Urteil des BGH vom 25.08.2016

Im Bewusstsein, Zusage, Angriff, Misshandlung

ECLI:DE:BGH:2016:250816B2STR559.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 559/15
vom
25. August 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Mordes u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und der Beschwerdeführer am 25. August 2016 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Koblenz vom 13. Mai 2015 mit den Feststellungen aufge-
hoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurge-
richtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hatte die Angeklagten mit Urteil vom 12. Juni 2013 we-
gen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in
Tatmehrheit mit Diebstahl in sieben rechtlich selbständigen Fällen jeweils zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und ihre Unterbringung
in der Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft,
die eine Verurteilung wegen Mordes erstrebte, hatte der Senat diese Entschei-
dung hinsichtlich der Verurteilung wegen des Tötungsdelikts sowie in den Ge-
samtstraf- und Maßregelaussprüchen aufgehoben. Nunmehr hat das Landge-
richt insoweit wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körper-
verletzung verurteilt, den Angeklagten D. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zehn Jahren und den Angeklagten B. zu sieben Jahren Gesamtfrei-
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heitsstrafe. Die auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel der Angeklagten ha-
ben Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verließen die Angeklagten,
die beide im Laufe des vorangegangenen Abends Amphetamin und Alkohol zu
sich genommen hatten, am 1. Dezember 2012 morgens nach 4.00 Uhr, eine
Diskothek in W. und fuhren mit dem Kraftfahrzeug des Angeklagten B.
zur Wohnung der Ex-Freundin des Angeklagten D. , mit der es in der Dis-
kothek zu Spannungen gekommen war. Sein Versuch, in ihre Wohnung zu ge-
langen, scheiterte. Daraufhin kontrollierten die Angeklagten die Türgriffe in der
Nähe abgestellter Fahrzeuge, um daraus eventuell Gegenstände zu entwen-
den. In diesem Augenblick näherte sich der Nebenkläger Z. , der dies bemerk-
te, sie aufforderte, dies zu unterlassen und ihr Tun mit den Worten "Ihr seid ja
Helden" kommentierte. Diese Zurechtweisung durch einen Unbeteiligten nahm
der Angeklagte D. als willkommenen Anlass, sich abzureagieren und
gleichzeitig seinen Ruf als aggressiven Zeitgenossen unter Beweis zu stellen.
Er beleidigte den Nebenkläger, nannte ihn unter anderem einen schwulen
Hund. Der Nebenkläger wollte sich diese Verbalattacken nicht gefallen lassen
und steuerte auf D. zu, um ihm Paroli zu bieten. Es kam zu einer verbalen
Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Nebenkläger äußerte, D. in
zwei Stücke zerreißen zu können oder zu wollen. Vom Beginn einer tätlichen
Auseinandersetzung sah der Angeklagte D. zu diesem Zeitpunkt im Hin-
blick auf die kräftige Statur seines Gegenübers noch ab. Dem Nebenkläger
wurde es schließlich zuviel, er wandte sich ab, ohne sich noch einmal umzu-
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drehen. Für ihn war, obwohl ihm D. Verschiedenes nachrief, die Ausei-
nandersetzung beendet.
Der über die Zurechtweisung erzürnte D. fasste den Entschluss,
den Nebenkläger Z. für sein unbotmäßiges Verhalten zu bestrafen.
Der Angeklagte D. ging daraufhin an den Kofferraum des PKW und
entnahm ihm einen dort von den beiden Angeklagten für den Fall einer körperli-
chen Auseinandersetzung deponierten Baseballschläger und versicherte sich
der Gefolgschaft des bis dahin untätigen Angeklagten B. . Dieser sagte sei-
ne Gefolgschaft zu, weil er sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen wollte,
hinter D. zurückzustehen bzw. ihn nicht unterstützt zu haben.
Im Bewusstsein, seinem Gegner auf diese Weise auf alle Fälle überlegen
zu sein, nahm der Angeklagte D. mit B. im Schlepptau gegen
4.40 Uhr die Verfolgung des sich entfernenden Nebenklägers Z. auf, wobei
B. klar war, dass D. Z. mit dem Baseballschläger misshandeln und
womöglich damit auch gegen dessen Kopf schlagen werde. Das nahm er billi-
gend in Kauf. D. schlug mit dem Baseballschläger auf den Boden, um
seinem Unmut über den Nebenkläger freien Lauf zu lassen und sich selbst wei-
ter anzustacheln. Dabei brach der Keulenkopf vom Griffstück des Schlägers ab.
Z. maß diesem Imponiergehabe, so er es denn überhaupt mitbekam, keine
Bedeutung bei und setzte seinen Weg fort. Beide Angeklagten erkannten, dass
der Nebenkläger die Auseinandersetzung für beendet erachtete und waren sich
deshalb bewusst, dass bei einem Angriff von hinten die Ausweich- und Vertei-
digungsmöglichkeiten des Tatopfers durch seine bestehende Ahnungslosigkeit
stark herabgesetzt waren.
In diesem Bewusstsein näherte sich der Angeklagte D. , der den
Keulenkopf des Schlägers in der Hand trug, dem Nebenkläger von hinten. Er
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trat dem immer noch ahnungslosen Nebenkläger von hinten in die Beine und
schlug ihm, um erst gar keinen Widerstand aufkommen zu lassen, gleichzeitig
mit dem Keulenkopf auf den Schädel, worauf dieser das Bewusstsein verlor, zu
Boden ging und sich durch den ungebremsten Aufprall den rechten Oberschen-
kelhals brach. Es folgten drei weitere Schläge von D. auf den Kopf des
Tatopfers, B. schlug mit der linken Faust zu und traf das linke Auge,
wodurch es zu einem Orbitabruch kam. Infolge der mit dem Baseballschläger-
kopf ausgeführten Schläge erlitt der Nebenkläger Platzwunden sowie eine Ein-
reißung an der linken Ohrmuschel. Im Bewusstsein, dem bewusstlosen Tatop-
fer möglicherweise auch tödliche Verletzungen beigebracht zu haben, ließen
die Angeklagten von ihm ab; es wurde kurze Zeit später von Passanten gefun-
den, die Rettungskräfte alarmierten.
2. Das Landgericht hat die Angeklagten im Hinblick auf dieses Gesche-
hen wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
verurteilt. Hinsichtlich beider Angeklagten ist es von einem heimtückischen Vor-
gehen im Sinne von § 211 StGB ausgegangen, beim Angeklagten D. hat
es zudem niedrige Beweggründe festgestellt. B. hat die Strafkammer auf-
grund einer „Gesamtschau“ als Mittäter angesehen.
II.
Die Revisionen der Angeklagten haben Erfolg.
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte B. habe als Mittä-
ter eines versuchten Mordes gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand. Die insoweit von der Strafkammer vorgenommene Gesamtschau, die in
die Feststellung mündet, B. habe zumindest konkludent zugesagt, sich ak-
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tiv an der Misshandlung des Nebenklägers durch den Mitangeklagten D.
zu beteiligen, und habe diese Zusage auch eingelöst, ist lückenhaft und lässt
durchgreifende Zweifel aufkommen, ob es eine solche Zusage gegeben hat und
ob
– sollte es eine entsprechende „Gefolgschaft“ des Angeklagten B. ge-
geben haben
– dies die Annahme mittäterschaftlichen Handelns trägt.
Das Landgericht folgert die Annahme einer Übereinkunft (im Vorfeld des
eigentlichen Tatgeschehens) im Wesentlichen aus einem „symbiosehaft anmu-
tenden Verhältnis der Angeklagten im Zeitraum vor der Tat“ und dem sich dar-
aus ergebenden Tatmotiv des Angeklagten B. , der mit D. solidarisch
gewesen sei und ihn deshalb unterstützt habe. Diese Würdigung greift zu kurz.
Der Angeklagte B. hatte sich während der gesamten vorangegangenen
Auseinandersetzung des Angeklagten D. mit dem Nebenkläger heraus-
gehalten, er wa
r „untätig“ geblieben, hatte sich also nicht an dem verbalen
Schlagabtausch mit dem Nebenkläger beteiligt. Warum sich B. nunmehr
entschlossen haben soll, seine vorherige Zurückhaltung aufzugeben und sich
an der folgenden körperlichen Attacke gegen den Nebenkläger zu beteiligen,
obwohl sich insoweit an der Motivlage des Angeklagten nichts verändert hatte,
hätte insoweit näherer Erörterung bedurft. Dass er dem Angeklagten D.
womöglich regelmäßig „hinterher dackelt“, wie das Landgericht feststellt, besagt
in diesem Zusammenhang noch nichts darüber, ob darin die Zusage einer Un-
terstützung des Angeklagten D. bei dessen nachfolgenden Totschlags-
handlungen zum Nachteil des Zeugen Z. zu sehen ist. Soweit die Strafkam-
mer im Übrigen die Feststellung solidarischen Verhaltens des Angeklagten B.
als Tatmotiv aus der vorangegangenen Zurückhaltung bei der verbalen
Auseinandersetzung und der anschließenden Aufnahme der Verfolgung des
Zeugen Z. folgert, erweist sich dies als zirkelschlüssig; dass er den Angeklag-
ten D. unterstützt hat, wird auch daraus abgeleitet, dass er einen Tatbei-
trag zur Misshandlung des Tatopfers beigesteuert hat.
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Selbst wenn man aber
– wie das Landgericht – davon ausginge, dass in
der Aufnahme der Verfolgung die Zusage einer Hilfeleistung liege, würde dar-
aus nicht zwangsläufig die Annahme mittäterschaftlicher Begehung zu folgern
sein. Insoweit wäre es erforderlich gewesen, anhand der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme vor-
zunehmen und darzulegen, dass
– obwohl B. nach den jetzt getroffenen
Feststellungen kein eigenes Tatinteresse verfolgte und (wohl) auch keine Tat-
herrschaft hatte
– gleichwohl als Täter anzusehen ist.
Dieser Rechtsfehler führt hinsichtlich des Angeklagten B. ohne Wei-
teres zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Senat kann nicht
ausschließen, dass eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände zu einer für
den Angeklagten günstigeren Entscheidung geführt hätte. Dies gilt auch vor
dem Hintergrund, dass B. nach den landgerichtlichen Feststellungen dem
Nebenkläger in Kenntnis der vorangegangenen Schläge des D. gegen
dessen Kopf einen Faustschlag versetzt hat. Darin könnte zwar eine sukzessive
Tatbeteiligung des B. zu sehen sein, die auch zur Zurechnung des voran-
gegangenen Verhaltens des D. führen könnte. Auch insoweit aber wäre
zu erörtern gewesen, ob dies die Annahme täterschaftlichen Handelns tragen
könnte.
2. Die Verurteilung des Angeklagten D. wegen versuchten Mordes
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat das Vorliegen von
Mordmerkmalen nicht hinreichend dargetan.
a) Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke begegnet durchgrei-
fenden rechtlichen Bedenken. Zu Unrecht ist die Strafkammer vom Vorliegen
eines Ausnutzungsbewusstseins beim objektiv heimtückischen Angriff gegen
das Tatopfer ausgegangen. Das Landgericht ist zwar nachvollziehbar davon
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ausgegangen, dass im Zeitpunkt des Aufschlagens des Baseballschlägers auf
den Boden zumindest die subjektive Komponente des bewussten Ausnutzens
einer möglichen Arg- und Wehrlosigkeit nicht gegeben war. Denn es war damit
zu rechnen, dass der Nebenkläger dieses Geräusch wahrnehmen und damit
auch seine denkbare Arglosigkeit entfallen würde. Die weitere Annahme der
Strafkammer, er habe in der Folge sein mit dem Aufschlagen verbundenes Im-
poniergehabe aufgegeben, und der ersichtlich aus der fehlenden Reaktion des
Nebenklägers gezogene Schluss, der Angeklagte D. habe sich nunmehr
den in der Ahnungslosigkeit des Tatopfers liegenden Vorteil zur Tatbegehung
zunutze gemacht, beruhen auf einer unzulänglichen Beweiswürdigung, die der
Entwicklung des Tatgeschehens nicht hinreichend Rechnung trägt. Unberück-
sichtigt bleibt zunächst, dass nicht etwa der Angeklagte bewusst eine Situation
herbeiführt, in der er die Möglichkeit hat, auf das arg- und wehrlose Opfer ein-
zuschlagen, er vielmehr
– wenn auch mit „Bewaffnung“ – eine offene Auseinan-
dersetzung mit dem Nebenkläger sucht. Prägend für die Tatsituation
– und in-
soweit besonders zu würdigen
– ist der Umstand, dass der Nebenkläger unbe-
irrt seines Weges geht und sich erst daraus die Möglichkeit eines Angriffs ge-
gen ein möglicherweise arg- und wehrloses Opfer ergibt. Dafür, dass dies der
Angeklagte im Zuge der Zurücklegung des Weges bis zum Überfall tatsächlich
erkannt und sich zunutze gemacht haben könnte, fehlen tragfähige tatsächliche
Anhaltspunkte. Die Strafkammer stellt nur fest, es habe insoweit ausreichend
Zeit bestanden zu bemerken, dass der Nebenkläger das Aufschlaggeräusch
entweder nicht gehört oder ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt habe (UA
S. 57). Ob der Angeklagte D. es aber tatsächlich beobachtet hat, wird
nicht dargetan. Es wird auch nicht weiter erörtert, von welcher Alternative der
Angeklagte ausgegangen sein könnte. Hätte er aus der fehlenden Reaktion des
Nebenklägers lediglich den nicht ganz fernliegenden Schluss gezogen, der Ne-
benkläger ignoriere
– wie schon zuvor, als er diesem Verschiedenes nachgeru-
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fen hatte, ohne dass dieser darauf reagierte
– die wahrgenommenen Geräu-
sche, könnte dies
– anders als in der Konstellation, wonach der Nebenkläger in
der Vorstellung des Angeklagten das Geräusch überhaupt nicht wahrgenom-
men hat
– darauf hindeuten, er sei schon gar nicht von einer Arglosigkeit des
Tatopfers ausgegangen, habe sich jedenfalls die Wehrlosigkeit des Opfers nicht
bewusst zunutze gemacht.
b) Auch die Annahme niedriger Beweggründe begegnet durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Ihr liegt eine unvollständige Gesamtwürdigung zugrunde,
die für das Geschehen maßgebliche Umstände außer Acht lässt. Die Straf-
kammer berücksichtigt zwar im Ausgangspunkt die Vorgeschichte, die der ei-
gentlichen Tat vorangeht, und nimmt dabei auch die Verantwortung des Neben-
klägers für die Konflikteskalation in den Blick (UA S. 62 f.). Sie erfasst dieses
Geschehen aber nicht vollständig in seiner für das Mordmerkmal relevanten
Bedeutung. Nicht unberücksichtigt bleiben darf der Umstand, dass es schließ-
lich zu einem Wortgefecht zwischen dem Angeklagten D. und dem Ne-
benkläger gekommen ist, das ersichtlich nichts oder nur noch wenig mit seinem
ursprünglichen Ausgangspunkt, der berechtigten Zurechtweisung durch den
Zeugen Z. , zu tun hatte. Wechselseitige Beleidigungen und schließlich auch
die Äußerung des Nebenklägers, D. in zwei Stücke zerreißen zu können
oder zu wollen, sind Gesichtspunkte, die bei der anzustellenden Gesamtwürdi-
gung einzubeziehen gewesen wären.
Auf dieser mangelhaften Würdigung beruht die angefochtene Entschei-
dung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass bei fehlerfreier Prüfung das
Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verneint worden wäre.
c) Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochte-
nen Entscheidung, auch hinsichtlich der an sich rechtsfehlerfrei festgestellten
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tateinheitlich verwirklichten gefährlichen Körperverletzung. Die Sache bedarf
insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Fischer Krehl Eschelbach
Ott Bartel