Urteil des BGH vom 12.07.2016

Unterbringung, Abhängigkeit, Konsum, Marihuana

ECLI:DE:BGH:2016:120716B3STR243.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 243/16
vom
12. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 12. Juli
2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des
Landgerichts Duisburg vom 16. März 2016 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben, soweit eine Unterbringung des An-
geklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungs-
mitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vierzehn Fällen sowie wegen Ein-
fuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handel-
treiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die
allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Ent-
scheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel un-
begründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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Während Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten aufweisen, kann das Urteil nicht bestehen bleiben, soweit das
Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt
abgelehnt hat. Es hat dies damit begründet, dass bei dem Angeklagten keine
"Rauschmittelabhängigkeit im Sinne eines Hanges, berauschende Mittel im
Übermaß zu sich zu nehmen", festgestellt werden könne und hierbei auf die im
Rahmen der Beweiswürdigung dargestellten Angaben des Sachverständigen
Bezug genommen. Danach leide der Angeklagte nicht an einer Abhängigkeits-
erkrankung, die als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB zu
qualifizieren wäre.
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer die Vo-
raussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein sol-
cher liegt nicht nur im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhen-
den Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychi-
scher Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung,
immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine
physische Abhängigkeit bestehen muss (BGH, Beschlüsse vom 4. April 1995
- 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 StR
429/10, juris Rn. 4). Ausreichend für die Annahme eines Hanges zum über-
mäßigen Genuss von Rauschmitteln ist, dass der Betroffene aufgrund seiner
Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann
auch dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits die Gesund-
heit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind, indizielle Bedeutung für
das Vorliegen eines Hanges zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen
schließt indes nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (st.
Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, juris Rn. 10).
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Diese Voraussetzungen liegen angesichts der Feststellungen nahe, wonach
der Angeklagte im überwiegenden Tatzeitraum täglich 1 g Marihuana sowie alle
zwei Tage zusätzlich 1 g Kokain konsumierte, die Taten durch seinen Betäu-
bungsmittelkonsum mitmotiviert waren (UA S. 23) und er seit seiner Haftver-
schonung im Dezember 2015 eine ambulante Drogentherapie absolviert. So-
weit der Angeklagte demgegenüber nach den Angaben des Sachverständigen
seinen regelmäßigen Konsum ohne ausgeprägte Toleranzentwicklung kontrol-
liert und in der Untersuchungshaft keine schwerwiegenden Entzugssymptome
entwickelt hatte, steht dies zwar der Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms im
Sinne von ICD 10, F 12.2 entgegen, schließt aber einen Hang im Sinne von
§ 64 Satz 1 StGB nicht aus.
Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen - auch im
Hinblick auf die erforderliche Gefahrenprognose - nicht von vornherein aus-
scheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in ei-
ner Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der
Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungs-
anordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO, vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990
- 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5); er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch
das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH,
Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
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Der Senat schließt aus, dass die rechtsfehlerhafte Unterlassung der
Prüfung einer Unterbringung nach § 64 StGB Einfluss auf den Strafausspruch
gehabt hat. Dieser kann daher bestehen bleiben.
Becker Mayer Gericke
Spaniol Tiemann
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