Urteil des BGH vom 15.01.2015

Entschädigung, Vergewaltigung, Beschleunigungsgebot, Emrk, Einfluss

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 S t R 3 7 4 / 1 4
vom
15. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts - zu 1. auf dessen Antrag - und des Beschwerdeführers am
15. Januar 2015 gemäß § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 406a Abs. 2 Satz 2 StPO
entsprechend beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Bonn vom 22. April 2014 wird verworfen, soweit sie sich
gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet.
2. Die Entscheidung über die Revision des Angeklagten gegen
die im vorbezeichneten Urteil getroffene Adhäsionsentschei-
dung sowie über die Kosten des Rechtsmittels bleibt einer ab-
schließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-
heit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren
und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten verurteilt, an die
Nebenklägerin 5.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. April 2014 zu zahlen.
Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Verletzung formellen und ma-
teriellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Straf-
ausspruch richtet (1.); im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Revision des
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Angeklagten einer abschließenden Entscheidung des Senats nach Durchfüh-
rung des Anfrage- und Vorlageverfahrens (2 StR 137/14 und 2 StR 337/14)
vorbehalten (2. und 3.).
1. Die nicht ausgeführte Verfahrensrüge ist unzulässig (§ 344 Abs. 2
Satz 2 StPO). Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat hin-
sichtlich des Schuld- und Strafausspruchs keinen den Angeklagten beschwe-
renden Rechtsfehler ergeben.
2. Nach Ansicht des Senats begegnet auch die Entscheidung über die
Entschädigung der Verletzten (§ 406 StPO) keinen durchgreifenden rechtlichen
Bedenken.
Das Landgericht hat bei der Bemessung der Höhe der Schmerzensgel-
der allein auf die Tatumstände und die Folgen der Taten für die Geschädigte
abgestellt und dabei weder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten
noch diejenigen der Nebenklägerin berücksichtigt. Nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs können indes sowohl die wirtschaftlichen Verhältnisse
des Geschädigten als auch die des Schädigers auf die Bemessung der Ent-
schädigung Einfluss gewinnen (grundlegend BGH, Großer Senat für Zivilsa-
chen, Beschluss vom 6. Juli 1955 - GZ 1/55, BGHZ 18, 149, 159 f.).
Auf Basis dieser Rechtsprechung wäre der Adhäsionsausspruch aufzu-
heben, denn der Senat vermag angesichts der im vorliegenden Fall festgestell-
ten Vermögensverhältnisse des Angeklagten eine Erörterungspflicht, die sich zu
Gunsten des Angeklagten auswirken könnte, nicht zu verneinen (vgl. BGH, Be-
schlüsse vom 2. September 2014 - 3 StR 325/14, NStZ-RR 2014, 350, und vom
18. Juni 2014 - 4 StR 217/14; Senat, Urteil vom 5. März 2014 - 2 StR 503/13,
NStZ 2015, 49 f.). Eine Beschwer des Angeklagten kann auch im Hinblick auf
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die fehlende Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Nebenklägerin
nicht ausgeschlossen werden, da schon entsprechende Feststellungen zu de-
ren Lebens- und Vermögensverhältnissen, die diesen Schluss zulassen könn-
ten, fehlen.
Der Senat beabsichtigt jedoch, diese Rechtsprechung aufzugeben, da es
seiner Auffassung nach bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld
(§ 253 Abs. 2 BGB) weder auf die Vermögenslage des Geschädigten noch auf
die des Schädigers ankommen darf. Danach wären die Adhäsionsaussprüche
hier nicht zu beanstanden. Der Senat kann aber die Revision insoweit nicht als
unbegründet verwerfen, ohne von der geschilderten Rechtsprechung abzuwei-
chen. Er hat deshalb mit Beschluss vom 8. Oktober (2 StR 137/14 und 2 StR
337/14), auf dessen Gründe Bezug genommen wird, bei den anderen Strafse-
naten sowie dem Großen Senat für Zivilsachen gemäß § 132 GVG angefragt,
ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
3. Da auf Grund des Vorlageverfahrens über die Revision des Angeklag-
ten, soweit sie die Adhäsionsentscheidung betrifft, voraussichtlich nicht in ab-
sehbarer Zeit entschieden werden kann, ist aber eine Entscheidung über den
"entscheidungsreifen" strafrechtlichen Teil des angefochtenen Urteils zulässig
und geboten (vgl. dazu Beschlüsse vom 8. Oktober 2014 - 2 StR 137/14 und 2
StR 337/14). Die Dauer des Anfrage- und Vorlageverfahrens ist - zumal bei Be-
teiligung des Großen Senats für Zivilsachen - nicht absehbar. Zwar stellt die
Durchführung eines Anfrage- und Vorlageverfahrens nach § 132 GVG keine
prozessordnungswidrige, rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung dar. Im
Hinblick auf das verfassungsrechtliche (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3
GG) und in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ausdrücklich normierte Beschleuni-
gungsgebot hält es der Senat indes nicht für vertretbar, das Verfahren, obwohl
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es zum - für den Angeklagten im Vordergrund seines Rechtsmittels stehenden -
Schuldspruch und Strafausspruch entscheidungsreif ist, bis zum Abschluss des
Anfrage- und Vorlageverfahrens nicht weiter zu betreiben. Er entscheidet daher
über den Schuldspruch und den Strafausspruch vorab und wird entsprechend
§ 406a Abs. 2 Satz 2 StPO eine isolierte Entscheidung über den Adhäsions-
ausspruch treffen, sobald das Vorlageverfahren abgeschlossen ist.
Appl Schmitt Krehl
Eschelbach Zeng