Urteil des BGH vom 09.11.2010

BGH (stgb, unterbringung, stpo, anordnung, freiheitsstrafe, annahme, spekulation, amphetamin, cannabis, persönlichkeitsstörung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 472/10
vom
9. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. November 2010
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Paderborn vom 2. Juni 2010 mit den Fest-
stellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über
die Unterbringung des Angeklagten in einer Entzie-
hungsanstalt unterblieben ist.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schweren
Raubes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt.
Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
sachlichen Rechts.
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Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das
Rechtsmittel hat jedoch insoweit Erfolg, als eine Entscheidung zur Frage der
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unter-
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blieben ist. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausge-
führt:
"Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft übersehen, die Maßre-
gel einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entzie-
hungsanstalt (§ 64 StGB) zu prüfen. Nach den rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen wurde bei ihm etwa 2006 eine
Polytoxikomanie diagnostiziert. Nachdem der Angeklagte sich
Mitte 2007 im Rahmen einer Zurückstellung der Strafvollstre-
ckung nach § 35 BtMG einer Entwöhnungsbehandlung unter-
zogen hatte, konsumierte er ab Ende 2007 wieder täglich Ko-
kain, Amphetamin und Cannabis, so auch am Tattag, dem
9. Juli 2008. Durch die Tat wollte er sich weitere Betäubungs-
mittel verschaffen. Wegen einer nicht näher dargelegten Per-
sönlichkeitsstörung 'und/oder' (UA S. 8) einer Drogenintoxika-
tion hat das Landgericht nicht auszuschließen vermocht, dass
die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der
Tat erheblich vermindert war. Durch diese nicht rechtsfehler-
freie Annahme des § 21 StGB (vgl. BGH 4 StR 47/10 zur Re-
levanz des Drogeneinflusses) wird der Angeklagte nicht be-
schwert.
Nach den Feststellungen liegt es nahe, dass die abgeurteilte
Tat auf einen Hang des Angeklagten zurückgeht, berauschen-
de Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen … Es ist unwahr-
scheinlich, dass ein Heilungserfolg, der die Maßregelanord-
nung entbehrlich machen könnte, bereits dadurch eingetreten
ist, dass der Angeklagte nach seinen eigenen Angaben keine
Betäubungsmittel mehr konsumiert. Eine solche Annahme wä-
re Spekulation, weil weder ein Laborbefund noch ein Gutach-
ten eines Sachverständigen vorlag. Zudem blieb ungeklärt,
seit wann der Angeklagte kein Rauschgift mehr genommen
und ob er im Hinblick auf die Polytoxikomanie auch andere
Drogen, wie zum Beispiel Alkohol, gemieden hat. Eine Absti-
nenz würde indes für eine hinreichend konkrete Erfolgsaus-
sicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB sprechen.
Die Änderung des § 64 StGB von einer Muss- in eine Sollvor-
schrift macht dessen Prüfung durch den Tatrichter nicht ent-
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behrlich. Dieser muss vielmehr das Ermessen tatsächlich
ausüben und die Ermessensentscheidung für das Revisions-
gericht nachprüfbar machen (Senat 4 StR 36/08 Rn. 5). Da
der Beschwerdeführer die Nichtanwendung des § 64 StGB
durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff
ausgenommen hat, kann die Unterbringungsanordnung nach-
geholt werden (BGHSt 37, 5). Der neue Tatrichter hat über die
Anordnung nach § 64 StGB unter Hinzuziehung eines Sach-
verständigen (§ 246 a StPO) zu entscheiden".
Dem schließt sich der Senat an.
In Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt schließt der Senat
aus, dass das Landgericht im Falle einer Anordnung der Unterbringung nach
§ 64 StGB auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte.
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Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer