedern mitgetragen wird
(BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1992 - StB 21-25/92, BGHR StGB § 129
Gruppenwille 2). Das Merkmal des Gruppenwillens ist insbesondere deshalb
von Bedeutung, weil dessen Existenz dem Einzelnen die Begehung von Straf-
taten erleichtert und das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückdrängt, wo-
raus sich die vereinigungsbezogene Gefährlichkeit im Sinne der in größeren
Personenzusammenschlüssen liegenden typischen Eigendynamik ergibt (vgl.
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 229).
b) Diese Voraussetzungen werden durch die getroffenen Feststellungen
belegt. Die Zusammensetzung und die Ausrichtung des "Freundeskreises Ra-
de" erfüllte das personelle, das zeitliche und das organisatorische Element.
Soweit das Urteil keine Feststellungen zur Art und Weise der Willensbildung
enthält, gefährdet dies seinen Bestand nicht. Denn solche Feststellungen sind
entbehrlich, wenn die Existenz des Gruppenwillens, dem sich die Mitglieder der
Organisation unterordnen, aufgrund anderer Umstände offen zutage tritt. Sie
kann sich insbesondere daraus ergeben, dass die Mitglieder einer Gruppierung
nicht nur kurzfristig ein Ziel politischer, religiöser oder weltanschaulicher Art
verfolgen, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht (BGH
aaO, S. 228 ff.). Dieses Ziel lag vorliegend in dem Bestreben, durch Misshand-
lung und Bedrohung Ausländer und Andersdenkende im "Revier" einzuschüch-
tern und - falls möglich - diese dadurch von dort zu vertreiben.
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c) Die getroffenen Feststellungen werden auch von der Beweiswürdi-
gung getragen. Allerdings genügt eine bloße Umschreibung der Art der Verbin-
dung
durch
definitorisch
formelhafte
Wendungen
nicht
(vgl.
MüKoStGB/Schäfer, 2. Aufl., § 129 Rn. 21). Vielmehr muss belegt werden,
dass innere Organisation und Gruppenwille zueinander in Beziehung stehen.
Denn der gemeinsame Wille zur Begehung von Straftaten genügt mangels aus-
reichender Abgrenzbarkeit zu Mittäterschaft und Bande als anderen Formen
strafbaren Zusammenwirkens nicht. Vielmehr muss auch bei der Erreichung
des übergeordneten Ziels koordiniert zusammengearbeitet werden (vgl. BGH
aaO).
Insoweit wäre es zu kurz gegriffen, wenn sich das Landgericht zur Be-
gründung der Feststellung des übergeordneten Ziels des "Freundeskreis Rade"
auf einen Hinweis auf die (strafbaren) Aktivitäten seiner Mitglieder in Verbin-
dung mit deren ausländer- und rechtsfeindlichen Gesinnung beschränkt hätte.
Das gerade auch insoweit erforderliche Mindestmaß an fester Organisation zur
koordinierten Erreichung des übergeordneten ideologischen Ziels der Gruppie-
rung erschließt sich indes zwanglos aus dem Gesamtzusammenhang der Ur-
teilsgründe:
aa) Ein koordiniertes Zusammenwirken wird bereits dadurch nahegelegt,
dass die jeweiligen Auseinandersetzungen von den Angeklagten regelmäßig
gezielt gesucht wurden. So gingen die Angeklagten D. und S. mit
weiteren Personen am 16. April 2011 eine Gruppe Jugendlicher mit ausländi-
schen Wurzeln bedrohlich an, nachdem sie diese beim Grillen am Seeufer ent-
deckt hatten. Vier Tage später begab sich während einer Zusammenkunft von
fünf der sechs Angeklagten anlässlich des Jahrestages des Geburtstags Adolf
Hitlers einer von ihnen vermummt zu drei Personen und fragte diese, ob es sich
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bei ihnen um "Linke" handele. Der verneinenden Antwort schenkte die Gruppe
um die Angeklagten keinen Glauben, weshalb die Angeklagten S. , H.
und D. mit weiteren Gleichgesinnten die zuvor Befragten angriffen.
In anderen Fällen waren die Auseinandersetzungen Ergebnis einer ge-
zielten Provokation durch die Angeklagten. So beleidigte der Angeklagte R.
am 2. Juli 2011 einen "asiatisch aussehenden" Mann, der darauf aggressiv
reagierte. Es kam zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden
sowie zwischen einer weiteren Person, die dem Beleidigten zur Hilfe kommen
wollte, und dem Angeklagten H. , der nunmehr auf Seiten des Angeklagten
R. eingriff. Vergleichbar verhielt es sich bei den Geschehen am 1. Okto-
ber 2011 (B.VII. 9. der Urteilsgründe) sowie am 25. November 2011 (B.VII. 10.
der Urteilsgründe). Dass das Landgericht trotz der Feststellung, allen Vorfällen
sei gemein gewesen, dass "die Reaktionen der Betroffenen, die letztlich nach
Provokationen auch aggressiv werden können, eingeplant und als willkomme-
ner Anlass genommen wurden, um Tätlichkeiten einzuleiten und zu intensivie-
ren" (UA S. 133), sich in diesen Fällen zu keinen eigenständigen Schuldsprü-
chen in der Lage sah, beschwert die Angeklagten nicht. Der jeweils festgestell-
te Ablauf belegt jedoch mit dem gezielt provozierenden Auftreten in Kenntnis
einer Absicherung durch einen Gesinnungsgenossen ein Muster und damit ein
organisatorisches Element.
bb) Dass den Einzeltaten dabei keine längerfristige Planung zugrunde
lag, sondern sie aus der jeweiligen Situation entsprangen, steht der Annahme
eines entsprechenden Organisationsbezuges im Ergebnis nicht entgegen. Die-
ser kommt schon in dem gemeinsamen Auftreten zum Ausdruck, mit dem die
Angeklagten für die erforderliche Stärke ihrer Gruppierung sorgten. Die Ange-
klagten kamen nicht nur zum Zweck unverfänglicher gemeinsamer Freizeitge-
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staltung zusammen, was sich schon daraus erschließt, dass sie - wie ein Zeuge
geschildert hat - in Dreier- oder Vierergruppen patrouillierten, um die Bevölke-
rung einzuschüchtern. Vor allem aber werden eine entsprechende Vorbereitung
der Angeklagten auf etwaige Zusammenstöße und damit ein koordiniertes Zu-
sammenwirken belegt durch die Art ihrer Bewaffnung, die über das hinausgeht,
was selbst in entsprechenden Kreisen möglicherweise regelmäßig am Körper
getragen wird. So führte einer der Angreifer vom 16. April 2011 eine Eisenstan-
ge mit sich, die Angreifer vom 20. April 2011 Baseballschläger. Dem Angeklag-
ten D. wurde unter anderem aufgrund des Mitsichführens von mit Sand
gefüllten Schlaghandschuhen sowie eines Ledergegenstands, der zur Stabili-
sierung der Faust während einer Schlägerei genutzt wird, der Zutritt zu einer
Maifeier verwehrt, auf der sich jedenfalls auch die Angeklagten Ronsdorf und
Ku. befanden und in deren Verlauf es zu einem tätlichen Übergriff auf
eine türkischstämmige Person kam.
cc) Schließlich wird die koordinierte Zusammenarbeit der Angeklagten
deutlich belegt durch das sofortige Zuhilfeeilen des Angeklagten R. auf
entsprechende telefonische Aufforderung durch Gesinnungsgenossen im
Rahmen des Geschehens vom 16. April 2011. Innerhalb kürzester Zeit hatte
dieser den weiteren Angeklagten Ko. mobilisiert sowie sich und diesen
durch einen Bekannten von Ra. in den mehrere Kilometer entfernt
liegenden Nachbarort bringen lassen, um den Angreifern beizustehen.
3. Auch die Überprüfung der vom Landgericht angenommenen Konkur-
renzverhältnisse der einzelnen Taten zueinander hat keinen Rechtsfehler zum
Nachteil der Angeklagten ergeben.
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Allerdings hat das Landgericht die Frage, in welchem Umfang sonstige
Straftaten aufgrund des Umstands, dass sie sich gleichzeitig als mitgliedschaft-
liche Betätigungsakte im Sinne von § 129 Abs. 1 StGB darstellen, untereinan-
der zu Tateinheit verklammert werden, nicht nach den Maßstäben der höchst-
richterlichen Rechtsprechung beurteilt. Danach können mehrere an sich ge-
trennt verwirklichte Straftaten durch ein drittes Delikt - hier § 129 StGB - zu ei-
ner Tat verbunden werden, wenn zwischen diesem und wenigstens einem der
verbundenen Delikte zumindest eine annähernde Wertgleichheit besteht oder
das verbindende Delikt das schwerste ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezem-
ber 2008 - 3 StR 203/08, NStZ 2009, 692, 693; grundlegend BGH, Beschluss
vom 26. März 1982 - 2 StR 700/81, BGHSt 31, 29). Demgegenüber hat das
Landgericht - gemäß der früheren Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom
11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 291 f.; allgemein BGH, Urteil vom
29. August 1952 - 4 StR 963/51, BGHSt 3, 165) - eine Klammerwirkung schon
immer dann verneint, wenn nur eines der zu verbindenden Delikte gewichtiger
als § 129 StGB war.
Das landgerichtliche Ergebnis hält dennoch rechtlicher Überprüfung
stand. Der Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach alle mit-
gliedschaftlichen Beteiligungsakte an einer kriminellen (oder terroristischen)
Vereinigung zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst
werden. Vielmehr unterbleibt diese Verknüpfung jedenfalls mit solchen Hand-
lungen, die auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und der
Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen. Diese ste-
hen zwar gemäß § 52 Abs. 1 Alt. 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzei-
tig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1
Var. 2 StGB, jedoch - soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts ande-
res ergibt - sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen
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mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit. Damit bleibt vorliegend
kein Raum für eine Klammerwirkung, so dass die Angeklagten durch deren
teilweise Anerkennung durch das Landgericht nicht beschwert sind. Im Einzel-
nen:
a) Zwischen einer Straftat, die ein Mitglied einer kriminellen Vereinigung
in Verfolgung deren Ziele begeht, und dem darin liegenden Verstoß gegen
§ 129 Abs. 1 Var. 2 StGB besteht Tateinheit (BGH, Beschluss vom 7. Dezem-
ber 1979 - 3 StR 299/79, juris Rn. 26; Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80,
BGHSt 29, 288, 290 f.; Urteil vom 16. April 1980 - 3 StR 64/80, MDR 1980,
684, 685; Beschluss vom 8. Mai 1980 - 3 StR 170/80, juris Rn. 2; Urteil vom
8. September 1982 - 3 StR 241/82, NStZ 1982, 517, 518; Beschluss vom 23.
Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 446 f.; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl.,
§ 129 Rn. 194; SK-StGB/Rudolphi/Stein, 63. Lfg., § 129 Rn. 34; S/S-Sternberg-
Lieben, StGB, 29. Aufl., § 129 Rn. 27; Krauth, Festschrift für Kleinknecht, 1985,
215, 218; Cording, Der Strafklageverbrauch bei Dauer- und Organisationsdelik-
ten, 1993, S. 112). Gegenteilige Auffassungen, die untereinander insoweit di-
vergieren, als die einen stets von Tatmehrheit ausgehen (so Meyer, JR 1978,
35; Dreher/Tröndle, StGB, 41. Aufl., § 129 Rn. 9a; Herdegen, MDR 1980, 439),
die anderen nur in den Fällen, in denen die Straftat der Erreichung des Zwecks
der Vereinigung dienen soll, wohingegen bei Taten, die gerade einen Beitrag
zur organisatorischen Arbeit der Vereinigung leisten sollen, Tateinheit anzu-
nehmen sei (so OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24. Juni 1977 - 3 Ws 99/77, JR
1978, 34; Gössel, JR 1982, 111, 112), haben sich zu Recht nicht durchgesetzt.
Denn gerade in der Begehung einer Straftat, die der Zwecksetzung der Verei-
nigung entspricht oder sonst ihren Interessen dienlich ist, liegt eine gesteigerte
Förderung des Verbands durch das Mitglied (ebenso Haberstumpf, MDR 1979,
977, 980; Werle, JR 1979, 93, 96). Dann aber folgt die Annahme von Tateinheit
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unmittelbar aus § 52 Abs. 1 Alt. 1 StGB. Denn es ist dieselbe Handlung im na-
türlichen Sinne, die einerseits die Voraussetzungen des als Mitglied begange-
nen Delikts erfüllt und sich andererseits als mitgliedschaftliche Beteiligung im
Sinne von § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB darstellt. Es geht mithin nicht um die bloße
Gleichzeitigkeit von Geschehensabläufen (so aber Herdegen aaO in Kritik an
einer Formulierung in BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1979 - 3 StR 299/79,
juris Rn. 26), sondern um Handlungsidentität. Diese wird durch den Umstand,
dass mitgliedschaftliche Beteiligung auch in einer Art und Weise begangen
werden kann, die keinen weiteren Straftatbestand erfüllt, nicht aufgelöst (zutref-
fend Grünwald, Festschrift für Bockelmann, 1973, 737, 740 gegen OLG Karls-
ruhe aaO) und setzt darüber hinaus eine Identität von Tatbestandsmerkmalen
nicht voraus (so aber Meyer aaO; hiergegen zu Recht Werle aaO).
b) Für das Konkurrenzverhältnis zwischen der als Mitglied begangenen
sonstigen Straftat und weiteren mitgliedschaftlichen Beteiligungsakten kommt
es daher maßgeblich darauf an, in welchem Verhältnis diese untereinander
stehen. Nach überkommener Auffassung bilden mehrere mitgliedschaftliche
Beteiligungsakte grundsätzlich eine tatbestandliche Handlungseinheit (BVerfG,
Beschluss vom 8. Januar 1981 - 2 BvR 873/80, NJW 1981, 1433, 1435; BGH,
Beschluss vom 15. Februar 2007 - StB 19/06, NStZ 2007, 401;
MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 136; LK/Krauß aaO, Rn. 189; LK/Rissing-van
Saan aaO, Vor § 52 Rn. 24; S/S-Sternberg-Lieben aaO, Rn. 27; Lack-
ner/Kühl/Heger, StGB, 28. Aufl., § 129 Rn. 13).
Dies folgt allerdings nicht daraus, dass es sich bei § 129 Abs. 1 Var. 2
StGB um ein Dauerdelikt handeln würde (so aber Fleischer, NJW 1979, 1337,
1338 f.); ein solches ist gegeben, wenn der Täter einen von ihm begründeten
rechtswidrigen Zustand aufrechterhält oder durch tatbestandserhebliche Hand-
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lungen weiter verwirklicht (BGH, Beschluss vom 7. August 1996 - 3 StR 318/96,
BGHSt 42, 215, 216 mwN). Da es aber nach dem eindeutigen Gesetzeswort-
lautlaut des § 129 Abs. 1 StGB für die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift nicht
ausreicht, bloß Mitglied in einer Vereinigung zu sein, begründet das Faktum der
Mitgliedschaft keinen rechtswidrigen Zustand; vielmehr ist eine Beteiligung als
Mitglied erforderlich, also eine aktive Förderungshandlung, in der sich die Ein-
gliederung des Täters in die Organisation und seine Unterordnung unter deren
Willen manifestiert (BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29,
288, 294; MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 87; Haberstumpf aaO, 978). Sollten
Formulierungen des Senats, wonach eine Beteiligung als Mitglied auch für Zei-
ten angenommen werden könne, in denen keine Tätigkeiten für die Vereinigung
ausgeübt werden (etwa BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1979 - StB 52/79,
BGHSt 29, 114, 123; vgl. hierzu Krauth aaO, 224 f.; Cording aaO, S. 71 f.), auf
ein anderes Verständnis hindeuten können, hält der Senat daran nicht fest.
Gegen die Annahme einer von aktiven Beteiligungshandlungen unabhängigen
Tatbestandserfüllung spricht bereits, dass eine bloß formale oder lediglich pas-
sive Mitgliedschaft vom Tatbestand in seiner einschränkenden Auslegung
durch die Rechtsprechung gerade nicht erfasst wird (BGH aaO, 121; vgl. auch
BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4-5/01, NStZ 2002, 328, 330).
Die grundsätzliche Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit
rechtfertigt sich dagegen aus der pauschalisierenden Handlungsbeschreibung
(vgl. LK/Rissing-van Saan aaO) des § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB. Der Tatbestand
selbst, der vorrangig die Allgemeinsrechtsgüter öffentliche Sicherheit und staat-
liche Ordnung schützt (MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 1 mwN) und daher struk-
turbedingt keine Tatbestandsmerkmale enthält, die unmittelbar auf Individual-
rechtsgüter bezogene Angriffsobjekte, Angriffsarten oder Taterfolge umschrei-
ben, lässt es angezeigt erscheinen, mehrere Tatbestandsverwirklichungen
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rechtlich zu einer Tat zusammenzufassen, um so zu einer sinnstiftenden Be-
stimmung des Einzeldelikts zu kommen (vgl. Puppe, Idealkonkurrenz und Ein-
zelverbrechen, 1979, S. 212 f.). Darüber hinaus ergibt sich aus der Verknüp-
fung zwischen den einzelnen, stoßweise begangenen (vgl. Werle, NJW 1980,
2671, 2674) und für sich betrachtet strafrechtlich oftmals neutralen Beteili-
gungshandlungen mit der auf einen längeren Zeitraum angelegten Mitglied-
schaft, in der sich die Eingliederung des Täters in die Organisation widerspie-
gelt und durch die die Tätigkeiten erst ihr Unwerturteil erhalten, dass eine
Mehrzahl von Tätigkeiten zu einer Tatbestandsverwirklichung zusammenge-
fasst werden soll (vgl. zur insoweit vergleichbaren Tatbestandsstruktur des § 99
Abs. 1 Nr. 1 StGB: BGH, Beschluss vom 7. August 1996 - 3 StR 318/96,
BGHSt 42, 215, 217; vgl. Cording aaO, S. 54).
c) Damit ist indes noch keine abschließende Aussage darüber getroffen,
ob ausnahmslos alle mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte unabhängig von ih-
rer inhaltlichen Ausgestaltung und insbesondere unabhängig davon, ob sie ne-
ben § 129 Abs. 1 StGB auch einen anderen Straftatbestand verwirklichen, zu
einer tatbestandlichen Handlungseinheit verknüpft werden.
aa) Allerdings hat der Senat bislang ohne weitere Begründung stets alle
mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte zusammengefasst und aus diesem Um-
stand auf Idealkonkurrenz zwischen dem gesamten Organisationsdelikt (zum
Begriff MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 5 mwN; Cording aaO, S. 122, 129 ff.) und
einer durch einen der Einzelakte begangenen anderen Straftat geschlossen
(BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 290 f.). Darauf
hat - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zu anderen tatbestandlichen
Handlungseinheiten, insbesondere Dauerdelikten (vgl. etwa BGH, Beschlüsse
vom 24. August 1988 - 2 StR 432/88, BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwir-
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kung 2; vom 6. September 1988 - 1 StR 481/88, BGHR StGB § 52 Abs. 1
Klammerwirkung 3; vom 6. September 1989 - 2 StR 353/89, BGHR StGB § 52
Abs. 1 Klammerwirkung 6) - die Annahme einer Klammerwirkung des § 129
Abs. 1 Var. 2 StGB bezüglich mehrerer als Mitglied begangener sonstiger Straf-
taten aufgebaut (BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288,
291 f.; Beschluss vom 11. August 2004 - 3 StR 202/04, NStZ 2005, 46, 47).
Diese galt - wie bereits dargelegt - wegen ihrer ungerechten materiellen Konse-
quenzen (vgl. LK/Rissing-van Saan aaO, § 52 Rn. 30: "die Verbindung würde
der Täterschuld in solchen Fällen nicht gerecht und hätte das widersinnige Er-
gebnis […]") allerdings auch bei § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB nicht uneinge-
schränkt, sondern nur, wenn zumindest eines der für die Verklammerung in
Betracht kommenden Delikte nicht schwerer wog als die durch dieses gleichzei-
tig verwirklichte mitgliedschaftliche Beteiligung im Sinne von § 129 Abs. 1
StGB.
Über diese aus den genannten Gründen der materiellen Gerechtigkeit
gebotene materiell-rechtliche Ausnahme vom Grundsatz der Klammerwirkung
hinaus hatte die Rechtsprechung des Senats in diesen Fallkonstellationen in
strafprozessualer Hinsicht weitere Konsequenzen: Durch eine Verurteilung we-
gen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach
§ 129 Abs. 1 StGB trat kein Strafklageverbrauch hinsichtlich eines mit dieser
idealkonkurrierenden schwereren Delikts ein, wenn letzteres nicht von der
früheren Anklage - auch nicht als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt - erfasst
war (BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 292 ff.). Da-
mit wich der Senat von dem - im Übrigen allgemein anerkannten - Grundsatz
ab, dass materiell-rechtliche Idealkonkurrenz in aller Regel zur Annahme einer
einheitlichen Tat im prozessualen Sinn des § 264 StPO führt (vgl.
LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 264 Rn. 59 mwN). Zudem konnte der Täter
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in einem neuen Prozess nur noch wegen des schwereren Delikts schuldig ge-
sprochen werden. Die Verurteilung wegen der gleichzeitig verwirklichten mit-
gliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Sinne von
§ 129 Abs. 1 StGB hatte hingegen wegen Strafklageverbrauchs auszuschei-
den.
bb) Anders als die genannten Judikate des Senats zu Konkurrenzen
zwischen Organisationsdelikten und damit zusammentreffenden sonstigen
Straftaten geht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Konkurrenz-
verhältnis zwischen dem Besitz und dem Führen einer Schusswaffe (§§ 51, 52
WaffG) und einer unter Nutzung der Waffe begangenen anderen Straftat trotz
des Charakters dieser Verstöße gegen das Waffenrecht als Dauerdelikte von
Tatmehrheit aus, wenn die andere Straftat auf einem neuen, bei Inbesitznahme
der Waffe noch nicht vorliegenden Willensentschluss beruht (BGH, Urteile vom
16. März 1989 - 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151, 153; vom 15. April 1998 - 2 StR
670/97, NStZ-RR 1999, 8; Beschluss vom 18. Februar 1999 - 5 StR 45/99,
NStZ 1999, 347; vgl. auch Beschluss vom 30. Juni 1982 - 3 StR 44/82). Dabei
soll es nicht darauf ankommen, ob die mittels der Waffe begangene weitere
Straftat schwerer wiegt als das Waffendelikt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Feb-
ruar 1996 - 5 StR 9/96, BGHR WaffG § 53 Abs. 1 Konkurrenzen 3; noch offen-
gelassen in BGH, Urteil vom 16. März 1989 - 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151,
153). Nach dieser Rechtsprechung kommt dem neuen Tatentschluss Zäsurwir-
kung zu. Die Trennbarkeit folge daraus, dass die Strafbarkeit des Waffendelikts
allein auf der generell gegebenen Gefährlichkeit des Waffenbesitzes beruhe,
aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Straftatbegehung unter
Gebrauch der Waffe stehe. Das in dem neuen Tatentschluss liegende, wesent-
lich intensivere kriminelle Verhalten könne deshalb nur als sachlich-rechtlich
selbständige Handlung rechtlich ausreichend erfasst werden. Nach Beendigung
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der anderen Straftat soll in der weiteren Ausübung der tatsächlichen Gewalt
über die Waffe eine weitere materiell-rechtliche Handlung liegen (BGH, Urteil
vom 16. März 1989 - 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151, 154). Auf eine entsprechen-
de Anwendung der in der Rechtsprechung des Senats angestellten Erwägun-
gen zur Frage des Strafklageverbrauchs bei bereits abgeurteiltem Organisati-
onsdelikt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 292
ff.) müsse daher nicht zurückgegriffen werden (BGH, Urteil vom 16. März 1989
- 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151, 152 in Abgrenzung zu OLG Hamm, Beschluss
vom 9. September 1985 - 1 Ws 83/85, JR 1986, 203).
d) An diese Überlegungen knüpft der Senat für den Bereich der Organi-
sationsdelikte an, bestimmt das maßgebliche Kriterium für die Beurteilung, in-
wiefern von einer tatbestandlichen Handlungseinheit auszugehen ist, jedoch
objektiv.
Die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat zwischen
den Dauerdelikten des Waffenbesitzes bzw. -führens und den Organisationsde-
likten der § 129 Abs. 1 Var. 2, § 129a Abs. 1 Var. 2 StGB einen wesentlichen
Unterschied darin gesehen, dass bei letzteren ein neuer Willensentschluss, der
eine Zäsur des "Dauerdelikts" begründen könne, nicht vorliege, weil das Wirken
als Mitglied bereits die Bereitschaft voraussetze, im Sinne der Zielsetzung der
Vereinigung kriminell tätig zu werden (BGH, Urteil vom 16. März 1989 - 4 StR
60/89, BGHSt 36, 151, 153). Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Zur
Übertragbarkeit des für die genannten Waffendelikte gefundenen Ergebnisses
drängt vielmehr schon ein Erst-Recht-Schluss: Gerade wenn innerhalb eines
Dauerdelikts, das - wie ausgeführt - lediglich in der Aufrechterhaltung eines
rechtswidrigen Zustandes besteht, eine Aufspaltung der tatbestandlichen Hand-
lungseinheit in mehrere materiell-rechtliche Taten möglich ist, muss dies umso
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mehr für Organisationsdelikte gelten, bei denen es an einem durchgehenden
deliktischen Zustand fehlt, vielmehr mehrere aktive Einzelhandlungen lediglich
rechtlich zusammengefasst werden.
Nach Auffassung des Senats vermag allerdings der neue Willensent-
schluss des Täters als rein subjektives Element keine hinreichende Begrün-
dung dafür zu geben, warum die Handlung im natürlichen Sinne, innerhalb de-
rer etwa der Waffenbesitz und die Straftatbegehung unter Gebrauch der Waffe
zusammenfallen, nicht in die übrige Handlungseinheit einzugliedern sei. Es er-
weist sich bereits als bloße Fiktion, in dem späteren Entschluss zur Begehung
einer Straftat unter Verwendung der Waffe einen neuen Entschluss in Bezug
auf deren Besitz zu sehen (so auch Mitsch, JR 1990, 162, 163). Jedenfalls
kann der Erklärungsansatz nicht erhellen, worin nach Beendigung der Straftat
abermals ein neuer Entschluss zum reinen Besitz der Waffe liegen soll (ebenso
Peters, JR 1993, 265, 269).
Ausgangspunkt für die Bestimmung der Reichweite der tatbestandlichen
Handlungseinheit ist vielmehr der Umstand, dass es sich bei dieser Rechtsfigur
um eine Konstruktion handelt, die maßgeblich auf rechtlichen Bewertungen be-
ruht. Die für sich betrachtet unnatürliche Zusammenfassung einzelner Hand-
lungen zu einer Gesetzesverletzung bedarf einer materiellen Rechtfertigung.
Fehlt eine solche hinsichtlich einer Handlung im natürlichen Sinne, wird diese
nicht Teil der Einheit. Es geht also nicht um Zäsuren, die mehrere Handlungs-
einheiten begründen, sondern darum, dass unter bestimmten Voraussetzungen
Einzelakte tatmehrheitlich neben die eine verbleibende tatbestandliche Hand-
lungseinheit treten.
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aa) Diese Rechtfertigung liegt jedenfalls hinsichtlich der Organisations-
delikte nicht in der Fassung der Tatbestände selbst (so aber Cording aaO,
S. 72 f. i.V.m. 87; ähnlich Krauth aaO, 225). Wie ausgeführt belegt die Ausge-
staltung von § 129 Abs. 1 Var. 2, § 129a Abs. 1 Var. 2 StGB lediglich, dass ei-
ne Zusammenfassung überhaupt erforderlich ist; über deren Umfang ist der
Regelung selbst nichts zu entnehmen. Aufgrund dieser Offenheit der Gesetzes-
fassung geht auch der Einwand fehl, für die Möglichkeit der Aufspaltung einer
Einheit in selbständige Abschnitte fehle es an Anhaltspunkten im Gesetz (so
Erb, GA 1994, 265, 271). Aus der nicht näher erläuterten Bemerkung im Ent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozess-
ordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Bundesrechtsanwaltsord-
nung vom 30. August 1975, wonach zur "Tat" des § 129a StGB sämtliche Be-
teiligungsakte der Mitglieder der terroristischen Vereinigung gehörten (BT-
Drucks. 7/4005, S. 9), folgt nichts anderes. Mit ihr nahm der Gesetzgeber er-
sichtlich lediglich auf das damals schon bekannte Verständnis der bisherigen
Rechtsprechung Bezug (vgl. auch Werle, Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fort-
setzungstat und zeitlich gestreckter Gesetzesverletzung, 1981, S. 168 f.).
bb) Die materielle Rechtfertigung für eine Zusammenfassung kann mit-
hin nur in der Gleichwertigkeit verschiedener Handlungen liegen, die anhand
ihres jeweiligen Unrechts- und Schuldgehalts zu bestimmen ist. Geht es aber
um eine derartige Bewertung einer Handlung, die den Tatbestand des Organi-
sationsdelikts erfüllt, versteht es sich von selbst, dass auch in den Blick ge-
nommen werden muss, ob diese daneben weitere Straftatbestände verwirklicht
und so einen gesteigerten Unrechtsgehalt aufweist (ebenso Werle aaO, 171 ff.;
Puppe, JR 1986, 205, 207; ähnlich, allerdings bei anderem Ausgangspunkt,
Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, 1979, S. 213 ff.). Danach gilt:
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Der Unrechts- und Schuldgehalt aller Tätigkeiten, die allgemein dem Zu-
sammenhalt und der "Arbeit" der Organisation dienen, ohne für sich betrachtet
strafbar zu sein, liegt in der bloßen Steigerung der genannten Gefahren für die
öffentliche Sicherheit und Ordnung und - mittelbar - noch unbestimmte (Indivi-
dual-)Rechtsgüter. Sie sind einer weiteren Aufspaltung nicht zugänglich (Puppe
aaO, S. 215) und deshalb zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zu ver-
knüpfen.
Demgegenüber ist die Begehung einer Straftat, die gerade den Zweck
der Vereinigung bildet, stets von entscheidender Relevanz für den Unrechts-
und Schuldgehalt dieser Handlung. Denn die Verletzung eines Individual-
rechtsguts kann gegenüber dessen bloßer Gefährdung, der § 129 Abs. 1 StGB
(auch) entgegenwirken will (vgl. MüKoStGB/Schäfer aaO, Rn. 1, 4), nicht unter-
geordnet sein (ebenso Werle aaO, S. 187). Deshalb unterfällt die diesbezügli-
che Tätigkeit nicht der tatbestandlichen Handlungseinheit, sondern tritt - ideal-
konkurrierend mit der eigenständigen, isolierten Erfüllung des § 129 Abs. 1
Var. 2 StGB - in Tatmehrheit zu dieser.
Nichts anderes gilt - unabhängig von der Schwere des Unrechtsgehalts -
auch für jede sonstige, lediglich den organisatorischen Zusammenhalt oder die
Schlagkraft der Organisation fördernde Handlung durch ein Mitglied einer kri-
minellen oder terroristischen Vereinigung, sofern dadurch ein gesonderter
Straftatbestand verwirklicht wird; auch sie wird nicht Teil der übrigen Hand-
lungseinheit (aA Werle aaO, 174 ff.). Dafür spricht zudem, dass auf diesem
Wege Probleme bei der Schwerebestimmung vermieden werden, wie sie be-
reits heute im Zusammenhang mit der Entklammerung auftreten (vgl. hierzu die
Kritik bei Peters aaO, 267 f. gegenüber BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 - 2 StR
322/84, BGHSt 33, 4, 6 f.).
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cc) Da dieser Lösungsansatz bereits am Handlungsbegriff selbst an-
setzt, an den die Bestimmung der Konkurrenzen erst anknüpft, kann ihm nicht
entgegengehalten werden, dass er zu einer Vervielfachung der Strafbarkeit füh-
re (so aber Erb aaO). Die vorliegende Konstellation macht ferner deutlich, dass
es nicht zutrifft, dass das materielle Konkurrenzverhältnis nur mit Blick auf das
gewünschte prozessuale Ergebnis - kein Strafklageverbrauch - gelöst wird (so
aber der Vorwurf von Cording aaO, S. 70). Dass durch den vom Senat gewähl-
ten Lösungsweg wieder ein Gleichlauf von materieller und prozessualer Tat
möglich wird (vgl. auch IV.), was insbesondere Probleme im Bereich der Straf-
zumessung zu vermeiden hilft, die durch die vorherige Aburteilung von in Ideal-
konkurrenz stehenden Teilen einer Tat im Sinne des § 264 StPO entstehen
können (vgl. Werle, NJW 1980, 2671, 2673; zu diesbezüglichen Lösungsansät-
zen OLG Hamm, Beschluss vom 9. September 1985 - 1 Ws 83/85, NStZ 1986,
278, 279; Erb aaO, 275 ff.), mag das Ergebnis bestätigen, vermag es aber nicht
zu begründen.
e) Nach alledem wären sämtliche Angeklagten wegen Mitgliedschaft
bzw. - der Angeklagte R. - Rädelsführerschaft in einer kriminellen Verei-
nigung in jeweiliger Tatmehrheit zu den begangenen Einzeltaten zu verurteilen
gewesen. Soweit es sich bei den Einzeltaten um Taten der Vereinigung handel-
te, wären diese ihrerseits in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung auszuurteilen gewesen. Dementsprechend ist keiner der Angeklag-
ten durch den gegen ihn ergangenen Schuldspruch beschwert.
Dies gilt auch bezüglich der Angeklagten D. und S. . Zwar
belegen die Urteilsgründe nicht, weshalb es sich bei deren Taten vom 31. De-
zember 2011 (Fall B.VII. 11. der Urteilsgründe) und vom 17. März 2012 (Fall
B.VII. 15. der Urteilsgründe) um Taten der Vereinigung gehandelt haben soll.
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Letztere richtete sich zwar gegen vermeintlich der linken Szene zuzurechnende
Personen. Jedoch ereignete sich die Tat, an der aus Reihen der Angeklagten
nur der Angeklagte D. beteiligt war, um den E. Hauptbahnhof.
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, wie diese Tat mit dem Ziel der Vereinigung,
die Gegend um Ra. von Andersdenkenden zu befreien, im Zusam-
menhang stehen könnte. Gleiches gilt für die vom Angeklagten S. am
31. Dezember 2011 begangene Körperverletzung, die sich während einer Zug-
fahrt von W. Richtung Dü. ereignete. Darüber hinaus ist hinsicht-
lich des Geschädigten nicht festgestellt, dass er zu einer der Gruppen gehörte,
gegen die der "Freundeskreis" als Gruppe agierte.
Damit müsste zwar grundsätzlich der Schuldspruch wegen gefährlicher
Körperverletzung (D. ) bzw. Körperverletzung (S. ) isoliert stehen; da
jedoch nach der aufgezeigten Lösung in Tatmehrheit hierzu eine weitere Verur-
teilung nach § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB hätte ausgesprochen werden müssen,
kann die tateinheitliche Aburteilung - jedenfalls vor dem Hintergrund der zu bil-
denden Einheitsjugendstrafe - die Angeklagten nicht beschweren.
IV. Der Verurteilung des Angeklagten S. steht auch nicht das Ver-
fahrenshindernis des (teilweisen) Strafklageverbrauchs (Art. 103 Abs. 3 GG)
entgegen.
Zwar war dieser Angeklagte wegen seiner Beteiligung an der Tat vom
20. April 2011, bei der - neben anderen - er und der Angeklagte D. Per-
sonen, die augenscheinlich der linken Szene zuzurechnen waren, mit Steinen
bewarfen und die das Landgericht hinsichtlich des Angeklagten D. als
mitgliedschaftlichen Beteiligungsakt gewertet hat, bereits durch das Urteil des
Amtsgerichts Wuppertal vom 28. Februar 2012, rechtskräftig seit 7. März 2012,
wegen gefährlicher Körperverletzung zu Jugendarrest in Form von zwei Frei-
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zeitarresten verurteilt worden. Damit wäre - nach den Grundsätzen der bisheri-
gen Senatsrechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80,
BGHSt 29, 288) - jedenfalls hinsichtlich der hierzu in Tateinheit stehenden Mit-
gliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in dem Umfang, in dem diese weite-
re Delikte zu verklammern in der Lage gewesen wäre, Strafklageverbrauch ein-
getreten.
Nach der neuen Bestimmung des Umfangs der tatbestandlichen Hand-
lungseinheit bei Organisationsdelikten stehen die Tat vom 20. April 2011 und
die Einheit aller sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte aber im Ver-
hältnis der Tatmehrheit zueinander. Da es sich insoweit nach natürlicher Auf-
fassung nicht um einheitliche Lebensvorgänge handelt, beansprucht der
Grundsatz Gültigkeit, wonach sachlich-rechtlich selbständige Taten auch pro-
zessual selbständig sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 264
Rn. 2, 6 mwN).
Becker Pfister Mayer
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