Urteil des BGH vom 17.12.2013

BGH: abgrenzung, einbau, umstrukturierung, anpassung, genehmigung, investition, begriff, anteil, kreis, verordnung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
EnVR 18/12
Verkündet am:
17. Dezember 2013
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
50Hertz Transmission GmbH
ARegV § 23 Abs. 1 Satz 1
a) Als Erweiterungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen im Sinne von § 23
Abs. 1 Satz 1 ARegV sind nicht nur Maßnahmen anzusehen, die durch eine
Veränderung der Versorgungsaufgabe veranlasst werden und deshalb als
grundlegend zu qualifizieren und mit besonders hohen Kosten verbunden
sind.
b) Eine Maßnahme ist als Erweiterungs- oder Umstrukturierungsmaßnahme
anzusehen, wenn sie sich nicht im Austausch bereits vorhandener Kompo-
nenten und der damit zwangsläufig einhergehenden Verbesserungen er-
schöpft, sondern jedenfalls auch zu einer nicht nur unbedeutenden Vergrö-
ßerung des Netzes oder zu einer nicht nur unbedeutenden Veränderung von
sonstigen technischen Parametern führt, die für den Betrieb des Netzes er-
heblich sind.
BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - EnVR 18/12 - OLG Düsseldorf
- 2 -
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 17. Dezember 2013 durch die Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Meier-Beck
und
Dr. Raum
sowie
die
Richter
Dr. Kirchhoff,
Dr. Grüneberg und Dr. Bacher
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der am 14. März
2012 verkündete Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesge-
richts Düsseldorf aufgehoben, soweit darin die Beschwerde gegen
den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 27. August 2010 hin-
sichtlich der Teilmaßnahmen "Einbau digitaler Schutzrelaistechnik",
"Anpassung und Erweiterung der digitalen Stationsleittechnik" und
"Einbau einer neuen Eigenbedarfsanlage" zurückgewiesen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdever-
fahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf
130.000 Euro festgesetzt.
- 3 -
Gründe:
I.
Die Antragstellerin betreibt ein Höchstspannungsnetz. Mit Schreiben
vom 30. Juni 2008 beantragte sie unter anderem die Genehmigung eines Inves-
titionsbudgets für Maßnahmen an dem 1968 in Betrieb genommenen Umspann-
werk Herlasgrün.
Die Bundesnetzagentur hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde, mit
der die Antragstellerin ihr Begehren hinsichtlich vier von insgesamt fünf zu dem
Projekt gehörenden Teilmaßnahmen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der vom Beschwerdegericht zuge-
lassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie ihr Begehren im Hinblick auf drei Teil-
maßnahmen weiterverfolgt, nämlich den Einbau digitaler Schutzrelaistechnik,
die Anpassung und Erweiterung der digitalen Stationsleittechnik und den Ein-
bau einer neuen Eigenbedarfsanlage. Die Bundesnetzagentur tritt dem Rechts-
mittel entgegen.
II.
Das zulässige Rechtsmittel führt im Umfang der Anfechtung zur Auf-
hebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an
das Beschwerdegericht.
1.
Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet:
Die in Rede stehenden Maßnahmen seien nicht als Umstrukturierungs-
oder Erweiterungsmaßnahmen im Sinne von § 23 Abs. 1 ARegV anzusehen.
Die genannte Vorschrift stelle grundsätzlich auf Neuinvestitionen ab, die durch
eine Veränderung der Versorgungs- und Transportaufgabe veranlasst würden,
grundlegende Maßnahmen darstellten und mit erheblichen Kosten verbunden
1
2
3
4
5
- 4 -
seien. Davon zu unterscheiden seien Maßnahmen, die nur der Erhaltung des
bestehenden Netzes dienten, also seine Wartung, Instandhaltung und Instand-
setzung oder die Ersatzbeschaffung beträfen.
Aus dem in § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV normierten Regelbeispiel fol-
ge nichts anderes. Dieses umfasse zwar Ersatzinvestitionen. Hieraus sei aber
die Schlussfolgerung zu ziehen, dass alle anderen Ersatzinvestitionen nicht
Gegenstand eines Investitionsbudgets sein könnten.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Beschwerdegericht die im
Rechtsbeschwerdeverfahren noch zu beurteilenden Maßnahmen als nicht ge-
nehmigungsfähig angesehen. Sie dienten nicht der Umstrukturierung des Net-
zes, sondern führten nur zu einer grundsätzlichen Erneuerung der Schutz- und
Leittechnik des Umspannwerks, also eines Teils des bestehenden Netzes. Da-
rin liege keine grundlegende, mit erheblichen Kosten verbundene substantielle
Umgestaltung des Netzes.
2.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a)
Hierbei kann offen bleiben, welche Fassung von § 23 Abs. 1 ARegV
für die Beurteilung des Streitfalles maßgeblich ist.
Die Regelung in § 23 Abs. 1 ARegV ist zwar seit ihrem Inkrafttreten mehr-
fach geändert worden. So wird der Gegenstand der Genehmigung in der seit
22. März 2012 geltenden Fassung nicht mehr als Investitionsbudget, sondern
als Investitionsmaßnahme bezeichnet. Zudem ist der in Satz 2 enthaltene Kata-
log von Maßnahmen, die insbesondere als genehmigungsfähig anzusehen sind,
mehrfach geändert worden. Die für die Beurteilung des Streitfalls relevanten
Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV sind von diesen
Änderungen indes nicht betroffen.
6
7
8
9
10
- 5 -
b)
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts, gegen die auch
die Bundesnetzagentur Bedenken erhebt, sind als Erweiterungs- und Umstruk-
turierungsmaßnahmen nicht nur Maßnahmen anzusehen, die durch eine Ver-
änderung der Versorgungsaufgabe veranlasst werden und deshalb als grundle-
gend zu qualifizieren und mit besonders hohen Kosten verbunden sind.
aa) Dem Wortlaut von § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV lässt sich, wie auch das
Beschwerdegericht nicht verkannt hat, eine solche Einschränkung nicht ent-
nehmen.
Unter den Begriff der Erweiterungsmaßnahme kann, wie auch die Bun-
desnetzagentur in ihrem zuletzt im Jahr 2012 überarbeiteten Leitfaden zu Inves-
titionsmaßnahmen nach § 23 ARegV darlegt, jede Maßnahme subsumiert wer-
den, mit der das Netz vergrößert wird - sei es durch Erhöhung der Leitungslän-
ge, sei es durch Steigerung der Übertragungskapazität. Dies können auch
Maßnahmen sein, denen keine grundlegende Bedeutung zukommt und die
nicht mit außergewöhnlich hohen Kosten verbunden sind.
Für den Begriff der Umstrukturierungsmaßnahme gilt nichts anderes. Da-
runter kann jede Maßnahme subsumiert werden, mit der technische Parameter
geändert werden, die für den Netzbetrieb erheblich sind. Hierunter fallen zum
Beispiel qualitative Verbesserungen der Netzbeschaffenheit. Auch insoweit
lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen, dass die Maßnahme zusätzlich
grundlegende Bedeutung haben oder mit besonders hohen Kosten verbunden
sein muss.
bb) Dass der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ARegV nur grund-
legende, mit erheblichen Kosten verbundene Umstrukturierungsmaßnahmen
erfasst, führt entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht zu einer
abweichenden Beurteilung.
11
12
13
14
15
- 6 -
In § 23 Abs. 1 Satz 2 ARegV sind bestimmte Maßnahmen aufgeführt, die
"insbesondere" als genehmigungsfähige Erweiterungs- und Umstrukturierungs-
investitionen im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV anzusehen sind. Diese
Aufzählung ist, wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, nicht abschlie-
ßend. Wenn bei einer bestimmten Maßnahme einzelne Voraussetzungen eines
der in Satz 2 vorgesehenen Tatbestände nicht verwirklicht sind, kann deshalb
nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, diese Maßnahme sei auch
nach Satz 1 nicht genehmigungsfähig. Zwar können die in Satz 2 vorgesehenen
Tatbestände bei der Auslegung von § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV eine Orientie-
rungshilfe bilden. Dies darf aber nicht dazu führen, dass der Tatbestand von
§ 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV um Voraussetzungen ergänzt wird, die dort nicht
vorgesehen sind.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts wird § 23 Abs. 1 Satz 2
ARegV damit nicht obsolet. Die Vorschrift dient nach ihrem Wortlaut und nach
ihrem Sinn und Zweck nicht dazu, den in Satz 1 normierten Grundtatbestand zu
modifizieren. Ihr kommt vielmehr die Funktion zu, den Anwendungsbereich die-
ses Tatbestandes zu veranschaulichen und die Rechtsanwendung in typischen
Konstellationen zu vereinfachen.
cc) Die vom Beschwerdegericht zu Grunde gelegte Auslegung von § 23
Abs. 1 Satz 1 ARegV ist auch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht ver-
einbar.
(1) § 23 Abs. 1 ARegV trägt, wie das Beschwerdegericht im Ansatz zu-
treffend dargelegt hat, dem Umstand Rechnung, dass auf die Betreiber von
Übertragungsnetzen durch gesetzliche Anforderungen in erheblichem Umfang
zusätzliche Aufgaben zukommen, die erhöhte Kosten verursachen. Die Ge-
nehmigung von Investitionsbudgets bzw. Investitionsmaßnahmen soll die auf-
grund dieser Anforderungen notwendigen Erweiterungs- und Umstrukturie-
rungsinvestitionen erleichtern. Die Beschränkung auf Erweiterungs- und Um-
16
17
18
19
- 7 -
strukturierungsmaßnahmen dient dem Zweck, bloße Ersatzinvestitionen aus
dem Kreis der genehmigungsfähigen Maßnahmen auszuschließen (BR-
Drucks. 417/07, S. 66 f.). Diese gehören seit jeher zum laufenden Geschäftsbe-
trieb der Netzbetreiber und sollen von diesen wie zuvor nach eigenem Ermes-
sen durchgeführt werden (vgl. den Bericht der Bundesnetzagentur nach § 112a
EnWG zur Einführung der Anreizregulierung nach § 21a EnWG vom 30. Juni
2006, Rn. 596 ff.).
Zur Erreichung dieses Zwecks ist es geboten, aber auch ausreichend, sol-
che Investitionen aus dem Kreis der genehmigungsfähigen Maßnahmen auszu-
schließen, mit denen lediglich vorhandene Bestandteile des Netzes durch neue
ersetzt werden, ohne dass dies zu einer Vergrößerung oder zu einer sonstigen
Änderung von erheblichen technischen Parametern des Netzes führt. Auch un-
ter diesem Aspekt ist es weder erforderlich noch sachgerecht, nur solche Maß-
nahmen als Umstrukturierung anzusehen, die als grundlegend zu qualifizieren
und mit besonders hohen Kosten verbunden sind. Eine Maßnahme kann viel-
mehr auch dann über eine bloße Ersatzinvestition hinausgehen, wenn sie einen
verhältnismäßig kleinen Teil des Netzes betrifft oder nicht mit außergewöhnlich
hohen Kosten verbunden ist.
(2) Eine engere Auslegung ist auch nicht deshalb geboten, weil die Ab-
grenzung zwischen Ersatz- und Umstrukturierungsmaßnahmen ansonsten nicht
möglich wäre.
Allerdings kann es im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten, eine bloße Er-
satzinvestition von einer Umstrukturierung abzugrenzen. Die Erneuerung defek-
ter oder veralteter Komponenten wird häufig wegen des zwischenzeitlich einge-
tretenen technischen Fortschritts zu gewissen Verbesserungen führen. Nicht
alle diese Fälle dürfen unter § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV subsumiert werden.
20
21
22
- 8 -
Nach dem Konzept des Verordnungsgebers darf diesem Problem aber
nicht dadurch Rechnung getragen werden, dass der Austausch vorhandener
Netzkomponenten nicht oder nur unter besonders strengen Voraussetzungen
als Umstrukturierungsmaßnahme angesehen wird. Der Verordnungsgeber hält
es vielmehr für möglich, dass eine Maßnahme sowohl als Ersatzinvestition als
auch als Erweiterungs- oder Umstrukturierungsinvestition zu qualifizieren ist. In
diesen Fällen ist im Zusammenhang mit § 23 Abs. 1 ARegV nur ein prozentua-
ler Anteil der Kosten berücksichtigungsfähig (BR-Drucks. 417/07, S. 67).
dd) Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagentur kann für Umstruk-
turierungsmaßnahmen kein strengerer rechtlicher Maßstab herangezogen wer-
den als für Erweiterungsmaßnahmen.
(1) In der Praxis mögen Erweiterungsinvestitionen regelmäßig leichter
von bloßen Ersatzinvestitionen abgrenzbar sein. Dennoch können sich auch in
diesem Zusammenhang Überschneidungen ergeben - etwa dann, wenn eine
vorhandene Leitung durch eine neue Leitung mit erheblich größerer Kapazität
ersetzt wird. Daraus resultierende Abgrenzungsprobleme unterscheiden sich
nicht grundlegend von den Problemen, die bei der Abgrenzung zwischen Um-
strukturierungsinvestitionen und Ersatzinvestitionen entstehen können. Auch
unter diesem Gesichtspunkt dürfen deshalb für die Abgrenzung von Umstruktu-
rierungsmaßnahmen keine zusätzlichen, im Wortlaut der Verordnung nicht vor-
gesehenen Voraussetzungen aufgestellt werden.
Angesichts dessen findet auch die von der Bundesnetzagentur vertretene
Auffassung, als Umstrukturierungsmaßnahmen seien nur solche Maßnahmen
anzusehen, die durch eine konkrete Änderung der Anforderungen an das in
Rede stehende Netz veranlasst seien, keine Grundlage in § 23 Abs. 1 ARegV.
Die Abgrenzung zwischen Umstrukturierungsinvestitionen und bloßen Ersatzin-
vestitionen hat anhand des Gegenstands der Investitionsmaßnahme zu erfol-
gen, nicht anhand des der Investition zugrunde liegenden Anlasses.
23
24
25
26
- 9 -
(2) Entgegen den von der Bundesnetzagentur geäußerten Befürchtun-
gen führt dies nicht dazu, dass schlechthin jede Investition unter den Tatbe-
stand des § 23 Abs. 1 ARegV fällt.
(a) Zum einen ist nicht jede Ersatzinvestition zugleich als Umstrukturie-
rungsinvestition anzusehen.
Wie bereits dargelegt ist der Ersatz einer bereits vorhandenen Komponen-
te nicht schon deshalb als Umstrukturierung zu qualifizieren, weil für die neue
Komponente andere technische Standards gelten. Vielmehr müssen zusätzli-
che, für die Struktur des Netzes erhebliche Änderungen hinzukommen, die nicht
zu den zwangsläufigen Folgen der Ersatzinvestition gehören, sondern eine an-
dere, über den bloßen Ersatz einer Komponente hinausgehende Funktion ha-
ben.
(b) Zum anderen ist nicht jede Erweiterungs- oder Umstrukturierungsin-
vestition nach § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV genehmigungsfähig.
Nach der genannten Vorschrift ist vielmehr erforderlich, dass die Investiti-
onen zur Stabilität des Gesamtsystems, für die Einbindung in das nationale
oder internationale Verbundnetz oder für einen bedarfsgerechten Ausbau des
Energieversorgungsnetzes nach § 11 EnWG notwendig sind. Auch Erweite-
rungs- oder Umstrukturierungsmaßnahmen sind mithin nicht schon dann zu
genehmigen, wenn sie sich unter irgendwelchen Gesichtspunkten als zweck-
mäßig darstellen. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob sie für einen der ge-
nannten Zwecke notwendig sind. Hierfür kann insbesondere von Bedeutung
sein, ob konkrete Änderungen der Versorgungs- oder Transportaufgabe oder
sonstiger Anforderungen an das Netz eingetreten sind, die die in Rede stehen-
de Maßnahme als erforderlich erscheinen lassen.
27
28
29
30
31
- 10 -
c)
Vor diesem Hintergrund ist eine Maßnahme als Erweiterungs- oder
Umstrukturierungsmaßnahme anzusehen, wenn sie sich nicht im Austausch
bereits vorhandener Komponenten und damit zwangsläufig einhergehenden
Verbesserungen erschöpft, sondern jedenfalls auch zu einer nicht nur unbedeu-
tenden Vergrößerung des Netzes oder zu einer nicht nur unbedeutenden Ver-
änderung von sonstigen technischen Parametern führt, die für den Betrieb des
Netzes erheblich sind. Wenn eine solche Maßnahme zugleich der Ersetzung
vorhandener Netzkomponenten dient, führt dies nicht zum Ausschluss der Ge-
nehmigungsfähigkeit, sondern dazu, dass nur ein Teil der Investitionskosten
berücksichtigt werden darf. Dieser Teil ist, sofern eine konkrete Zuordnung ein-
zelner Teilmaßnahmen nicht möglich ist, als prozentualer Anteil an den Ge-
samtkosten der Maßnahme zu bestimmen.
Um eine klare Abgrenzung zu ermöglichen, müssen die zusätzlichen
Funktionen deutlich von den Wirkungen einer bloßen Ersatzinvestition unter-
scheidbar sein. Ihnen muss deshalb eine gewisse eigenständige Bedeutung
zukommen. Hierzu ist aber nicht erforderlich, dass die Maßnahme als grundle-
gend zu qualifizieren oder mit außergewöhnlich hohen Kosten verbunden ist. Es
reicht vielmehr aus, dass ihre Wirkungen nicht nur unbedeutend über diejenigen
Wirkungen hinausgehen, die mit dem Austausch einer vorhandenen Kompo-
nente zwangsläufig verbunden sind.
Der Senat verkennt nicht, dass die Abgrenzung zwischen Umstrukturie-
rungsinvestitionen und bloßen Ersatzinvestitionen danach in bestimmten Fällen
eine wertende Betrachtung erfordern kann, in die alle für den Einzelfall relevan-
ten Umstände einzufließen haben, und die im Falle einer gerichtlichen Anfech-
tung dem Tatrichter vorbehalten ist. Auch dieser Umstand rechtfertigt es indes
nicht, bei der Abgrenzung zusätzliche Merkmale heranzuziehen, die im Wortlaut
von § 23 Abs. 1 Satz 1 ARegV nicht vorgesehen sind. Unabhängig davon erfor-
derten sowohl die vom Beschwerdegericht als auch die von der Bundesnetz-
agentur herangezogenen zusätzlichen Merkmale ebenfalls eine wertende Be-
32
33
34
- 11 -
trachtung. Ihre Einbeziehung würde die Abgrenzung nicht in nennenswertem
Umfang erleichtern, sondern nur auf andere, in der Verordnung nicht vorgese-
hene Kriterien verlagern.
d)
Bei Anwendung dieses rechtlichen Maßstabes kann die Entschei-
dung des Beschwerdegerichts, soweit sie angefochten ist, keinen Bestand ha-
ben.
aa) Das Beschwerdegericht hat die in Rede stehenden Maßnahmen
schon deshalb nicht als Umstrukturierungsmaßnahmen angesehen, weil ihnen
keine grundlegende Bedeutung zukommt und sie nicht mit besonders hohen
Kosten verbunden sind. Diese Beurteilung beruht aus den oben dargelegten
Gründen auf einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab.
bb) Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht im Hinblick
auf die ergänzend angestellten Erwägungen des Beschwerdegerichts als zutref-
fend.
(1) Das Beschwerdegericht hat in der Umstellung auf digitale Schutz-
technik auch deshalb eine reine Ersatzinvestition gesehen, weil die vorhandene
elektromechanische Schutzrelaistechnik nach dem Vortrag der Antragstellerin
die geforderten Zuverlässigkeitsanforderungen aufgrund technologischer Be-
schränkungen, natürlichen Verschleißes und fehlender Serviceleistungen der
Hersteller nicht mehr erfüllte und die Antragstellerin deshalb bereits in vierzig
ihrer insgesamt fünfzig Umspannwerke digitale Schutztechnik installiert habe,
was häufig anlässlich der Installation eines neuen Transformators geschehen
sei.
Diese Erwägung vermag die Einordnung der Maßnahmen als bloße Er-
satzinvestition ebenfalls nicht zu tragen.
35
36
37
38
39
- 12 -
Zwar obliegt die Beurteilung, ob eine konkrete Maßnahme anhand der
oben dargestellten Kriterien als Umstrukturierungsmaßnahme oder als bloße
Ersatzmaßnahme anzusehen ist, im Einzelfall im Wesentlichen dem Tatrichter.
Dessen Entscheidung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf über-
prüft werden, ob sie in Einklang mit den einschlägigen rechtlichen Vorgaben
steht und weder auf Verfahrensfehlern beruht noch gegen Denkgesetze oder
Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2011
- KVR 95/10, BGHZ 192, 18 Rn. 51 mwN - Total/OMV). Ein solcher Fehler liegt
aber im Streitfall vor, weil das Beschwerdegericht - von seinem Rechtsstand-
punkt aus folgerichtig - den für die Entscheidung erheblichen Sachverhalt nicht
vollständig festgestellt hat.
Aus dem Vortrag der Antragstellerin, wonach die vorhandene elektro-
mechanische Schutzrelaistechnik ohnehin ersetzt werden muss und dies übli-
cherweise durch Einbau digitaler Schutztechnik geschieht, ergibt sich aller-
dings, dass darin jedenfalls auch eine Ersatzinvestition zu sehen ist. Auf der
Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Tatsachenfeststellungen
lässt sich aber nicht abschließend beurteilen, ob sich die mit dem Einbau digita-
ler Schutztechnik im Streitfall eintretenden Wirkungen auf dasjenige beschrän-
ken, was mit dem Austausch der veralteten Komponenten zwangsläufig einher-
geht, oder ob die Maßnahme in nicht nur unbedeutendem Umfang zu zusätzli-
chen, darüber hinausreichenden Verbesserungen führt. Wenn letzteres zu be-
jahen ist, sind die Maßnahmen zum Einbau der digitalen Schutztechnik jeden-
falls teilweise genehmigungsfähig.
Die Antragstellerin hat, wie die Rechtsbeschwerde im Einzelnen aufzeigt,
im Beschwerdeverfahren hierzu vorgetragen, mit dem Einbau digitaler Schutz-
relais im Umspannwerk Herlasgrün würden nicht lediglich elektromechanische
Einrichtungen durch digitale Technik ersetzt. Vielmehr werde ein auf die konkre-
te Situation zugeschnittenes neues Schutzsystem eingesetzt, das es anders als
das frühere System ermögliche, Schutzsignale von einem Umspannwerk an
40
41
42
- 13 -
das andere zu übertragen und durch eine Schwacheinspeiselogik auch dann
einen Fehler zu erkennen, wenn der eingespeiste Kurzschlussstrom nicht aus-
reiche, um nach herkömmlichen Kriterien ein Abschaltsignal zu generieren.
Dieser Vortrag, den das Beschwerdegericht - von seinem Rechtsstandpunkt
aus konsequent - unberücksichtigt gelassen hat, ermöglicht zwar ebenfalls kei-
ne abschließende Entscheidung. Er hätte dem Beschwerdegericht bei Anlegung
des zutreffenden rechtlichen Maßstabes aber Anlass zu einer weiteren Aufklä-
rung des Sachverhalts gegeben.
Die von der Antragstellerin aufgezeigten zusätzlichen Funktionen - Schutz-
signalübertragung und Schwacheinspeiselogik - reichen für die Bejahung einer
Umstrukturierungsmaßnahme nicht aus, wenn sie zu den Funktionen gehören,
die nach einer Umrüstung auf digitale Schutztechnik üblicherweise zur Verfü-
gung stehen. Eine andere Beurteilung ist geboten, wenn es sich um Zusatz-
funktionen handelt, die mit der Umstellung auf digitale Schutztechnik nicht
zwingend oder zumindest üblicherweise verbunden sind und die zu einer nicht
nur unbedeutenden Verbesserung des Netzbetriebs führen. Dann sind die zu-
sätzlichen Investitionen zur Verwirklichung dieser Funktionen als Umstrukturie-
rungsinvestitionen anzusehen.
(2) Entsprechendes gilt für die Anpassung und Erweiterung der digitalen
Stationsleittechnik.
Die diesbezüglichen Maßnahmen dienen nach dem Vortrag der Antrag-
stellerin dazu, Netzschutzsignale zwischen verschiedenen Anlagen zu übertra-
gen und Informationen an die zentrale Netzsteuerstelle zu übermitteln. Soweit
die in Rede stehenden Änderungen im Streitfall über dasjenige hinausgehen,
was im Rahmen einer Ersatzinvestition ohnehin üblicherweise geschieht, sind
auch diese Investitionen als Umstrukturierungsinvestitionen anzusehen.
43
44
45
- 14 -
(3) Die Erstellung einer neuen Eigenbedarfsanlage hat das Beschwer-
degericht nicht als Umstrukturierungsmaßnahme angesehen, weil die zusätzli-
chen Funktionen - automatische Umschaltung auf redundante Systeme im Feh-
lerfall, ausreichender Berührungsschutz und Brandabschottung zwischen den
Systemen - nicht über eine Ersatzinvestition hinausgingen.
Diese Beurteilung lässt für sich gesehen keinen Rechtsfehler erkennen
und wird von der Rechtsbeschwerde insoweit auch nicht angegriffen.
Die Antragstellerin hat aber, wie die Rechtsbeschwerde aufzeigt, im Be-
schwerdeverfahren ergänzend geltend gemacht, der Neubau der Eigenbedarfs-
anlage sei auch erforderlich, um die neuen Maßnahmen der Schutztechnik be-
treiben zu können. Sofern diese Maßnahmen als Umstrukturierungsmaßnah-
men anzusehen sind, bedarf es deshalb der Klärung, ob und in welchem Um-
fang die Verwirklichung der zusätzlichen Funktionen auch zu erhöhten Investiti-
onen für die Eigenbedarfsanlage führt.
3.
Nach allem ist die angefochtene Beschwerdeentscheidung aufzuhe-
ben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Das Beschwerdegericht wird den Sachverhalt im Hinblick auf die oben
(Rn. 38-48) aufgezeigten Gesichtspunkte weiter aufzuklären haben. Erweist
sich danach zumindest eine der drei noch zu beurteilenden Teilmaßnahmen als
Umstrukturierungsmaßnahme, so wird das Beschwerdegericht weiter zu klären
46
47
48
49
50
- 15 -
haben, ob diese Investitionen zur Stabilität des Gesamtsystems, für die Einbin-
dung in das nationale oder internationale Verbundnetz oder für einen bedarfs-
gerechten Ausbau des Energieversorgungsnetzes nach § 11 EnWG notwendig
sind.
Meier-Beck
Raum
Kirchhoff
Grüneberg
Bacher
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 14.03.2012 - VI-3 Kart 118/10 (V) -