Urteil des BGH vom 16.07.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 1 6 / 1 4
vom
16. Juli 2014
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
VersAusglG § 2 Abs. 2 Nr. 3
Ein Anrecht im Sinne des Betriebsrentengesetzes ist unabhängig von der Leis-
tungsform auszugleichen. Es kann deshalb nicht durch Ausübung eines Wahl-
rechts auf einmalige Kapitalauszahlung dem Versorgungsausgleich entzogen
werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 18. April 2012 - XII ZB 325/11 -
FamRZ 2012, 1039).
BGH, Beschluss vom 16. Juli 2014 - XII ZB 16/14 - OLG Schleswig
AG Lübeck
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juli 2014 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-
Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 6. Senats für
Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts
in Schleswig vom 20. Dezember 2013 wird auf Kosten des An-
tragsgegners zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 5.640
Gründe:
I.
Auf den am 5. September 2012 zugestellten Antrag hat das Familienge-
richt die am 21. Oktober 1988 geschlossene Ehe der Antragstellerin (Ehefrau)
und des Antragsgegners (Ehemann) rechtskräftig geschieden, den Versor-
gungsausgleich abgetrennt und hierüber durch gesonderten Beschluss ent-
schieden. Während der Ehezeit (1. Oktober 1988 bis 31. August 2012; § 3
Abs. 1 VersAusglG) erwarb der Ehemann - soweit für das Rechtsbeschwerde-
verfahren von Belang - betriebliche Anrechte aus zwei von seinem Arbeitgeber
für ihn bei der Beteiligten zu 1 abgeschlossenen Direktversicherungen mit Kapi-
talwerten von 18.491,76 € (Ausgleichswert: 9.045,88 €) und 13.438,55 € (Aus-
gleichswert: 6.519,28 €) sowie eine weitere vom Arbeitgeber für ihn bei der Be-
teiligten zu 2 abgeschlossene Pensionskassenversorgung mit einem Kapital-
wert von 20.150,20 € (Ausgleichswert: 9.875,10 €). Nach Beendigung des Ar-
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beitsverhältnisses zum 31. März 2013 - also nach Ehezeitende - übertrug der
vormalige Arbeitgeber die Rechte aus den Direktversicherungen und der Pensi-
onskassenversorgung auf den Ehemann mit Wirkung ab 1. April 2013. Dieser
teilte den Versorgungsträgern mit Schreiben vom 2. April 2013 mit, dass er von
seinem „Auszahlungswahlrecht“ Gebrauch mache und auf jegliche Umwand-
lung in eine Rentenzahlung verzichte.
Das Familiengericht hat die bezeichneten Anrechte - neben weiteren An-
rechten - intern geteilt. Unter anderem gegen die Einbeziehung der bezeichne-
ten Anrechte in den Versorgungsausgleich hat der Ehemann Beschwerde ein-
gelegt. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde insoweit zurückgewiesen;
hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet: Bei den im Wege der Direktversicherung begründeten Anrech-
ten handle es sich um Anrechte nach dem Betriebsrentengesetz, die gemäß § 2
Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG unabhängig von der Leistungsform auszugleichen sei-
en. Ob die Klassifizierung der Anrechte als solche nach dem Betriebsrentenge-
setz dadurch nachträglich verändert worden sei, dass sie bei Ausscheiden aus
dem Betrieb vom Arbeitgeber auf ihn übertragen worden seien, könne dahin-
stehen, da es maßgeblich auf den Rechtszustand zum Ehezeitende ankomme,
in dem die Anrechte jedenfalls noch dem Betriebsrentengesetz unterfielen.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
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a) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG ist ein Anrecht im Sinne des Be-
triebsrentengesetzes oder des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes
unabhängig von der Leistungsform auszugleichen. Ein Ausgleich findet also
auch statt, wenn das betriebliche Anrecht auf eine Kapitalzahlung gerichtet
ist. Mit dieser Ausnahmeregelung gegenüber dem ansonsten für den Ver-
sorgungsausgleich geltenden Grundsatz, dass nur auf Renten gerichtete An-
rechte auszugleichen sind, sollten zum einen die bei der nach früherem Recht
durch Einbeziehung von Anrechten auf Kapitalzahlung in den Zugewinnaus-
gleich entstehende Liquiditätsprobleme des Ausgleichspflichtigen vermieden,
zum anderen Umgehungsmöglichkeiten durch Ausübung eines Kapitalwahl-
rechts nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags abgeschnitten werden
(vgl. BT-Drucks. 16/10144, S. 46).
Die unterschiedliche Behandlung der Anrechte aus einer betrieblichen Al-
tersversorgung (sowie der ebenfalls in § 2 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG genannten
Anrechte nach dem Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz) gegenüber
Anrechten aus einer privaten, auf Kapitalleistung gerichteten Lebensversiche-
rung rechtfertigt sich daraus, dass bei diesen besonders genannten Anrechten
der Zweck der Alterssicherung eindeutig feststeht und durch Verfügungsbe-
schränkungen gesichert wird. So ist der Versicherte nach § 2 Abs. 2 Satz 4 bis
6, Abs. 3 Satz 3 BetrAVG daran gehindert, den Vertrag vorzeitig zu kündigen
und die Auszahlung zu verlangen oder den Anspruch abzutreten oder zu belei-
hen (vgl. Senatsbeschluss vom 18. April 2012 - XII ZB 325/11 - FamRZ 2012,
1039 Rn. 15 ff.).
b) Der Ehemann konnte daher die bei den Beteiligten zu 1 und 2 begrün-
deten Anrechte nicht dem Versorgungsausgleich entziehen (vgl. Blomeyer/
Rolfs/Otto Betriebsrentengesetz 5. Aufl. § 2 Rn. 260 ff.). Seine Schreiben vom
2. April 2013 betrafen lediglich die Form der Leistung bei deren zukünftiger Fäl-
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ligkeit. Das berührt unabhängig von dem Zeitpunkt der Ausübung dieses Wahl-
rechts nicht den Charakter der Anrechte als betriebliche Altersversorgung im
Sinne des Betriebsrentengesetzes.
Dose
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
AG Lübeck, Entscheidung vom 08.08.2013 - 124 F 58/12 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 20.12.2013 - 14 UF 123/13 -