Urteil des BGH vom 05.05.2014

BGH: gesetzliche vermutung, aufschiebende wirkung, rechtliches gehör, rechtskräftiges urteil, rechtsanwaltschaft, auflage, beruf, gesundheitszustand, rechtskraft, ermessen

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
A n w Z ( B r f g ) 3 / 1 4
vom
5. Mai 2014
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Kayser, die Richterinnen Lohmann und Dr. Fetzer, den
Rechtsanwalt Dr. Braeuer und die Rechtsanwältin Schäfer
am 5. Mai 2014
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das
Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs Mecklenburg-
Vorpommern vom 29. November 2013 wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelas-
sen. Mit Bescheid vom 9. Mai 2012 wurde ihm aufgegeben, ein Gutachten von
Prof. Dr. med. H. J. F. , E. Universität G. ,
über seinen Gesundheitszustand beizubringen. Wegen der Einzelheiten wird
auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Widerspruch
und Klage des Klägers, der aufgrund einer vorläufigen Anordnung des Amtsge-
richts W. vom 29. April 2012 bis zum 10. Mai 2012 in der geschlossenen
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Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht war, blieben er-
folglos.
Der Kläger legte kein Gutachten vor. Mit Bescheid vom 17. Oktober 2012
widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft. Ge-
gen diesen Bescheid hat der Kläger Widerspruch und Klage erhoben. Der An-
waltsgerichtshof hat das Verfahren zunächst wegen Vorgreiflichkeit des an-
waltsgerichtlichen Verfahrens über die Rechtmäßigkeit der Gutachtenanord-
nung ausgesetzt, nach dessen Abschluss die Fortsetzung dieses Verfahrens
angeordnet und die Klage mit Urteil vom 29. November 2013 abgewiesen.
Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung ist nach § 112e
Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils
(§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Der Kläger
hat nicht einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche
Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.
a) Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwalt-
schaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen
nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungs-
gemäß auszuüben, es sei denn, dass sein Verbleiben in der Rechtsanwalt-
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schaft die Rechtspflege nicht gefährdet. Erforderlichenfalls gibt die Rechtsan-
waltskammer dem Betroffenen auf, innerhalb einer von ihr zu bestimmenden
angemessenen Frist das Gutachten eines von ihr zu bestimmenden Arztes über
seinen Gesundheitszustand vorzulegen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BRAO). Wird das
Gutachten ohne zureichenden Grund nicht innerhalb der von der Rechtsan-
waltskammer gesetzten Frist vorgelegt, so wird nach § 15 Abs. 3 Satz 1 BRAO
gesetzlich vermutet, dass der Rechtsanwalt aus dem gesundheitlichen Grund,
der durch das Gutachten geklärt werden sollte, nicht nur vorübergehend unfähig
ist, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben.
b) Die gesetzliche Vermutung des § 15 Abs. 3 BRAO setzt eine recht-
mäßige Aufforderung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BRAO voraus (vgl. Schmidt-
Ränsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 15 BRAO Rn. 60).
Das hat der Anwaltsgerichtshof nicht verkannt. Er hat die Rechtmäßigkeit der
Anordnung durch Bezugnahme auf sein eigenes, nicht rechtskräftiges Urteil im
Vorprozess begründet. Diese Bezugnahme ist rechtlich unbedenklich, weil bei-
de Parteien am Vorprozess beteiligt waren, sie das Urteil also kannten. Die vom
Kläger in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Rechtsfragen stellen sich
nicht. Nachdem der Senat den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung
gegen das Urteil im Vorprozess durch Beschluss vom 27. März 2014 (AnwZ
(Brfg) 57/13) abgelehnt hat, steht die Rechtmäßigkeit der Auflage überdies für
das Widerrufsverfahren bindend fest (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2009
- AnwZ (B) 81/08, NJW-RR 2009, 1578 Rn. 19; vom 13. September 2010
- AnwZ (B) 105/09, Rn. 6; vom 22. November 2010 - AnwZ (B) 74/07, Rn. 10).
c) Der Anwaltsgerichtshof hat keinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt,
die gesetzliche Vermutung des § 15 Abs. 3 BRAO sei "nur" durch Vorlage eines
medizinischen Gutachtens widerlegbar. Im Urteil heißt es vielmehr, der Kläger
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habe nichts vorgetragen, was geeignet sei, die gesetzliche Vermutung zu wider-
legen. Der Hinweis auf die (unterbliebene) Vorlage eines anderen Gutachtens
diente, wie die Beifügung des Wortes "etwa" zeigt, nur als Beispiel dafür, wie
die gesetzliche Vermutung des § 15 Abs. 3 BRAO widerlegt werden könnte.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen oder tatsächli-
chen Schwierigkeiten auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der
Anwaltsgerichtshof durfte die Rechtmäßigkeit der Anordnung nach § 15 Abs. 1
Satz 1 BRAO durch Bezugnahme auf sein Urteil im Vorprozess begründen.
Mittlerweile ist dieses Urteil durch Zurückweisung des Antrags auf Zulassung
der Berufung überdies rechtskräftig geworden. Die Gefahr einander widerspre-
chender Entscheidungen stellt sich nicht.
3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2
BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers hinsichtlich der
Vorschrift des § 15 BRAO teilt der Senat nicht. Er wendet sie in ständiger
Rechtsprechung an (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28. März 2013 - AnwZ
(Brfg) 70/12, Rn. 6 f.; vom 27. März 2014 - AnwZ (Brfg) 57/13, Rn. 14). Sie
dient dem Schutz des Rechtsverkehrs vor Anwälten, die ihrer Aufgabe aus ge-
sundheitlichen Gründen auf Dauer nicht gewachsen sind.
b) Die vom Kläger für rechtsgrundsätzlich gehaltene Frage, ob das Auf-
treten des Rechtsanwalts in der mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsge-
richtshof die gesetzliche Vermutung des § 15 Abs. 3 BRAO entkräften kann, ist
weder klärungsbedürftig noch - weil sie allenfalls in besonders gelagerten Ein-
zelfällen bejaht werden kann - allgemein klärungsfähig. Die vom Kläger weiter
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aufgeworfenen Fragen danach, ob und unter welchen Voraussetzungen eine
Klage gegen einen Widerruf vor Rechtskraft der Entscheidung über die Recht-
mäßigkeit der Auflage nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BRAO entschieden werden
kann, sind im jetzigen Stand des Verfahrens nicht mehr entscheidungserheb-
lich.
4. Der Kläger hat keinen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem die Ent-
scheidung des Anwaltsgerichtshofs beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124
Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
a) Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)
wurde nicht verletzt. Das Gericht ist verpflichtet, das Vorbringen der Parteien
zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hieraus kann jedoch nicht
abgeleitet werden, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen einer Partei in
den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu befassen hätte. Überdies be-
trifft das als übergangen gerügte Vorbringen des Klägers die Frage der Recht-
mäßigkeit der Anordnung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BRAO, die der Anwaltsge-
richtshof durch Bezugnahme auf sein Urteil im Vorprozess beantwortet hat und
die nach Rechtskraft dieses Urteils nicht mehr zu prüfen ist.
b) Über die Aussetzung des Verfahrens hatte der Anwaltsgerichtshof
nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO,
§ 94 VwGO). Nachdem die Klage des Klägers gegen die Anordnung nach § 15
Abs. 1 BRAO rechtskräftig abgewiesen worden ist, stellt sich die Frage, ob das
Verfahren hätte ausgesetzt werden müssen, nicht mehr.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154
Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 BRAO.
IV.
Der im Laufe der Beratung über den Zulassungsantrag eingegangene
Antrag des Klägers, gemäß § 80b Abs. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs über den Zeitpunkt der Senatsentscheidung hinaus anzuord-
nen, bleibt ohne Erfolg. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Beru-
fung wird das Urteil des Anwaltsgerichtshofs rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO). Für eine aufschiebende Wirkung der vom Kläger eingelegten Rechts-
behelfe ist dann kein Raum mehr (vgl. § 80b Abs. 1 VwGO).
Kayser
Lohmann
Fetzer
Braeuer
Schäfer
Vorinstanz:
AGH Rostock, Entscheidung vom 29.11.2013 - AGH 3/13 (I/2) -
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