Urteil des BGH vom 21.02.2017

Bindungswirkung, Erpressung, Eigentum, Erwerb

ECLI:DE:BGH:2017:210217B1ARS16.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 ARs 16/16
vom
21. Februar 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
hier: Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 1. Juni 2016
– 2 StR 335/15
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Februar 2017 gemäß
§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
Die beabsichtigte Entscheidung des 2. Strafsenats widerspricht
der Rechtsprechung des 1. Strafsenats, der
– unabhängig von
der inzwischen eingetretenen Unzulässigkeit der Anfrage
– an
dieser Rechtsprechung festhält.
Gründe:
I.
1. Der 2. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden,
„dass die Nötigung zur Übertragung von unerlaubtem Besitz an Be-
täubungsmitteln nicht das strafrechtlich geschützte Vermögen betrifft.“
Er hat daher mit Beschluss vom 1. Juni 2016 (2 StR 335/15) gemäß
§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob an ggfs.
entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
2. Allerdings hat eine andere Spruchgruppe des anfragenden Senats mit
Urteil vom 22. September 2016 (2 StR 27/16) auf der Grundlage der bisherigen
Rechtsprechung entschieden, von der aber entsprechend des zuvor gefassten
Anfragebeschlusses abgewichen werden sollte.
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II.
Das Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG soll eine (überflüssige)
Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen vermeiden, wenn nämlich der
Strafsenat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage mit-
teilt, an seiner bisherigen Rechtsauffassung nicht länger festzuhalten. Deshalb
ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Vorlage an die großen Senate, dass der
Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, zuvor erklärt hat, an
seiner Rechtsauffassung weiterhin festzuhalten (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG).
1. Allein aus dem Umstand, dass ein Senat einen Anfragebeschluss ge-
fasst hat, ergibt sich weder aus § 132 GVG, noch aus Sinn und Zweck des An-
frageverfahrens eine Sperrwirkung für die anderen Senate, weiterhin unter Zu-
grundelegung der bisherigen Rechtsprechung zu entscheiden (BGH, Beschlüs-
se vom 15. Juni 1994
– IV ZR 45/94 = NJW 1994, 2299 und vom 24. August
2000
– 1 StR 349/00; Franke in LR, 26. Aufl., § 132 GVG Rn. 21).
2. Bindungswirkung entfaltet demgegenüber der Beschluss eines ange-
fragten Senats, mit dem er einer Änderung der bisherigen Rechtsprechung zu-
gestimmt hat. Ab diesem Zeitpunkt ist ihm eine Rückkehr zur „alten“ Recht-
sprechung versagt, sofern er nicht vorher seinerseits den Großen Senat anruft
(Franke in LR, 26. Aufl., § 132 GVG Rn. 21; KK-StPO/Hannich, 7. Aufl., § 132
GVG Rn. 13).
Diese Wirkungen gelten grundsätzlich auch für den Senat, der den An-
fragebeschluss gefasst hat (BGH, Urteil vom 22. September 2016
– 2 StR
27/16, JR 2017, 82
– zum Fehlen einer Sperrwirkung). Jedoch wird durch eine
zeitlich nach dem Anfragebeschluss auf der Grundlage der bisherigen Recht-
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sprechung gefasste Entscheidung die gestellte Anfrage hinfällig und damit un-
zulässig, weil der Senat mit seiner nachfolgenden Entscheidung dokumentiert
hat, dass er an seiner Anfrage nicht mehr festhält (Graf in BeckOK/StPO, Ed.
27, § 132 GVG Rn. 18). Auch wenn ein Senat überbesetzt ist und deswegen
mehrere Sitzgruppen gebildet hat, kann er (nach außen) nur eine einheitliche
Rechtsprechung verfolgen (Mosbacher JuS 2017, 127, 130). § 132 Abs. 3
Satz 1 GVG ermächtigt nur den Senat als solchen zur Anfrage bei anderen Se-
naten, nicht einzelne Sitzgruppen eines Senats. Die noch anderslautende
frühere Regelung von § 9 des Bundesgesetzes über die Errichtung eines Ge-
richtshofes für Handelssachen von 1869, wonach auch eine Rechtsfrage beim
Abweichen von einer früheren Entscheidung des(selben) Senats vor das Ple-
num zu bringen war, war im späteren § 137 GVG aF, ebenso nun in § 132
GVG, nicht mehr enthalten (Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterli-
cher Rechtsfortbildung, Tübingen 1995, S. 89 f.).
3. Soweit der anfragende Senat darüber hinaus selbst eigene entgegen-
stehende Rechtsprechung mit dem Anfragebeschluss aufgegeben hat, trifft ihn
die Bindungswirkung des Anfrageverfahrens ebenso wie angefragte Senate,
d.h. mit der Aufgabe bisheriger Rechtsprechung ist er grundsätzlich ebenso
gehindert, weiter nach der aufgegebenen Rechtsprechung zu entscheiden; im
Gegensatz zu einem angefragten Senat entfällt die Bindungswirkung für ihn
jedoch mit einer gegenteiligen Entscheidung, weil damit zugleich seine Anfrage
hinfällig geworden ist (Graf in BeckOK/StPO, Ed. 27, § 132 GVG Rn. 19). Bleibt
sie weiter aufrecht erhalten, ist sie unzulässig geworden.
So ist es vorliegend.
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III.
1. Unabhängig von der Zulässigkeit der Anfrage steht der beabsichtigten
Entscheidung Rechtsprechung des 1. Strafsenats entgegen. Der Senat hat in
zahlreichen Entscheidungen, darunter auch viele unbegründete Beschlüsse
nach § 349 Abs. 2 StPO, den Besitz von Betäubungsmitteln den Vermögens-
werten zugerechnet, u.a. in dem Beschluss vom 25. Februar 1997
– 1 StR
804/96, als einem Drogendealer durch Täuschung Drogen abgenommen wur-
den und danach das Opfer mittels Waffeneinsatz davon abgehalten wurde, die
Rückgabe zu verlangen und dadurch „die erstrebte Schädigung seines Vermö-
gens hinzunehmen“.
Im Urteil vom 4. September 2001
– 1 StR 167/01 hat der Senat in einem
Fall, in dem die Angeklagten Drogendealer mit Gewalt dazu bringen wollten,
ihnen Drogen ohne Bezahlung auszuhändigen, ausdrücklich formuliert:
„Wer einen Rauschgifthändler mit Gewalt oder durch Drohung mit ei-
nem empfindlichen Übel zur Herausgabe von Drogen nötigt, um sich
zu Unrecht zu bereichern, macht sich nicht der Nötigung, sondern der
räuberischen Erpressung schuldig. Das Landgericht hat sich an einer
entsprechenden Verurteilung gehindert gesehen, weil der unerlaubte
Besitz von Betäubungsmitteln nicht durch § 253 StGB als Vermögen
strafrechtlich unter Schutz stehe. Hierbei hat es verkannt, daß die
Rechtsordnung im Bereich der Vermögensdelikte ein wegen seiner
Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin schutzunwürdi-
ges Vermögen nicht kennt (vgl. BGHSt 8, 254, 256; BGH NStZ-RR
1999, 184, 185 f.; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 263 Rdn. 29
m.w.N.). Auch an Sachen wie Rauschgift, die jemand aufgrund einer
strafbaren Handlung besitzt und als Tatmittel zur Begehung geplanter
Straftaten bereitstellt, kann unbeschadet ihrer Zweckbestimmung
oder Bemakelung Erpressung und Betrug begangen werden.“
An den vorgenannten Entscheidungen hält der Senat fest.
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2. Auch wenn der Anbau von Betäubungsmitteln, deren Herstellung,
das Handeltreiben mit ihnen, das Einführen oder Ausführen, die Abgabe,
das Veräußern, das sonst in den Verkehr bringen und der Erwerb grund-
sätzlich einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizin-
produkte bedürfte (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG), ergibt sich daraus nichts für den
Besitz von Betäubungsmitteln, welcher gerade nicht erwähnt ist. Ob Besitz
daher sogar erlaubnisfrei ist (Weber, BtMG, 4. Aufl., § 3 Rn. 76; aA Kotz in
MüKo StGB, 2. Aufl., BtMG § 3 Rn. 5 f.), kann insoweit dahinstehen. Letzt-
lich kann aber mangels fehlender Erwähnung des Besitzes in § 3 BtMG der
Besitz von Betäubungsmitteln und beispielsweise von Schusswaffen und
Munition (vgl. § 52 Abs. 3 Nr. 2 WaffG) kaum unterschiedlich behandelt
werden.
Außerdem vermag die Argumentation des anfragenden Strafsenats
nicht überzeugend zu begründen, weshalb trotz (Weiter)Geltung der Besitz-
schutzregeln der §§ 858 ff. BGB dem Besitz von Betäubungsmitteln kein
Vermögenswert zukommen soll, insbesondere in solchen Fällen, denen ein
erlaubter Drogenbesitz vorangegangen ist (z.B. Betäubungsmittelbestand
von Apotheken), oder das Tatopfer Betäubungsmittel straflos im Ausland
erworben hat. Bei einem straflosen Erwerb im Ausland kommt hinzu, dass
insoweit nach dem Verbringen nach Deutschland die Anwendung des Straf-
tatbestandes des Besitzes nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG deswegen
nicht unproblematisch ist, weil in diesem Fall der Käufer gerade keine Er-
laubnis nach § 3 BtMG benötigte.
3. Die Hilfserwägungen des anfragenden Strafsenats zur Frage des
Eigentums an Betäubungsmitteln, von welchem regelmäßig das Recht zum
Besitz abgeleitet ist, helfen ebenfalls nicht weiter. Unklar bleibt, auf welche
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Weise es zu einem off
enbar geminderten Eigentum („jedenfalls kein vollwer-
tiges Eigentum“) kommen soll und auf welcher Rechtsgrundlage die dem
Bürgerlichen Recht bislang unbekannte Figur eines „eingeschränkten Eigen-
tums“ beruht. Dies gilt in gleicher Weise für die nach Auffassung des anfra-
genden Strafsenats offenbar mit einer Einreise nach Deutschland verbun-
dene Minderung des vorhandenen Eigentums bei einem nicht strafbaren
Vorerwerb im Ausland. Allein der Umstand, dass die Einfuhr (§ 29 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 BtMG) nach Deutschland verboten ist, vermag keine sachen-
rechtlichen Wirkungen an der eingeführten Sache herbeizuführen. Weder
wird hiervon das Eigentum noch der Besitz betroffen.
Raum Graf Cirener
Radtke Bär