Urteil des BGH vom 10.11.2015

Unterbringung, Zustand, Schizophrenie, Psychose

ECLI:DE:BGH:2015:101115B1STR265.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 265/15
vom
10. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts München I vom 26. März 2015 mit den zugehörigen Fest-
stellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklag-
ten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden
ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegrün-
det verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten des Diebstahls in acht Fällen, da-
von in einem Fall versucht, in Tatmehrheit mit Computerbetrug in 16 tatmehr-
heitlichen Fällen, davon in drei Fällen versucht, unter Einbeziehung weiterer
Strafen zu den Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und
von zehn Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht die Unterbringung des
Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen
richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in
dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
1
- 3 -
I.
Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts
leidet der Angeklagte an „einer schizophrenen Psychose vom paranoid-
halluzinatorischen Typ mit einer Wahn- und Residualsymptomatik, welche sein
seelisches Gefüge tiefgreifend veränderte, die Sinngesetzlichkeit seiner seeli-
schen Vorgänge und Handlungsabläufe zerriss und die Wirksamkeit seiner
normalen rationalen Kontrollmechanismen aufhob“ (UA S. 4). Aufgrund dieser
seit 2001 bekannten Erkrankung befand sich der Angeklagte regelmäßig in
psychiatrischer Behandlung; er nimmt Medikamente ein. Alkohol konsumierte
der Angeklagte bis zu seiner Inhaftierung gelegentlich und „spielte an Automa-
ten, wenn er Geld zur Verfügung hatte“ (UA S. 4).
Im Zeitraum von März 2012 bis Juni 2014 entwendete der Angeklagte in
sechs Fällen die Geldbörsen älterer Damen in Supermärkten und nahm an-
schließend mit den darin enthaltenen EC-Karten unter Verwendung der zugehö-
rigen PIN-Nummer Abhebungen an nahegelegenen Geldautomaten vor oder
versuchte dies. Feststellungen zum Zustand des Angeklagten zu den jeweiligen
Tatzeitpunkten hat das Landgericht nicht getroffen, in den Gründen des Urteils
aber ausgeführt, dass „zwar kein Zusammenhang zwischen der Wahnsympto-
matik und den Taten besteht, jedoch aufgrund der chronischen Residualsymp-
tomatik der Schizophrenie die allgemeine Lebensbewältigung des Angeklagten
stark eingeschränkt ist, was sich in allgemeiner Unbekümmertheit, Ziel- und
Haltlosigkeit und mangelnder Kontrolle des Angeklagten über seine Handlun-
gen auswirkt“ (UA S. 11). Vor diesem Hintergrund sei die Einsichtsfähigkeit des
Angeklagten erhalten, seine Steuerungsfähigkeit jedoch erheblich vermindert
gewesen.
2
3
- 4 -
II.
Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält
rechtlicher Nachprüfung deshalb nicht stand.
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnah-
me, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen
darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unter-
zubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen
Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB)
war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Ein-
zelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20,
21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Ein-
sichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten
auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.;
vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2015
– 1 StR 287/15; Beschlüsse vom
2. September 2015
– 2 StR 239/15; vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14,
NStZ-RR 2015, 169, 170; vom 18. November 2013
– 1 StR 594/13, NStZ-RR
2014, 75, 76 und vom 29. Mai 2012
– 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten
oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen
hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Men-
schen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH,
Beschlüsse vom 19. Februar 2015
– 2 StR 420/14; vom 15. Juli 1997
– 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26; Urteil vom 2. April 1997 – 2 StR
53/97, NStZ 1997, 383).
4
5
- 5 -
Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Das
Landgericht hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Ein-
gangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften Zustand von einiger
Dauer leidet. Das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der
Wahnsymptomatik und den Anlasstaten hat es jedoch abgelehnt und die bei
dem Angeklagten krankheitsbedingt eingetretene Grundbeeinträchtigung in sei-
ner Lebensführung als ausreichend für die Anordnung der Maßregel gehalten.
Dies ist rechtsfehlerhaft (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei
Psychosen
aus dem Formenkreis der Schizophrenie etwa BGH, Beschlüsse vom 17. Juni
2014
4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; vom 16. Januar 2013 – 4 StR
520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 und vom 29. Mai 2012
– 2 StR 139/12, NStZ-
RR 2012, 306, 307 jeweils mwN).
Das Landgericht war zur Begründung der Unterbringung gehalten, in ei-
ner für den Senat nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und weshalb zwi-
schen dem Zustand des Angeklagten und den abgeurteilten Taten ein sympto-
matischer Zusammenhang besteht. Hierauf konnte angesichts der äußeren
Umstände des Falles nicht verzichtet werden. Anhand des Tatbilds ist nicht er-
kennbar, dass den Handlungen eine schizophrene Psychose vom paranoid-
halluzinatorischen Typ zugrunde lag. Denn der Angeklagte lebte in beengten
finanziellen Verhältnissen und verwendete das durch die Taten erlangte Geld
zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. Er war nach den getroffenen Feststel-
lungen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg in der Lage, zu seinem
Tatmuster passende Opfer sorgfältig auszuwählen und die jeweilige Tathand-
lung zielorientiert und unbemerkt auszuführen. In den Urteilsgründen des Land-
gerichts bleibt unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der
Begehung der rechtswidrigen Taten erheblich vermindert gewesen sein soll.
Schließlich lässt auch die Feststellung, der Angeklagte habe an Spielautomaten
6
7
- 6 -
gespielt, sobald er Geld zur Verfügung gehabt habe, eine rechtsfehlerhafte An-
wendung des anzulegenden Maßstabs besorgen. Die Prüfung, ob in der Person
und den Taten des Angeklagten letztlich nur Eigenschaften hervorgetreten sind,
die sich im Rahmen des bei schuldfähigen Menschen regelmäßig anzutreffen-
den Ursachenspektrums für die Begehung von Straftaten halten oder ob die
Taten auf einen psychischen Defekt zurückzuführen sind, ist dem Senat anhand
der Urteilsgründe nicht möglich.
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisions-
rechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
(§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere der Strafausspruch kann bestehen bleiben.
Soweit das Landgericht in für das Revisionsgericht nicht nachprüfbarer Weise
die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Anwendung des vertyp-
ten Strafmilderungsgrundes alle Einzelstrafen den jeweils gemäß §§ 21, 49
Abs. 1 StGB gesenkten Strafrahmen der § 242 Abs. 1 StGB und § 263a Abs. 1
StGB entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH,
Beschlüsse vom 11. Februar 2015
4 StR
498/14, NStZ-RR 2015, 137, 138
und vom 23. Oktober 2007
– 4 StR 358/07, insoweit in NStZ-RR 2008, 70 nicht
abgedr.). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat
auszuschließen.
8
- 7 -
3. Der Senat hebt den Maßregelausspruch mit den zugrunde liegenden
Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter eigene, widerspruchsfreie Fest-
stellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird sich
unter Heranziehung eines Sachverständigen erneut mit der Erkrankung des
Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei der Begehung
der Taten auseinanderzusetzen haben.
Graf Jäger Mosbacher
RinBGH Dr. Fischer ist erkrankt
und daher an einer Unterschrifts-
leistung gehindert.
Graf Bär
9