Urteil des BGH vom 06.08.2015

Bargeld, Verminderung, Besuch, Gespräch

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 1 9 8 / 1 5
vom
6. August 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. August
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Osnabrück vom 22. Januar 2015 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten
dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staats-
kasse.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Heimtückemordes zu der
Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet
mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verlet-
zung materiellen Rechts gestützten Revision, das Landgericht habe den Ange-
klagten rechtsfehlerhaft nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus unterge-
bracht (§ 63 StGB). Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler von der Anordnung einer Un-
terbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgese-
hen, denn es hat nicht sicher feststellen können, das dessen Steuerungsfähig-
keit bei der Begehung der Tat infolge einer krankhaften seelischen Störung er-
heblich vermindert war (§§ 63, 21 StGB); es hat eine erhebliche Verminderung
der Steuerungsfähigkeit lediglich nicht ausschließen können. Die dem zu Grun-
de liegende Würdigung der Beweise begegnet entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin keinen rechtlichen Bedenken.
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a) Der 23-jährige, bislang nur wegen Diebstahls in Erscheinung getrete-
ne Angeklagte leidet an einer chronifizierten paranoid-halluzinatorischen Schi-
zophrenie. Nachdem er am Vortag die ihm monatlich zustehende Sozialleistung
in Höhe von 329 € in bar erhalten hatte, begab er sich am Nachmittag des
2. Juli 2014 zunächst zweimal in die Unterkunft der ihm bis dahin unbekannten
späteren Getöteten, um dort jeweils gegen Bezahlung deren Dienste als Prosti-
tuierte in Anspruch zu nehmen. Gegen 19.30 Uhr kehrte er wie angekündigt
nochmals zurück, wobei er nunmehr ein einseitig geschliffenes Messer mit etwa
11 cm langer Klinge bei sich führte. Von seinem Bargeld waren ihm lediglich
noch 10 € verblieben. Während er den linken Arm um die Frau legte, stach er
mit dem in der rechten Hand gehaltenen Messer unvermittelt insgesamt zehn-
mal in Tötungsabsicht auf deren Körper ein. Um ihre Schreie zu unterdrücken,
hielt er ihr sodann über geraume Zeit hinweg Mund und Nase zu, sodass sie
nach kurzer Zeit an Verbluten und Ersticken verstarb. Spätestens nach dem
von ihm festgestellten Eintritt des Todes entschloss sich der Angeklagte, die
Habe seines Opfers nach Wertsachen zu durchsuchen. Vorgef
undene 80 €
Bargeld, ein iPhone und einen Laptop nahm er an sich und entfernte sich da-
mit.
Davon, dass der Angeklagte sein Opfer beim dritten Besuch deshalb tö-
tete, weil er infolge der mit seiner Erkrankung einhergehenden Persönlichkeits-
veränderung aus einem lautstarken Wortwechsel beim vorangegangenen Ver-
lassen der Unterkunft auf Ablehnung und Zurückweisung schloss, hat sich das
Landgericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit überzeugen können. Das
Landgericht hält es vielmehr für möglich, dass der Angeklagte handelte, um
sich in den Besitz von Bargeld oder anderen Wertsachen des Opfers zu
bringen.
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b) Die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen
(§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der
Hauptverhandlung ein Urteil über die für die Rechtsfolgen bedeutsamen Um-
stände zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein;
es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt
sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in
sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüch-
lich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfah-
rungssätze verstößt oder an die Überzeugungsbildung überhöhte Anforderun-
gen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die
tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine ab-
weichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen
wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14,
NStZ 2014, 507, 508).
c) Nach diesen Maßstäben ist gegen die Beweiswürdigung des Landge-
richts von Rechts wegen nichts zu erinnern.
aa) Sachverständig beraten sieht das Landgericht zunächst keine An-
haltspunkte dafür, dass in der Tatsituation ein akutes Wahnerleben im Sinne
einer produktiv-psychotischen Symptomatik zum Tragen kam. Die Wahnthema-
tik des Angeklagten sei bislang wesentlich geprägt gewesen durch angstvoll-
bedrohlich erlebte Beeinträchtigungen seitens Familienangehöriger; "Stimmen"
hätten ihm den Abbruch der familiären Beziehungen nahe gelegt. Delikte wie
Körperverletzungen und Widerstandshandlungen weise sein Vorleben nicht
auf. Auch habe ausreichende Gelegenheit gefehlt, das Tatopfer, das er erst
kurz vor der Tat kennengelernt habe, in Wahnideen einzubauen.
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bb) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landgericht aber auch
die durch die chronifizierte, sich nunmehr über fünf bis sechs Jahre unbehan-
delt entwickelnde Erkrankung hervorgerufene Persönlichkeitsstörung des An-
geklagten und deren mögliches Zusammenspiel mit dem vor der Tat konsu-
mierten Alkohol hinreichend in Bedacht genommen. Vorgeschichte und Aussa-
gen von Zeugen aus dem persönlichen Umfeld belegten neben dissozialen
Persönlichkeitszügen eine untergesteuerte Affektregulation, eine hochgradige
Kränkbarkeit sowie einen paranoiden Denkstil, der von Misstrauen, emotionaler
Kälte und geringer Empathiefähigkeit bis hin zu offener Feindseligkeit und Hass
geprägt sei. Hieraus ergebe sich ein erhöhtes Risiko für gewalttätiges Verhal-
ten; angesichts der aus psychiatrischer Sicht ernstzunehmenden anlasslosen
Bemerkung des Angeklagten gegenüber einem Zeugen, er könne "auch töten",
stehe dieser Annahme auch die unauffällige Vorgeschichte nicht entgegen.
Wiederum sachverständig beraten misst das Landgericht unter diesen
Umständen dem vorangegangenen Wortwechsel des Angeklagten mit dem
späteren Tatopfer entscheidende Bedeutung bei. Sollte es zu einer streitigen
Auseinandersetzung gekommen sein, so wären in Anbetracht der Schwere des
Krankheitsbildes die Voraussetzungen einer erheblichen Verminderung der
Steuerungsfähigkeit sicher gegeben. Anderes gälte indes, wenn das spätere
Tatopfer lediglich in einem ansonsten unverfänglichen Gespräch die Stimme
erhoben hätte. Dass der Angeklagte aufgrund seiner verfestigten Persönlich-
keitsveränderung und unter dem Einfluss des konsumierten Alkohols als
konstellativem Faktor eine solche Situation missverstanden, sie als Verletzung
oder Zurückweisung empfunden und deshalb überschießende Impulsivität ent-
wickelt hätte, liege zwar nahe; sicher feststellen ließe sich eine solche Fehlin-
terpretation aus psychiatrischer Sicht jedoch nicht.
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Hinreichende Indizien für einen Streit hat das Landgericht indes nicht
gewinnen können. Der im Übrigen geständige Angeklagte hat jede vorange-
gangene Auseinandersetzung mit der später Getöteten in Abrede gestellt. Die-
se selbst hatte einer wegen möglicher "Probleme" herbeigeeilten Arbeitskolle-
gin erklärt, man habe lediglich infolge Verständigungsschwierigkeiten - es blieb
nur die von beiden unzureichend beherrschte englische Sprache - lauter ge-
sprochen; über den angekündigten weiteren Besuch des Angeklagten hatte sie
sich erfreut gezeigt. Wenn das Landgericht hiernach und angesichts dessen,
dass der zwischenzeitlich mittellose Angeklagte nach der Tötung sogleich zur
Wegnahme von Wertgegenständen schritt, einen von vornherein geplanten
Raubmord für möglich gehalten hat, ist dies von Rechts wegen nicht zu bean-
standen. Mit der Frage, ob (auch) bei Zugrundelegung einer solchen Tatvarian-
te die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten krankheitsbedingt erheblich ver-
mindert gewesen wäre, brauchte sich das Landgericht entgegen der Auffas-
sung des Generalbundesanwalts nicht auseinanderzusetzen, denn nach dem
ausführlich mitgeteilten Ergebnis des psychiatrischen Sachverständigengutach-
tens liegt dies mangels zureichenden Bezugs zum Krankheitsbild des Ange-
klagten fern.
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2. Die Bemessung der Strafe weist keinen Rechtsfehler zum Vorteil oder
zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten auf. Der Senat braucht deshalb
nicht zu entscheiden, ob die Revision wirksam auf die Nichtanordnung der
Maßregel beschränkt ist oder den Rechtsfolgenausspruch insgesamt erfasst.
Becker Hubert Mayer
RiBGH Gericke befindet sich
Spaniol
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker
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