Urteil des BGH vom 30.06.2016

Überprüfung, Unterbringung, Mittäterschaft, Gehilfe

ECLI:DE:BGH:2016:300616B3STR221.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 221/16
vom
30. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
30. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Mönchengladbach vom 18. Dezember 2015 mit den je-
weils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.11., 12., 14. und 15.
der Urteilsgründe verurteilt worden ist;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;
c) im Maßregelausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen uner-
laubten" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16
Fällen, davon in vier Fällen (II.11., 12., 14. und 15. der Urteilsgründe) in Tatein-
heit mit "gemeinschaftlicher unerlaubter" Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
1
- 3 -
geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Mona-
ten verurteilt und zudem seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an-
geordnet. Außerdem hat es bestimmt, dass acht Monate der Gesamtfreiheits-
strafe vor dem Vollzug der Maßregel zu vollstrecken sind. Hiergegen wendet
sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Rüge der Verletzung materi-
ellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entschei-
dungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne
von § 349 Abs. 2 StPO.
Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Über-
prüfung des Urteils hat zum Schuldspruch in den Fällen II.1.-10., 13. und 16.
der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Hingegen hat das Urteil keinen Bestand, soweit der Angeklagte in den Fällen
II.11., 12., 14. und 15. der Urteilsgründe tateinheitlich wegen - gemeinschaftlich
begangener - Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt
worden ist. Zudem hält die Anordnung der Maßregel sachlichrechtlicher Prü-
fung nicht stand.
1. Nach den zu den Fällen II.11., 12., 14. und 15. der Urteilsgründe vom
Landgericht getroffenen Feststellungen bestellte in allen Fällen die nichtrevidie-
rende frühere Mitangeklagte, die Lebensgefährtin des Angeklagten, telefonisch
bei unbekannt gebliebenen Personen in den Niederlanden Heroin (in Fall II.11.
zusätzlich 3 g Kokain), ließ sich in der Folge von der Schwester des Angeklag-
ten mit deren Pkw in die Niederlande fahren, holte dort die Betäubungsmittel ab
und brachte sie in das Bundesgebiet in die gemeinsam mit dem Angeklagten
bewohnte Wohnung. Der Angeklagte wartete währenddessen zu Hause und
hielt - falls erforderlich - telefonischen Kontakt. In einem Fall (II.11.) telefonierte
auch der Angeklagte im Vorfeld der Abholung der Betäubungsmittel wegen des
2
3
- 4 -
Termins mit dem unbekannten Verkäufer. Die Betäubungsmittel waren nach
dem gemeinsamen Tatplan des Angeklagten und seiner Lebensgefährtin ab-
züglich eines zum Eigenkonsum bestimmten Anteils zum gewinnbringenden
Weiterverkauf bestimmt. In allen Fällen wurde ein Teil der eingeführten Betäu-
bungsmittel in der Folge an die gesondert Verfolgten Kay R. und Ilona
S. verkauft. Mit dem Gewinn sollte der gemeinsame Lebensunterhalt
sowie der eigene Drogenkonsum des Angeklagten und seiner Lebensgefährtin
finanziert werden.
Diese Feststellungen tragen die vom Landgericht in Bezug auf die Ein-
fuhr der Betäubungsmittel angenommene Mittäterschaft des Angeklagten (§ 25
Abs. 2 StGB) nicht. Zwar ist es nicht erforderlich, dass der Täter der Einfuhr
das Rauschgift eigenhändig ins Inland verbringt. Vielmehr kann auch derjenige,
der die Betäubungsmittel nicht selbst nach Deutschland transportiert,
(Mit-)Täter der Einfuhr des unmittelbar handelnden Täters sein, wenn er einen
Tatbeitrag erbringt, der sich bei wertender Betrachtung nicht nur als Förderung
fremden Tuns, sondern als Teil der zur Tatbestandsverwirklichung führenden
Tätigkeit aller Mitwirkenden darstellt, und der die Tathandlungen der anderen
als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH,
Urteil vom 22. Juli 1992 - 3 StR 35/92, BGHSt 38, 315, 319; Beschluss vom
5. April 2016 - 3 StR 554/15, NStZ-RR 2016, 209, 210; jeweils mwN). Wesent-
liche Anhaltspunkte für die Täterschaft sind dabei der Grad seines Eigeninte-
resses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder we-
nigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat
maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl.
BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 1991 - 1 StR 357/91, BGHSt 38, 32, 33; vom
31. März 2015 - 3 StR 630/14, StraFo 2015, 259, 260). Entscheidender Be-
zugspunkt für all diese Merkmale ist der Einfuhrvorgang selbst, wobei dem
4
- 5 -
Interesse des mit den zu beschaffenden Betäubungsmitteln Handel Treibenden
am Gelingen des Einfuhrvorgangs keine ausschlaggebende Bedeutung zu-
kommt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2014 - 3 StR 137/14, StV 2015,
633; vom 2. Juni 2016 - 1 StR 161/16, juris Rn. 3 f.; Körner/Patzak/Volkmer,
BtMG, 8. Aufl., § 29 Teil 5 Rn. 166 mwN). Auch der im Inland aufhältige Emp-
fänger von Betäubungsmitteln aus dem Ausland kann wegen täterschaftlicher
Einfuhr von Betäubungsmitteln strafbar sein, wenn er sie durch Dritte über die
Grenze bringen lässt und dabei mit Täterwillen die Tatbestandsverwirklichung
fördernde Beiträge leistet. Hat der Empfänger hingegen keinen Einfluss auf den
Einfuhrvorgang und wartet nur darauf, dass der Lieferant ihm die eingeführten
Betäubungsmittel bringt, kann er sich zwar etwa wegen einer Bestellung des
Rauschgifts wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln strafbar machen; die
bloße Bereitschaft zur Entgegennahme der eingeführten Betäubungsmittel be-
gründet aber weder die Stellung als Mittäter noch als Gehilfe der Einfuhr (Kör-
ner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 29 Teil 5 Rn. 167 mwN).
Nach diesen Maßstäben begegnet die Einordnung der Beteiligung des
Angeklagten als Mittäterschaft an der Einfuhr durchgreifenden rechtlichen Be-
denken. Der Angeklagte hatte zwar ein nicht unerhebliches Interesse an dem
Erwerb der Betäubungsmittel sowie deren Transport nach Deutschland, da er
diese teilweise mitverkaufen und teilweise selbst konsumieren wollte. Dies be-
gründet hier jedoch mit Blick auf den Umfang seiner Tatbeteiligung und seine
fehlende Tatherrschaft ebenso wenig eine (Mit-)Täterschaft an der Einfuhr wie
der Umstand, dass er jeweils - falls erforderlich - telefonischen Kontakt hielt. Es
bleibt nach den getroffenen Feststellungen bereits unklar, ob der Angeklagte
während der Einfuhrvorgänge tatsächlich mit seiner Lebensgefährtin telefonier-
te und unter welchen Umständen ein Telefonkontakt erforderlich werden konnte
oder sollte. Den Feststellungen lässt sich daher nicht entnehmen, dass der An-
5
- 6 -
geklagte einen auch nur geringen Einfluss auf den konkreten Transport der Be-
täubungsmittel von den Niederlanden nach Deutschland hatte. Diesen führte
vielmehr allein seine ebenfalls mit erheblichem Eigeninteresse handelnde Le-
bensgefährtin aus. Bei dem Erwerb der Betäubungsmittel war der Angeklagte
ebenso wenig zugegen wie bei der sich anschließenden Rückfahrt nach
Deutschland. Der vom Landgericht festgestellte gemeinsame Tatplan und das
im Vorfeld zur Tat II.11. der Urteilsgründe von dem Angeklagten mit dem Ver-
käufer geführte Telefonat vermag die rechtliche Einordnung dieser Tatbeiträge
durch das Landgericht nicht zu rechtfertigen. Dies gilt auch dann, wenn dem
Tatrichter bei der vorzunehmenden Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe
ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen sein sollte, der nur eingeschränkter revi-
sionsgerichtlicher Überprüfung zugänglich ist (vgl. BGH, Urteile vom
17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254 und vom 10. Dezember
2013 - 5 StR 387/13, juris Rn. 10). Denn ein solcher Beurteilungsspielraum
wäre aus den dargelegten Gründen hier jedenfalls überschritten.
Die Sache bedarf daher insoweit neuer tatgerichtlicher Verhandlung und
Entscheidung. Es ist nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhand-
lung weitere, über die bisherigen Feststellungen hinausgehende Umstände
festgestellt werden können, welche die Annahme rechtfertigen, der Angeklagte
habe sich an der Einfuhr als (Mit-)Täter, Anstifter oder Gehilfe beteiligt.
Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Einfuhr von Betäubungsmit-
teln bedingt auch die Aufhebung des - für sich genommen rechtsfehlerfreien -
Schuldspruchs wegen tateinheitlich verwirklichten Handeltreibens mit Betäu-
bungsmitteln in nicht geringer Menge sowie der Gesamtstrafe. Um dem neuen
Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, sieht der Senat
6
7
- 7 -
davon ab, die insoweit bislang getroffenen Feststellungen auch nur teilweise
bestehen zu lassen.
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Ent-
ziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls
nicht stand.
Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei einen Hang des Angeklagten
zum übermäßigen Konsum von Betäubungsmitteln, den symptomatischen Zu-
sammenhang zwischen diesem und den abgeurteilten Taten sowie auch die
Gefahr festgestellt, dass der Angeklagte aufgrund seines Hangs weitere erheb-
liche rechtswidrige Taten begehen wird (§ 64 Satz 1 StGB). Indes ergeben die
Urteilsgründe nicht hinreichend, dass die erforderliche konkrete Aussicht auf
einen Therapieerfolg im Sinne des § 64 Satz 2 StGB besteht. Ein solcher ist
nur dann anzunehmen, wenn die Entzugsbehandlung voraussichtlich innerhalb
der in § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB für diese Maßregel festgesetzten Höchstfrist
zum Erfolg führen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. April 2012 - 3 StR
65/12, BGHR StGB § 64 Abs. 2 Erfolgsaussicht 1; vom 15. April 2014 - 3 StR
48/14, NStZ-RR 2014, 212, 213). Dies bleibt nach den vom Landgericht ge-
troffenen Feststellungen offen, weil es die voraussichtliche Dauer für eine er-
folgreiche Therapie nicht festgestellt hat. Eine präzise Prognose hinsichtlich der
voraussichtlich notwendigen Dauer des Maßregelvollzuges ist zudem Voraus-
setzung für die Bemessung eines etwa vorweg zu vollziehenden Teils der Frei-
heitsstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2013 - 4 StR 60/13, juris Rn. 3
mwN). Die Anordnung der Maßregel kann daher keinen Bestand haben. Da es
möglich erscheint, dass ein sachverständig beratener neuer Tatrichter zu der
Prognose gelangt, die erforderliche Dauer einer Unterbringung in einer Entzie-
hungsanstalt werde (voraussichtlich) zwei Jahre nicht übersteigen, bedarf die
8
9
- 8 -
Sache auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Durch die Aufhe-
bung der Anordnung der Maßregel ist zugleich die Anordnung über den Vor-
wegvollzug gegenstandslos.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol