Urteil des BGH vom 30.06.2015

Schuldfähigkeit, Unterbringung, Verminderung, Schizophrenie

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 S t R 1 8 1 / 1 5
vom
30. Juni 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 30. Juni 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landge-
richts Verden vom 25. Februar 2015 aufgehoben; jedoch blei-
ben die Feststellungen zu den Taten Ziffer III. der Urteilsgründe
aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die allgemeine
Sachbeschwerde gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Ent-
scheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Die Feststellungen des Landgerichts zu den Taten des Beschuldigten
beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
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2. Die Anordnung der Unterbringung muss aufgehoben werden, da das
Landgericht die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehler-
frei entschieden hat.
a) Nach den Darlegungen des Landgerichts war die Einsichtsfähigkeit
des Beschuldigten bei den Taten III. 1. c) aa) und bb), III. 1 b) bb), III. 3. b) aa)
der Urteilsgründe (Nr. 1 bis 4, 7 der Antragsschrift) aufgrund seiner paranoiden
Schizophrenie höchstwahrscheinlich ausgeschlossen, sicher aber erheblich
beeinträchtigt, die Steuerungsfähigkeit hingegen vollständig erhalten geblieben.
Damit ist die gesetzliche Voraussetzung (vgl. § 63 StGB), dass der Be-
schuldigte diese fünf Taten im Zustand sicher festgestellter zumindest einge-
schränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begangen hat, nicht belegt.
Nimmt der Tatrichter eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters
an, so muss er darüber befinden, ob diese sodann zum Fehlen der Un-
rechtseinsicht geführt oder ob der Täter gleichwohl das Unrecht der Tat einge-
sehen hat (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 13. November 1990 - 1 StR 514/90,
BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 3; vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94,
BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; Beschluss vom 5. August 2014 - 3 StR
271/14, juris Rn. 7). Hat ihm die Einsicht gefehlt, so ist weiter zu prüfen, ob ihm
dies zum Vorwurf gemacht werden kann. Ist ihm das Fehlen nicht vorwerfbar,
so ist auch bei nur verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern
§ 20 StGB anwendbar. Nur wenn dem Täter die Einsicht gefehlt hat, dies ihm
aber zum Vorwurf gemacht werden kann, lägen die Voraussetzungen des § 21
StGB in den Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit vor. Hat dagegen der Ange-
klagte ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht
seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen, so ist seine Schuld nicht
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gemindert und § 21 StGB im Hinblick auf die verminderte Einsichtsfähigkeit
nicht anwendbar (BGH, Beschluss vom 30. September 2014 - 3 StR 261/14,
juris Rn. 3).
b) Gleiches gilt im Ergebnis für die übrigen drei Taten, bei denen das
Landgericht neben der erheblichen Verminderung der Einsichtsfähigkeit auch
eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten fest-
gestellt hat. Die Anwendung des § 21 StGB kann nicht auf beide Alternativen
- erheblich verminderte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit - zugleich gestützt
werden. Wie dargelegt ist eine verminderte Einsichtsfähigkeit strafrechtlich erst
dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat, während
die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner
erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tat-
zeitpunkt tatsächlich eingesehen hat. Im Gegensatz dazu führt erheblich ver-
minderte Steuerungsfähigkeit ohne Weiteres zur Anwendung des § 21 StGB.
Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen hat der Tatrichter sich deshalb
Klarheit darüber zu verschaffen, welche Alternative des § 21 StGB vorliegt
(BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, BGHR StGB § 21 Einsichts-
fähigkeit 6 mwN). Ein Fall, in dem das Revisionsgericht ausnahmsweise aus
dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe sicher entnehmen kann, dass
das Landgericht von erhalten gebliebener Einsicht des Beschuldigten in das
Tatunrecht ausgegangen ist, liegt nicht vor.
c) Über die psychische Befindlichkeit des Beschuldigten bei den Taten,
deren Einfluss auf die Schuldfähigkeit und ggf. über die weiteren Vorausset-
zungen der Unterbringung nach § 63 StGB muss deshalb erneut befunden
werden.
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3. Für das weitere Verfahren sieht der Senat Anlass zu folgenden Be-
merkungen:
a) Sollte die erneute Überprüfung ergeben, dass eine verminderte
Schuldfähigkeit bei einzelnen oder allen Taten nicht allein auf einer Schizo-
phrenie des Beschuldigten beruht, sondern auf dessen Alkoholabhängigkeit
und Polytoxikomanie, so wäre auf die in solchen Fällen geltenden besonderen
Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
(vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 376/09, NStZ-RR 2010, 42)
Bedacht zu nehmen. Den bisherigen Wertungen zur Schuldfähigkeit bei den
Taten 5, 6 und 8 der Antragsschrift (UA S. 42 f.) lässt sich allerdings entneh-
men, dass die Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit bereits allein auf die
Psychose gestützt werden sollte und der Alkoholisierung lediglich noch eine
verstärkende Wirkung zugemessen wurde.
b) Die Taten III. 1. b) bb) sowie III. 2. a) aa) der Urteilsgründe (Nr. 3, 4
und 5 der Antragsschrift) scheiden entgegen der Auffassung im angefochtenen
Urteil nicht deshalb als Anlasstaten für eine Unterbringung aus, weil der Be-
schuldigte krankheitsbedingt den subjektiven Tatbestand nicht erfüllt hat. Es
berührt den natürlichen Tatvorsatz nicht, wenn der Täter infolge seines Zu-
stands Tatsachen verkennt, die jeder geistig Gesunde richtig erkannt hätte
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(BGH, Beschluss vom 24. Juni 2008 - 3 StR 222/08, NStZ-RR 2008, 334; Be-
schluss vom 18. Juni 2014 - 5 StR 189/14, juris mwN). Diese Taten können
deshalb grundsätzlich zum Anlass für eine neuerliche Unterbringung gemacht
werden (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
Becker Pfister Mayer
Gericke Spaniol