Urteil des BGH vom 22.10.2014

Versuch, Serie, Anschluss, Eigenschaft, Einwirkung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 5 0 9 / 1 3
vom
22. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
am 22. Oktober 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten H. N. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten M. N. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Köln vom 21. Juni 2013 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten H. N. wegen sexuel-
len Missbrauchs eines Kindes in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
sechs Jahren verurteilt und ihn vom Vorwurf der Tatbegehung in sechs weite-
ren Fällen freigesprochen. Den Angeklagten M. N. hat es wegen
sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstra-
fe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn vom Vorwurf einer wei-
teren Tat freigesprochen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der
Angeklagten mit der Sachrüge. Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der Angeklagte H. N. ist der Großonkel, der Angeklagte
M. N. der Onkel der am 20. Oktober 1999 geborenen Nebenkläge-
rin. Diese war bereits als Kind wegen der Trennung der Eltern erheblich psy-
chisch belastet und verhaltensauffällig. Der Angeklagte H. N. un-
terstützte die Mutter der Nebenklägerin in der Trennungssituation, weshalb sich
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der Kontakt ab Juni 2007 verstärkte. Seit Ende des Jahres 2009 änderte sich
diese Situation aus unbekannten Gründen dahin, dass nun der Angeklagte M.
N. die Nebenklägerin und ihren Bruder beaufsichtigte. Vor diesem
Hintergrund kam es im Zeitraum von Juni 2007 bis Februar 2011 zu einer Rei-
he von sexuellen Übergriffen durch die Angeklagten auf die Nebenklägerin.
Die erste Tat beging der Angeklagte H. N. im Zeitraum zwi-
schen Juni und Dezember 2007, indem er das Kind veranlasste, seinen Penis
anzufassen (Fall II.2.1 der Urteilsgründe). An einem Tag zwischen Juni 2007
und Ende 2009 versuchte er den vaginalen und analen Geschlechtsverkehr;
jedoch gelang es ihm nicht einzudringen. Anschließend sah er gemeinsam mit
dem Kind einen "Pornofilm" (Fall II.2.2). Einige Tage danach sah er erneut mit
dem Kind diesen Film (Fall II.2.3). An einem anderen Tag im Zeitraum zwi-
schen Juni und Dezember 2007 versuchte der Angeklagte H. N.
erneut erfolglos den analen Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin
(Fall II.2.4) und an einem weiteren Tag den vaginalen Geschlechtsverkehr
(Fall II.2.5). Ferner forderte er die Nebenklägerin auf, an seinem Geschlechts-
teil zu lutschen, was diese ablehnte (Fall II.2.6, wegen freiwilligen Rücktritts
vom Versuch nicht abgeurteilt). Im Tatzeitraum veranlasste er das Kind in zwei
Fällen jeweils während einer Autofahrt dazu, seinen Penis über der Bekleidung
anzufassen (Fälle II.2.7 und II.2.8). Während eines Urlaubs in Griechenland im
Sommer 2009 berührte er die Nebenklägerin an der Scheide (Fall II.2.9).
Der Angeklagte M. N. beging seine erste Tat an einem un-
bekannten Tag zwischen Juni 2007 und dem 7. Februar 2011, jedenfalls aber
nach der ersten Tat des Angeklagten H. N. . Dabei fasste er der
Nebenklägerin in die Hose und manipulierte an ihrer Scheide (Fall II.2.10). In
einem weiteren Fall manipulierte er ebenfalls an ihrer Scheide (Fall II.2.11). Am
5. Februar 2011 versuchte er den vaginalen Geschlechtsverkehr mit der Ne-
benklägerin, konnte aber nicht eindringen (Fall II.2.12).
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II.
Die Revisionen der Angeklagten gegen dieses Urteil sind unbegründet.
1. Die Feststellungen werden von der Beweiswürdigung des Landge-
richts getragen. Die Einwände der Revisionen hiergegen greifen nicht durch.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht
hat auf Grund der Sachrüge nur zu prüfen, ob dem Tatrichter Rechtsfehler un-
terlaufen sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Beweiswürdigung wider-
sprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder wenn sie gegen die Denkgesetze
oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Einen solchen Mangel weist
das angefochtene Urteil nicht auf.
Die von einer Aussagepsychologin sachverständig beratene Strafkam-
mer ist davon ausgegangen, dass die Nebenklägerin aussagetüchtig ist und
glaubhaft über die Taten berichtet hat. Falschaussagen seien wegen der Quali-
tät der Angaben auszuschließen, die originelle Details, Komplikationen im
Handlungsverlauf, eigenpsychisches Erleben und deliktstypische Interaktionen,
wie ein Schweigegebot der Angeklagten, enthalten. Ein Falschaussagemotiv
sei nicht ersichtlich. Eine suggestive Beeinflussung der Nebenklägerin durch
ihre Mutter, ihre Großmutter oder die Therapeutin sei auszuschließen, weil die-
se der Nebenklägerin lediglich die Möglichkeit gewährt hätten, sich zu offenba-
ren, ohne selbst im Einzelnen nachzufragen. Eine Übertragung von Erlebnissen
der Nebenklägerin mit einer Person auf eine andere sei auszuschließen, weil
die einzelnen Tatschilderungen eng mit den jeweiligen Lebensumständen der
Angeklagten verknüpft gewesen seien.
Gegen diese Würdigung der Zeugenaussagen der Nebenklägerin ist
rechtlich nichts zu erinnern. Die Strafkammer hat auch nicht übersehen, dass
die Nebenklägerin bereits vor Beginn des Tatzeitraums erheblich psychisch
belastet war. Einen relevanten Einfluss dieser Beeinträchtigung auf die Aussa-
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getüchtigkeit und das Aussageverhalten der Nebenklägerin hat das Landgericht
ausgeschlossen. Wenn es danach die Glaubhaftigkeit der Tatschilderungen
insbesondere damit begründet hat, dass die Qualität der Aussagen die Falsch-
aussagekompetenz der Nebenklägerin überschreite, weist die Beweiswürdi-
gung keinen Rechtsfehler auf.
2. Auch die rechtliche Würdigung des Landgerichts weist keinen
Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Das gilt auch, soweit es auf
das gemeinsame Anschauen eines "Pornofilms" durch den Angeklagten H.
N. und die Nebenklägerin in den Fällen II.2.2 und II.2.3 jeweils § 176
Abs. 4 Nr. 4 StGB angewendet hat.
Pornographisch sind Darstellungen, die sexualbezogenes Geschehen
vergröbernd und ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen
zeigen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2010 - 3 StR 177/10, NStZ 2011,
455). Dies ist hier nicht lediglich mit der Bezeichnung als "Pornofilm" umschrie-
ben worden. Die Eigenschaft des Films als pornographisch ist vielmehr durch
die Feststellung, dass er "unterschiedliche sexuelle Handlungen mehrerer Per-
sonen, wie beispielsweise den oralen Geschlechtsverkehr, zeigte", hinreichend
belegt.
Die Tathandlung des Einwirkens im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB
setzt eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art voraus (vgl. BGH aaO).
Auch dies ist jedenfalls nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe
anzunehmen. Das erste Anschauen des Videofilms erfolgte in Tateinheit mit
und im Anschluss an den vergeblichen Versuch des Angeklagten H.
N. , den vaginalen und analen Geschlechtsverkehr mit der damals acht-
jährigen Nebenklägerin zu vollziehen. In diesem Zusammenhang ist das An-
schauen des Films als erhebliches Einwirken auf die Nebenklägerin zu bewer-
ten. Hinsichtlich des weiteren Falls im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB konn-
te das Landgericht zwar nicht feststellen, dass diese Tat in unmittelbarem Zu-
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sammenhang mit weiteren sexuellen Handlungen begangen wurde. Jedoch war
die erneute Tat im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB jedenfalls im weiteren
Sinne in eine Serie von sexuellen Übergriffen mit Körperkontakt eingebettet.
Sie erlangt hierdurch ebenfalls den Charakter einer erheblichen Einwirkung.
3. Schließlich weist die Strafzumessung keinen Rechtsfehler auf.
Das Landgericht hat aus dem zeitlichen und situativen Zusammenhang
der Taten mit Verhaltensänderungen der Nebenklägerin darauf geschlossen,
dass die Beeinträchtigung der psychisch vorgeschädigten Nebenklägerin jeden-
falls auch durch die Sexualdelikte mitverursacht wurde. Dagegen ist rechtlich
nichts zu erinnern.
Das Landgericht durfte entgegen der Annahme der Revision des Ange-
klagten H. N. auch strafschärfend das Alter des Kindes berücksich-
tigen, weil es selbst gegen Ende des Tatzeitraums noch deutlich von der
Schutzaltersgrenze entfernt lag. § 46 Abs. 3 StGB wurde dadurch nicht verletzt.
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Soweit das Landgericht den Angeklagten zur Last gelegt hat, dass sie
innerhalb eines längeren Zeitraums eine Mehrzahl von Taten zum Nachteil der
Nebenklägerin begangen haben, ist auch dies rechtsfehlerfrei. In der Tatbege-
hung über einen langen Zeitraum lag eine gravierende Belastung des psy-
chisch vorgeschädigten Opfers. Das ist - unabhängig von der Anzahl der Taten,
die erst bei der Bildung der Gesamtstrafe von Bedeutung ist - eine rechtlich
nicht zu beanstandende Erwägung.
Fischer RiBGH Prof. Dr. Schmitt Eschelbach
ist an der Unterschriftsleistung
gehindert.
Fischer
Ott Zeng
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