Urteil des BGH vom 10.11.2015

Beweisergebnis, Sachzusammenhang, Beweisantrag, Überzeugung

ECLI:DE:BGH:2015:101115B3STR322.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 322/15
vom
10. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Vergewaltigung
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 10. November 2015 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Trier vom 30. April 2015 mit den Feststellungen aufgeho-
ben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-
mer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung
in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revi-
sion des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg; auf die geltend ge-
machten sachlichrechtlichen Beanstandungen kommt es deshalb nicht mehr
an.
Die Revision rügt zu Recht, dass die Strafkammer einen Beweisantrag
mit fehlerhafter Begründung abgelehnt hat.
1. Dem liegt zugrunde:
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zu zwei nicht nä-
her feststellbaren Zeitpunkten zwischen April und Juni 2008 in der gemeinsa-
men Ehewohnung seine Frau mit einer Waffe, die jedenfalls wie eine echte
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Schusswaffe aussah, bedrohte und hierdurch zwang, gegen ihren Willen den
vaginalen Geschlechtsverkehr zu dulden. Der Angeklagte hat die Taten in der
Hauptverhandlung bestritten. Seine Überzeugung stützt das Landgericht auf die
Angaben der Nebenklägerin, denen es Glauben geschenkt hat.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung unter anderem beantragt,
zwei Personen als Zeugen zu der Behauptung zu vernehmen, seine Ehefrau
habe kurz vor ihrer Trennung im Jahr 2011 ihnen gegenüber erklärt, dass sie
alles daran setzen werde, den Angeklagten in den Knast zu bekommen. Dieser
Umstand sei für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Zeugin von erheblicher
Bedeutung. Das Landgericht hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt,
die Beweistatsache sei aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung ohne
Bedeutung. Es handele sich um eine bloße Indiztatsache, die zwar in einem
Sachzusammenhang zum Gegenstand der Urteilsfindung stehe, aus der zwin-
gende Folgerungen aber nicht zu ziehen seien und die Kammer "die möglichen
Schlüsse" nicht ziehen wolle.
2. Diese Begründung trägt die Zurückweisung des Antrags nicht.
Zwar ist es dem Tatgericht grundsätzlich nicht verwehrt, Indiz- oder Hilfs-
tatsachen als für die Entscheidung bedeutungslos zu betrachten, wenn es aus
diesen eine mögliche Schlussfolgerung, die der Antragsteller erstrebt, nicht zie-
hen will. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie erwie-
sen, in das aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangte Beweisergebnis
einzustellen und im Wege einer prognostischen Betrachtung zu prüfen, ob
hierdurch seine bisherige Überzeugung - gegebenenfalls in Anwendung des
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Zweifelssatzes - in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeut-
samen Weise erschüttert würde (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220).
Diese antizipierende Würdigung ist in dem den Antrag ablehnenden Be-
schluss (§ 244 Abs. 6 StPO) näher darzulegen. Denn dieser hat zum einen den
Antragsteller sowie die weiteren Prozessbeteiligten so weit über die Auffassung
des Gerichts zu unterrichten, dass diese sich auf die neue Verfahrenslage ein-
stellen und gegebenenfalls noch in der Hauptverhandlung das Gericht von der
Erheblichkeit der Beweistatsache überzeugen oder aber neue Anträge mit
demselben Beweisziel stellen können; zum anderen muss er dem Revisionsge-
richt die Prüfung ermöglichen, ob der Beweisantrag rechtsfehlerfrei zurückge-
wiesen worden ist und ob die Feststellungen und Erwägungen des Ableh-
nungsbeschlusses mit denjenigen des Urteils übereinstimmen. Deshalb ist mit
konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweis-
tatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die
Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen,
denen das Tatgericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache
durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgrün-
den darzulegen hätte, warum sie auf seine Überzeugungsbildung ohne Einfluss
geblieben ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Januar 2000 - 3 StR
410/99, NStZ 2000, 267, 268; vom 7. April 2011 - 3 StR 497/10, NStZ 2011,
713, 714; Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 3 StR 135/13, NStZ 2014, 110).
Nach diesen Maßstäben erweist es sich in aller Regel als rechtsfehlerhaft,
wenn die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit allein auf die
inhaltsleere Aussage gestützt wird, die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfs-
tatsache lasse keinen zwingenden, sondern lediglich einen möglichen Schluss
zu, den das Gericht nicht ziehen wolle (vgl. LR/Becker aaO, § 244 Rn. 225).
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So verhält es sich hier. Die Strafkammer hat keine konkreten Erwägun-
gen mitgeteilt, aufgrund derer sie das von ihr bisher gefundene Beweisergeb-
nis, das allein auf der Aussage der Nebenklägerin gründet, durch die unter Be-
weis gestellten Tatsachen nicht als erschüttert angesehen hat. Die Bedeu-
tungslosigkeit lag auch nicht auf der Hand (vgl. BGH, Urteile vom 15. Mai 1990
- 5 StR 594/89, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 12;
23. September 1999 - 4 StR 700/98, StraFo 2000, 53, 54). Das Landgericht
selbst hat einen Sachzusammenhang zwischen der Beweistatsache und dem
Gegenstand der Urteilsfindung gesehen. Die unter Beweis gestellte Tatsache
betraf tatsächlich einen die Glaubwürdigkeit der Zeugin in der vorliegenden Sa-
che berührenden Umstand (vgl. Urteil vom 23. September 1999 - 4 StR 700/98,
StraFo 2000, 53, 54 mwN). In der pauschalen Begründung, die vom Angeklag-
ten behauptete Äußerung der Nebenklägerin, sie wolle den Angeklagten "in
den Knast bringen", ließe keinen zwingenden Schluss zu, liegt daher ein
Rechtsfehler.
3. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1
StPO).
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Weder vermag der Senat zu prüfen, ob das Landgericht im Rahmen sei-
ner ihm obliegenden antizipierenden Würdigung den unter Beweis gestellten
Behauptungen rechtsfehlerfrei keine Bedeutung zugemessen hat, noch kann
ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller sein Prozessverhalten auf eine
den Anforderungen entsprechende Begründung des Ablehnungsbeschlusses in
einer für den Schuldspruch erheblichen Weise hätte einrichten können.
Becker Hubert Mayer
Gericke Spaniol
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