Urteil des BGH vom 04.02.2015

Verminderung, Vergewaltigung, Anhörung, Flucht, Unterlassen

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 2 4 1 / 1 4
vom
4. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Februar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-
gerichts Aachen vom 17. März 2014 wird als unbegründet
verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-
heit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen vorsätzlicher Körperverlet-
zung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung zu einer Gesamtfrei-
heitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.
Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte
die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das vom Generalbundesan-
walt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen ist der Angeklagte seit 1983 mit der Neben-
klägerin K. verheiratet und hat mit dieser zwei Söhne im Alter von 16 und
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22 Jahren. Er arbeitete als Lokführer, bis sich im Sommer 2009 eine junge Mut-
ter mit ihrem sechsjährigen Kind vor den von ihm geführten Zug warf. Seitdem
ist er nicht mehr in der Lage, seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Zudem
leidet er infolge dieses Ereignisses unter chronischen posttraumatischen Belas-
tungsstörungen, die auch die bis dahin harmonische Ehe des Angeklagten be-
lasteten. Eine psychologische Behandlung verbunden mit einem Reha-Aufent-
halt bewirkte keine Verbesserung seines psychischen Zustands.
2. Auch seine Ehefrau, die ihn im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützt
hatte, litt in psychischer und physischer Hinsicht unter der Situation, weshalb
sie im Herbst 2013 an einer sechswöchigen Reha-Maßnahme teilnahm. Durch
die Therapiegespräche gelangte sie zu dem Entschluss, sich von dem Ange-
klagten zu trennen, was sie diesem am 14. September 2013 bei einer kurzzeiti-
gen Therapieunterbrechung mitteilte. Der daraufhin verzweifelte Angeklagte
rief, nachdem sich die Geschädigte wieder in die Einrichtung begeben hatte, in
der Reha-Klinik an, beklagte sich, dass man seiner Frau in der Kur den Kopf
verdreht habe, verlangte deren Rückkehr und drohte, im Falle seines Erschei-
nens vor Ort alle "umzuhauen".
3. Nach Beendigung der Reha-Maßnahme am 27. September 2013 kehr-
te die Nebenklägerin nach Hause zurück, wo sie sich weder zu einem klären-
den Gespräch noch zu einer Fortführung der Ehe bereit fand. Dies führte bei
dem Angeklagten zu einer Entladung all seiner Spannungen. Als seine Ehefrau
sich bückte, um ihre Reisetasche auszuräumen, näherte er sich unbemerkt von
hinten und schlang ihr - ein normalerweise in der Garage aufbewahrtes - Ab-
schleppseil um den Hals und zog es so kräftig zusammen, bis die Nebenkläge-
rin vorübergehend das Bewusstsein verlor. Dabei schleuderte er sie durch den
Flur, wobei sie immer wieder zu Boden fiel und dadurch zahlreiche Hämatome
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erlitt. Nach Lockerung des Seils äußerte der Angeklagte "ich fick Dich nochmal
und dann bist Du mich los". Aus Angst vor einer weiteren - gegebenenfalls für
sie tödlich endenden - Eskalation entkleidete sich die Geschädigte selbst in der
Hoffnung, bei Unterlassen jeglicher Gegenwehr die Situation alsbald durchlebt
zu haben. Der Angeklagte, der erkannte, dass sich seine Ehefrau dem bevor-
stehenden Geschlechtsverkehr allein aus Angst nicht widersetzte, zitterte stark,
da er die Situation aufgrund des vorangegangenen Geschehens selbst als "un-
schön" empfand. Gleichwohl warf er die Nebenklägerin auf die Couch und führ-
te seine Faust in deren Vagina ein, was ihr Schmerzen in bis dahin unbekannter
Intensität verursachte. Anschließend vollzog er den Geschlechtsverkehr bis
zum Samenerguss, wobei er der vor Schmerzen schreienden Nebenklägerin in
Bauch und Brustwarzen kniff. Um den Geschlechtsakt möglichst schnell hinter
sich zu bringen, hatte die Geschädigte den Angeklagten mehrfach aufgefordert
"weiter" zu machen und zum Ende zu kommen, wobei dem Angeklagten die
Beweggründe für diese Äußerungen aus dem vorangegangenen Geschehen
bewusst waren.
4. Als die Nebenklägerin nach vollzogenem Geschlechtsverkehr aufste-
hen wollte, erklärte der Angeklagte: "Wenn du meinst, dass es vorbei ist, hast
du Pech gehabt - jetzt kommt Plan B, ich hänge Dich im Flur auf." Einen Flucht-
versuch nach gegenseitigem Gerangel unterband der Angeklagte, indem er die
Geschädigte in den Schwitzkasten nahm, was dieser erhebliche Schmerzen,
Panik und Atemnot bereitete. Erst als die Nebenklägerin aus Angst und um den
Angeklagten zu besänftigen vorschlug, es noch einmal miteinander zu versu-
chen, ließ dieser von ihr ab. In einem unbeobachteten Moment gelang ihr dann
die Flucht.
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II.
1. Die von dem Angeklagten erhobene Verfahrensrüge bleibt ohne Er-
folg. Dem Hilfsbeweisantrag des Angeklagten auf Einholung eines Sachver-
ständigengutachtens ist die Strafkammer im Ergebnis zu Recht nicht nachge-
gangen. Nach den Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten ge-
richtsmedizinischen Sachverständigen muss ein Eindringen mit der Faust in die
Vagina einer Frau nicht zwangsläufig zu Verletzungen führen. Damit war das
Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen, so dass es der Anhö-
rung eines weiteren Sachverständigen gemäß § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht
bedurfte.
2. Auch die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sach-
rüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Der Erör-
terung bedarf nur Folgendes:
a) Aus den Urteilsgründen wird noch hinreichend deutlich erkennbar,
dass das Landgericht von einer erheblichen Verminderung der Steuerungs-,
nicht aber der Einsichtsfähigkeit ausgegangen ist. Insoweit zutreffend führt der
Generalbundesanwalt aus, dass die beiden Alternativen des § 21 StGB - Ver-
minderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit - nicht gleichzeitig ange-
wendet werden können. Auch wenn das Landgericht an zwei Stellen des Urteils
in Obersätzen nicht trennscharf zwischen diesen beiden Alternativen unter-
schieden hat, ergibt sich aus den referierten Ausführungen der Sachverständi-
gen, die sich das Landgericht zu eigen gemacht hat, dass die Strafkammer
- allein - von einer Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit ausgeht. Dies ist
rechtlich nicht zu beanstanden.
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Eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit, für die das Tatge-
schehen keine Anhaltspunkte bietet, hat das Landgericht in Übereinstimmung
mit der Sachverständigen rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
b) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts ist das Urteil weder
widersprüchlich noch lückenhaft, soweit das Landgericht davon ausgeht, dem
Angeklagten sei bewusst gewesen, dass die Geschädigte den Geschlechts-
verkehr mit ihm nicht freiwillig ausgeübt habe. So hat die sachverständig bera-
tene Strafkammer durchaus bedacht, "dass aufgrund des Zusammenspiels der
Affektivität des Handelns des Angeklagten mit der vorbestehenden psychopa-
thologischen Disposition im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung
und seiner abhängigen Persönlichkeit seine Steuerungsfähigkeit mit hoher
Wahrscheinlichkeit deutlich herabgesetzt war" (UA S. 18). Dafür, dass der so in
seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkte Angeklagte geglaubt haben könnte,
die Nebenklägerin sei mit der Ausübung des Geschlechtsverkehrs in der vorge-
schilderten Weise einverstanden, gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. So hat
der Angeklagte die Nebenklägerin, die sich endgültig von ihm trennen wollte,
hinterrücks angegriffen, mit einem Seil bis zur Bewusstlosigkeit stranguliert, sie
auf das Sofa geworfen, und ihr in äußerst schmerzhafter Weise die Faust in die
Vagina eingeführt. Während des Geschlechtsverkehrs hat er die vor Schmerzen
schreiende Frau weiter misshandelt und sie anschließend mit dem Tode be-
droht. Angesichts dieses Geschehens war ein Einverständnis der Geschädigten
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- auch aus Sicht des Angeklagten - so fernliegend, dass es dazu keiner vertief-
ten Ausführungen in den Urteilsgründen bedurfte.
Fischer
Appl
Krehl
Eschelbach
Ott