Urteil des BGH vom 19.02.2015

Zustand, Persönlichkeitsstörung, Erpressung, Unterbringung, Schuldfähigkeit

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 S t R 4 2 0 / 1 4
vom
19. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Februar 2015 gemäß §§ 349
Abs. 2 und 4, 44 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Be-
gründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts
Köln vom 28. Mai 2014 gewährt.
2. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Köln vom
13. August 2014, mit dem die Revision des Angeklagten als
unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
3. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Ur-
teil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststel-
lungen aufgehoben.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
5. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Rau-
bes, besonders schwerer räuberischer Erpressung, Raubes, Raubes in Tatein-
heit mit räuberischer Erpressung sowie wegen räuberischer Erpressung zu ei-
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ner Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und
zugleich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Nach der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Frist zur Begründung der Revision hat die auf die Verletzung
materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet
(§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Das Landgericht ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass
der Angeklagte - ausgehend von einer in früher Kindheit aufgetretenen Epilep-
sieerkrankung - an einer organischen Persönlichkeitsstörung leide, die eine
krankhafte seelische Störung i.S.d. § 21 StGB darstelle und die sich bei der Be-
gehung aller Taten ausgewirkt habe.
Dabei hat es zunächst darauf hingewiesen, dass bei dem Angeklagten
verschiedene Störungen nebeneinander bestünden. Zum einen gebe es die
Epilepsieerkrankung mit Krampfanfällen, aber auch Wahrnehmungsstörungen.
Daneben bestünde eine organische Persönlichkeitsstörung, die sich vor allem
in Impulsverlust, emotionalen Schüben sowie kognitiven Störungen äußere.
Zudem seien psychotische Phänomene, die sich im Rahmen der Untersu-
chungshaft verstärkt hätten, und dissoziative Krampfanfälle festzustellen. Ge-
stützt auf die Angaben des Sachverständigen ist das Landgericht davon ausge-
gangen, dass der Angeklagte aufgrund der epileptischen Anfälle immer stärker
werdende Angstgefühle entwickelt habe, die sich zusammen mit epilepsiebe-
dingten Wahrnehmungsstörungen wie Lichtblitzen sowie psychogenen Krampf-
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anfällen stark auf die Entwicklung des Angeklagten ausgewirkt hätten. Eine
emotionale Reifung sei kaum erfolgt. Infolgedessen habe der Angeklagte kaum
die Fähigkeit entwickelt, sich Impulsen, die häufig aus emotionalen Schüben
resultierten, zu widersetzen. Es liege eine deutliche Störung hemmender Fakto-
ren vor, die sich auch bei Begehung der festgestellten Taten ausgewirkt habe.
Der Angeklagte habe insoweit - wofür auch die Begehungsweise der Taten
spräche - im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gehandelt. So
sei der Angeklagte von einem einmal gefassten Tatentschluss nicht mehr abzu-
bringen; dies zeige sich exemplarisch im Fall 3, bei dem der Angeklagte trotz
Anwesenheit von fünf Jugendlichen und trotz des Versuchs seines Begleiters,
ihn von der Tat abzuhalten, die Tatbegehung unbeirrt fortgesetzt habe. Die
Steuerungsfähigkeit sei aber nach den sachverständigen Erläuterungen nicht
aufgehoben gewesen. Der Angeklagte habe bei sämtlichen Taten, die zudem
eine gewisse Planung voraussetzten, zielgerichtet gehandelt. Auch die gute
körperliche Verfassung des Angeklagten, seine Koordinationsfähigkeit sowie
sein sonstiges Verhalten gegenüber den Geschädigten sprächen eindeutig ge-
gen eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit.
Die festgestellte Erkrankung des Angeklagten, die von länger dauernder
Art sei und bei alltäglichen Ereignissen eine erhebliche Beeinträchtigung der
Steuerungsfähigkeit auslösen könne, habe sich auch in den Anlasstaten symp-
tomatisch niedergeschlagen. Bedingt durch die organische Persönlichkeitsstö-
rung sei die Fähigkeit des Angeklagten, sich seinen Impulsen zu widersetzen,
erheblich vermindert gewesen.
Eine Gesamtwürdigung der Person des Angeklagten und der von ihm
begangenen Taten ergebe, dass von ihm in Folge seiner Erkrankung auch in
Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten in Form von Raubdelikten mit einer
Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten seien und er deshalb für die
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Allgemeinheit gefährlich sei. Aufgrund der Störung der Impulskontrolle habe der
Angeklagte - wie auch der Sachverständige ausgeführt habe - kaum die Fähig-
keit, Gefühlen und Impulsen zu widerstehen. Dabei sei es ungünstig einzu-
schätzen, dass es bei dem Angeklagten regelmäßig zu starken Stimmungs-
schwankungen komme und er plötzlich die Idee zur Begehung eines Raubes
habe und er einen solchen in dem in den hiesigen Taten zu Tage getretenen
Muster willkürlich und jederzeit begehen könne. Es sei möglich, dass der Ange-
klagte sich bewusst dazu entschließe, eine entsprechende Tat zu begehen; ge-
nauso sei es aber denkbar, dass es ganz spontan zum Tatentschluss komme
oder psychotische Wahrnehmungen Einfluss auf den Tatentschluss haben
könnten.
2. Diese Feststellungen und Wertungen des Landgerichts sind nicht ge-
eignet, die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB zu rechtfertigen.
Diese setzt die positive Feststellung voraus, dass der Angeklagte eine rechts-
widrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten
Schuldfähigkeit (§ 21) begangen hat. Insoweit ist insbesondere zu untersuchen,
ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhal-
tensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfä-
higen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist
(vgl. Senatsurteil vom 2. April 1997 - 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383; BGH, Be-
schluss vom 15. Juli 1997 - 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26).
Die Strafkammer hat zwar eingehend dargelegt, dass der Angeklagte an
einem unter die Eingangsmerkmale des § 21 StGB fallenden krankhaften Zu-
stand von einiger Dauer leidet. Sie hat es aber versäumt, in einer für das Revi-
sionsgericht nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass zwischen diesem Zu-
stand und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang be-
steht. Die von dem Angeklagten begangenen Taten - je nach der Ausgestaltung
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ein Raub oder eine räuberische Erpressung von Jugendlichen, denen der An-
geklagte unter Drohungen, allein oder mit einem Dritten, ihre Handys weg-
nimmt - sind im Grundsatz "jugendtypische" Delikte junger Heranwachsender,
bei denen auch im Falle einer organischen Persönlichkeitsstörung, die hier al-
lein als ein ein Eingangsmerkmal erfüllender Zustand in Betracht kommt, die
Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt auf
der Hand liegt. Sie sind nicht von einem einheitlichen Begehungsmuster ge-
prägt, werden zum Teil allein (Fälle 3 und 4) oder mit einem Dritten begangen
(Fälle 1, 2 und 5). Einigen Taten liegt ein mit einem anderen gefasster Tatent-
schluss zugrunde, andere Taten begeht der Angeklagte offenbar spontan und
allein.
Dass der Angeklagte bei all diesen unterschiedlich ausgestalteten Taten
sämtlich in seiner Steuerungsfähigkeit in erheblichem Maße eingeschränkt ge-
wesen sein soll, ist den Ausführungen der Strafkammer nicht nachvollziehbar
zu entnehmen. Das Landgericht ist nicht davon ausgegangen, dass der Ange-
klagte dauerhaft in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt ist, sondern hat
seiner Entscheidung die Einschätzung zugrunde gelegt, dass er lediglich situa-
tiv in einen solchen Zustand geraten kann. Das kann nach der sachverständi-
gen Einschätzung etwa der Fall sein, wenn der Angeklagte sich aufkommenden
Impulsen, die häufig aus emotionalen Schüben resultierten, nicht hinreichend
widersetzen kann. Belege dafür, dass den abgeurteilten Taten ein so verstan-
dener durchgreifender Mangel der Impulskontrolle zugrunde gelegen hat, finden
sich in der landgerichtlichen Entscheidung nicht. Emotionale Schübe, die zu
nicht kontrollierbaren Impulsen geführt hätten, sind nicht festgestellt, andere
Anhaltspunkte für eine gestörte Impulskontrolle wie etwa die vom Sachverstän-
digen erwähnten Stimmungsschwankungen sind nicht dargelegt und auch nicht
ersichtlich. Dass der Angeklagte seine Tatbegehung im Fall 3 "unbeirrt" fort-
setzte und im Fall 4 - nachdem er auf das Smartphone des Zeugen "fixiert"
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war - seinem Impuls, dieses an sich zu bringen, immer weiter nachging, sind
insoweit keine Umstände, die ohne Weiteres auf ein Verhalten schließen las-
sen, das von einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geprägt
sein muss. Gegen die Annahme einer gestörten Impulskontrolle lässt sich im
Übrigen anführen, dass die Taten 1 und 2 nach gemeinsamer Planung mit ei-
nem Mittäter begangen worden sind und Umstände nicht erkennbar sind, zu
welchem Zeitpunkt und wodurch der Angeklagte nach der wohl nicht im Zu-
stand des § 21 StGB durchgeführten Tatplanung in einem die Steuerungsfähig-
keit beeinträchtigenden Zustand einer gestörten Impulskontrolle geraten sein
soll. Dafür, dass diese jedenfalls im Fall 2 nicht krankheitsbedingt gestört war,
spricht zudem, dass er selbst seinen Mittäter von der Fortsetzung des Raub-
vorhabens abbrachte, woraus deutlich wird, dass er zur Kontrollierung von Ver-
halten durchaus in der Lage ist.
Nach alledem lässt sich auf der Grundlage der getroffenen Feststellun-
gen die Annahme nicht rechtfertigen, der Angeklagte habe aufgrund seiner Per-
sönlichkeitsstörung bei sämtlichen Taten jeweils im Zustand erheblich vermin-
derter Steuerungsfähigkeit gehandelt. Dies entzieht der Anordnung nach § 63
StGB die Grundlage. Der Senat hebt deshalb den Maßregelausspruch mit den
zugrunde liegenden Feststellungen auf. Der neue Tatrichter wird sich, nahe lie-
gender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen, umfas-
send erneut mit der Erkrankung des Angeklagten und seinen Auswirkungen auf
die Schuldfähigkeit auseinander zu setzen haben. Der Senat schließt aus, dass
sich dabei Feststellungen ergeben könnten, die zu einer Schuldunfähigkeit des
Angeklagten führen könnten, und lässt den Schuldspruch bestehen.
II.
Auch der Strafausspruch ist nicht frei von Rechtsfehlern.
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Das Landgericht hat den Fällen 3 bis 5 - worauf der Generalbundesan-
walt in seiner Zuschrift hingewiesen hat - einen unzutreffenden Strafrahmen von
drei Monaten bis sieben Jahre und sechs Monaten Freiheitsstrafe zugrunde
gelegt. Die Einzelstrafen in diesen Fällen wären dagegen dem gemäß §§ 21, 49
StGB gemilderten Strafrahmen des § 249 StGB, ein Monat bis drei Jahre neun
Monate Freiheitsstrafe, zu entnehmen gewesen. Dabei handelt es sich ersicht-
lich nicht um einen bloßen Schreibfehler. Da der Senat nicht ausschließen
kann, dass bei Zugrundelegung des zutreffenden Strafrahmens niedrigere Ein-
zelstrafen verhängt worden wären, hebt er die Strafen in diesen Fällen auf. Dies
entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Der Senat hebt auch die ver-
bleibenden Einzelstrafen in den Fällen 1 und 2 auf, um dem zur Entscheidung
berufenen Tatrichter auf der Grundlage der zur Schuldfähigkeit des Angeklag-
ten gewonnenen Erkenntnisse Gelegenheit zu einer insgesamt in sich stimmi-
gen Rechtsfolgenentscheidung zu geben.
Appl Krehl Eschelbach
Ott Zeng
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