Urteil des BGH vom 21.07.2015

Persönlichkeitsstörung, Zustand, Schizophrenie, Schuldfähigkeit

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 S t R 1 6 3 / 1 5
vom
21. Juli 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und der Beschwerdeführerin am 21. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Land-
gerichts Hanau vom 23. Februar 2015 mit den Feststellun-
gen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psy-
chiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und
materiellen Rechts gestützte Revision der Beschuldigten hat mit der Sachrüge
Erfolg.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Schon die Annahme, die Beschuldigte habe sämtliche Taten in einem
Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB begangen, begegnet durch-
greifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ist - sachverständig bera-
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ten - davon ausgegangen, die Beschuldigte habe zu sämtlichen Tatzeitpunkten
aufgrund des Vorliegens einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung als
schwerer anderer seelischer Abartigkeit sowie unter dem Einfluss einer Polyto-
xikomanie im Zustand aufgehobener Schuldunfähigkeit gehandelt. Die Steue-
rungsfähigkeit sei dabei vollständig aufgehoben gewesen. Bei Verübung der Tat
Nr. 6 habe sie sich zudem aufgrund des Vorliegens einer undifferenzierten
Schizophrenie in einem hochpsychotischen Zustand befunden, weshalb neben
der Steuerungsfähigkeit auch die Einsichtsfähigkeit bei der Beschuldigten ge-
fehlt habe.
1. Damit hat die Strafkammer für das Revisionsgericht nicht nachvoll-
ziehbar dargelegt, dass die festgestellte Persönlichkeitsstörung den nach der
Rechtsprechung erforderlichen Schweregrad zur Annahme einer schweren an-
deren seelischen Abartigkeit aufweist. Die Erwägungen des Landgerichts be-
schreiben in allgemeiner Form lediglich die angenommene Persönlichkeitsstö-
rung und enthalten - weder für sich noch im Zusammenhang mit den weiteren
Urteilsgründen - den Beleg dafür, dass sie in ihrer belastenden Wirkung für die
Betroffene - und damit auch im Hinblick auf ihre Fähigkeit zu normgemäßem
Verhalten - zur Tatzeit das Gewicht krankhafter seelischer Störungen i.S.d.
§§ 20, 21 StGB erreicht hatte (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 72; st. Rspr.). Soweit
das Landgericht mehrfach ausgeführt hat, die Persönlichkeitsstörung habe sich
bereits frühkindlich verfestigt und bestehe auch aktuell noch immer unverändert
fort, da sie tief in der Persönlichkeit der Beschuldigten verwurzelt sei, belegt
auch dies nicht, ob und gegebenenfalls ab wann die emotional instabile Persön-
lichkeitsstörung als „schwere andere seelische Abartigkeit“ angesehen werden
kann. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der an anderer Stelle dargelegten Le-
bensgeschichte der 32 Jahre alten Beschuldigten, die früh von Verhaltensauf-
fälligkeiten, später von Drogensucht und einer starken Alkoholabhängigkeit und
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seit dem Jahre 2010 von vermehrten Unterbringungen nach dem HFEG geprägt
war. Damit hat die Strafkammer zwar einen sich verschlechternden psychi-
schen Zustand der Beschuldigten beschrieben, belegt aber auch damit nicht die
nötige Schwere der Persönlichkeitsstörung.
Im Übrigen ist nicht - insbesondere bei den Taten Nr. 2 und 3 - hinrei-
chend belegt, dass sich die angenommene Persönlichkeitsstörung tatsächlich
auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat. Grundloses, fremdaggressives
Verhalten ist nicht ohne Weiteres ein Beleg für das vom Landgericht angenom-
mene Fehlen einer Impulskontrolle. Dass die Persönlichkeitsstörung die Schuld-
fähigkeit ausgeschlossen habe, wird zwar an mehreren Stellen in den Urteils-
gründen behauptet. Es fehlt aber an einer nachvollziehbaren Darlegung, wel-
chen konkreten Einfluss die psychische Erkrankung auf die Beschuldigte hat
und unter welchen Bedingungen es zur Begehung von Gewalthandlungen ge-
gen Dritte kommen kann.
2. Soweit das Landgericht hinsichtlich der Tat Nr. 6 darüber hinaus vom
Fehlen der Einsichtsfähigkeit aufgrund einer undifferenzierten Schizophrenie
ausgegangen ist, beruht auch dies nicht auf für das Revisionsgericht nachvoll-
ziehbaren Erwägungen. Es beschränkt sich im Wesentlichen auf die Mitteilung,
bei der Beschuldigten hätten sich ab dem Jahre 2013 erste Anzeichen einer
Schizophrenie entwickelt, die sich spätestens im August 2014 (mit der Tat
Nr. 6) zu einer undifferenzierten Schizophrenie deutlich ausgeprägt habe. Zwar
wird dies gestützt durch
die Einlassung der Beschuldigten, „man habe mit ihr
Voodoo gemacht“ und sie mit einer „Voodo-Handy-App“ gesteuert, sie habe
sich deshalb nicht kontrollieren können, doch genügen diese Ausführungen an-
gesichts einer großen Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden sol-
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cher Störungen nicht für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (vgl. Fischer, StGB,
62. Aufl., § 20, Rn. 9b).
3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung der Unterbringungs-
entscheidung nach § 63 StGB, wobei der neue Tatrichter die Einholung eines
neuen Sachverständigengutachtens zu erwägen haben wird.
Krehl
Eschelbach
Ott
Richter am BGH Zeng ist an der
Unterschriftsleistung gehindert.
Krehl
Bartel
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