Urteil des BGH vom 17.02.2011

Staatsanwalt, Abgabe, Zusage, Beschränkung, Gesamtstrafe

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 426/10
vom
17. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt (GL) bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Düsseldorf vom 19. Juli 2010 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäu-
bungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision
des Angeklagten mit der allgemeinen Sachrüge. Das Rechtsmittel ist hinsicht-
lich des Schuldspruchs unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Es führt
jedoch zur Aufhebung des Strafausspruchs.
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1. Die Strafzumessung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand;
denn die Urteilsgründe legen nahe, dass das Landgericht lediglich die im Rah-
men der getroffenen Verfahrensabsprache unzulässig vereinbarte Punktstrafe
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festgesetzt hat und daher die mitgeteilten Erwägungen zur Strafbemessung nur
vorgeschoben und nicht ernst gemeint sind (vgl. BGH, Beschluss vom
28. September 2010 - 3 StR 359/10 unter Hinweis auf Meyer-Goßner, StPO,
53. Aufl., § 257c Rn. 11). Hierzu im Einzelnen:
a) Ausweislich der Urteilsgründe ist zwischen den Verfahrensbeteiligten
folgende Verständigung zustande gekommen: "Die Kammer hält eine Gesamt-
strafe von drei Jahren und neun Monaten bei geständiger Einlassung im Rah-
men der Anklage für angemessen mit folgenden Maßgaben: Verbindung des
hiesigen Verfahrens mit dem Verfahren 60 Js 4291/09, Staatsanwaltschaft
Düsseldorf; Abgabe der Erklärung der Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte
zum Halbstrafenzeitpunkt abgeschoben werden kann."
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b) Gegen den Inhalt der Verständigung bestehen durchgreifende
Rechtsbedenken. Nach § 257c Abs. 3 StPO "gibt das Gericht bekannt, welchen
Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung
aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen
auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben." Hieraus folgt, dass das
Gericht nicht stets einen Verständigungsvorschlag unterbreiten muss, der eine
Angabe zu einem Strafrahmen enthält. Denkbar sind auch andere, den Straf-
ausspruch nicht umfassende gerichtliche Initiativen. Wenn das Gericht aber
- wie in der Regel - von der Möglichkeit ("kann … auch") Gebrauch macht, den
Verständigungsvorschlag auf den Strafausspruch zu beziehen, muss es sowohl
eine Ober- als auch eine Untergrenze der Strafe, also einen Strafrahmen ange-
ben. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und wird durch die Ge-
setzgebungsmaterialien bestätigt. Danach "ermöglicht diese Vorschrift die Mit-
teilung der gegenwärtigen Strafeinschätzung des Gerichtes, die für den Ange-
klagten in seiner Entscheidung, sich auf eine Verständigung einzulassen oder
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nicht, von großer Bedeutung ist. Außerdem legt die Vorschrift fest, dass das
Gericht bei der Angabe des Strafrahmens die allgemeinen Strafzumessungser-
wägungen und die Umstände des Einzelfalles nicht verlassen darf." (Begrün-
dung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/12310 S. 14).
Mit der Pflicht zur Benennung eines Strafrahmens kommt auch zum Ausdruck,
dass das Verständigungsgesetz an dem von der Rechtsprechung (vgl. BGH,
Urteil vom 28. August 1997 - 4 StR 240/97, BGHSt 43, 195; Beschluss vom
3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40) entwickelten Verbot der Vereinbarung
einer Punktstrafe festhält (BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2010 - 1 StR 345/10,
NStZ 2010, 650; vom 28. September 2010 - 3 StR 359/10; vgl. auch Beschlüs-
se vom 8. Oktober 2010 - 1 StR 347/10, StRR 2010, 465 und vom 11. Oktober
2010 - 1 StR 359/10).
c) Die unter Verstoß gegen § 257c Abs. 3 StPO vom Gericht vorgeschla-
gene und auf dieser Basis zustande gekommene Verständigung auf eine
Punktstrafe sowie die Verhängung exakt dieser Strafe deuten darauf hin, dass
das Landgericht in der Urteilsberatung nach durchgeführter Hauptverhandlung
nicht eine schuldangemessene Strafe bestimmt, sondern allein die vorher ge-
machte Zusage eingehalten hat, weshalb der gesamte Strafausspruch auf einer
solchen schon vor den Schlussvorträgen der Verfahrensbeteiligten (§ 258
StPO) und der nachfolgenden Urteilsberatung (§ 260 Abs. 1 StPO) vorgenom-
menen Selbstbindung des Gerichts beruht. Hierin besteht eine Verletzung von
§ 46 StGB, die auf die Sachrüge zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Beschluss
vom 22. August 2006 - 1 StR 293/06, BGHSt 51, 84 mwN; Beschluss vom
11. April 2007 - 3 StR 108/07, NStZ-RR 2007, 245).
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2. Für ein Vorgehen nach § 354 Abs. 1a StPO (vgl. BGH, Beschluss vom
22. August 2006 - 1 StR 293/06, BGHSt 51, 84) sieht der Senat hier keinen An-
lass. Die Strafe muss daher erneut zugemessen werden.
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3. Im Hinblick auf die vom Landgericht zum Inhalt der Verständigung
gemachte Erklärung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich einer späteren Vollstre-
ckungsentscheidung verweist der Senat auf die Beschränkung in § 257c Abs. 2
Satz 1 StPO sowie auf den Beschluss des 2. Strafsenats vom 6. Oktober 2010 -
2 StR 354/10, StRR 2010, 466.
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Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer