Urteil des BGH vom 14.10.2015

Steuerhinterziehung, Mitgliedstaat, Verbringen, Beihilfe

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 S t R 5 2 1 / 1 4
vom
14. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Steuerhinterziehung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2015 beschlos-
sen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B. , M. und S.
wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 4. März 2014
a) soweit es den Angeklagten B. betrifft
- im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte
B. zweier Fälle der Beihilfe zu zwei Fällen der Steuerhinter-
ziehung schuldig ist;
- im Strafausspruch aufgehoben;
b) soweit es den Angeklagten M. betrifft
- im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte
M. der Beihilfe zu zwei Fällen der Steuerhinterziehung
sowie der Steuerhinterziehung schuldig ist;
- im Strafausspruch aufgehoben;
c) soweit es den Angeklagten S. betrifft
- im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte
S. der Beihilfe zu zwei Fällen der Steuerhinterziehung
schuldig ist;
- im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten B. , M.
und S. werden verworfen.
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3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an ei-
ne andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Potsdam
zurückverwiesen.
4. Die Revision des Angeklagten G. wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Steuerhinterziehung
in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, den Angeklagten
M. wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheits-
strafe von einem Jahr und zwei Monaten und den Angeklagten S. wegen
Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die
Vollstreckung der (Gesamt-) Freiheitsstrafen hat es jeweils zur Bewährung
ausgesetzt und ausgesprochen, dass von diesen jeweils drei Monate als voll-
streckt gelten. Den Angeklagten G. hat das Landgericht wegen Beihilfe
zur Steuerhinterziehung verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe von
180 Tagessätzen zu je 5 Euro vorbehalten, von der 90 Tagessätze als voll-
streckt gelten.
Gegen diese Verurteilung wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die
Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel der Angeklagten B. ,
M. und S. haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen
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Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO. Die Revision des Angeklagten G. bleibt ohne Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten in
den Jahren 2004 und 2005 in unterschiedlicher Zusammensetzung in einen
oder zwei von insgesamt drei Transporten von Zigaretten aus Moldawien nach
Großbritannien eingebunden. Die Zigaretten wurden versteckt unter Tarnladung
durch Dritte unverzollt in das Gebiet der Europäischen Union eingeführt und
aus einem anderen Mitgliedstaat ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen
nach Deutschland verbracht, ohne dass über die Tabakwaren bei den deut-
schen Zollbehörden eine Steuererklärung abgegeben wurde. In Deutschland
wurden die Zigaretten sodann umgeladen, um - wiederum versteckt unter Tarn-
ladung - durch eine Spedition nach Großbritannien zum dortigen Verkauf wei-
tertransportiert zu werden.
a) Beim Transport von 1,8 Mio. Zigaretten im November 2004 wurde bei
der Einfuhr der Tabakwaren in das Gebiet der Europäischen Union Zoll in Höhe
von 10.368 Euro und beim Verbringen der Zigaretten aus einem anderen Mit-
gliedstaat nach Deutschland deutsche Tabaksteuer in Höhe von 188.460 Euro
verkürzt. Die Zigaretten wurden nach Großbritannien weitertransportiert und
dort verkauft (Fall III.2.a. der Urteilsgründe).
b) Anfang März 2005 wurden bei der Einfuhr von 1.405.400 Stück Ziga-
retten der Marken „Raquel rot“ bzw. „Raquel gelb“ in das Gebiet der Europäi-
schen Union Zoll in Höhe von 8.095,10 Euro und beim Verbringen der Zigaret-
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ten aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland deutsche Tabaksteuer
in Höhe von 166.399,36 Euro verkürzt. Die Zigaretten wurden in Deutschland
sichergestellt (Fall III.2.b. der Urteilsgründe).
c) Beim Transport von 1.996.800 Stück Zigaretten der Marke „Super-
kings“ wurden bei der Einfuhr der Zigaretten in das Gebiet der Europäischen
Union Zoll in Höhe von 11.501,56 Euro, beim Verbringen der Zigaretten aus
einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland deutsche Tabaksteuer in Höhe
von 236.421,12 Euro verkürzt. Die Zigaretten wurden ebenfalls in Deutschland
sichergestellt (Fall III.2.c. der Urteilsgründe).
d) Die Tatbeiträge der Angeklagten stellten sich wie folgt dar:
aa) Im Fall III.2.a. der Urteilsgründe organisierte der Angeklagte B.
die Logistik und das Personal für die Umladung der Zigaretten in Be. , beauf-
tragte eine Spedition mit dem Weitertransport nach Großbritannien, erstellte die
dafür erforderlichen Fracht- und Tarnpapiere und bemühte sich um den Absatz
der Zigaretten in Großbritannien. Er erhielt für seine Tätigkeiten 6.000 Euro bis
7.000 Euro.
bb) Im Fall III.2.b. der Urteilsgründe vermittelte der Angeklagte B. die
Anmietung einer Lagerhalle in K. für die Umladung der Zigaretten in
Deutschland. Zudem besorgte er für den Weitertransport nach Großbritannien
einen fiktiven Absender in Deutschland, indem er sich vom Angeklagten
G.
Blankodokumente von dessen Firma „C.
AG“ übergeben ließ, die für die Tarnpapiere benutzt wurden. G. erhielt
für die Zurverfügungstellung der Dokumente 10.000 Euro. Der Angeklagte
M. überwies von seinem Konto bei der D. Bank Speditions-
kosten in Höhe von 1.960 Euro für den Weitertransport nach Großbritannien an
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eine österreichische Spedition. Der Angeklagte S. brachte die Tarnla-
dung, unter der die Zigaretten beim Weitertransport nach Großbritannien ver-
steckt werden sollten, mit einem Kleintransporter zur Lagerhalle und wirkte am
Umladen der Zigaretten mit.
cc) Im Fall III.2.c. nahm der Angeklagte M. , nachdem die Abferti-
gung des Transportfahrzeugs an einem deutsch-österreichischen Grenzüber-
gang wegen Unstimmigkeiten in den Frachtpapieren gescheitert war, Kontakt
mit dem Fahrer des mit den unter Tarnladung versteckten Zigaretten beladenen
Lkws auf und gab diesem Anweisungen zur weiteren Durchführung des Trans-
ports, indem er bestimmte, dass das Fahrzeug zur Abfertigung zum Zollamt
B. -M. kommen sollte.
2. Das Landgericht hat das Geschehen hinsichtlich der Angeklagten
B. , M. und S. jeweils als in Mittäterschaft begangene einheitliche
Hinterziehung von Zollabgaben und deutscher Tabaksteuer durch Unterlassen
gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB gewertet. Die Annahme von
Mittäterschaft hat es insbesondere darauf gestützt, dass die jeweiligen Tatbei-
träge der Angeklagten für die Vorbereitung und Durchführung der Zigaretten-
transporte wesentlich gewesen seien. Den Angeklagten G. hat das
Landgericht dagegen lediglich als Gehilfen i.S.v. § 27 StGB angesehen.
II.
1. Der Schuldspruch betreffend den Angeklagten B. in den Fällen
III.2.a. und III.2.b. der Urteilsgründe sowie die Angeklagten M. und
S. im Fall III.2.b. der Urteilsgründe wegen in Mittäterschaft begangener
Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25
Abs. 2 StGB begegnet durchgreifenden Bedenken.
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a) Täter - auch Mittäter - einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen
gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklä-
rung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (st. Rspr.; vgl.
zuletzt BGH, Urteil vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 mwN).
Die Angeklagten B. , M. und S. waren weder zur Gestel-
lung der Zigaretten gemäß Art. 38, 40 ZK bei der Einfuhr der Zigaretten in das
Gebiet der Europäischen Union noch zur Abgabe einer Steuererklärung nach
Verbringen der Tabakwaren ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen nach
Deutschland gemäß § 19 Satz 2 und 3 TabStG aF verpflichtet.
(1) Gemäß Art. 38, 40 ZK sind Waren bei der Einfuhr in das Gebiet der
Europäischen Union von demjenigen zu gestellen, der diese dorthin verbracht
hat. Die Gestellungspflicht des Verbringers knüpft an die Herrschaft über die
Ware bei der Einfuhr in das Gebiet der Europäischen Union an. Daran fehlt es
hier. Die Angeklagten B. , M. und S. haben die Zigaretten weder
selbst in das Gebiet der Europäischen Union transportiert, noch hatten sie kraft
Weisungsbefugnis beherrschenden Einfluss auf den Transport der Zigaretten,
indem sie die Entscheidung zur Durchführung des Transports treffen oder die
Einzelheiten der Fahrt (z.B. Fahrtroute, Ort und Zeit der Einfuhr) hätten be-
stimmen können (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06,
NStZ 2007, 590).
(2) Entsteht die Tabaksteuer gemäß § 19 Satz 1 TabStG aF aufgrund
eines Verbringens der Tabakwaren ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen
(vgl. § 12 TabStG aF) aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates zu
gewerblichen Zwecken nach Deutschland, hat der Steuerschuldner über die
Tabakwaren unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben (§ 19 Satz 2 und 3
TabStG aF). Steuerschuldner und damit Erklärungspflichtiger ist gemäß § 19
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Satz 2 TabStG aF, wer die Tabakwaren verbringt oder versendet sowie der
Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Die Angeklagten
B. , M. und S. waren nicht Verbringer der Zigaretten. Der Begriff
des Verbringers i.S.v. § 19 Satz 2 TabStG aF ist in gleicher Weise auszulegen
wie bei Art. 38 Abs. 1 ZK (BFH, Urteil vom 10. Oktober 2007 - VII R 49/06,
BFHE 218, 469; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. März 2007 - 5 StR 461/06, NStZ
2007, 592; BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06, NStZ 2007,
590). Nach diesen Maßgaben fehlt es an der erforderlichen Herrschaft über die
Tabakwaren beim Verbringen nach Deutschland. Die Angeklagten haben auch
nicht als Empfänger Besitz an den Tabakwaren erlangt. Hinsichtlich des Ange-
klagten S. reicht die bloße Mitwirkung am Umladen der Zigaretten nicht
zur Begründung einer Steuererklärungspflicht als Empfänger der Tabakwaren
aus.
b) Die rechtfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen jedoch eine Ver-
urteilung des Angeklagten B. in den Fällen III.2.a. und III.2.b. der Urteils-
gründe sowie der Angeklagten M. und S. im Fall III.2.b. der Urteils-
gründe jeweils wegen Beihilfe zu zwei Fällen der Steuerhinterziehung durch
Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 27 StGB).
aa) Durch ihre Tatbeiträge haben die Angeklagten zur Hinterziehung von
Einfuhrabgaben durch unbekannt gebliebene Täter bei der Einfuhr der Tabak-
waren in das Gebiet der Europäischen Union und von deutscher Tabaksteuer
beim Verbringen der Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen aus dem freien
Verkehr eines anderen Mitgliedstaates nach Deutschland Hilfe geleistet. Im
Zeitpunkt der Erbringung der Tatbeiträge waren die Haupttaten zwar vollendet,
aber noch nicht beendet. Die Hinterziehung von Einfuhrabgaben bei Einfuhr
unter Verstoß gegen Gestellungspflichten bzw. die Hinterziehung von Tabak-
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steuer unter Verstoß gegen die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ge-
mäß § 19 Satz 3 TabStG aF ist erst beendet, wenn die Tabakwaren in Sicher-
heit gebracht und „zur Ruhe gekommen“ sind. Maßgeblich für die Beendigung
ist, ob die Tabakwaren die gefährliche Phase des Grenzübertritts passiert ha-
ben und der Verbringer sein Unternehmen erfolgreich abgeschlossen hat. In
der Regel wird die Steuerhinterziehung daher erst beendet sein, wenn die Ta-
bakwaren ihren Bestimmungsort erreicht haben. Werden die Tabakwaren auf
dem Weg dorthin in einem Zwischenlager lediglich umgeladen, sind sie nicht
„zur Ruhe gekommen“ (BGH, Urteil vom 14. März 2007 - 1 StR 461/06, wistra
2007, 262 mwN; Beschluss vom 8. Juli 2014 - 1 StR 240/14, wistra 2014, 486
mwN). Hier waren die Zigaretten für den Verkauf in Großbritannien bestimmt,
entsprechend wurde nach dem Umladen in Deutschland alsbald eine Spedition
mit dem Weitertransport dorthin beauftragt.
bb) Der Annahme einer Beihilfe des Angeklagten B. im Fall III.2.a.
der Urteilsgründe auch zur Hinterziehung deutscher Tabaksteuer steht nicht
entgegen, dass die Zigaretten nach Großbritannien gelangt sind und dort ver-
äußert wurden.
Zwar wird nach Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates
vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförde-
rung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. L 76, 1) in der
durch die Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 (ABl. L
390, 124) geänderten Fassung eine verbrauchsteuerpflichtige Ware, die in ei-
nem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden ist und
sich zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat befindet, im Be-
stimmungsmitgliedstaat besteuert. Entsprechend ist die Tabaksteuer für Ta-
bakwaren, die vorschriftswidrig in das Unionsgebiet eingeführt wurden und sich
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damit im freien Verkehr eines Mitgliedstaates befinden, wenn sie - ggfs. durch
weitere Durchgangsmitgliedstaaten (hier: Deutschland) - in einen anderen Mit-
gliedstaat (hier: Großbritannien) befördert und dort zu gewerblichen Zwecken in
Besitz gehalten werden, im letztgenannten Mitgliedstaat zu erheben (vgl.
EuGH, Urteil vom 29. April 2010 - C-230/08 Rn. 114, Slg. 2010, I S. 3799; Be-
schluss vom 8. März 2012 - C-333/11). Die Erhebung der Verbrauchsteuer in
einem oder sogar mehreren anderen Mitgliedstaaten ist nicht erforderlich, um
Missbräuche oder Steuerhinterziehungen zu verhindern. Deutschland als
Durchgangsmitgliedstaat kommt daher kein Erhebungsrecht für die Verbrauch-
steuer zu (EuGH, Urteil vom 5. März 2015 - C-175/14, ZfZ 2015, 98).
Durch den nachträglichen Übergang des Erhebungsrechts auf einen an-
deren Mitgliedstaat in dem Zeitpunkt, in dem die Waren zu gewerblichen Zwe-
cken in diesen verbracht worden sind, wird jedoch die Strafbarkeit wegen be-
reits vollendeter Steuerhinterziehung in Deutschland nicht berührt. Eine hier
vorliegende Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2
AO in Bezug auf das Unterbleiben der unverzüglichen Abgabe einer Steuerer-
klärung (§ 19 Satz 2 und 3 TabStG aF) ist zu dem Zeitpunkt vollendet, zu dem
bei rechtzeitiger Abgabe der Erklärung mit der Bekanntgabe der Steuerfestset-
zung zu rechnen gewesen wäre (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014
- 1 StR 240/14 Rn. 3, wistra 2014, 486 mwN). Dies wäre bei pflichtgemäßer
Erfüllung der Erklärungspflicht erfolgt, noch während sich die Zigaretten im In-
land befanden. Ist wie hier durch die unbekannt gebliebenen Täter ein Hinter-
ziehungserfolg in dem vorgenannten Sinne herbeigeführt worden, entfällt dieser
durch den späteren Wegfall des steuerrechtlichen Erhebungsrechts nicht nach-
träglich.
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Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das unionsrechtliche Ver-
brauchsteuersystem davon ausgeht, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im
Ergebnis nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Staaten belastet sein dürfen
(vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2010 - 1 StR 635/09, wistra 2010, 226, 227).
Insoweit verbleibt in Fallgestaltungen wie der vorliegenden bei Durchleitung der
Tabakwaren durch mehrere Mitgliedstaaten dem Erstverfolgungsstaat nach
Maßgabe des § 370 Abs. 6 AO eine Wahlmöglichkeit, welche nationale Ver-
brauchsteuer er als Anknüpfungspunkt für die Strafverfolgung heranziehen will.
Die Singularität des Erhebungsrechts schließt es aber aus, dass einem an einer
Verbrauchsteuerhinterziehung Beteiligten im Erstverfolgungsstaat darüber hin-
aus auch die Hinterziehung von Verbrauchsteuern aller anderen betroffenen
Mitgliedstaaten vorgeworfen werden kann.
cc) Konkurrenzrechtlich liegt in den Fällen III.2.a. und III.2.b. eine einheit-
liche Beihilfe vor. Die Angeklagten haben durch ihre Tatbeiträge sowohl zur
Hinterziehung von Einfuhrabgaben im Mitgliedstaat der Einfuhr in das Gebiet
der Europäischen Union als auch zur Hinterziehung deutscher Tabaksteuer, die
zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehen, Hilfe geleistet.
dd) Der Senat ändert den Schuldspruch hinsichtlich des Angeklagten
B. in den Fällen III.2.a. und III.2.b. sowie hinsichtlich der Angeklagten
M. und S. im Fall III.2.b. der Urteilsgründe entsprechend ab. § 265
StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich die Angeklagten
gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätten
verteidigen können.
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2. Der Schuldspruch betreffend den Angeklagten M. im Fall III.2.c.
der Urteilsgründe wegen in Mittäterschaft begangener Steuerhinterziehung
durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB hält hin-
sichtlich der deutschen Tabaksteuer revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
Der Angeklagte M. ist als Verbringer der Tabakwaren seiner Ver-
pflichtung aus § 19 Satz 2 und 3 TabStG aF zur unverzüglichen Abgabe einer
Steuererklärung nach Verbringen der Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen
aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaates zu gewerblichen Zwe-
cken in das deutsche Steuergebiet nicht nachgekommen, wodurch es zu einer
Verkürzung deutscher Tabaksteuer gekommen ist. Zwar hat er die Zigaretten
nicht selbst aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland transportiert.
Als Verbringer sind aber auch die Personen anzusehen, die kraft ihrer Wei-
sungsbefugnis beherrschenden Einfluss auf das Transportfahrzeug haben, in-
dem sie die Entscheidung zur Durchführung des Transports treffen oder die
Einzelheiten der Fahrt (z.B. Route, Ort, Zeitabfolge) bestimmen (vgl. BGH, Be-
schluss vom 1. Februar 2007 - 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590; BGH, Urteil vom
14. März 2007 - 5 StR 461/06, wistra 2007, 262).
Die Feststellungen belegen einen derartigen beherrschenden Einfluss
des Angeklagten M. . Er trat mit dem Fahrer des Transportfahrzeugs in
Kontakt, nachdem aufgrund von Unstimmigkeiten in den Frachtpapieren die
Abfertigung des Transportfahrzeugs an einem deutsch-österreichischen Grenz-
übergang gescheitert war. Durch die Vorgabe, dass die Abfertigung nunmehr
beim Hauptzollamt B. -M. erfolgen solle, nahm er Einfluss auf die wei-
tere Route, die das Transportfahrzeug von Österreich in das deutsche Steuer-
gebiet nahm.
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3. Der Strafausspruch betreffend die Angeklagten B. , M. und
S. hat jeweils insgesamt keinen Bestand.
Die Änderung des Schuldspruchs zieht beim Angeklagten B. die Auf-
hebung des Ausspruchs über die Einzelstrafen in den Fällen III.2.a. und III.2.b.
der Urteilsgründe sowie über die Gesamtstrafe und beim Angeklagten S.
die Aufhebung der im Fall III.2.b. der Urteilsgründe verhängten Freiheitsstrafe
nach sich.
Beim Angeklagten M. führt die Änderung des Schuldspruchs im
Fall III.2.b. der Urteilsgründe zu einer Aufhebung der betreffenden Einzelstrafe.
Auch im Fall III.2.c. der Urteilsgründe ist die Einzelstrafe aufzuheben. Das
Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten
sowohl die deutsche Tabaksteuer als auch die Einfuhrabgaben des Einfuhrmit-
gliedstaates berücksichtigt. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das
Landgericht bei zutreffender Bewertung eine niedrigere Einzelstrafe verhängt
hätte. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstraf-
ausspruchs nach sich.
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Einer Aufhebung der zum Strafausspruch gehörigen Feststellungen, die
von dem Rechtsanwendungsfehler nicht betroffen sind, bedarf es nicht.
Raum Graf Radtke
Mosbacher Fischer
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