Urteil des BGH vom 09.06.2015

Grundsatz der Unmittelbarkeit, Unterschlagung, Einverständnis, Angeklagter

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 S t R 1 1 3 / 1 5
vom
9. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
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2.
3.
wegen schweren Raubes u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerde-
führer und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
9. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Stade vom 9. Oktober 2014 im Schuldspruch dahin
geändert, dass sie im Fall B. I. der Urteilsgründe jeweils nur
des Diebstahls schuldig sind; die tateinheitliche Verurteilung
wegen Unterschlagung entfällt.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstande-
nen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen schweren Raubes in
zwei Fällen sowie wegen Diebstahls in Tateinheit mit Unterschlagung zu Ge-
samtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (Angeklagter
W. ), vier Jahren und drei Monaten (Angeklagter R. ) und drei Jahren
und sechs Monaten (Angeklagter H. ) verurteilt. Dagegen wenden sich
die Beschwerdeführer mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen
Rechts gestützten Revisionen; der Angeklagte W. beanstandet darüber
hinaus das Verfahren. Die Rechtsmittel haben nur den aus der Entscheidungs-
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formel ersichtlichen geringfügigen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Im Fall B. I. der Urteilsgründe hält der Schuldspruch rechtlicher Prü-
fung nicht stand, soweit die Angeklagten tateinheitlich zu der rechtlich zutref-
fenden Verurteilung wegen Diebstahls auch der Unterschlagung schuldig ge-
sprochen worden sind.
a) Hierzu hat das Landgericht festgestellt, dass die Angeklagten und der
Nichtrevident B. , der Angestellter bei einer Tankstelle war, übereinkamen,
einen Raubüberfall auf die Tankstelle vorzutäuschen. Die den vorgetäuschten
Überfall ausführenden Angeklagten R. und H. entwendeten in er-
heblichem Umfang Zigaretten aus den Regalen der Tankstelle und nahmen im
Einverständnis mit dem Nichtrevidenten die Wechselgeldkasse mit, die 350 €
Bargeld enthielt.
b) Zwar ist die Annahme nicht zu beanstanden, dass der Nichtrevident
B. , der als Angestellter während der Dauer seiner Schicht verantwortlich für
die Wechselgeldkasse war, als Kassenverwalter Alleingewahrsam an dem in
der Kasse befindlichen Bargeld hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 1988
- 3 StR 115/88, BGHR StGB § 246 Abs. 1 Alleingewahrsam 1 mwN) und dass
deshalb insoweit - anders als hinsichtlich der durch die gleiche Tat erbeuteten
Zigaretten - eine Verurteilung wegen Diebstahls mangels Gewahrsamsbruchs
nicht in Betracht kommt. Der Verurteilung auch wegen Unterschlagung steht
indes die Subsidiaritätsklausel des § 246 Abs. 1 StGB entgegen, nach der die-
ser Tatbestand zurücktritt, wenn der Täter sich durch die Tat zugleich auch
nach einer anderen Vorschrift strafbar gemacht hat und diese nach der im kon-
kreten Fall anzuwendenden gesetzlichen Strafdrohung eine Höchststrafe von
mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht (BGH, Beschluss vom 24. Juli
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2014 - 3 StR 188/14, juris Rn. 2). Dies ist hier der Fall, weil die Höchststrafe
des durch dieselbe Tat verwirklichten Tatbestands des Diebstahls (an den Ziga-
retten) gemäß § 242 Abs. 1 StGB fünf Jahre Freiheitsstrafe beträgt.
c) Die Änderung der Schuldsprüche lässt die in diesem Fall verhängten
Einzelstrafen unberührt. Das Landgericht hat in der Strafzumessung ausdrück-
lich nicht straferschwerend berücksichtigt, dass die Angeklagten tateinheitlich
zu dem Diebstahl noch eine Unterschlagung begangen hätten.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten sind - wie in den An-
tragsschriften des Generalbundesanwalts dargelegt - unbegründet. Der nähe-
ren Erörterung bedarf nur Folgendes:
Die Verfahrensbeanstandung, mit der der Angeklagte W. die Ver-
lesung eines die Nebenklägerin S. betreffenden Attests als Verletzung des
Unmittelbarkeitsgrundsatzes rügt, hat keinen Erfolg.
a) Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, wird ein Ver-
fahrensfehler nicht bestimmt behauptet, soweit die Revision beanstandet, die
Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO hätten nicht vorgelegen. Mit
dem Revisionsvorbringen, es sei "fraglich, ob vorliegend überhaupt von Einver-
ständnis ausgegangen werden kann", sowie, das Protokoll vermerke zwar, dass
die Prozessbeteiligten keine Bedenken gegen die Verlesung erhoben hätten,
damit sei dem Erfordernis einer Einverständniserklärung aber nicht Genüge
getan, macht der Beschwerdeführer zum einen nicht in bestimmter Weise gel-
tend, dass die erforderlichen Einverständniserklärungen nicht abgegeben wor-
den seien, und rügt zum anderen letztlich nur, dass sich das Einverständnis
nicht aus dem Protokoll ergebe. Das genügt zur zulässigen Erhebung der Rüge
nicht (LR/Sander/Cirener, StPO, 26. Aufl., § 251 Rn. 94 mwN).
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b) Zulässig ist die Beanstandung aber insoweit erhoben, dass ein Ver-
stoß gegen § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO vorliegt, weil das Landgericht die (einver-
ständliche) Verlesung des Attests nicht durch einen Gerichtsbeschluss ange-
ordnet hat. Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil indes nicht. Insoweit gilt:
Der Beschluss im Sinne von § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO dient der Unter-
richtung der Verfahrensbeteiligten über den Grund der Verlesung und der ein-
deutigen Bestimmung ihres Umfangs. Entscheidet - wie hier - ein Kollegialge-
richt, soll er zudem unter Beachtung der Aufklärungspflicht die Meinungsbil-
dung des gesamten Gerichts und nicht nur des Vorsitzenden über das einzu-
schlagende Verfahren sicherstellen und insbesondere den Schöffen im Hinblick
auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit den Ausnahmecharakter der Verlesung
deutlich machen. Entscheidend ist insoweit, ob die persönliche Vernehmung
des Zeugen zur weiteren Aufklärung erforderlich ist oder ob die Verlesung der
Niederschrift genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 4 StR 583/10,
BGHR StPO § 251 Abs. 4 Gerichtsbeschluss 6 mwN).
Das Beruhen eines Urteils auf einem nicht ergangenen oder nicht be-
gründeten Gerichtsbeschluss kann ausscheiden, wenn den Verfahrensbeteilig-
ten Grund und Umfang der Verlesung bekannt und damit die der Anordnung
der Verlesung zu Grunde liegenden Erwägungen rechtlich überprüfbar sind
(BGH aaO). Wird die Verlesung lediglich durch den Vorsitzenden angeordnet,
muss hinzukommen, dass die persönliche Vernehmung der Person, von der die
Erklärung stammt, nicht zur weiteren Aufklärung hätte beitragen können
(LR/Sander/Cirener, aaO, § 251 Rn. 81 mwN; BGH, Urteil vom 21. September
2000 - 1 StR 634/99, juris Rn. 6).
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Hier übergab der Beistand der Nebenklägerin das Attest im Kontext mit
dem Verfahrensgeschehen, das letztlich im Verzicht aller Verfahrensbeteiligten
auf die Vernehmung der Nebenklägerin als Zeugin mündete. In diesem Zu-
sammenhang stellte der Nebenklagevertreter auch den Antrag auf Verlesung
des Attests, gegen den ausweislich des Protokolls von den Verteidigern keine
Bedenken erhoben wurden. Danach konnte als Verlesungsgrund nur ein Ein-
verständnis im Sinne von § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO in Betracht kommen; eine
Verlesung nach § 256 Abs. 1 StPO schied ersichtlich aus. Auch über den Um-
fang der Verlesung konnte angesichts der überschaubaren Länge des Attests
keine Unklarheit bestehen. Der Senat kann zudem ausschließen, dass es durch
die Vernehmung der Ärztin der Nebenklägerin, die das Attest nur zwei Tage vor
dem Hauptverhandlungstag, an dem es verlesen worden ist, ausgestellt hatte,
mit Blick auf das Beweisthema - aktuelle Beschwerden der Nebenklägerin und
Wiederherstellung ihrer teilweisen Arbeitsfähigkeit nach einer durch den Über-
fall ausgelösten posttraumatischen Belastungsstörung - zu einer weiteren Auf-
klärung gekommen wäre.
Soweit die Revision im Rahmen der von ihr erhobenen - wie der Gene-
ralbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, unzulässigen - Aufklärungsrüge gel-
tend macht, die Ärztin hätte nähere Angaben zu einer bei der Nebenklägerin
bestehenden Vorerkrankung machen können, führt das zu keiner anderen Be-
wertung: Dass die Nebenklägerin bereits vor dem Überfall in psychologischer
Behandlung war, hat die Strafkammer ausdrücklich festgestellt. Diesen Um-
stand hat das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung auch zu Gunsten
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der Angeklagten berücksichtigt. Der Senat schließt deshalb aus, dass die Straf-
kammer, hätte sie die Ärztin zur Vorerkrankung der Nebenklägerin vernommen,
im Fall B. II. der Urteilsgründe eine mildere Einzelstrafe gegen den Beschwer-
deführer verhängt hätte.
Becker Pfister Mayer
Gericke Spaniol