Urteil des BGH vom 05.04.2016

Vergewaltigung, Anklageschrift, Anzeige, Vergleich

ECLI:DE:BGH:2016:050416B1STR53.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 53/16
vom
5. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. April 2016 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Landshut vom 21. August 2015 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fäl-
len zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt
und eine Adhäsionsentscheidung zu Gunsten der Nebenklägerin getroffen. Die
Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die zu-
gleich erhobenen Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält, wie die Revision zutreffend
bemängelt, sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Wenn
– wie im vorliegenden Fall – Aussage gegen Aussage steht und
die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Ge-
richt folgt, ist die Aussage der einzigen Belastungszeugin einer besonderen
Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen. Dabei müssen die Urteilsgründe nach-
vollziehbar erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Ent-
scheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezo-
1
2
3
- 3 -
gen hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012
– 5 StR 544/12,
NStZ-RR 2013, 119). Insoweit ist zunächst eine zusammenfassende Darstel-
lung etwaiger bestreitender Angaben des Angeklagten notwendig; die Aussage
des Angeklagten und die Bewertung seines Aussageverhaltens ist in den Ur-
teilsgründen nachvollziehbar darzulegen (vgl. Miebach in MüKo-StPO, § 261
Rn. 209). Beruht eine Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Be-
lastungszeugin und hat sich diese entgegen früheren Vernehmungen teilweise
abweichend erinnert, bedarf es einer geschlossenen Darstellung der jetzigen
und der früheren Aussagen der Zeugin, weil ansonsten eine vom Gericht erfolg-
te Konstanzanalyse revisionsrechtlich nicht überprüft werden kann (vgl. BGH
aaO; Miebach aaO § 261 Rn. 236 mwN). Eine gravierende Inkonstanz in den
Bekundungen eines Zeugen kann ein Indiz für mangelnde Glaubhaftigkeit dar-
stellen, wenn es hierfür keine plausible Erklärung gibt (vgl. Senat, Urteil vom
30. Juli 1999
– 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Stellt das Gericht in Fällen
von Aussage gegen Aussage einen Teil der angeklagten Tatvorwürfe nach
§ 154 Abs. 2 StPO ein, bedarf es zudem einer Mitteilung der Gründe hierfür,
weil diese im Rahmen der gebotenen umfassenden Glaubhaftigkeitsbeurteilung
von Bedeutung sein können (vgl. Senat, Urteil vom 29. Juli 1998
– 1 StR 94/98,
BGHSt 44, 153, 160).
2. Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung der Strafkammer
in mehrfacher Hinsicht nicht.
a) Die Strafkammer legt schon nicht dar, wie sich der Angeklagte in der
Hauptverhandlung konkret eingelassen hat. Das Landgericht teilt im Rahmen
der Beweiswürdigung lediglich in zwei Sätzen mit, der Angeklagte habe in ei-
nem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens abgestritten, die Nebenklägerin
auf sexuelle Weise beleidigt zu haben, und er habe in der Hauptverhandlung
4
5
- 4 -
die ihm zur Last gelegten Vorwürfe bestritten. Ob es sich jeweils um ein pau-
schales oder detailliertes Bestreiten des Angeklagten gehandelt hat und was er
im Einzelnen zu den Tatvorwürfen gesagt hat, ist aus den Urteilsgründen nicht
ersichtlich.
b) Das Landgericht hat für seine Konstanzanalyse rechtsfehlerhaft nur
die letzte (ausführliche) polizeiliche Vernehmung der Nebenklägerin vom
24. Mai 2013 herangezogen. Eine plausible Konstanzanalyse erfordert jedoch
den umfassenden Vergleich aller Angaben über denselben Sachverhalt zu un-
terschiedlichen Zeitpunkten (vgl. Senat, Urteil vom 30. Juli 1999
– 1 StR
618/98, BGHSt 45, 164, 172).
Zu zwei früheren polizeilichen Vernehmungen führt die Kammer in den
Urteilsgründen lediglich aus, es habe sich jeweils nur um kurze Vernehmungen
gehandelt, weil diese aus Zuständigkeitsgründen alsbald beendet worden sei-
en. In der ersten Vernehmung am 9. April 2013 habe die Nebenklägerin ausge-
sagt, der Angeklagte habe ihr gegenüber unverblümt den Wunsch nach Sexu-
alkontakt geäußert, sie „begrapscht“ und mehrfach seinen Penis an ihrem Kör-
per gerieben. Zudem habe sie hierbei deutlich gemacht, dass sie aufgrund ihrer
engen finanziellen Verhältnisse Angst habe, ihre Arbeit zu verlieren, wenn sie
den Angeklagten anzeige. In der zweiten Vernehmung am 17. April 2013 habe
sie lediglich eine Vergewaltigung geschildert. Erst in der dritten mehrere Stun-
den umfassenden Vernehmung am 24. Mai 2013 habe die Nebenklägerin
erstmals umfassend zur Sache aussagen können und dabei drei vaginale und
eine zudem anale Vergewaltigung geschildert.
Nähere Einzelheiten zu den ersten beiden Vernehmungen ergeben sich
aus den Urteilsgründen nicht. Der Senat kann auf dieser lückenhaften Grundla-
ge nicht nachvollziehen, welche Gründe es für die erhebliche Änderung im
6
7
8
- 5 -
Aussageverhalten der Nebenklägerin gegeben haben mag. Das Landgericht
selbst benennt hierfür ebenfalls keine plausiblen Gründe. Dass
– wie im Urteil
angedeutet
– die Angst der Nebenklägerin vor einer Kündigung ihres mit dem
Angeklagten geschlossenen Arbeitsverhältnisses der Grund für eine anfängli-
che Zurückhaltung in den Vernehmungen gewesen sein könnte, lässt sich
schon deshalb ausschließen, weil die Nebenklägerin bereits seit dem 28. März
2013 ihrer Arbeit ferngeblieben war und zudem am 7. April 2013 ihr Arbeitsver-
hältnis schriftlich gekündigt hatte. Die kurze Zeitdauer der zwei Vernehmungen
am 9. und 17. April 2013 bietet für sich gesehen ebenfalls keine nachvollzieh-
bare Erklärung für die gravierenden Abweichungen im Aussageverhalten, weil
der Kern der tatgegenständlichen Vorwürfe auch in wenigen Worten geschildert
werden kann.
c) Schließlich teilt die Kammer auch nicht mit, aus welchen Gründen die
Einstellung der angeklagten Vergewaltigungstat zu Ziffer 2 der Anklageschrift
erfolgt ist. Den Urteilsgründen ist nur zu entnehmen, dass diese Einstellung
vorgenommen wurde und die Nebenklägerin auf Vorhalt ihrer polizeilichen Ver-
nehmung die Geschehnisse insoweit bestätigt habe. Was die Nebenklägerin
konkret insoweit ausgesagt hat, wird im Urteil
– entgegen dem Gebot umfas-
sender Aussageanalyse
– nicht mitgeteilt.
9
- 6 -
3. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Die Sache be-
darf deshalb insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung.
Raum Radtke Mosbacher
Fischer Bär
10